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Für Dialektik in Organisationsfragen

Equal Pay –

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH)

Ein wegen Equal Pay geführter Prozess hat dazu gesorgt, dass das Bundesarbeitsgericht BAG im Dezember 2020 (Pressemitteilung Nr. 48/20 „Vergütung von Leiharbeitnehmern“) den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg eingeschaltet hat. Er soll entscheiden, ob die in der BRD von den Gewerkschaften mit den Arbeitskraftdealern, den sogenannten „Sklavenhändlern“, geschlossenen Tarifverträge gegen Festlegungen in der europäischen Leiharbeitsrichtlinie verstoßen (siehe unten – Das BAG an den EuGH). Hierbei geht es um den systematischen Lohnbetrug an den Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern. In vielen Ausgaben der KAZ haben wir immer wieder über das Lohndumping durch Tarifverträge berichtet. Die Möglichkeit der „Sozialpartner“, vom Gesetz abweichende Regelungen zu vereinbaren und damit gesetzliche Mindestansprüche – wie Equal Pay nach dem AÜG, dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz – zu unterlaufen. Was das angeht – gesetzliche Mindestansprüche zu unterlaufen statt zu verteidigen –, hat es abgesehen von den christlichen Gewerkschaften ausgerechnet die DGB-Tarifgemeinschaft Leiharbeit (Zusammenschluss der Einzelgewerkschaften) geschafft, vor allem den Autokapitalisten Milliarden an Lohnkosten zu sparen. Milliarden Euros, die dem in der BRD von Leiharbeit gebeutelten Teil der Lohnabhängigen in den Haushaltskassen, für die Urlaubs-, Kranken- und Arbeitslosengeld sowie für die Rentenberechnung usw. fehlen. Im Frühjahr 2017 hat die ZDF-Satire-Sendung „Die Anstalt“ die gegen die eigenen Klasseninteressen gerichtete Praxis der Gewerkschaftsführungen aufgegriffen. Viele werden sich noch erinnern. Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter wurden dabei aufgefordert, sich einer spendenfinanzierten Kampagne anzuschließen. Angeführt von Arbeitsrecht-Professor Wolfgang Däubler (Uni Bremen) und der Internetplattform Labournet sollten sie gegen Lohndumping und Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz klagen. Prozess-Ziel von Arbeitsrechtler Däubler war bzw. ist hierbei die Klärung, wie die Formulierung „Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ in der EU-Richtlinie auszulegen ist.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) an den Europäischen Gerichtshof (EuGH)

„Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104/EG sieht vor, dass die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen entsprechen müssen, die für sie gelten würden, wenn sie von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären (Grundsatz der Gleichbehandlung). Allerdings gestattet Art. 5 Abs. 3 der genannten Richtlinie den Mitgliedsstaaten, den Sozialpartnern die Möglichkeit einzuräumen, Tarifverträge zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern beim Arbeitsentgelt und den sonstigen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen vom Grundsatz der Gleichbehandlung abweichen. Eine Definition des „Gesamtschutzes“ enthält die Richtlinie nicht, sein Inhalt und die Voraussetzungen für seine „Achtung“ sind im Schrifttum umstritten. Zur Klärung der im Zusammenhang mit der von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/104/EG verlangten Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern aufgeworfenen Fragen* hat der Senat entsprechend seiner Verpflichtung aus Art. 267 AEUV den Gerichtshof der Europäischen Union um eine Vorabentscheidung ersucht.“

Die Kampagne läuft nach wie vor und es sind – wie es im Juristendeutsch heißt – noch mehrere Prozesse anhängig. Im Labournet schildert Däubler, dass es jahrelang gedauert hat, bis überhaupt 3 Prozesse beim Bundesarbeitsgericht gelandet sind und was notwendig ist, um den EuGH einzuspannen: „Nach geltendem EU-Recht muss ein oberstes Bundesgericht vorlegen, wenn es bei der Entscheidung im konkreten Fall auf die Auslegung einer Richtlinie ankommt – und das ist bei den Leiharbeitern der Fall. Eigentlich eine klare Sache, aber den Unternehmen tut´s weh, wenn man die Leiharbeiter genauso wie die Stammbeschäftigten bezahlen muss Also zögert man ein wenig und überlegt ganz genau, ob man wirklich vorlegen muss oder nicht. Die Vorinstanzen – etwa das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg und das Landesarbeitsgericht Nürnberg – hätten zwar vorlegen können, machten davon aber keinen Gebrauch. Irgendwie ist für manche Gerichte das EU-Recht immer noch eine etwas fremde Materie, die man nur anrührt, wenn es unbedingt sein muss ...“ Die etwas „fremde Materie“, die die Arbeitsrichter, die Klassenjustiz nicht unbedingt anrühren, aber im Kopf haben, sind die Interessen des Monopolkapitals, des deutschen Imperialismus. Der gibt in Europa auch in der Frage der Verabschiedung von Richtlinien den Ton an. Vor allen Dingen, wenn es darum geht, damit andere europäische Länder, die Konkurrenten, unter Druck zu setzen. Dabei ist die BRD-Regierung das Vorbild für die Nichtumsetzung und Nicht-Anwendung von mit beschlossenen und z. T. selbst veranlassten Richtlinien. Die von der EU geforderte korrekte Erfassung der Arbeitszeiten ist dafür nur ein Beispiel und nach wie vor Angriffsziel des Kapitals. Da passt es natürlich ebenso wenig in die BRD-Praxis, wenn die EU-Richtlinie zur Leiharbeit Equal Pay vorschreibt und der EuGH das auch noch bestätigen soll. Im Labournet gibt es eine ausführliche Schilderung der bisher im Rahmen der Kampagne geführten Arbeitsgerichtsprozesse. Sie sind mit unterschiedlichen Ergebnissen – verloren/gewonnen – durch außergerichtliche Einigung oder auch durch sogenannte Anerkennungsurteile ausgegangen. Bei letzteren hat der Arbeitskraft-Dealer den Lohnanspruch anerkannt und gezahlt. In allen Fällen mussten und müssen sich Klagen gegen die von der DGB-Tarifgemeinschaft Leiharbeit abgeschlossenen Tarifverträge richten. Für Gewerkschaftsmitglieder heißt das, sie versuchen den Lohn vor dem Arbeitsgericht einzuklagen, den ihre Gewerkschaft ihnen durch Tarifabschluss aberkennt. Dem o. g. BAG-Beschluss an den EuGH liegt ein solcher Vorgang zugrunde. Eine ver.di-Kollegin – eine Zeitlang als Leiharbeiterin im Einzelhandel für 9,23 Euro brutto die Stunde beschäftigt – klagt mit Rechtsschutz von ver.di den Differenzbetrag zu 13,64 € brutto Tariflohn der vergleichbaren Stammarbeiter ein (DGB-Rechtsschutz gegen DGB-Tarifvertrag). Ob sie ihren Prozess gewinnt, steht noch nicht fest. In jedem Fall muss sie noch etwas auf eine evtl. Nachzahlung warten. Arbeitsrechtler Däubler stellt dazu fest: Allerdings wird man eine Entscheidung aus Luxemburg erst in ca. eineinhalb Jahren bekommen. Die Verfahren brauchen ihre Zeit ... Aber für Richter mit einem anderen als einem deutschen Hintergrund erscheint unsere Regelung im Zweifel etwas verwunderlich: In Polen z.B gilt Equal Pay generell und ohne Abweichungsmöglichkeit, in Frankreich bekommt ein Leiharbeiter kraft Gesetzes einen Zuschlag von 10 %, weil er sich ja immer wieder auf neue Anforderungen einstellen muss. Was in dem Zusammenhang die EU-Richtlinie angeht, darf niemand im Lager der Lohnabhängigen davon ausgehen, dass sie etwas Fortschrittliches wäre. Im Gegenteil. Mit Sozialpartnern, Arbeitgebern, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern rauf und runter gespickt, liest sie sich, wie die mit „deutschem Hintergrund“ geschriebene Verordnung, die den EU-Ländern die generelle Einführung und Stabilisierung der Arbeitskraft-Dealerei diktiert. Dabei ist es dann möglich, über Euro-Richtlinien durchzusetzen, was z. B. in der BRD nicht im AÜG steht. Die Verfasser hatten dabei vielleicht auch Anträge und Diskussionen nach Verboten der Leiharbeit aus den Gewerkschaften im Kopf und wollten vorsorgen. In Artikel 4 der Richtlinie heißt es: „Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit sind nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt; hierzu zählen vor allem der Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhindern.“ Nehmen wir den Schutz ernst, den die Richtlinie hier „vor allem für die Leiharbeitnehmer“ fordert, dann ist die Leiharbeit auf der Stelle zu verbieten. An sich ein Richtlinien-Artikel, den fortschrittliche und kämpferische Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter gemeinsam mit den von Leiharbeit Betroffenen aufgreifen und für die Diskussion in den Gewerkschaften nutzen können. Argumente und Beweise zur Ungleichbehandlung, zu Schikanen, Willkür, zum einfach nach Hause schicken, zur Entrechtung und v. a. sind gesammelt und aktenkundig. Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter werden damit fürs „reibungslose Funktionieren“ im Job-Center auf dem Arbeitsmarkt zugerichtet. Dabei wird in der Regel alles unter die Füße getreten, was irgendwo von Schutz oder „Gesamtschutz“ der Leiharbeiter steht. Die gegen das jahrelange Lohn-Dumping geführten Prozesse sind dafür zusätzlicher Beweis. Von einem Allgemeininteresse der Leiharbeit kann dabei keine Rede sein.

Die Konsequenz daraus kann nur heißen, der Kampf um ein Verbot der Leiharbeit muss in Betrieben und Gewerkschaften weitergeführt werden. Sie ist und bleibt ein Instrument des Kapitals, die zur Durchsetzung von Profitzielen gezielte gesetzliche Diskriminierung und Entrechtung eines Teils unserer Klasse. Was ebenso für die Europäische Leiharbeitsrichtlinie gilt, die dieses Instrument allen Lohnabhängigen in den EU-Mitgliedsstaaten verordnet.

Dort heißt es in Artikel 2 : „Ziel dieser Richtlinie ist es, für den Schutz der Leiharbeitnehmer zu sorgen und die Qualität der Leiharbeit zu verbessern, indem die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern gemäß Artikel 5 gesichert wird und die Leiharbeitsunternehmen als Arbeitgeber anerkannt werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass ein angemessener Rahmen für den Einsatz von Leiharbeitern festgelegt werden muss, um wirksam zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung flexibler Arbeitsformen beizutragen.“

Ludwig Jost

DGB-Rechtsschutz gegen DGB Tarifvertrag

Auszug aus der Stellungnahme der DGB-Rechtsschutz GmbH im Verfahren der im Artikel erwähnten ver.di-Kollegin vor dem Bundesarbeitsgericht: „Im Unterschied zur eigentlichen Funktion des Tarifvertrages, den Schutz der Arbeitnehmer zu gewährleisten und gegebenenfalls zu verbessern, dient ein Tarifvertrag im Bereich des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zur Verschlechterung der gesetzlichen Arbeitsvertragsbedingungen, denn nur bei der Geltung eines entsprechenden Tarifvertrages kann der Verleiher dem überlassenen Arbeitnehmer während seines Einsatzes ungünstigere Arbeitsbedingungen gewähren als die eines vergleichbaren Arbeitnehmers im Einsatzbetrieb. (…) Da nach dem Willen des Gesetzgebers die wesentlichen Arbeitsbedingungen im Rahmen tariflicher Regelungen unterschritten werden können, liegt von dieser Zielsetzung her der Gesetzgebung der Versuch der gezielten Diskriminierung der Leiharbeitnehmer zugrunde, der mit Art. 5 RL 2008/104/EG unvereinbar ist …” (Die vollständige Klageschrift liegt dem Labournet vor)

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