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Die Ruhe ist vorbei!

Betriebsrat in Berliner Call-Center ist nicht mehr zu verhindern!

Bertolt Brecht schrieb in dem Gedicht „Lob der Dialektik”[1] : „Die Unterdrücker richten sich ein auf zehntausend Jahre. Die Gewalt versichert: So, wie es ist, bleibt es.

So oder so ähnlich müssen sich heute die Chefs der Dienstleistungs- und insbesondere der Call-Centerbranche fühlen: Arbeitsverträge, die diesen Namen nicht verdienen, heuern und feuern nach Belieben, keine Tarifverträge, an die man sich halten muss, Beschäftigung nach Tagelöhnerart. Das sind die Stützen dieser boomenden Branche. Doch an diese Stützen wurde jetzt die Axt angelegt.

Das Call-Center

Die Hotline Kommunikation GmbH aus Berlin-Friedrichshain ist ein Call-Center mit ca. 200 Beschäftigten, 150 davon sind studentische Teilzeitkräfte. Die Geschäftsleitung, die, nach eigenen Angaben, „aus einer linken Tradition”[2] kommt, wollte bei ihrer Gründung vor knappen 3 Jahren manches anders machen: bessere Bezahlung als in den meisten Call-Centern Berlins; die Agents werden geschult – auch nicht überall üblich; sog. flache Hierarchien; das „Du” zwischen Chefs und Callagents vermittelt das Gefühl einer großen Familie; kostenloser Kaffee; bei den Telefongesprächen galt Qualität statt Quantität. Doch diese schöne Welt wurde langsam trüber: der Ton verschärfte sich merklich und zwar mit wachsender Größe des Betriebs. Die Fälle häuften sich, dass Kollegen, die dem Personalchef widersprachen, gekündigt wurden. Solidarität mit Gekündigten wurde im Keim erstickt, durch Drohungen oder Rausschmiss. Der kleinste Fehler wurde geahndet. Doch trotzdem soll die heile Welt aufrechterhalten werden: „Wir erreichen nur etwas gemeinsam, im Team” heißt die Devise.

Druck braucht Gegendruck!

Als auf Grund geringer Auftragslage 30 Kollegen entlassen wurden, dämmerte es langsam. Die Anforderungen wurden erhöht – die Gesprächsdauer wurde auf 2 Minuten festgelegt (freundlich bleiben nicht vergessen!) und die Arbeitsleistungen einzelner Kollegen systematisch überprüft. Der Nebel der Sozialpartnerschaft wurde immer lichter. Erste Treffen von Beschäftigten fanden statt, die Call-Center-Offensive Berlin wurde angesprochen und die IG Medien zu Rate gezogen. Die IG Medien informierte die Geschäftsleitung, dass ein Betriebsrat gegründet und zu diesem Zweck eine Betriebsversammlung einberufen werden soll. Ein ganz normaler Vorgang. Ein Betriebsrat – eine Selbstverständlichkeit. Oder? Nicht für die „aus einer linken Tradition” stammende Geschäftsleitung. Die Betriebsratbefürworter werden als feige beschimpft, weil sie sich mit ihrem Anliegen nicht direkt an die Geschäftsleitung gewandt haben. „Keiner wird hier entlassen, der seine Meinung äußert” tönten sie noch. Aber der Geschäftsleitung ging die Muffe und sie versuchte ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen: „Wenn es einen Betriebsrat gibt, dann müssen die Löhne gekürzt werden, der Kaffee gestrichen und überhaupt, die ganze Begegnung zwischen Geschäftsleitung und Callagents wird doch dadurch nur formalisiert.” Im argumentativen Amoklauf wurde sogar mit der Kündigung aller studentischen Teilzeitkräfte gedroht! Dann wollten sie es genau wissen. Eine Mitarbeiterversammlung wurde einberufen, mit dem Ziel eine Abstimmung durchzuführen, ob denn nun die Belegschaft für oder gegen einen Betriebsrat sei! Zu dem Argument, dass die Betriebsratsbefürworter feige seien, wurden sie hier noch als faul beschimpft und ihre Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft diffamiert, sei diese doch ein reaktionäres Fossil und ein bürokratischer Wasserkopf. Diese Argumentationslinie wurde übrigens im späteren Verlauf fortgesetzt: die Betriebsrats-Gründung sei ein Akt von außen, „politische Gruppen mit Mitgliederschwund suchen hier ein Betätigungsfeld”[3] und die, die einen Betriebsrat wollen, lassen sich instrumentalisieren. Nur der faule, unmündige und feige Beschäftigte will also einen Betriebsrat!

Trotz alledem, der Großteil der Anwesenden war für einen Betriebsrat, die Abstimmung erschien der Geschäftsleitung dann nicht mehr wichtig. ... Sie ließ sich sogar zu der Aussage verleiten, dass wenn die Beschäftigten es wollen, eben ein Betriebsrat gegründet wird.

Wer einen Betriebsrat fordert, fliegt

Aber die Geschäftsleitung wollte nicht einfach kampflos aufgeben und lud wenige Tage später zu einem weiterführenden Gespräch ein. Es sollte „in Ruhe” über Betriebsrat und über andere Möglichkeiten der Mitbestimmung diskutiert werden. Konkret kursierte hier der Vorschlag einer Personalkommission, bestehend aus Teamleitern, Agents und der Geschäftsleitung. Ein fadenscheiniges Ablenkungsmanöver. Für die Vertreter der Betriebsratsbefürworter, gab es allerdings nicht mehr viel zu diskutieren, alle Argumente waren ausgetauscht, es gab keinen Grund sich wieder und wieder über die gleichen Dinge zu unterhalten. Eine Einladung zu einer Betriebsversammlung[4] wurde der Geschäftsleitung überreicht: „die Geschäftsleitung [hat] sich Bedenkzeit erbeten. ,Nach fünf Minuten waren die wieder da und sagten: Sie sind entlassen‘” berichtet ein Gekündigter später[5].

Es folgten weitere Entlassungen: insgesamt 23 Kollegen waren betroffen. Das war die Peitsche, zur Aufrechterhaltung des Betriebsfriedens, das Zuckerbrot war folgendes. „Nachdem wir entlassen worden waren, gab es doch noch eine Einladung zu einer vorbereitenden Versammlung. Mitarbeiter, die sich davor vehement gegen einen Betriebsrat ausgesprochen hatten”[6], luden hierzu ein. Ein Wahlvorstand wurde gewählt, der Betriebsrat ist nun nicht mehr zu verhindern, auch wenn die Chefs toben.

Schlussfolgerungen

Der umsichtig geführte Kampf der Kollegen bei der Hotline GmbH, ist ein erster Meilenstein in Richtung Normalisierung der Arbeitswelt innerhalb der rechts-, tarifvertrags- und gewerkschaftsfreien Dienstleistungsbranche. Eine Branche, die sich den Namen „New Economy” gibt, wobei das einzig Neue dabei die unverschämte Großkotzigkeit der Start-up-Yuppies, der e-commerce-Schwätzer, der Klitschenchefs und DotCom-Manager ist. Das ganze Gebaren der Geschäftsleitung beim Call-Center Hotline GmbH zeigt, wie sicher diese meinen im Sattel zu sitzen.

Der Kampf der Kollegen hat Früchte getragen. Die Demontage der „großen Familie” hat die Kollegen überzeugt. Es konnte deutlich gemacht werden, dass hier entgegensetzte Interessen miteinander streiten und dass unsere Interessen mit Füßen getreten werden. Wer nun sagt: „Ist doch alles schnöder Kapitalismus, was gilt es sich da aufzuregen”, der bewegt nichts, der lehnt sich zurück und greift nicht mehr an.

Die Kollegen haben angegriffen und sie haben für die Zukunft noch ein paar Überraschungen auf Lager. Der Klassenkampf im 21. Jahrhundert längst veraltet, in der Call-Centerbranche lange widerlegt, hält Einzug: er steht wieder mitten im Raum und fordert, mit der ihm eigenen Art, die Menschen auf, sich zu positionieren. Hier stehst „du”, Chef, und hier stehen wir!

D. B. Phu

1 Bertolt Brecht, Gesammelte Werke Bd. XI , S.237f.

2 taz, S.19 (Berlin-Teil), 05.02.01, „Wildwest im Call-Center“.

3 Berliner Abendschau vom 07.03.2001.

4 Für die Wahl eines Wahlvorstandes, der dann die Betriebsratswahl vorbereitet.

5 taz, S.19 (Berlin-Teil), 05.02.01, „Wildwest im Call-Center“.

6 Junge Welt-Interview, 15.02.01, „Jetzt Chance für Betriebsrat bei Hotline GmbH“.

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