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KAZ-Fraktion: „Ausrichtung Kommunismus”

Indien in Aufruhr – Arbeiter und Bauern (noch nicht) vereint

Indien tritt in das zweite Jahr der zweiten Legislaturperiode unter der BJP[1]-Regierung von Premierminister Narendra Modi ein. In den letzten Wochen und Monaten wurde in deutschen Medien – wenn auch spärlich – über Massenproteste und -Demonstrationen von Bauern berichtet. Dass es bereits während der ersten Legislaturperiode (Mai 2014 – Mai 2019) zu Massendemonstrationen gegen Regierungsmaßnahmen kam, wurde dem deutschen Publikum fast gänzlich vorenthalten.

Die Modi-Regierung hat massive neoliberale und religiös-ideologische (hindu-nationalistische) Maßnahmen ergriffen. Die politische Gewalt wurde weiter zentralisiert, auf die Zentralregierung in Delhi und speziell auf den Premierminister zugeschnitten. So wurde z.B. bereits im Dezember 2014 die Planungskommission abgeschafft und durch ein dem Premierminister untergeordnetes Büro ersetzt. Ersetzt wurde damit ein Instrument zur demokratischen Kontrolle staatlicher Wirtschaftspolitik. Auch nahm die Regierung verstärkt Einfluss auf die Besetzung von Richterposten. Gegen öffentliche Kritik an der Regierung, z.B. im Rahmen der schlechter werdenden Wirtschaftslage, wurde mit Verleumdungsanzeigen und schärferer Überwachung regierungskritischer Gruppen/Organisationen vorgegangen. Immerhin hat Modi bei den Verhandlungen innerhalb der WTO-Doha-Runde einer internationalen Öffnung des indischen Agrarmarktes nicht zugestimmt und darauf bestanden, Subventionen für Grundbedürfnisse der Bevölkerung (Nahrungsmittel, Brenn- und Kraftstoff) nach dem Willen der indischen Regierung zu vergeben.

Der wirtschaftliche Druck auf die Bevölkerung, und als Folge deren Ärger und Wut haben zugenommen. Die inzwischen dramatische Entwicklung hat schon kurz nach dem zweiten Amtsantritt Modis (Mai 2019) begonnen. Die säkulare Verfassung wurde geändert: die Artikel 370 und 35A, in denen der Teilautonomiestatus des Bundesstaates Jammu & Kashmir festgeschrieben ist, wurden abgeschafft. Diese erste Aushebelung der Verfassung hatte die Aufteilung von Jammu & Kashmir in zwei getrennte Unionsterritorien unter Verwaltung der Zentralregierung zur Folge: Jammu & Kashmir wurde ein eigenes Parlament belassen, Ladakh (mit dem Bezirk Kargil) ist ohne parlamentarische Vertretung. Um die Proteste vor Ort zu unterdrücken, wurde Militär nach J & K geschickt; Ausgangssperren wurden verhängt und über mehrere Monate wurde das Internet gesperrt.

Der zweite Angriff gegen Verfassungsrechte war gegen die Muslime gerichtet. Alle führenden Mitglieder der BJP sind seit ihrer Jugend Mitglieder des RSS und hatten dort wichtige Funktionen inne. Unter Modi wurde die Verbindung zum RSS intensiviert und die ideologische Agenda des RSS verstärkt umgesetzt. Es handelt sich dabei um ein Paket von Gesetzen (CAA, NRC, NPR), die in ihrem Zusammenwirken die Rechte der Muslime massiv einschränken.[2]

Proteste gegen Verfassungsbruch: Aufhebung des Autonomiestatus von Jammu & Kashmir, Anti-Muslim-Gesetze

Sowohl die Verfassungsänderungen, um Jammu & Kashmir unter BJP-Kontrolle zu bringen, als auch die Ankündigung der anti-muslimischen Maßnahmen führten landesweit im Zeitraum von 2019 bis Ende Februar 2020 zu massiven Protesten, Demonstrationen, blutigem Aufruhr, brutalen Polizeimaßnahmen und anschließenden juristischen Verfahren gegen Oppositionelle (nach dem Schema der Täter-Opfer-Umkehr).

Die landesweiten Proteste waren am stärksten im Großraum Delhi. Hier gab es Mitte Dezember Studentenproteste gegen die Anti-Muslimgesetze, vor allem an der Jamia Millia Islamia (JMI) und an der Jawarhalal Nehru University (JNU); auch an der Aligarh Muslim University (130 km südöstlich von Delhi) gab es heftige Proteste. An der JNU waren in erster Linie Schlägerkommandos der BJP-Studentenorganisation ABVP aktiv, die unter den Augen der untätigen Polizei demonstrierende Studenten angriffen. (An der JNU herrschte schon vor diesen Ausschreitungen eine angespannte Situation, da die Studenten bereits gegen Erhöhung der Studiengebühren protestierten.) An der JMI drangen Polizeitrupps in den Campus ein und gingen mit Schlagstöcken und Tränengas brutal gegen die Studenten vor. Es gab über 200 Verletzte. Gleichzeitig mit den Studentendemonstrationen begann der von Frauen angeführte Shaheen Bagh Sit-in entlang einer großen Ausfallstraße (muslimisch dominiertes Stadtviertel im SO Delhis) gegen Anti-Muslim-Gesetze, gegen Polizeibrutalität (ganz aktuell gegen die JMI Studenten), aber auch gegen die schlechten Lebensverhältnisse (Arbeitslosigkeit, Armut, etc.). Teilweise waren bis zu 100.000 Menschen vor Ort. Dieser Protest dauerte bis 24. März 2020. Er wurde wegen des verordneten Corona-Lockdowns abgebrochen und nicht wieder aufgenommen.

Besonders schlimm waren die Ausschreitungen im Nordosten Delhis, wo Anti-CAA-Sitzdemonstrationen stattfanden, gegen die von BJP-Politikern mit Hetzreden Stimmung geschürt wurde. In deren Folge kam es, ausgelöst durch aufgehetzten Hindu-Mob, zu Auseinandersetzungen, an denen sich auch die Polizei gegen die Demonstranten beteiligte. Die Ausschreitungen eskalierten zu lokalem Aufruhr mit Brandstiftungen, Mord und Totschlag (von 23. bis 29. Februar 2020). Offiziell wurde von 53 Todesopfern berichtet, überwiegend Muslime. Tausende verloren ihre Häuser und wurden später in Zeltcamps untergebracht. Ähnliche Vorkommnisse gab es bereits im Januar in Muslimvierteln von Meerut[3] und Muzaffarnagar[4] (ca. 70 bzw. 140 km nordöstlich von Delhi).

Erster Generalstreik gegen Anti-Arbeitsgesetze, CAA-Gesetze, Demokratieabbau

Diese Ereignisse überlagerten sich mit den großen Protestaktionen von Arbeitern und Bauern (Gewerkschaftsorganisationen und Bauernverbänden) gegen die von der Modi-Regierung gleich nach Beginn der zweiten Legislaturperiode (ab Mai 2019) initiierten und umgesetzten Gesetze gegen die Interessen der werktätigen Bevölkerung. Generell wurde die Deregulierung und Privatisierung der Wirtschaft weiter voran getrieben. Beispiele sind die Vergabe von Abbaurechten für Kohle und Erze, usw., die oft unter Land liegen, das seit Generationen von Adivasis[5] bewohnt und landwirtschaftlich genutzt wird. Die Bewohner werden i.d.R. mit minimalster Entschädigung (falls überhaupt) vertrieben. Ähnliche Enteignungen sind üblich bei Industrieansiedlungen und großen Immobilienprojekten, wie z.B. Flughafenbau, Großkraftwerksbau.[6]

Den Bauernprotesten (zweites Halbjahr 2019) gingen Proteste und Arbeitskämpfe der Gewerkschaften voraus.[7]

In Erweiterung der Angriffe der Zentralregierung auf Arbeits-/Gewerkschaftsrechte nahmen verschiedene BJP-regierte Bundesstaaten (Uttar Pradesh, Gujarat, Madhya Pradesh, Himachal Pradesh, Rajasthan, Tripura (ehemalige CPI(M)-Hochburg), Punjab) die Corona-Pandemie zum Vorwand, um massiv gegen bestehende Arbeitsbedingungen vorzugehen. Ohne überhaupt mit den Gewerkschaften in Verbindung zu treten, wurden Arbeitsrechte ausgesetzt, z.B. Aufgabe der Überprüfungen von Betrieben mit weniger als 50 Mitarbeitern, Erhöhung der Arbeitszeiten (8 auf 12 Stunden/Tag), Einführung von Zeitarbeitsverträgen. Am 6. Mai 2020 hob die Regierung von Uttar Pradesh (bevölkerungsreichster indischer Bundesstaat mit ca. 200 Mio. Einwohnern (also zweieinhalb mal soviele Einwohner wie die BRD!), Ministerpräsident ist der BJP-Mann und Mönch Yogi Adityanath) 35 von 38 Arbeitsrechten auf. Für Arbeitsverlust wegen des Corona-Lockdowns wurde keine Unterstützung gezahlt. Arbeitsmigranten (Tagelöhner) erhielten sowieso keine Unterstützung und mussten zu Millionen in ihre Heimatdörfer zurückkehren.

Nach mehreren Großstreiks gegen die Anti-Arbeiter/Gewerkschafts-Gesetze kam es am 8. Januar 2020 zu einem landesweiten Generalstreik, der mit 250 Mio Teilnehmern wohl der bis dato größte Generalstreik der Welt war. Er wurde von allen wichtigen Gewerkschaften organisiert, an vorderster Stelle CITU, der Gewerkschaftsflügel der CPI(M) und INTUC, der Gewerkschaftsflügel des INC. Die mit ca. 17 Mio Mitgliedern zweitgrößte Gewerkschaft BMS, der Gewerkschaftsflügel der BJP, nahm am Generalstreik nicht teil, unterstützte aber die Gewerkschaftsforderungen. Unterstützt wurde der Generalstreik von den Bauernorganisationen, repräsentiert durch den Dachverband AIKSCC (All India Kisan Sangharsh Coordination Committee). Dazu kam die Unterstützung von Studentenorganisationen, von Intellektuellen u.a., die sich gegen die CAA-Gesetze und den Demokratieabbau engagierten.

Bauernbewegung gegen volksfeindliche Agrargesetze

(wir stützen uns hier auf einen Bericht[8], den uns Prof. Balwinder Singh Tiwana, Vizepräsident der WAPE, zur Verfügung gestellt hat)

Die Proteste der Bauern richten sich gegen drei Agrargesetze, die den Agrarmarkt „öffnen“ sollen. Durch sie fühlen sich nicht nur die Landarbeiter und Kleinbauern, sondern auch Mittelbauern in ihrer Existenz bedroht. Es wird ein massives „Bauernsterben“ befürchtet. Die Unnachgiebigkeit der Regierung führte rasch zu einer Eskalation. Die drei strittigen Agrargesetze sind der Farmers‘ Produce & Trade Commerce (Promotion & Felicitation) Act, 2020, der Farmers’ Empowerment & Protection Agreement on Price Assurance & Farm Services Act, 2020 und der Essential Commodities (Amendment) Act, 2020. Mit diesen Gesetzen ist eine (nationale) Agrarmarktöffnung vorgesehen. Der großen Industrie (Großhändler, große Nahrungsmittel-Verarbeiter, Supermarktketten) wird erlaubt, mit den Bauern direkt zu verhandeln. Die Bauern können entsprechend direkt und theoretisch zu höheren Preisen verkaufen, als es im Rahmen des existierenden staatlichen Aufkaufprogramms auf staatlich kontrollierten Auktionsmärkten (Mandis) mit garantierten Mindestpreisen (Minimum Support Price (MSP) System) möglich ist. Die Bauern befürchten zu Recht, dass das System der staatlich garantierten Mindestabnahmepreise ausgehöhlt wird, dass Großkonzerne die Bedingungen diktieren und sie letztlich für ihre Produkte weniger erhalten werden.

Am 5. Juni 2020 wurden diese drei Agrargesetze von der Regierung beschlossen. Unmittelbar nach dem Beschluss der Gesetze haben die Führer von Bauernorganisationen und Intellektuelle, die sich für das Volk einsetzen, im stark landwirtschaftlich geprägten Bundesstaat Punjab[9] eine Diskussion über die verheerenden Auswirkungen dieser Verordnungen auf die Bauern, Landarbeiter und auf die Armen auf dem Land und in den Städten initiiert. Auf Versammlungen wurden die Bauern über die bauernfeindlichen Bestimmungen dieser Gesetze aufgeklärt. Bereits im Juli fanden erste Proteste statt. Weitere in den Bundesstaaten Haryana, Uttarakhand und im westlichen Uttar Pradesh folgten.

Am 27. Juli 2020 gab es einen beeindruckenden Traktorenaufmarsch, zu dem die Bauernorganisationen aufgerufen hatten, und es wurde ein Memorandum an die betroffenen Parlamentsabgeordneten der Region übergeben. Bei einem anderen Protestmarsch von Traktoren wurde ein Memorandum an die damalige Ministerin Harsimrat Kaur Badal überreicht. Nach diesen Traktorenmärschen schlossen sich einige politische Parteien mit Ausnahme der BJP in Punjab der Bewegung an. Mit Fortschreiten der Agitation nahm die Beteiligung von Jugendlichen und Frauen zu. In der ersten Augustwoche wurde ein Memorandum von den Bauern bei den Deputy Commissions/Collectors (Stellvertr. der höchsten Steuer- und Verwaltungsbeamten von Bezirken (vergleichbar wie bei uns Regierungspräsidenten) eingereicht.

Danach gab es ein Treffen des All India Kisan Sangharsh Coordination Committee (AlKSCC). Am 19. August beschlossen alle 31 Organisationen der Landwirte, gemeinsam und geeint in Koordination mit AIKSCC zu arbeiten. Auch die Landarbeitergewerkschaften unterstützten diese Agitation.

Dann riefen die Organisationen zum „Jail Bharo“ (Gefängnis-Bharo, Protestform, bei der die Protestierenden sich verhaften lassen und die Gefängnisse füllen) vom 7. bis 10. September auf, um dem Premierminister durch Regierungsbeamte ein Memorandum zu überreichen. Zu dieser Zeit hatten die Bauern den bauernfeindlichen Charakter der drei Gesetze begriffen und sie begannen, in großer Zahl zu Kundgebungen und Dharnas (Sitzblockaden) zu kommen. Die Regierung des Punjab begann, Strafverfahren gegen die Bauern wegen Verstoßes gegen Abschnitt 144 der Strafprozessordnung[10] und Covid-19-Richtlinien einzuleiten. Ende August protestierten die Bauern in fast 20 Bundesstaaten (von offiziell 29). In der zweiten Septemberwoche kam es in Pipli und Karnal im Bundesstaat Haryana zu heftigen Protesten, bei denen die Polizei die protestierenden Bauern mit Schlagstöcken angriff. Die Organisationen der Bauern im Punjab protestierten am 11. September gegen diesen Schlagstockeinsatz. Unter dem Druck der wachsenden Wut und des Kampfes der Bauern kündigte der Chief Minister von Punjab am 16. September an, alle gegen protestierende Bauern erhobenen Anklagen zurückzuziehen.

Die Bauernorganisationen des Punjab riefen für den 25. September zum Punjab Bandh (Punjab Generalstreik) auf und blockierten Straßen und Schienen. Die Modi-Regierung brachte trotzdem am 14. September die Gesetzesentwürfe ins indische Parlament ein. Am selben Tag riefen alle 31 Bauernorganisationen zu „Lalkar Rallies“ (Protestmärsche) auf, die in Patiala, Phagwara, Barnala, Amritsar und Moga sehr erfolgreich waren.

Im Punjab wurde ab dem 1. Oktober 2020 mit Bahn-Rokos (Gleis Blockaden) begonnen. Danach begannen die Bauern mit dem Boykott von Reliance-Tankstellen[11], Einkaufszentren und Streikposten an Mautstellen. Eine große Anzahl von Mautstellen wurde ohne jegliche Gebühr für die Menschen geöffnet und langsam wurden alle Mautstellen des Punjab kostenlos.

Auf Druck der Bauern trat die Shiromani Akali Dal (SAD), Koalitionspartner der BJP in Delhi, aus dem Unionskabinett aus und begann, sich gegen diese Gesetze auszusprechen, und Harsimrat Kaur Badal trat am 17. September aus dem Unionskabinett zurück. Am 22. September wurden die Gesetze von der Lok Sabha (Unterhaus) verabschiedet und am 27. September vom Präsidenten Indiens unterzeichnet. Danach trat die SAD nach 27 Jahren der Allianz mit der BJP aus der NDA (National Democratic Alliance), dem von der BLP geführten rechts-orientierten Parteienbündnis, aus.

Die Bauernorganisationen wurden zum ersten Mal von der Unionsregierung am 7. Oktober angesprochen und nach Delhi gerufen, um Informationen über die Agrar„reformen“ zu erhalten. Am 13. Oktober fuhren die Bauernorganisationen zu Gesprächen nach Delhi, boykottierten aber das Treffen, da kein Minister der indischen Regierung anwesend war, um mit ihnen zu sprechen. Statt, dass die Minister der indischen Regierung mit den Bauernverbänden sprachen, setzte die Modi-Regierung eine Gruppe von 8 Unionsministern ein, die virtuelle Konferenzen im Punjab abhielten, um die Bauern über diese Gesetze zu informieren.

Während all dessen wurden die „Rail Roko“-Proteste fortgesetzt, aber dann stoppte am 21. Oktober 2020 die Zentralregierung selbst die Züge bis zum 23. November und machte zur Bedingung, dass, solange die Personenzüge nicht fahren dürfen, kein Zug fahren wird. Danach rief AIKSCC zu „Chakka Jam“ (Blockieren der Straßen) am 5. November und zum „Delhi Chalo“ (bedeutet: Lasst uns nach Delhi marschieren) am 26. und 27. November auf. Die Bewegung begann sich nun in ganz Indien auszubreiten.

Nach diesem Aufruf der AIKSCC (jetzt United Kisan Morcha genannt) hielt die Modi-Regierung am 13. November ordentliche Treffen mit den Bauernorganisationen des Punjab ab, bei denen der Eisenbahnminister, der Minister für Landwirtschaft und Bauernwohlfahrt sowie der Staatsminister für Handel und Industrie anwesend waren. Die Treffen verliefen ergebnislos.

Zweiter Generalstreik gegen Anti-Arbeitsgesetze und Anti-Bauern-Gesetze; Traktoren-Marsch nach Delhi

An dem für den 26. November 2020 von den Gewerkschaften in Absprache mit den Bauernverbänden (Dachverband AIKSCC) organisierten landesweiten Generalstreik, verbunden mit dem Traktorenmarsch nach Delhi waren wie vor knapp einem Jahr 250 Mio Menschen (Arbeiter und Bauern) auf den Straßen. Am Traktorenmarsch (vor allem aus Punjab und Haryana) beteiligten sich mehrere Hunderttausend Bauern mit etwa 100.000 Fahrzeugen, überwiegend Traktoren. Der Generalstreik legte das öffentliche Leben in großen Teilen Indiens weitgehend lahm. In den Bundesstaaten Punjab, Kerala, Odisha, Assam kam alles zum Stillstand.

Die Bauern des Punjab setzten sich bereits am 25. November in Richtung Delhi in Bewegung. Um Delhi herum versuchte ein großes Polizeiaufgebot mit Barrikaden die Zufahrt nach Delhi zu blockieren. Am 26. November durchbrachen Zigtausende Bauern aus Punjab die Barrikaden an den Grenzen von Haryana und zogen in Richtung Delhi. In dem Kampf, Delhi zu erreichen, wurden sie von Bauern aus Haryana in großem Maße unterstützt.

Dann begannen die Bauern eine Morcha (Blockade) an den Grenzen von Delhi auf 5 großen Ausfallstraßen (National Highways). An diesen 5 Stellen der Peripherie wurden permanent besetzte Lager mit kompletter Infrastruktur um die abgestellten Fahrzeuge (Zigtausende von Traktoren, Bussen, Autos usw.) aufgebaut. Insgesamt leben dort seither einige Hunderttausend Menschen; von Zeit zu Zeit werden die „Belagerer“ durch neue Gruppen aus den Dörfern ausgetauscht. Von Bühnen herab werden die Demonstranten jeden Tag über die Gesetze aufgeklärt, über den Stand der Dinge informiert und psychologisch aufgemuntert. Künstler, Angestellte, Arbeiter, Studenten, Intellektuelle und andere Bevölkerungsgruppen kommen nach Delhi, um die Bauern zu unterstützen. Auch indische Staatsbürger, die im Ausland leben, bieten Unterstützung für die kämpfenden Bauern an. Eine große Anzahl von Frauen und Kindern beteiligt sich ebenfalls an diesen Morchas gegen die Modi-Regierung.

Die 5 Protestzentren sind (von NW-Delhi im Uhrzeigersinn): (i) Tikri Grenze: ca. 20-21 km lang, mit zwei Bühnen; (ii) Singhu Grenze: ca. 8-9 km lang, mit einer Bühne; (iii) Gazipur-Grenze: ca. 3 km lang, mit einer Bühne; (iv) Palwal-Grenze: mit einer Bühne; (v) Shahjanpur Grenze: mit einer Bühne.

Ab dem 1. Dezember 2020 hat die Modi-Regierung mit regelmäßigen Treffen mit den Bauernverbänden begonnen. Es gab bis zum 8. Dezember Treffen, aber ohne jedes Ergebnis. Dann haben die Bauernverbände begonnen, ihren Standpunkt mit jedem Treffen härter und härter zu formulieren. Am 8. Dezember stellten sie die Forderung nach Rücknahme der drei Anti-Bauern-Gesetze.

Nach dem Treffen vom 8. Dezember gab es kein weiteres Treffen der indischen Unionsregierung mit den Bauern. Einige Briefe wurden zwischen der Modi-Regierung und den Bauernorganisationen ausgetauscht. Schließlich schickten die Bauernorganisationen unter dem Banner der United Kisan Morcha einen Brief an die Regierung für ein Treffen mit 4 Tagesordnungspunkten:

(1) Diskussion über den Prozess und die Modalitäten der Aufhebung/Ablehnung aller drei Agrargesetze der Union.

(2) Erörterung der Bestimmungen über die Gewährung eines günstigen MSP (Minimum Support Price) für alle Bauern, wie von der Nationalen Bauernkommission vorgeschlagen.

(3) Befreiung der Landwirte von Auflagen zur Luftverschmutzung durch Änderung der Verordnung „Commission for Air Quality Management in the National Capital Region and Adjoining Areas, 2020“.

(4) Notwendige Änderungen in der „Electricity Amendment Bill, 2020“, um die Interessen der Landwirte zu wahren.

Dieses Treffen fand am 30. Dezember 2020 im Vigyan Bhawan (Kongresszentrum der indischen Regierung) statt. Die Unionsregierung stimmte zu, die Forderungen in Bezug auf die Luftqualität und die Stromrechnung zu akzeptieren. Aber noch immer ist nichts Schriftliches von der Regierung gekommen. Die Hauptforderungen, die drei Gesetze aufzuheben und MSP als Rechtsanspruch zusammen mit einer Abnahmegarantie einzuführen, wurden von der Modi-Regierung nicht akzeptiert. Ein Treffen zwischen den Bauernorganisationen und der Modi-Regierung am 4. Januar 2021 ist ohne Ergebnis geblieben.

Am 12 Januar 2021 hat der Supreme Court die 3 Agrargesetze vorläufig ausgesetzt. Eine Kommission soll gebildet werden, die sich damit befassen soll. Die Bauern ließen sich nicht besänftigen. Ihr Widerstand hat nicht nachgelassen. Die „Belagerung“ Delhis mit Hunderttausenden von Bauern und Arbeitern (darunter viele Frauen, Kinder und alte Menschen) wurde aufrecht erhalten: Es gab seither über 56 Todesfälle (kalte Witterung; Erkrankungen Unfällen). Es kommt auch zu verschiedenen Zusammenstößen mit der Polizei.

Zweiter Traktoren-Marsch nach Delhi am Republic Day

Zum Republic Day am 26. Januar 2021 hatten die Bauernverbände zu einem großen Marsch ins Zentrum von Delhi aufgerufen. Im Vorfeld wurden von den Behörden an den Zufahrtstraßen ins Zentrum von Delhi Straßensperren errichtet (Betonblöcke, Nagelteppiche, Stacheldrahtverhaue), und die Polizei wurde mit langen Metallschlagstöcken aufgerüstet. Bei der Abwehr der Bauernkolonnen wurden auch Tränengas und Wasserwerfer eingesetzt. Trotz der massiven Hindernisse war der Marsch weitgehend erfolgreich. Größere Gruppen durchbrachen die Absperrungen und drangen in die Innenstadt (Old Delhi) vor, wo sie in das Rote Fort eindrangen und dort die Sikh-Flagge und Bauernverband-Flaggen hissten. Dabei kam es zu erheblichen Auseinandersetzungen mit der Polizei und zu zahlreichen Verletzten und einem Toten. Während des Marsches auf Delhi wurde im Umkreis von Delhi das Internet abgeschaltet und blieb in einigen Bezirken für mehrere Tage außer Betrieb.

Aktuelle Lage

Die Proteste der Bauern halten an. Es finden weiterhin Massenversammlungen statt (Kisan Mahapanchayats), auf denen Informationen weiter gegeben werden und die Lage besprochen wird. Diese bleibt unverändert verhärtet. In den letzten Wochen wurden auch die Rail Rokos wieder aufgenommen. Oppositionspolitiker und andere Unterstützer besuchen die Bauern„städte“ und solidarisieren sich. Ob und wann ein neuer Generalstreik vorgesehen ist, ist nicht bekannt

Im Fokus der Berichterstattung steht die strafrechtliche Verfolgung speziell von „Ausschreitungen“ anlässlich der „Erstürmung“ des Roten Forts am 26. Januar 2021 und generell gegen Unterstützer der Demonstrationen. Es wird der Vorwurf erhoben, dass im Rahmen der Demonstrationen Aufruhr gegen den indischen Staat geschürt werde. In der Presse (auch der internationalen) wird ausführlich über den „Fall“ von Disha Ravi berichtet, einer jungen Frau, die als Führungsfigur der indischen Fridays for Future Bewegung sich engagiert für die Belange der Bauern eingesetzt hat. Sie hat ein „Toolkit“ entworfen, mit dem im Internet Hinweise gegeben werden können, wie man Solidaritätsbekundungen für die Bauern am besten praktisch umsetzt. Sie hat ihr Toolkit ins Internet gestellt und wohl auch Greta Thunberg zukommen lassen, die wiederum enorm öffentlichkeitswirksam sich für die Belange der indischen Bauern eingesetzt hat (dies taten auch weitere indische und internationale Größen aus dem Showgeschäft). Außerdem hat sie mit einer exil-indischen Gruppe in Kanada gechattet. Modi reagierte darauf mit Hetzreden auf Wahlveranstaltungen in Assam und Westbengalen. Er sprach von Verleumdung Indiens, internationaler Konspiration gegen Indien, Anstachelung zum Aufruhr. Von Fanatikern wurden Bilder von Greta Thunberg verbrannt und verleumderische Videos ins Netz gestellt. Disha Ravi (aus Bangalore) wurde am 14. Februar 2021 nach Delhi in Untersuchungshaft zur Befragung gebracht. Nach Antrag ihrer Anwälte wurde sie inzwischen (23. Februar) auf Anordnung eines Gerichts in Delhi gegen Kaution aus der Haft entlassen. Die Begründung des Richters ist eine schallende Ohrfeige für Polizei und Staatsanwaltschaft: Die Gründe für die Inhaftierung seien willkürlich, völlig unsubstantiiert.

Vorläufiges Fazit

Unter der BJP-Regierung wurde seit 2014 ein Weg der Verschärfung von Ausbeutung und Unterdrückung beschritten, von Umverteilung zugunsten der Reichen verbunden mit fortwährenden Angriffen gegen demokratische Rechte der Bevölkerung: gegen Arbeiter/Gewerkschaften, gegen Bauern, gegen kritische Studenten, Journalisten, Intellektuelle – verbunden auch mit einer Vertiefung der religiösen Spannung. Während der ersten Legislaturperiode wurde diese hindu-nationalistische, neoliberale Ausrichtung Indiens durch gute Wirtschaftsdaten überdeckt. Als ab 2018/2019 die systemische Wirtschaftskrise in Indien spürbar und durch die ausbrechende Corona-Pandemie verstärkt wurde, spitzte sich die Situation zu. Der erste riesige Generalstreik war im Januar 2020, der zweite im November 2020. Seither hat sich die Situation nicht verbessert, sondern weiter zugespitzt. Der Widerstand von Arbeitern, Bauern und Studenten ist ungebrochen, trotz Spaltungsversuchen der Bauernbewegung, trotz massiver Regierungspropaganda (Hetzreden von Modi und Genossen gegen oppositionelle Kräfte), trotz massiver Repression durch die Polizei.

Auch geopolitische Gesichtspunkte kommen zum Tragen. Die permanente Feindschaft mit Pakistan (Grenzprobleme, Terroristengefahr), der gewaltig hochgespielte Grenzkonflikt mit China (militärische Scharmützel im Himalaya-Bereich), der Anspruch Indiens als führende Regionalmacht im indo-pazifischen Raum werden genutzt, um an den Nationalismus aller Inder zu appellieren.

Die kapitalismus-konformen Oppositionsparteien (INC, TMC, die auf Kastenbasis aufbauenden, früher in Uttar Pradesh dominierenden SP und BSP und weitere) sind erheblich geschwächt

Unter den kommunistischen Parteien sind die CPI(M) und CPI die bedeutendsten. In der Front der Regime-Gegner spielt die CPI(M) als stärkster Partner einer „Einheitsfront“ aus AIFB (All India Forward Block) und RSP (Revolutionary Socialist Party) sowie weiterer linker Parteien eine wichtige Rolle. Diese Left Front-Gruppierungen sind fest in das parlamentarische System integriert; sie arbeiten gelegentlich in „Volksfront“-Konstellationen mit Allianzen von säkularen, nationalistischen, regionalen, sozialdemokratischen Parteien (UPA, Federal Front) zusammen, um die BJP-Regierung in den anstehenden fünf Bundesstaatswahlen (Assam, Westbengalen, Kerala, Tamil Nadu, Puducherry) zu besiegen und langfristig aus der Zentralregierung zu entfernen.

AG Indien: M. Groll, Ernst Herzog, Conny Renkl

Das indische Parteiensystem

Acht registrierte National-Parteien

BJP (Bharatiya Janata Party): hindunationalistische Partei; 1980 gegründet von A.B.Vajpayee, Bhairon Singh Shekawat, Lal Krishna Advani als große nationale „Volkspartei“ in Opposition zur bis dahin dominierenden säkularen „Volkspartei“ INC (Indian National Congress). Direkter Vorgänger war die Janata Party. Chairman der BJP ist der jetzige Innenminister Amit Shah. Die BJP hat ca. 150 Mio. Mitglieder; mit BJP verbunden sind u.a. ABVP (Akhil Bharatiya Vidyarthi Parishad) ein militanter, gewalttätiger Studentenflügel (ca. 3.2 Mio) und Bajrang Dal, ein religiöser, ebenfalls militanter Jugendflügel (ca. 2 Mio); daneben gibt es eine Bauern-Union BKS (Bharatiya Kisan Sangh) (ca. ¼ Mio ) und eine Arbeiter-Union BMS (Bharatiya Mazdoor Sangh) mit ca.17 Mio Mitgliedern. – Die BJP ist der politische Arm des RSS. Die RSS (Rashtriya Swayamsevak Sangh) ist eine rechtsextreme hindu-nationalistische, paramilitärische Freiwilligenorganisation. Sie wurde 1925 gegründet und ist mit 5 bis 6 Mio. Mitgliedern die weltgrößte NGO. Sie ist der Dachverband der RSS „Familie“ (Sangh Parivar), einem Verbund von etwa drei Dutzend hindu-nationalistischen Organisationen.

INC (Indian National Congress): säkulare Partei; 1885 gegründet auf Initiative eines ehemaligen hohen britischen Kolonialbeamten von Vertretern der gebildeten indischen Oberschicht. Der INC entwickelte sich zu einer radikalen nationalen Partei, die die Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft mit friedlichen Mitteln anstrebte. Er wurde zur Vertretung des nicht-militanten Teils des Indian Independence Movement. Frühe führende Mitglieder waren u.a. Mahatma Gandhi, Sardar Patel, Jawarhalal Nehru.

CPI (Communist Party of India): gegr. 1925; Gesamt-Indien

CPI(M) (Communist Party of India (Marxist)): gegr. 1964, Abspaltung von CPI; Gesamt-Indien

All India Trinamool Congress (AITC oder TMC): gegr. 1998; Abspaltung aus INC; anti-kommunistisch; Regierung in Westbengalen

Bahujan Samaj Party (BSP): gegr. 1984; Partei der unteren Kasten; Uttar Pradesh

National People’s Party (NPP): gegr. 2013; Abspaltung aus INC; Meghalaya

Nationalist Congress Party (NCP): gegr. 1999; Abspaltung aus INC; Maharashtra

plus 28 registrierte Bundesstaats-Parteien. Einige sind sehr bedeutend und stellen/stellten Ministerpräsidenten von Bundesstaaten.

Politische Allianzen

NDA (National Democratic Alliance): gegr. 1998; BJP dominiert; JDU, LJP, AIADMK u.a.m.

UPA (United Progressive Alliance): gegr. 2004; INC dominiert; DMK, NCP, RSP u.a.m.

Third Front (seit 2019: Federal Front): gegr. von TMC und TRS, Leitung zusammen mit AAP

Weitere Allianzen: links orientierte „Einheitsfronten”, die regional in Kerala, WestBengal und Tripura besonders stark sind

Left Front (WestBengal): gegr.1977; CPI(M), CPI, AIFB, RSP

Left Front (Tripura): gegr. 1970s; CPI(M), CPI, AIFB, RSP

Left Democratic Front (Kerala): gegr.1979; CPI(M), CPI, JD(Secular), Kerala Congress(M), Kerala Congress(B), u.a.

United Democratic Front (Kerala): gegr.1978; INC, Indian Union Muslim League, Kerala Congress (Joseph), Kerala Congress (Jacob); RSP, AIFB, Communist Marxist Party(John), Bharatiya National Janata Party.

Gewerkschaften, die aktiv an den Streiks teilnehmen (Mitgliederzahlen 2013)

INTUC#: Indian National Trade Union Congress; assoz. mit INC, 33.3 Mio. Mitglieder

AITUC*: All India Trade Union Congress; assoz. mit CPI, 14.2 Mio. Mitglieder

HMS#: Hind Mazdoor Sabha; 9.1 Mio. Mitglieder

CITU[*]: Centre of Indian Trade Unions; assoz. mit CPI(M), 5.7 Mio Mitglieder

AIUTUC: All India United Trade Union Centre; assoz. mit Socialist Unity Centre of India (C), 4.7 Mio. Mitglieder

AICCTU: All India Central Council of Trade Unions; assoz. mit CPI(ML-Liberation), 2.5 Mio. Mitglieder

LPF: Labour Progressive Federation; assoz. mit DMK, 1.9 Mio. Mitglieder

SEWA#: Self-Employed Women’s Association; 1.7 Mio. Mitglieder

TUCC: Trade Union Coordination Centre; assoz. mit AIFP (All India Forward Block), 1940 vom INC abgetrennt (unter S. Ch. Bose); 1.6 Mio Mitglieder

UTUC: United Trade Union Congress; assoz. mit RSP, ca. 0.5 Mio. Mitglieder (2002)

[*] Mitglied in WFTU: World Federation of Trade Unions / WGB: Weltgewerkschaftsbund

# Mitglied in ITUC: International Trade Union Confederation / IGB: Internationaler Gewerkschaftsbund

Bauernorganisationen

AIKSCC (All India Kisan Sangharsh Coordination Committee): Schirmorganisation für die rund 500 Bauernorganisationen (32 in Punjab), darunter die beiden All India Kisan Sabhas (Bauern- und Landarbeiter-Flügel der CPI(M) und der CPI). Auch die Bauern- und Arbeiterflügel der BJP unterstützten die Forderungen der Bauern, nahmen aber an den Protesten nicht teil.

All India Kisan Sabha (AIKS) (36 Canning Lane): ca. 15 Mio. Mitglieder. Bauernflügel der CPI(M)

All India Kisan Sabha (AIKS) (Ajoy Bhavan): Bauernflügel der CPI

Bharatiya Kisan Singh (BKS): ca. 250.000 Mitglieder. Bauernflügel der BJP

1 Erläuterungen in gesonderten Kästen:

2 CAA (Citizenship Amendment Act): Die muslimische Religion ist ein Ausschlussgrund bei der Immigration. Nur wer als Inder mit Aufenthaltserlaubnis seine nicht-muslimische Abstammung nachweisen kann, wird als „legaler“ Inder anerkannt, andere sind „illegale“ Inder. Dies betrifft Millionen von Indern, die nach der Unabhängigkeit in das heutige Indien kamen, in großer Zahl nach Assam. Immigranten aus Afghanistan, Pakistan, Bangladesh, die mit Aufenthaltsgenehmigung in Indien leben, erhalten die indische Staatsbürgerschaft, falls sie Nicht-Muslime sind. Als Muslime gelten sie als „Infiltratoren“ und erhalten keine Staatsbürgerschaft. Ihnen droht Internierungslager und Ausweisung.
NRC (National Register of Citizens): Im NRC werden die indischen Staatsbürger gemäß dem NPR erfasst. NRC wird zur Anwendung von CAA herangezogen. CAA und NRC sind also gekoppelt.
NPR (National Population Register): Das Bevölkerungsregister ist Grundlage des Bevölkerungszensus. Es soll um weitere Fragen zur Herkunft ergänzt werden. Um seine Herkunft nachzuweisen sind i.d.R. Papiere erforderlich, die viele Inder nicht haben oder nicht beschaffen können. Das NPR dient als Basis für das NRC. Damit ist der Teufelskreis geschlossen.

3 Von Meerut ging 1857 der indische Aufstand gegen die Kolonialregierung der British East India Company aus. Nach Niederschlagung des Aufstandes 1858 wurde Indien in eine Kronkolonie und damit von einem privaten in ein staatliches Ausbeutungsobjekt umgewandelt.

4 In Muzaffarnagar hatte es im September 2013 schwere Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Muslimen mit über 50 Toten und über 50.000 vertriebenen Muslimen gegeben. Die Muslime wurden damals in Notcamps untergebracht und mussten dort unter widrigen Verhältnissen überwintern. Z.gr.T. wagten sie sich nach Ende der Pogrome und Brandschatzungen nicht mehr in ihre alte Umgebung zurück.

5 Begriff für Ureinwohner in Indien.

6 Solche Vorgehensweise hatte 1967 in Westbengalen zu Aufständen geführt, aus denen die Naxalitenbewegung hervorging. Damals spaltete sich – unter Berufung auf Ideen Mao Zedongs – der militant-revolutionäre Flügel der CPI(M) ab und führte die Bauern und Adivasis in ihrem Kampf gegen den indischen Staat. Der Kampf hatte seinen Ausgangspunkt in Naxalbari genommen, einem Dorf in West Bengalen/Darjeeling District. Diese Parteiabspaltung, CPI(ML), wurde deshalb unter dem Namen Naxaliten bekannt. Bis Anfang der 2000er Jahren konnten die Naxaliten große Teile des ländlichen Raums von NO bis SO Indien unter ihre Kontrolle bringen. Ministerpräsident Manmohan Singh (2004-2014) bezeichnete sie als größte Bedrohung für Indiens Sicherheit. Sie wurden mit riesigem polizeilichem, paramilitärischem und militärischem Aufwand bekämpft (Operation Green Hunt) und sind heute auf waldreiche Bezirke zurückgedrängt.

7 Bereits 2015, in der ersten Legislatur der Modi-Regierung, wurden Angriffe auf Arbeitsrechte gestartet. Gegen die entsprechenden Gesetzentwürfe gab es am 2. September 2015 einen großen Streik, an dem auch der Gewerkschaftsflügel BMS der BJP beteiligt war. Einige „Reform“vorschläge wurden darauf von der Regierung (vorläufig) zurückgezogen.

8 Übersetzung: Ernst Herzog und Cornelius Renkl, s. auch Rotfuchs, Februar 2021.

9 Kornkammer Indiens, Landwirtschaft mit Bewässerungssystemen seit mehr als 7.000 Jahren; vorwiegend Weizenanbau, hier sind in der Regel zwei Ernten im Jahr möglich, einmal Weizen und einmal Reis auf denselben Feldern, aufgrund der Flüsse, die reich an Mineralien aus dem Himalaya kommen; ein Hektar Land wird dort mit bis zu 200.000 € gehandelt; knapp 60 % der Bevölkerung sind Sikhs.

10 Anti-Aufruhrparagraf: Treffen von mehr als 4 Personen wird als Straftat des Aufruhrs verfolgt; wurde während der Kolonialzeit von den Briten gegen Mitglieder des Indian Independence Movement angewandt.

11 Gehören zum größten privaten Konzern Indiens.

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