Die Begrifflichkeiten von fiktivem und realem (oder wirklichem) Kapital sind durch Karl Marx, insbesondere im 3.Band des Kapitals definiert worden.
Das reale Kapital ist demnach alles Kapital, was in der kapitalistischen Produktion und Zirkulation angewendet wird:
Die Produktionssphäre umfasst die zur Warenherstellung und/oder –bearbeitung erforderlichen Mittel und Einrichtungen, also Maschinen, Produktionsgebäude, Rohstoffe, Einzelteile usw.
Die Zirkulationssphäre umfasst insbesondere alles, was außerhalb der eigentlichen Produktion notwendig ist, um Waren Gewinn bringend zu verkaufen. Also den gesamten Handel (einschließlich Groß- und Zwischenhändlern), den Transport, die Werbung usw. Das reale Kapital ist nicht gleichzusetzen mit „Kapital in der Produktion“ oder nur in Gegenständen angelegtes Kapital. Es ist alles Kapital, was zum Ankauf von Produktionsmitteln und Arbeitskraft verwendet wird.
Zum realen Kapital gehört also beispielsweise alles Kapital, was die Daimler-Chrysler AG zum Kauf ihrer Produktionsanlagen und der Einzelteile verwendet, was sie für Telefon- und Bankgebühren ausgibt usw. Genauso zählt zum realen Kapital, was der Vertragsautohändler der Daimler-Chrysler AG für seine Ausstellungshallen und die in diesen stehenden Autos ausgibt, seine Werbung in der Lokalzeitung usw. Und in beiden Firmen sind in dem ganzen Prozess Menschen beschäftigt, deren Lohn (auch wenn er Gehalt heißt) zählt natürlich auch dazu.
Fiktives Kapital ist im Gegensatz zum realen kein selbstständiger Wert. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht zum Ankauf von Arbeitskraft und Produktionsmitteln (Maschinen, Gebäude, Verkaufsregale, Rohstoffe usw.) verwendet wird. Es bewegt sich nicht in der Produktions- oder Zirkulationssphäre, es absolviert nicht den Kreislauf des Kapitals, es ist in dieser Hinsicht sozusagen bewegungslos. Fiktives Kapital existiert meist in Wertpapieren (insbesondere Aktien oder Staatsanleihen), die einen Anspruch auf Profit, einen Teil des Mehrwertes in Form von Zins oder Dividende verkörpern.
Dass ein erheblicher Teil fiktiven Kapitals in Form der Staatsschuld (die verzinst wird) besteht, bedeutet keinesfalls, dass alle Anleihen, Forderungen und Wertpapiere, auf die Zinsen gezahlt werden, fiktives Kapital sind. Entscheidend ist immer die Verwendung des Kapitals: Gewährt die Bank einem Kapitalisten Kredit, dann wendet der Kapitalist dieses Kapital real an (zum Ankauf von Produktionsmitteln und Arbeitskraft) und der Kredit ist Teil des Realkapitals. Bei der Staatsschuld hingegen erfolgt kein Ankauf von Produktionsmitteln oder Arbeitskraft zur Anwendung im Kapitalkreislauf[1]. Das Geld ist längst ausgegeben, ohne dass etwas zurückkommt.
Aktien als Waren mit wichtigen Besonderheiten beschreibt Marx unter anderem so:
„Sie [die Eigentumstitel, z.B. Aktien] geben nur Rechtsansprüche auf einen Teil des von demselben [Kapital] zu erwerbenden Mehrwerts. Aber diese Titel werden ebenfalls papierne Duplikate des wirklichen Kapitals, wie wenn der Ladungsschein [verbrieft den Rechtsanspruch auf z.B. eine Schiffsladung] einen Wert erhielt neben der Ladung und gleichzeitig mit ihr. Sie werden zu nominellen Repräsentanten nicht existierender Kapitale. Denn das wirkliche Kapital existiert daneben und ändert durchaus nicht die Hand dadurch, dass diese Duplikate die Hände wechseln. [...] Soweit die Akkumulation dieser Papiere die Akkumulation von Eisenbahnen, Bergwerken, Dampfschiffen etc. ausdrückt, drückt sie Erweiterung des wirklichen Reproduktionsprozesses aus, ganz wie die Erweiterung einer Steuerliste z.B. auf Mobiliareigentum die Expansion dieses Mobilars anzeigt. Aber die Duplikate, die selbst als Waren verhandelbar sind und daher selbst als Kapitalwerte zirkulieren, sind sie illusorisch, und ihr Wertbetrag kann fallen und steigen ganz unabhängig von der Wertbewegung des wirklichen Kapitals, auf das sie Titel sind.“[2]
Die Börse ist der Ort, an dem Käufer und Verkäufer von Wertpapieren über ihre jeweiligen Banken (oder sonstigen Vermittler) zum Geschäftsabschluss zusammengeführt werden. Die Börse ist nur eine organisatorische Handelseinrichtung, sie selbst kauft oder verkauft keine Aktien. Börsen sind keine öffentlichen Einrichtungen, sondern (in der Regel) private AGs, die sich mehrheitlich oder ausschließlich in den Händen großer Banken befinden. Die Deutsche Börse AG ist im Februar 2001 selbst „an die Börse gegangen“, ein Teil der Aktien wird seitdem an der Börse gehandelt. Die Aktienkäufer hoffen auf Gewinne der Deutschen Börse AG, die an jedem Wertpapiergeschäft verdient, das über sie abgewickelt wird. Außerdem verkauft sie Systemsoftware an andere Börsen, verwaltet zentral die gesamten Wertpapierurkunden der BRD und anderes mehr. Die Deutsche Börse AG ist auch Eigentümer des geschützten Markennamens DAX® [3]. Die Mehrheit[4] der Börsenaktien ist weiterhin bei den Großbanken, angeführt von der Deutschen Bank AG, deren Vorstandsvorsitzender Breuer auch Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Börse AG ist.
An den Börsen werden aktuelle Preise für die Ware Kapital ermittelt. Diese Preise werden uns in den Medien zunehmend angeboten oder besser gesagt: aufgedrängt. Noch vor wenigen Jahren waren die Kurse eher Informationen für Spezialisten. Aber nachdem die Deutschen nun angeblich die Aktie als Weg zu neuem Wohlstand und Reichtum entdeckt haben, darf keine Nachrichtensendung mehr ohne die letzte Börsenmeldung aus New York oder Tokio enden. Dabei sollen wir glauben, dass die Börse der saubere, objektive und für jeden durchsichtige Marktplatz ist, an dem nach fairen Regeln geplant und gehandelt wird. Die Börse ist so eine Art Schaufenster der freien, fairen Marktwirtschaft, die Illusion des geregelten und kontrollierten Kapitalismus.
Man gibt sich einige Mühe die „Illusion Börse“ zu pflegen. Dazu gehört auch die Darstellung, die Börse sei der Ort, an dem Fusionen, Übernahmen und Ähnliches entschieden werden, hier würden im angeblich geregelten Wettstreit um das beste Konzept ganze Firmen gekauft und verkauft.
Dies trifft jedoch nicht zu, an der Börse wird nur ausnahmsweise die Macht über eine AG angeboten. Die entscheidenden Aktienpakete liegen oft viele Jahrzehnte im Tresor, sie haben mit dem täglichen Börsenhandel nichts zu tun. Wenn wirklich nennenswerte Anteile den Besitzer wechseln sollen, dann wird das außerhalb der Börse verhandelt, gegen großzügige Gebühr „arrangiert“ und ausgeführt durch so genannte Investmentbanken (Spezialbanken). An der Börse wechseln nur kleine Stückzahlen den Besitzer, es ist eher der Spielplatz für mehr oder weniger gut ausgestattete Kleinaktionäre.[5]
Die Deutsche Börse AG bestätigte diese Tatsache mit Planungen für einen neuen Börsenteil, speziell für Großgeschäfte: „Die Deutsche Börse AG will eigenen Angaben zufolge einen Teil des außerbörslichen Handels institutioneller Anleger mit großen Aktienpaketen (Blöcken) an die Börse holen.“[6]. In Anlehnung an den computergesteuerten Handel Xetra soll diese Börse für Großtransaktionen „Xetra XXL“ getauft werden. Banken, Versicherungen, Investmentfonds und wer es sich leisten kann, sollen dann Einzelgeschäfte ab 3,5 oder 7 Millionen Euro (bei Aktien aus dem DAX® )und ab 0,5 oder 1 Million Euro (bei den 70 Aktien aus dem M-DAX® (=„2.Bundesliga“)) über „Xetra XXL“ handeln. Ob dieser neue Börsenteil eingerichtet und mit Leben erfüllt wird, bleibt abzuwarten. Die Pläne bestätigen jedoch: Die großen Geschäfte werden zurzeit nicht über irgendeine Börse abgewickelt, sondern außerhalb der Börsen, direkt zwischen den Akteuren.
Auch Kursveränderungen zeigen gelegentlich diesen Ablauf, zumindest wenn bestimmte Aktivitäten nachträglich öffentlich werden. Der US-amerikanische Milliardär Kirk Kerkorian hat Anfang 2001 einen Anteil von nur einem Prozent an der Daimler-Chrysler AG verkauft, worauf ein Kursrutsch der Aktie von über 10% folgte. Der Handel großer Aktienpakete über die Börse würde noch zu erheblich größeren Kursausschlägen führen, Übernahme- oder Fusionsaktionen noch schwerer kalkulierbar machen usw. Daher treten die entscheidenden Akteure in der Regel nicht auf dem Börsenmarktplatz auf.
1 Dass der Staat BRD trotz vielfacher Privatisierungen noch einige Anteile an Unternehmen hält, die reales Kapital mit dem Ziel der Vermehrung desselben anwenden, ist unseres Erachtens für die Gesamtbetrachtung zu vernachlässigen.
2 MEW, Band 25, S. 494
3 = Deutscher Aktienindex, Index der 30 größten deutschen AGs
4 seit dem Börsengang noch rd. 73%; gemäß FAZ vom 05.02.2001
5 Dass die Börse nicht der Handelsweg für die Großbanken ist, zeigt sich z.B. auch deutlich beim Devisen- (=Währungshandel). Vor einigen Jahren gründeten die 20 größten Banken der Welt (darunter selbstverständlich Deutsche und Dresdner Bank) die CLS Service Ltd., welche den Devisenhandel dieser 20 größten untereinander abrechnen soll. Nach Angaben der Deutschen Bank umfasst dieser Handel der „Group of twenty“ 40% der Gesamtumsätze mit Devisen weltweit; nach FAZ vom 28.07.1997
6 FAZ vom 01.03.2001
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