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Für Dialektik in Organisationsfragen

Wechseljahre – Abschied von der Zukunft! oder Corona hat das Bildungssystem nicht erwischt, sondern ertappt

Vorspann

In der Phase der Erstellung der Schwerpunkt-KAZ beschäftigten wir uns in der Ausgabe 299 mit den wesentlichen Merkmalen zu Bildung und Erziehung aus marxistischer Perspektive, sprich wir analysierten die Geschichte der Bildung entlang der Entwicklung der Produktivkräfte, um uns im Anschluss der spezifischen Bildungssituation in der Bundesrepublik Deutschland zu widmen. Die Misere des Bildungssystems hierzulande hat sich seitdem nicht grundlegend geändert und lässt sich eingangs in folgenden Punkten zusammenfassen:

– Chronischer Fachkräftemangel, insbesondere seit der Sicherung der Staatsgrenze der DDR, d.h. der Diebstahl von ausgebildeten Fachkräften aus der DDR fällt weg.

– Die großangelegte Kampagne zur Anwerbung von Fachkräften aus ausbildungsstärkeren Ländern, wie in bestimmten Bereichen z.B. Indien, ist als Großprojekt gescheitert.[1]

– Der Föderalismus mit seiner ‚Länderhoheit‘ lässt zusehends unterschiedliche Standards entstehen. Ein Bildungsflickenteppich schafft nicht nur Probleme in der wechselseitigen Anerkennung von Abschlüssen in den Bundesländern, sondern lässt auch unterschiedliche Schulformen entstehen. Insbesondere durch den Fachkräftemangel in den Siebziger Jahren wurden unter sozialdemokratischen Regierungen in Nordrhein-Westfalen Gesamtschulen errichtet, die eine gewisse Rolle eingenommen haben![2] In Bayern hingegen existieren sie so gut wie gar nicht.

– Durch das dreigliedrige Schulsystem wird die Klassenlage der Arbeiterkinder zudem noch zementiert, d.h. der Erwerb eines Hochschulabschlusses aus der Arbeiterklasse heraus ist hierzulande besonders schwierig.

– Seit der Digitalisierung von Bildung im Weltmaßstab hat sich gezeigt, dass das deutsche Bildungssystem auch nach Pisa im internationalen Vergleich noch weiter zurückgefallen ist, die strukturellen Schwächen haben sich gesetzmäßig ausgedehnt.

– Entsprechend hat Corona das Bildungssystem nicht erwischt, sondern ertappt.

Unsere Einschätzung über das Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland hat sich seit der Erstellung der KAZ 299 bestätigt. Da wir den nun folgenden Artikel auf wenige Aspekte des Bildungssystems beschränken werden, empfehlen wir zudem die Lektüre des Artikels aus der Ausgabe 299.[3] Beginnen möchten wir unsere Untersuchung mit dem „typisch-deutschen“ Hinkebein der Bildungsmisere: das dreigliedrige Schulsystem. Dies erscheint uns deshalb notwendig, da die Coronasituation die ungleichen Bildungsvoraussetzungen nicht erst geschaffen hat, sondern sie zum einen aufzeigt, und zum anderen schlicht vertieft.

Das dreigliedrige Schulsystem – die preußische Geißel im deutschen Bildungswesen – oder der Zusammenhang zwischen Ostereiern und Osterhasen

So absurd es auch erscheinen mag, im Grunde ist die Bildungs,karriere‘ eines Kindes bereits in groben Strukturen bei der Geburt vorentschieden. Der wichtigste Faktor hierzu ist die Klassenlage der Eltern, oder der auch häufig anzutreffenden alleinerziehenden Mutter. Entsprechend dieser Klassenlage gesellen sich weitere Faktoren hinzu, die den zukünftigen Abschluss des Kindes beeinflussen; der Wohnort, das soziale Umfeld, die Infrastruktur des Wohnviertels, weiterführende Schulen, Jobangebote usw. Es hat also nichts mit besonderer Begabung zu tun, ob Kinder das Gymnasium besuchen und später einen Hochschulabschluss erreichen, sondern mit den materiellen und daraus folgenden Möglichkeiten der Eltern.

Beginnen wir also mit dem Kindergarten: Ist das Glück beschieden, der Kindergartenplatz ergattert, entscheidet schon die Wohnlage über die Ausstattung und Personal, sowie Betreuungsschlüssel der Einrichtung. Hier greift überdies auch schon bald das speziell Preußisch-Deutsche. Je nach Bundesland sind 45-75% der Kindergärten in privater Trägerschaft, ein Großteil davon in christlicher. Der Länderträger (Bertelsmann-Stiftung) versteckt die Aufschlüsselung der privaten Träger, einen immensen Batzen nehmen hier selbstverständlich evangelische und katholische Einrichtungen ein.[4] Doch spätestens mit dem Eintritt in die Grundschulen greift das ‚gesamte christliche Bildungspaket‘. Früh übt sich, wer den Zusammenhang zwischen Ostereiern- und hasen begreifen möchte. Aufgrund des knappen Angebotes an Kindergartenplätzen ist man jedoch kaum wählerisch, und somit schluckt man die christliche Einrichtung für die institutionelle Ersterziehung des Kindes, auch wenn man nicht evangelisch oder katholisch ist.

Weiterhin muss jede weiterführende Staatsschule Religionsunterricht anbieten. Die Teilnahme am Religionsunterricht wird nicht etwa gewählt, sondern je nach Konfession zugeteilt. (Während der ‚Wechsel’wochen wird Religion übrigens einheitskonfessionell im Klassenverband unterrichtet!) Entscheidet sich das Kind oder dessen Eltern gegen den Religionsunterricht, gibt es ein artverwandtes Fach wie „praktische Philosophie“, und nicht etwa eine weitere Fremdsprache oder ein weiteres mathematisch-naturwissenschaftliches Fach. Schlussendlich wird die Schülerschaft nach der vierten Klasse der Grundschule[5] aufgefächert und entsprechend selektiert und alloziiert (aussortiert und auf die Lokalitäten verteilt). So finden sich die Kinder nach der Empfehlung aus der Grundschule in der Dreigliedrigkeit in der Regel in Form von Hauptschule, Realschule und Gymnasium wieder. Die Schulleiter bekommen diese Empfehlung in den meisten Bundesländern von den Eltern eingereicht und entscheiden sodann selbst über die Aufnahme des Kindes. Werden die Eltern mit dem Kind abgelehnt, aus welchen Gründen auch immer, müssen sie weiterziehen und sich woanders um einen Schulplatz bewerben. Die Tür zum Keller ist geöffnet. Denn bereits der Name Gymnasium (,Versammlungsort der Philosophen und Sophisten’ griechisch)[6] verrät, dass es sich hier um die Sammelstelle der Eliten handelt. Hier bleibt man selbstverständlich gerne unter sich. An dieser Stelle verweisen wir auf ein Zitat aus der oben erwähnten KAZ-Ausgabe 299:

„Den undemokratischen Charakter des dreigliedrigen Schulsystems zeigt auch die Tatsache, dass nach der Befreiung Deutschlands vom Faschismus der Alliierte Kontrollrat in seinem Dekret Nr. 54 von 1947 eben dieses gegliederte Schulsystem verbot und eine einheitliche Schulform für Deutschland festschrieb, weil man im gegliederten Schulsystem mit seinen Hierarchien und der strengen Über- bzw. Unterordnung eine Grundlage für den deutschen Faschismus sah.“[7]

Doch im Zuge der Wiederaufrichtung des deutschen Imperialismus unter der Adenauer-Regierung seit 1949 wurde auch der antifaschistisch-demokratische Charakter des einheitlichen Schul- und Bildungswesens aufgeweicht und das alte dreigliedrige Schulsystem wieder eingeführt. In der DDR bestand das einheitliche Schul- und Bildungssystem bis zum Anschluss an die BRD im Jahre 1990, bis auch dort wieder die preußische Standesschule eingeführt wurde.[8]

Und was ist das Preußische dabei? Nur mit dem Abitur gelangt man in den gehobenen Beamtendienst, in die Offizierskaste der Armee und der Polizei oder schlicht, in die akademische Laufbahn. Der preußische Ständestaat reproduziert sich über das dreigliedrige von Generation zu Generation durch das Schulsystem selbst. Diese Kontinuität wurde vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und den Hitlerfaschismus bewahrt und nur in der DDR für die Dauer ihrer Existenz durchbrochen. Eine echte Bildungsreform hat es demnach in der Bundesrepublik Deutschland nie gegeben. Die Durchlässigkeit zwischen den Schulformen bestimmt sich im Durchschnitt nach Bedarf, sprich, werden mehr qualifizierte Kräfte gebraucht, werden die Schleusen kurzfristig geöffnet und sofort wird die ‚Chancengleichheit‘ propagiert!

Eine echte Chancengleichheit gibt es indes nur nach Wegfall der sozialen Klassen! Die Forderung nach Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems schafft zwar naturgemäß keine Chancengleichheit, ist aber durchaus eine demokratische Forderung.

Hallo wach – wurde da was verschlafen? – Oder: Schlusslicht ist auch (k)eine Leuchte

Die Lehrpläne und Stundentafeln (Aufteilung der Unterrichtsfächer nach Jahrgangsstufe und Unterrichtsstunden) hat sich innerhalb einer Generation kaum geändert. So stellte Pädagogikprofessor Klaus Zierer im Gymnasium aus seiner eigenen Schulzeit anhand seines damaligen Stundenplans fest, dass seine Tochter mit minimaler Abweichung nach genau dem gleichen Stundenplan lernt wie er vor dreißig Jahren.[9] Die Standards sind bundesweit große Klassenverbände, Musik, Sport, Wahlpflichtfächer in der Realschule, Grund- und Leistungskurse im Gymnasium, Religionsunterricht in allen Schulen, (s.o.) Englisch und Französisch als standardisierte erste und zweite Fremdsprache, Mathematik und Informatik usw., wobei Letzteres mit teilweisen Inhalten aus den Neunzigern oder sogar Achtziger Jahren im Lehrplan fixiert ist.

Kein Wunder also, dass sich gerade im Fach Informatik das Lehrer-Schülerverhältnis oft umkehrt, und der digital native (etwa: indigener Informatiker) dem Lehrer die moderne digitale Welt eröffnet und nicht umgekehrt: „Deutschland hinkt einer Pisa-Sonderauswertung bei der digitalen Schulausstattung hinterher. Bei der Lehrerausbildung landet Deutschland auf Platz 76 – von 78“[10]. Doch selbst wenn die Lehrkraft den Stand der digitalen Entwicklung fachlich vermitteln kann, wie soll sie ihn der Schülerschaft beibringen, angesichts der miserablen Versorgung der Schulen mit Internetanschluss? Selbst wenn es eine Schule mit 1.000 Schülern schaffen sollte, auf 20 Computerarbeitsplätze mit halbwegs funktionierendem Netz zu kommen, kann man schnell ausrechnen, wie viele Stunden ein Schüler in seiner Laufbahn von 6 Jahren an einen didaktisierten Computer darf, wo er vielleicht etwas weniger von Spielen, Werbung oder von noch unseriöseren Internetseitseiten abgelenkt wird.[11]

Einige Anmerkungen zum Fremdsprachenunterricht

Wie bereits oben erwähnt, ist das Fremdsprachenangebot kaum verändert. Nach wie vor sind diese in der Reihenfolge Englisch, Französisch/Latein die erste Wahl, allerdings mit wenig Wahlmöglichkeiten. Zwar gilt Latein dabei nicht mehr unbedingt als Pflichtfach für bestimmte Studiengänge wie Jura, oder Medizin, wohl aber für gewisse Unterrichtsfächer für das Gymnasium (!). Aber auch hier gibt es bundesweit keine einheitliche Regel, sondern vielmehr ein völliges Wirrwarr.[12] Die Hartnäckigkeit des Lateinischen als Fremdsprache ist wohl eher auf den Einfluss der katholischen Kirche zurückzuführen und nicht etwa, wie uns vorgegaukelt wird, auf unsere ‚kulturelle Wurzel.‘ Da würde, wenn überhaupt, viel eher das Griechische (s.o.) greifen, gar als Vorbild der römischen Kultur selbst! Nun ist der Pontifex eben ein ‚Lateiner‘ und kein Grieche. Zu den modernen Fremdsprachen sei eben erwähnt, dass es durchaus Sinn machen würde, den Fächerkanon auszuweiten oder gänzlich umzugestalten. Doch hier zeigt sich die Verkrustung eben auch sehr deutlich. Nun sind Englisch und Französisch neben Spanisch zwar die größten Vertreter der Kolonialsprachen, aber dennoch stellt keine von denen die größte Weltsprachgemeinschaft vor. Dies dürfte mit über einer Milliarden Sprechern Mandarin[13] sein, das gerade in den letzten Jahren wiederum selbst zu einer gigantischen Weltfremdsprache herangewachsen ist, wird sie doch hauptsächlich im Austausch in den Universitäten der nichtimperialistischen Welt zunehmend unterrichtet.[14]

Nein, man bewegt sich mit den Fremdsprachen lieber im Kreise der traditionellen Kolonialherren mit deren Sprachen und richtet die Lehrpläne und Universitäten eben nicht nach den aktuellen Entwicklungen im Weltmaßstab aus, zumal eine Sprache unbedingt auch die Entwicklung der Produktivkräfte linguistisch zum Ausdruck bringt. Und da die Volksrepublik China in den letzten Jahren die Produktivkräfte wie kein anderes Land voranbringt, empfähle sich unbedingt mehr Chinesisch an den Schulen!

Betrachten wir zudem den Religionsunterricht von der Seite her, dass es nicht wirklich Wissen ist, das in der Schule vermittelt wird, sondern eher in das Reich des Glaubens, der Moral und der Mythen gehört, sind es doch eher Inhalte, die in das Privatleben der Gläubigen und den entsprechenden Glaubensgemeinschaften und deren Einrichtungen gehören.

Die Beispiele aus Informatik, Fremdsprachen und Religion sollten exemplarisch aufzeigen, warum unser Bildungssystem gesetzmäßig im internationalen Kontext zurückfallen muss, ein Umstand, der auch mit einer halbherzig und viel zu spät einsetzenden Digitalisierung nicht mehr auszugleichen ist und der auch nicht der Situation zu Corona geschuldet ist. Doch dazu im folgenden Absatz.

Die neue Politökonomie des Lernens oder die faktische Aufhebung der Lernmittelfreiheit

Prinzipiell herrscht Lernmittelfreiheit. Die Schüler bekommen die Bücher von der Schule gegen eine Kaution geliehen, individuelles Zusatzmaterial sollte gegen eine Lernmittelpauschale persönlich erworben werden. Das bedruckte und zu beschreibende Papier war im Grunde bislang das Lernmittel in der Hand der Schüler, die Kreide das in der Hand des Lehrers.

Allerdings gab es schon immer Probleme mit dem Urheberrecht, die sich nun verschärfen. Wie viele Kopien aus einem Lehrwerk rauskopiert, was an Filmen oder Dokumentationen gezeigt werden darf, wird juristisch genau festgelegt. Die kopierende Lehrkraft verstößt somit latent immer gegen das Urheberrecht, denn auch Unterricht ist am Ende ein lukratives Geschäft. Was nach Marx für die erste Freiheit der Presse gilt, nämlich kein Gewerbe zu sein, dürfte auch für Lehrwerke gelten. Oder kann ein milliardenschwerer Verlag, der ein Monopol auf die Herausgabe von Lehrwerken hat, etwa Inhalte der sozialistischen Planwirtschaft vermitteln? Das widerspräche der inneren Logik selbst, zumal alle Lehrwerke sowieso im Interesse aller Kapitalisten gedruckt werden. Aber das nur nebenbei.[15] [16]

In Zeiten, in denen sich Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplin darüber den Kopf zerbrechen, wie man Kinder und Jugendliche vom Handy wegbekommt, weil die ständige Benutzung des Handys körperliche Verformungen, Sehschwäche, psychische Abhängigkeiten, Spielsucht, Schuldenfallen, nachlassendes Sozialverhalten usw. nach sich zieht, wird das Handy nun zum Zentrum des Distanzunterrichts. Im Grunde ist ein Handy ein Mini-PC mit allen Funktionen, deshalb auch auf den ersten Blick ein für den Distanzunterricht so verlockendes Medium. Doch für das Funktionieren des Distanzunterrichts, zu dem es außerdem kein Lernkonzept gibt, braucht es mehr als nur ein Handy. Ein vernünftig großer Bildschirm, ein ruhiger Arbeitsplatz, ein Drucker, eine Internetverbindung und nicht zuletzt eine Ausbildung an den Endgeräten. Doch darauf hat der Unterricht die Kinder, aber auch die Lehrer, nicht mal in ‚normalen Zeiten‘ vorbereitet. (s.o.) Die Schüler erlernen den Umgang mit der neuen Technologie, wenn überhaupt, meist erst im Abitur, im Studium oder im Beruf. Wenn man nun zudem bedenkt, dass die Lehrer die Seiten der Bücher, die die Kinder in den Schulen zurücklassen mussten, nicht auf die Lernplattformen (die natürlich im großen Maßstab auch kommerziell sind) stellen dürfen, fragt man sich, was das für eine Gesellschaftsform ist, in der das Urheberrecht mehr Durchschlagskraft hat als das Recht und die Pflicht zum Unterricht. Somit werden die Schüler häufig mit Youtube-Links versorgt, die zwar legal aber didaktisch nicht freigegeben und zudem kommerziell sind. Und nun sollen die Kinder, die den Übergang in den Distanzunterricht bei fehlender Ausbildung und bei fehlender Ausstattung nicht geschafft haben, eiskalt durch konsequente Notengebung bestraft werden. Sie fallen eben durch das Raster. Bleibt zu erwähnen, dass die Familie, ob arm oder reich, von der Sim-Karte bis zur Datenübertragung nun alles aus eigener Tasche finanzieren muss. Datenvolumen ist das Elixier des Distanzunterrichts und extrem teuer. Der Distanzunterricht ist von dem Aspekt her gesehen ein kostspieliger Fluch für die Nutzer und ein lukratives Milliardengeschäft für die Telekommunikationsmonopole! Faktisch ist die Lernmittelfreiheit dadurch aufgehoben! Es lernt sich außerdem besser im Reihenhaus im Grünen als im Kinderzimmer eines Arbeitervorortes einer beliebigen Großstadt in der Bundesrepublik. Es lernt sich eben auch besser im Arbeitszimmer der Eltern mit voller Ausstattung als aus einer Entfernung von 55 cm mit Blick auf kaum 7 Zoll Bildschirmfläche.

Ivan

Nichtschwimmer im kalten Wasser

Der Blitz kam wie aus heiterem Himmel. Auf einmal: Coronagewitter, Schule dicht, Kinder geht nach Hause, setzt Euch noch mehr an den Computer als sonst, nein, kommt wieder zurück und Lehrer, tut das, wozu Ihr nicht ausgebildet seid. Die Schule soll doch so lange offenbleiben, wie es nur eben geht, damit die Kapitalisten Gewinne schreiben können. Sozial Schwache brauchen Betreuung, heißt es auf einmal. Klar, der Arbeiterhaushalt hat keine Dienstangestellten, also werden die Schulen gerade in den kalten und nassen Herbstmonaten zu Verwahranstalten. Der Schulhof dürfte durch massiven Unterrichtsausfall vom Lärmpegel her eher einem Freibad im Winter geglichen haben als einer Stätte des Lernens; die Decke der ständige Begleiter der Kinder, Fenster sperrangelweit auf, auch die Heizungen, Klima war gestern, heute ist halt Corona! Klassenraumtemperatur, 12 Grad, 15 bei Sonnenschein. Empfehlung von Frau Merkel gegen das Frieren für die Kleinen: In die Hände klatschen bei der Silbentrennung, die Großen beschreiben wohl einen Kreis mit Coronaabstand zum Kreismittelpunkt, um sich zu bewegen und somit Wärme zu erzeugen. Tolles Thema für Mathe und Physik! Plötzlich: Unterrichtet auf Distanz, die Lehrkraft darf bis zu 200 Schüler auf einmal vom Schreibtisch aus betreuen, der eigene Nachwuchs winkt den Kindern in der Videokonferenz zu, bei Papi oder Mami auf dem Arm, die Marmelade, noch nicht vom Lätzchen geputzt. Nein, doch wieder Unterricht im Wechsel, aber nur die Kleinen, die Grundschüler, nein, doch nicht, die Großen, bei einer Inzidenz von 50, 100, 200 bleiben alle zu Hause, kommen doch zur Schule, aber nur in Stadt X, nicht in Y. Und dann halbierte Klassen, die eine Hälfte tippt ihre Anwesenheit ins Handy, während die andere zum Unterricht antanzt. Leistungsüberprüfung, Sitzenbleiben, wer darf, muss, darf nicht, sollte unbedingt wiederholen, wie läuft die Prüfungsvorbereitung? Gibt es Prüfungen, Zensuren, Abschlussfeiern und -fahrten, heute, morgen, überhaupt? Gibt es Rückerstattungen für die gebuchten Fahrten? So viele Fragen – so viele Verzweiflungsgrübchen in den Gesichtern – bei allen!

1 Zumal sich in der Welt herumgesprochen haben wird, dass man in Deutschland auf offener Straße verprügelt oder angezündet wird. Somit ist der Standort Deutschland nicht unbedingt sehr attraktiv. Arbeitsbedingungen, Betriebsklima, schlechte Entlohnung tun ein Übriges.

2 Die Einrichtung der Gesamtschulen, ein Versuch, das dreigliedrige Schulsystem aufzuweichen, konnte sich insgesamt nicht durchsetzen. (s. Statistik) Aber auch sie ist im Wesentlichen nichts anderes als das dreigliedrige Schulsystem unter einem Dach, nur etwas durchlässiger und je nach Bundesland unterschiedlich häufig anzutreffen.

3 Siehe: www.KAZ-online.de.

4 www.laendermonitor.de/de/vergleich-bundeslaender-daten/personal-und-einrichtungen/traeger/kitas-nach-traeger/?tx_itaohyperionpluginview%5Baction%5D=chart&tx_itaohyperion_pluginview%5Bcontroller%5D=PluginView&cHash=ed117cbe6f47e7f97710f316c3b6e300.

5 In einigen Bundesländern nach dem sechsten Schuljahr.

6 www.dwds.de/wb/Gymnasium.

7 KAZ Nr. 299, Über die Grundlage von Bildung Erziehung,

8 Über die Grundlage.

9 www.zdf.de/dokumentation/zdfzoom/zdfzoom-schulen-im-corona-stress-lernen-aus-der-krise-100.html.

10 www.tagesspiegel.de/politik/im-internationalen-vergleich-in-der-schlussgruppe-deutschlands-schulen-bei-der-digitalisierung-noch-hinter-moldawien/26228262.html.

11 Bei 25 Klassen darf jede Klasse durchschnittlich zwei Unterrichtsstunden im Monat an den Computer. Das sind effektiv maximal 18 Stunden pro Kind und Jahr! Man lerne in dieser Zeit die Grundzüge der Mathematik oder eine Fremdsprache.

12 https://www.gehalt.de/news/fuer-welche-berufe-braucht-man-eigentlich-latein

13 Chinesische Amtssprache neben Kantonesisch.

14 Überhaupt ist der Begriff von Forschung noch sehr eurozentristisch. Schon der Nobel-Preis ist deshalb sehr ruckständig, da er erstens nur vom Westen favorisierte Kandidaten berücksichtigt, zweitens Forschungsergebnisse, wie z.B. aus China so gut wie gar nicht wahrgenommen werden, drittens es noch den Stempel des „genialen Einzelerfinders“ mit sich trägt, der im Weltfoschungskontext schon überholt sein dürfte. Es zeichnet sich ab, dass sich zwei Weltbildungssysteme parallel entwickeln und das unserige allmählich überholt wird.

15 Man vergleiche nur einmal ein Geschichtsbuch einer beliebigen Jahrgangsstufe aus der DDR mit einem aus der Bundesrepublik.

16 Zu den zehn umsatzstärksten Verlagen in Deutschland gehören mindestens drei Schulbuchverlage.

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