An den Börsen werden künftige Profite versteigert, dort wird die Zukunftserwartung in Euro und Cent umgerechnet und auf Umsatz- und Gewinnsteigerung gewettet! Marx führt dazu aus: „...Aktien, [sind] bloße Eigentumstitel, die zur Empfangnahme von künftigem Mehrwert berechtigen.“[1]
Dass weder Vergangenheit, noch Gegenwart, sondern Zukunftserwartung das bestimmende Kriterium ist, bedeutet auch: Jeder Handel, jede Preisbildung ist immer auch eine Anzeige der Erwartung dieser Händler hinsichtlich unserer Zukunft. Je höher die Kurse, desto mehr Entlassungen, desto weniger Gegenwehr erwarten die Börsianer. Dass es auch umgekehrt geht, zeigte sich wieder mal am 23.03.2001: Durch einen Warnstreik ging der Aktienkurs der Lufthansa AG deutlich nach unten.
Eine Aktie spiegelt einen Bruchteil des Eigenkapitals einer AG wider. Eigenkapital ist der Teil des insgesamt angewandten Kapitals, der der AG juristisch gehört. Daneben hat sie Fremdkapital in Form von Bankkrediten; erhaltenen Rohstoffen und Waren, die noch nicht bezahlt sind (Lieferantenkredit); Rückstellungen für künftige Verpflichtungen usw. Fremdkapital gehört juristisch den jeweiligen Gläubigern und steht der AG nur befristet zur Verfügung. Eigenkapital und Fremdkapital zusammen sind das reale Kapital, welches die AG zum Erwerb von Produktionsmitteln und Arbeitskraft anwendet.
Das in einer Bilanz angegebene Eigenkapital ist immer nur eine rechnerische Größe, die nach jeweiligen Gesetzen und Bilanzierungsrichtlinien ermittelt wird. Dabei bestehen – gerade in der BRD – erhebliche Spielräume um Bilanzen „aufzupolieren“ (die Substanz stärker darzustellen) oder die Zahlen „zu drücken“ (Gewinne und so genannte stille Reserven zu verstecken). Bilanzwerte sind daher immer relativ und können nur Anhaltspunkte sein[2]. Trotz dieser Einschränkung können die folgenden Aussagen über das Verhältnis von Eigenkapital und Aktienkurs als grundsätzliche Darstellung des Zusammenhanges gemacht werden.
Eigenkapital ist also zunächst der Teil des realen Kapitals, den die AG von ihren Eigentümern erhalten hat. Als Einzahlung von außen fließt er nur auf zwei Wegen zu: bei der ursprünglichen Gründung und bei späteren Kapitalerhöhungen. Eigenkapital wird durch den Geschäftsgang vermehrt (als Teil des Gewinns, der nicht als Dividende ausgeschüttet wird) oder vermindert (durch Verluste). Durch steigende oder fallende Börsenkurse ändert sich das Eigenkapital jedoch nie!
Die Kursbildung an der Börse ist immer das gleiche Spiel: Einer kauft und einer verkauft, der Verkäufer erhält das Geld des Käufers. Die AG –um deren Aktie es ja geht – hat mit diesem Handel direkt nichts zu tun, ihr Kapital verändert sich dadurch um keinen Pfennig! Sie ist weder Käufer, noch Verkäufer, sie muss nichts zahlen und sie erhält auch nichts. Marx fasst zusammen: „Aber die Duplikate [Aktien], die selbst als Waren verhandelbar sind und daher selbst als Kapitalwerte zirkulieren, sind sie illusorisch, und ihr Wertbetrag kann fallen und steigen ganz unabhängig von der Wertbewegung des wirklichen Kapitals, auf das sie Titel sind.“[3]
Der Handel findet zwischen Käufer und Verkäufer statt, die AG erhält nur etwas bei ihrer Gründung und bei Kapitalerhöhungen (wo sie praktisch selbst als Verkäufer auftritt). Der Käufer setzt auf Kurssteigerungen, der Verkäufer sieht´s genau andersrum, die reale Gewinnentwicklung der AG muss in dem Moment nichts damit zu tun haben. Vergleicht man das real angewandte Eigenkapital mit dem Aktienkurs, ergibt sich normalerweise die oben beschriebene Differenz. Allgemein kann gesagt werden, dass die Aktienkurse bei sozusagen normalem Geschäftsgang höher sind als das real angewandte Eigenkapital. Dazu einige Beispiele, die Werte sind jeweils auf eine Aktie bezogen:
Dieser Vergleich unterstreicht, dass die Aktie eben nur das Duplikat des realen Kapitals ist, dessen Preis unabhängig von dem realen Kapital reguliert wird. Die Aktie als ein auf Papier gedrucktes Ebenbild, was im Moment seiner Entstehung aus dem Rahmen springt und ein Eigenleben beginnt, welches sehr eigenwillige Züge annehmen kann. Die Differenz zwischen real angewandtem Eigenkapital und Aktienkurs entsteht insbesondere deshalb, weil es für den Börsenkurs nicht darauf ankommt, wie viel Eigenkapital angewendet wird, sondern wie viel Profit aus der Anwendung dieses Eigenkapitals gezogen (bzw. erwartet) wird. Die Frage, welche Faktoren einen Börsenkurs hauptsächlich beeinflussen, wird im nächsten Artikel noch ausführlich behandelt.
Weil die Aktie separat von dem real angewandten Kapital ein Eigenleben führt und bei einem Handel zwischen Käufer und Verkäufer die AG nicht beteiligt ist, obwohl es gerade um einen mehr oder weniger großen Anteil an ihr geht, kann auch kein Aktionär seine Aktien gegen eine Maschine oder drei Schreibtische eintauschen. Ein Aktionär kann immer nur versuchen einen anderen zu finden, der ihm seine Aktien (an der Börse oder anderswo) abkauft, er kann sie nicht der AG „zurückgeben“[4].
In der Tabelle wurde beispielhaft dargestellt, dass zwischen dem real angewandten Eigenkapital und dem Aktienkurs normalerweise eine Differenz besteht. In diesem Zusammenhang steht auch der Gründergewinn:
„Die Differenz zwischen dem Preis der bei Gründung einer Aktiengesellschaft ausgegebenen Aktien und dem Kapital, das wirklich in diesem Unternehmen angelegt ist, bildet den Gründergewinn. Der Gründergewinn ist eine der wichtigsten Bereicherungsquellen der großen Kapitalisten.
Ende 1996 wurde die Deutsche Telekom AG durch eine Kapitalerhöhung über die Börse privatisiert. Neue Aktien, neue Kapitalanteilsscheine wurden herausgegeben:
Erstes Geschäft:
Diese Aktien kosteten DM 28,50 (=Euro 14,57) und konnten bei einem von der Telekom beauftragten so genannten Bankenkonsortium erworben werden. Die DM 28,50 (abzüglich der Provision für die Banken) erhielt die Telekom in diesem Moment als Kapitalerhöhung zur realen Anwendung. In den DM 28,50 ist der nachfolgend näher erläuterte Gründergewinn bereits enthalten.
Zweites Geschäft:
Unmittelbar nach der Verteilung der neuen Aktien begann der Börsenhandel, in welchem die Aktie getrennt von dem real angewandten Kapital bei erster Kursfeststellung mit DM 32,50 (=Euro 16,62) gehandelt wurde. Der hier als Verkäufer auftretende Erst-Aktionär erhält von der eben zu DM 28,50 erworbenen und nun zu DM 32,50 gleich wieder verkauften Aktie die Differenz von DM 4,00. Diese Differenz erhält der Verkäufer, ohne dass eine Veränderung des wirklichen Kapitals, eine Erweiterung des wirklichen Produktionsprozesses erfolgt ist. Er hat lediglich an der Börse einen gefunden, dem die Aktie DM 4,00 mehr wert war. Diese DM 4,00 erhält er als Belohnung, die Telekom erhält nichts davon, sie hat weiterhin nur die DM 28,50.
Drittes Geschäft:
Der Käufer aus dem 2. Geschäft behält seine zu DM 32,50 erworbene Aktie bis zum 06.03.2000, dem Tag des bisherigen Kursrekordes der „T-Aktie“. Da verkauft er sie für DM 202,43. Als Verkäufer hat er nun innerhalb von etwa dreieinhalb Jahren einen Gewinn von DM 169,92 (oder: 622,9%) an der Aktie erzielt, den Kaufpreis von DM 202,43 erhält er in voller Höhe von einem neuen Käufer (der mit weiteren Kurssteigerungen rechnet). Das real angewandte Eigenkapital aus der Erstausgabe der Aktie der Telekom hat sich weiterhin nicht nennenswert verändert!
Viertes Geschäft:
Nach dem rasanten Kursverfall des letzten Jahres verliert der Käufer aus dem 3. Geschäft irgendwann die Nerven und verkauft seine Aktie zum Jahrestiefststand am 22.03.2001 zu DM 47,23. Er hat innerhalb etwa eines Jahres einen Verlust von DM 155,20 (oder: 76,7%) erlitten. Dies ist sein individueller, persönlicher Verlust, so wie vorher der Gewinn der persönliche Gewinn seines Vorgängers war. Das real angewandte Eigenkapital der Telekom hat sich durch den wiederholten Besitzerwechsel weiterhin nicht verändert und beträgt unabhängig von der Kursentwicklung weiterhin ungefähr DM 28,50*.
1. Aktionär erwirbt zu DM 28,50 fließt an Telekom zur Anwendung
verkauft mit DM 4,00 Gewinn
2. Aktionär erwirbt zu DM 32,50
(Telekom hat weiterhin nur DM 28,50 aus der Kapitalerhöhung erhalten)
verkauft am 06.03.2000 mit DM 169,92 Gewinn
3. Aktionär erwirbt zu DM 202,43
(Telekom hat weiterhin DM 28,50 aus der Kapitalerhöhung; kleinere Abweichung durch Gewinne/ Ausschüttungen möglich, aber zu vernachlässigen)
verkauft am 22.03.2001 mit DM 155,20 Verlust
4. Aktionär kauft zu DM 47,23
(Telekom hat weiterin DM 28,50 aus der Kapitalerhöhung)
* Dass sich das Eigenkapital der Deutschen Telekom AG nunmehr veränderte hatte, resultierte aus einer weiteren, separat zu betrachtenden Kapitalerhöhung. Die DM 28,50 aus der ersten Kapitalerhöhung sind zu diesem Zeitpunkt praktisch weiterhin unverändert.
Wenn das anfangs im Unternehmen angelegte Kapital 10 Millionen Dollar beträgt, die Preissumme der ausgegebenen Aktien dagegen 15 Millionen Dollar, so beläuft sich der Gründergewinn in diesem Fall auf 5 Millionen Dollar.
Durch die Verwandlung eines privaten Unternehmens in eine Aktiengesellschaft erhält das Kapital eine scheinbar doppelte Existenz. Das wirkliche, im Unternehmen angelegte Kapital in Höhe von 10 Millionen Dollar existiert als Fabrikgebäude, Maschinen, Rohstoffe, Lager, Fertigproduktion und schließlich als ein gewisser Geldbetrag in der Kasse des Unternehmens oder auf dem laufenden Konto der Bank. Doch neben diesem realen Kapital erscheinen bei der Gründung der Aktiengesellschaft Wertpapiere, Aktien auf einen Betrag von 15 Millionen Dollar. Die Aktie ist nur eine Widerspiegelung des wirklich existierenden Kapitals des Unternehmens. Doch die Aktien existieren bereits gesondert neben dem Unternehmen; sie werden gekauft und verkauft, die Banken gewähren Kredite gegen Aktien usw.“[5]
Die hier beschriebene Form ist die erste, klassische Form des Gründergewinns.
Der sofortige, direkte Verkauf aller Aktien einer AG ist derzeit jedoch nicht der häufigste Fall. Üblicherweise wurde in der BRD in den letzten Jahren bei Neueinführung einer Aktie an der Börse zunächst eine Kapitalerhöhung gemacht, sodass wie im Beispiel der Deutschen Telekom AG der Erlös der Emission und damit auch der Gründergewinn zunächst an die AG zur realen Anwendung ging. Die bisherigen Eigentümer (Gründer) verkauften ihre Aktien nach einiger Zeit – sofern ihnen die Kurse günstig erschienen – mehr oder weniger still und leise[6]. So sammelte auch der deutsche Staat Gründergewinn ein, als er 2000 seinen Eigentumsanteil an der Telekom reduzierte.
Auch bei späteren Kapitalerhöhungen wird Gründergewinn realisiert, dieser fließt zur realen Anwendung an die AG: „Es versteht sich von selbst, dass Gründergewinn nicht nur gemacht wird bei Gründungen im eigentlichen Sinne des Wortes, seien es völlige Neugründungen oder Umwandlungen bestehender Privatunternehmungen in Aktiengesellschaften. Gründergewinn im ökonomischen Sinne des Wortes kann ebenso bei jeder Kapitalerhöhung bestehender Aktiengesellschaften erzielt werden,...“[7]
Bei jeder Neuausgabe von Aktien (egal ob Erstausgabe oder Kapitalerhöhung) und genauso bei Ausgabe von Zinspapieren (Anleihen usw.) bilden mehrere Banken für diesen Zweck eine Interessengemeinschaft, ein so genanntes Konsortium. Dieses Konsortium sichert alles rechtlich und organisatorisch Notwendige zur Ausgabe der Wertpapiere. Ohne Einschaltung der Banken ist eine Aktienausgabe nicht möglich, die Banken haben sich hier eine Position geschaffen, die ihnen bei jeder Wertpapieremission einen Teil des Gründergewinns sichert. Die hierauf spezialisierten Banken (oder Bankabteilungen) werden Investmentbanker genannt. Nach den vorliegenden Informationen kassieren sie von jeder Ausgabe mindestens 5% des Emissionserlöses. Wohlgemerkt: vom Gesamterlös, nicht nur vom Gründergewinn! Bezogen auf den Gründergewinn kann dies dann schnell ein erheblich größerer Prozentsatz sein.
Die Besonderheit des Gründergewinns gegenüber anderen Erträgen einer Bank wie zum Beispiel Zinsen, besteht darin, dass Gründergewinne sofort in einer Summe und praktisch risikolos vereinnahmt werden. Steigende oder fallenende Kurse brauchen die Bank im Hinblick auf den Gründergewinn nicht mehr zu interessieren[8]. Ihr Gewinn aus der Emission ist schon eingefahren, egal was aus dem Aktienkurs wird.
Dies war im Jahr 2000 besonders deutlich am Neuen Markt zu beobachten. Solange die Kurse stiegen, wurden immer neue Firmen aus der Kiste geholt und schnell auf die Kurstafel gebracht. Die Banken gewannen an jeder Aktienausgabe, egal wie klein und wackelig die Firma war. Als die Kurse stürzten, war ihr Gründergewinn längst vereinnahmt.
Die Differenz zwischen dem Ausgabepreis der Aktien und dem wirklich angelegten Eigenkapital bildet also den Gründergewinn. Vom reinen Kursgewinn, den ein Aktionär erzielen kann, wenn er eine gekaufte Aktie nach gewisser Zeit weiterverkauft, unterscheidet sich der Gründergewinn zunächst in der Person der Gründer, zu denen ein Kleinaktionär üblicherweise nicht gehört. Zweitens aber vor allem auch, weil der Gründergewinn im Gegensatz zum Kursgewinn ein praktisch risikoloser Ertrag ist. Für den Kursgewinn muss der Aktionär spekulieren und das Verlustrisiko eingehen. Kein Unterschied zwischen Gründergewinn und Kursgewinn existiert dahingehend, dass beide auf der Mehrung des fiktiven Kapitals beruhen und (von der genannten Ausnahme der Kapitalerhöhung abgesehen) nicht der AG zur realen Kapitalanwendung zufließen.
1 MEW Band 25, S. 474 ; Hervorhebung durch uns
2 Bereits Lenin zitiert diesbezüglich 1917 in seiner genialen Schrift : „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“, LW 22, S. 233 aus der deutschen Zeitschrift „Die Bank“: „Die Bilanzen zahlreicher Aktiengesellschaften gleichen jenen aus dem Mittelalter bekannten Palimpsesten, bei denen man erst die Schrift auslöschen musste, um die hinter ihr stehenden Zeichen mit dem wirklichen Sinn entziffern zu können. (ein Palimpsest ist ein Pergament, auf dem die ursprüngliche Schrift ausgelöscht und darüber ein anderer Text geschrieben ist)“
3 MEW, Band 25, S. 494
4 Diese Feststellungen sind unverändert gültig, obwohl seit einigen Jahren auch in der BRD (in den USA gab es das schon länger) die Möglichkeit besteht, dass die AGs einen Teil ihrer eigenen Aktien kaufen.
5 „Politische Ökonomie – Lehrbuch“, Dietz Verlag Berlin 1955, Autorenkollektiv an der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Institut für Ökonomie, S. 201-202
6 Im Gegensatz zum Beispiel zu den USA gibt es in der BRD bisher keine Vorschrift, die die Großaktionäre zwingt mitzuteilen, wann sie eine größere Zahl ihrer Aktien verkaufen.
7 Hilferding, Das Finanzkapital, S.171
8 Sofern sie in einem solchen Fall selbst Aktien behalten hat, hofft sie selbstverständlich auf steigende Kurse. Ein so erzielbarer Kursgewinn ist aber eben eine andere Form des Ertrages, er ist kein Gründergewinn mehr.
Die Aktie klettert
Kursfeuerwerk
„Der ehemalige Geldbesitzer schreitet voran als Kapitalist, der Arbeitskraftbesitzer folgt ihm nach als sein Arbeiter; der eine bedeutungsvoll schmunzelnd und geschäftseifrig, der andere scheu, widerstrebsam, wie jemand, der seine eigne Haut zu Markt getragen und nun nichts anderes zu erwarten hat als die - Gerberei.“ (K. Marx, Das Kapital, Bd.1, MEW 23, S.191)