Gemeinsame Erklärung der GRH und des Solidaritätskomitees zu Strasbourg
Am 22.03.2001 wurde das Unrecht der BRD-Justiz gegen die Hoheitsträger der DDR fortgesetzt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verwarf die Beschwerden von Fritz Streletz, Heinz Keßler, K.-H.W[*] und Egon Krenz, wegen Verletzung der Menschenrechte insbesondere des Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot – durch die Justiz der BRD (vgl. Mittlg. 11/1-00).
Das ist eine eklatante Niederlage des Völkerrechts, ist Schaffung von exklusivem Siegerrecht für die Herrschenden und Rechtlosigkeit der Unterlegenen des Kalten Krieges. Die DDR war und bleibt historisch ein souveräner Staat der seine inneren Angelegenheiten entsprechend seinen politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten selbst ordnen durfte. Das Recht eines Staates unterliegt nicht der nachträglichen Umbewertung durch einen anderen Staat. Schon gar nicht hat die BRD das Recht erworben, Bürger der DDR nach dem staatlichen Beitritt zur BRD nachträglich zu kriminalisieren. Die völkerrechtlich verbindliche Zusage, übertragene strafrechtliche Befugnisse nur dann auszuüben, wenn die Handlung des Bürgers nach dem Strafrecht der DDR strafbar war und eine Strafe nach sich gezogen hätte (Art. 315 EGStGB gemäß Einigungsvertrag), wurde gebrochen. Schon diese Völkerrechtsverletzung durch die BRD verstieß elementar gegen das von ihr selbst als heilig gepriesene Rückwirkungsverbot nach Art. 7 der Menschenrechtskonvention. Darüber hinaus setzte die Justiz der BRD der juristischen Annexion der DDR die Krone auf, als sie für rechtlich korrektes Handeln der Bürger der DDR neues Recht durch Richterspruch per Auftrag durch den Justizminister Kinkel bilden ließ und das Rückwirkungsverbot außer Kraft stellte.
Dieser allgemein anerkannten und einzig geltenden Rechtsordnung dieser Welt vermochte das Gericht in Strasbourg für einen ehemaligen „Ostblockstaat“ nicht zu entsprechen. Stattdessen schloss es sich den abenteuerlichen Konstruktionen der BRD an.
Es ist weder politisch noch juristisch nachvollziehbar, wie der Europäische Gerichtshof mit Ausnahme von 3 abweichenden Stimmen in der Beschwerde K.-H.W. dem Standpunkt der Regierung der BRD folgen konnte, dass es sich um keinen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot nach Artikel 7 (1) der Konvention handele, weil die DDR – der Sprachregelung der Regierung der BRD folgend – das eigene Recht nicht angewendet habe. Danach wäre es der DDR nicht erlaubt gewesen, ihre Existenz gemäß ihren internationalen Verpflichtungen durch ein entsprechendes Grenzregime zu sichern.
Wie hieß es so überzeugend in einem Artikel in der englischen Zeitung „The Morning Advertiser“ v. 29.11.1852 (!): „... wenn nun ein Urteilsspruch zustande kam, obwohl auch nicht ein überzeugender Beweis vorlag, so war ein solches Ergebnis sogar vor einer solchen Jury nur möglich auf Grund der rückwirkenden Anwendung des neuen Strafgesetzbuches,.... Darüber hinaus hat der Kölner Prozess, schon durch seine Dauer und durch die außerordentlichen Mittel, die seitens der Anklage angewandt wurden, solch enorme Dimensionen angenommen, dass ein Freispruch einer Verurteilung der Regierung selbst gleichgekommen wäre ...“
Die Autoren – keine geringeren als F. Engels, F. Freiligrath, K. Marx und W. Wolff – haben ihre Erklärung zum Abschluss des Kölner Prozesses so vorausschauend auch für das Jahr 2001 gefasst dass man glatt an Wahrsagerei glauben könnte. Allerdings haben sie damals keine anderen Feststellungen treffen können, als sie auch heute noch gelten, nämlich, dass die Musik des Rechts von den Herrschenden über das Recht komponiert wird. Und es komponiert, wer ökonomisch so mächtig ist, dass er auch anderen Staaten vorzuschreiben vermag, was deutsche Leitkultur und deutsches Leitrecht bedeuten. Und einen solchen Staat darf man nicht verurteilen, er habe Völkerrecht gebeugt.
Gewiss, wir haben auf Gerechtigkeit gehofft. Wir sind aber gleichzeitig nicht blind für politische Realitäten gewesen, die wieder einmal stärker als das Recht waren.
Was geschieht nun?
Die Verfolgungen und Demütigungen von DDR-Bürgern, die auschließlich ihre Verfassung und ihr Recht in Anspruch nahmen, haben nun den europäischen Segen erhalten und dürften wieder aufflammen.
Unser Dank gilt der breiten nationalen und internationalen Solidarität. Unser Kampf gegen die politische Strafverfolgung und für eine Rehabilitierung der neuen Opfer des Kalten Krieges geht weiter.
Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung e.V. (GRH), Franz-Mehring Platz 1, 10243 Berlin, Tel./Fax (030) 29 78 42 45; Bankverbindung: Berliner Volksbank, Kto-Nr. 5788900009, BLZ 10090000.
* Der Beschwerdeführer K.-H.W. war Grenzsoldat der DDR