KAZ
Lade Inhalt

1987: Es ist unübersehbar geworden, daß die Direktion von Forges de Clabecq das Stahlwerk systematisch herunterwirtschaftet. Gleichzeitig werden den Arbeitern ständig neue Zugeständnisse bei Löhnen und Arbeitsbedingungen zugemutet. Die Gewerkschaftsdelegation dringt auf notwendige Neuinvestitionen - auch aus Gründen der Arbeitssicherheit - aber die offensichtliche Mißwirtschaft geht weiter.

1992: Im September legt Stahlbaron Dessy einen Umstrukturierungsplan vor, der die Reduzierung der Belegschaft von 2100 auf ca. 900 Mann vorsieht, sowie eine Kürzung des Lohns und der Jahresendprämie um 10% und eine dreijährige Kürzung des 13. Monatseinkommens - ohne allerdings Aussagen zur Zukunft der Stahlproduktion in Clabecq zu machen.

D’Orazio: „Wir konnten keiner Politik zustimmen, die nichts anderes zu bieten hatte als Lohnsenkungen und perspektivlose Umstrukturierungen. Unser Stahl war von sehr hoher Qualität, aber es gab neue Technologien auf dem Markt und es mußten entsprechende Investitionen her. (...) In dieser Zeit saßen einige Parteien und Gewerkschaften - ohne uns - zusammen, um eine Abmachung für das Werk zu treffen. Wir waren sicher, dabei auf einem toten Gleis zu sitzen ...“*

Nach einer Demonstration mit 5.000 Teilnehmern im nahegelegenen Tubize, einer 24stündigen Belegschaftsversammlung im Oktober und einer Umfrage unter der Belegschaft Anfang November, bei der 89% den „Plan Dessy“ ablehnen, wird am 5. November 1992 der Streik ausgerufen. Obwohl die Kapitalseite alles versucht (u.a. mit einem Demoralisierungsvideo, das an alle Arbeiterhaushalte verschickt wird) den Streik zu brechen, organisieren die Kollegen von Forges Aktion auf Aktion, stimmen am 12. November für die Weiterführung des Streiks und schließen ihn am 23. November mit einem ersten Erfolg ab: die geplanten Entlassungen und damit der Beginn der Liquidierung des Betriebes sind abgewehrt. Allerdings nimmt die Belegschaft eine 10%ige Lohnkürzung unter der Bedingung hin, daß diese als Darlehen an die Firma gilt und spätestens im Juli 1995 zurückgezahlt wird.

24. Januar 1996: Die privaten Aktionäre steigen aus Forges de Clabecq aus.

3. Februar 1996: Auf diesen Schock hin folgen dem Aufruf der Gewerkschaftsdelegation 10.000 Personen zu einer Demonstration nach Tubize. Ihre zentrale Forderung: Erhalt der Arbeitsplätze bei Forges.

7. Juni 1996: Die Belegschaft von Forges legt für eine Woche die Arbeit nieder und geht auf die Straße. Diesmal in der Provinzhauptstadt Namur. Während ihre Gewerkschaftsdelegierten von der wallonischen Regierung empfangen werden, tritt den in der Stadt ankommenden Arbeitern provokativ ein Großaufgebot der Gendarmerie mit Wasserwerfern, Tränengasgranaten und Schlagstöcken entgegen. Die hatte jedoch nicht mit der Kampfbereitschaft der Stahlwerker gerechnet und so kommt es zu harten Auseinandersetzungen.

Zur „Beruhigung“ der angespannten Situation bietet die Regierung Walloniens in den folgenden Monaten öffentliche Finanzmittel zur Rettung des Stahlwerks an, was jedoch von der EU-Kommission als nicht zulässig untersagt wird. Daraufhin melden die Forges de Clabecq am 18. Dezember 1996 den Konkurs an.

20. Dezember 1996: Bei einer weiteren Demonstration in Tubize gegen die Vernichtung ihrer Arbeitsplätze lassen die Forges-Arbeiter ihre Wut an den (Scheiben der) Banken aus. Diese hatten sich - wie jeder wußte - seit Jahren geweigert, für den Erhalt des Werkes notwendige Kredite bereit zu stellen.

In dieser Zeit geht Minister Flauhaut von der Sozialistischen Partei (PS) mit dem zynischen Vorschlag an die Öffentlichkeit „...um Arbeitsplätze für die Region zu schaffen...“, alternativ auf dem Gelände des Stahlwerkes ein Gefängnis zu errichten.

3. Januar 1997: Das Handelsgericht von Nivelles erklärt den Konkurs für Forges de Clabecq. Vier dafür eingestellte Konkursverwalter sollen zuerst alle Arbeiter entlassen und danach mit der Neueinstellung von einem Teil der alten Belegschaft auf der Basis von Zeitverträgen beginnen. Das ist jedoch für die Clabecq-Arbeiter unannehmbar, weil so die noch offenen Aufträge abgearbeitet werden sollen und danach das endgültige Aus für den Betrieb auf der Tagesordnung stünde. Ihre Forderung dagegen: „5 Milliarden Franken (250 Mio. DM) von Dessy und den Banken, damit bei Forges weiterproduziert werden kann.“

Ein Arbeiter, Giovanni, bemerkt dazu:

„Wir haben 30 Jahre lang unser Leben für diese Fabrik geopfert, wir haben rund um die Uhr gearbeitet und waren in der Regel nur einen Sonntag im Monat zu Hause. Wir haben ein Sklavenleben geführt und jetzt, wenn die Zitrone völlig ausgepreßt ist, schmeißen sie uns weg. Niemals!“ (Solidair 30, 8/97)

Der Kampf der Belegschaft tritt in eine neue Phase. Da sie nicht bereit ist, sich mit der kapitalistischen Lösung der Rentabilitätsfrage – „Keine Arbeitsplätze ... keine Löhne“ – abzufinden, steht ihr jetzt nicht mehr nur das Bündnis aus Kapital und herrschender Politik gegenüber, sondern eben auch noch die Konkursverwalter und - die Gewerkschaftsführung. Darüberhinaus tritt die bewaffnete Staatsmacht verstärkt in Erscheinung. So hält z.B. die Gendarmerie während jeder Belegschaftsversammlung im Werk (!) 2.000 Mann in Bereitschaft, um die Arbeiter sofort angreifen zu können, sollten sie wieder versuchen, ihren Protest auf die Straße zu tragen.

Den ganzen Januar werden von den Konkursverwaltern und der Provinzregierung verschiedene „Angebote“ unterbreitet, die alle darauf hinaus laufen, mit Hilfe lächerlicher Finanzspritzen den Betrieb mit erheblich reduzierter Belegschaft wieder in Gang zu setzen. Doch auch diese Versuche scheitern an der starren Haltung der Banken.

2. Februar 1997: Nachdem die Gewerkschaftsdelegation von Forges 600 Arbeiter mit Bussen in alle Teile des Landes geschickt und mit 150 000 Aufrufen mobilisiert hat, gehen in der bislang eindrucksvollsten Demonstration 70 000 Menschen in Tubize in einem „Marsch für Arbeit“ auf die Straße.

7. Februar 1997: Konkursverwalter Zenner fängt sich von erbosten Clabecq-Arbeitern öffentlich ein paar Ohrfeigen ein: er ist verantwortlich dafür, daß seit der Konkursbekanntgabe von seiten des Betriebes keinerlei Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Arbeitern und ihren Familien mehr nachgekommen worden ist.

Der Vorfall wird in der bürgerlichen Presse des Landes ungeheuer aufgebauscht und muß dann später als eine Begründung für den Anklagepunkt „Körperverletzung“ im Clabecq-Prozeß herhalten. Außerdem bietet er einen willkommenen Anlaß, die Unbeugsamen aus Clabecq mehr und mehr in die Schublade „gewalttätige Kriminelle und Terroristen“ einzuordnen.

18. Februar 1997: Nach ständig wechselnder Hinhaltetaktik der wallonischen Regierung in bezug auf mögliche Sanierungsmaßnahmen beschließen die Arbeiter von Forges, für den 5. April einen „Marsch gegen die Lügner“ am Sitz der Regierung in Namur zu organisieren.

27. Februar 1997: Renault gibt die Schließung seines Werkes in Vilvoorde (Brüssel) bekannt. Das Entsetzen über den angedrohten Verlust von 3.000 Arbeitsplätzen (diesmal im flämischen Teil des Landes) ist um so größer, als die Konzernleitung erst noch vor kurzem mit der Investition von Millionenbeträgen in das belgische Renaultwerk aufgetrumpft hatte.

Noch am gleichen Abend gehen die Renault-Arbeiter in Vilvoorde auf die Straße.

Das ist der Beginn eines fünfmonatigen harten Kampfes, in dem Millionen Arbeiter in Belgien und ganz Europa „denen von Vilvoorde“ ihre Sympathie und Solidarität erweisen. So z.B. als die mit mehreren hundert Mann nach Frankreich zu ihren Renault-Kollegen fahren, um dort gemeinsam - natürlich während der Arbeitszeit - gegen die Schließung des belgischen Werksteils zu protestieren. Damit bekommt ein Arbeitskampf in einem europäischen Land zum ersten Mal eine grenzüberschreitende, eine internationalistische Dimension. Er ist aus der Einsicht geboren, daß alle Opfer, die die Belegschaft in der Vergangenheit gebracht hatte (z.B. die Hinnahme des 9-Stunden-Tages 1993) umsonst gewesen waren und, daß das Kapital hier, allein seiner Umsatz- und Profitlogik folgend, eine hochmoderne Fabrik stillegen will.

Daß der Kampf bei Renault, - organisiert von dem betrieblichen Komitee „Renault Open“ („Renault bleibt offen“) -, nicht zur Erhaltung des Betriebes in Vilvoorde führt, ist einigen sozialdemokratischen Gewerkschaftsführern zu verdanken, denen es gelang, das Vertrauen der Arbeiter in sie zur Sabotage ihres Kampfes zu mißbrauchen und vor allem die Bildung einer landesweiten Streikfront aller Automobilarbeiter gegen Arbeitsplatzvernichtung und Stillegungen zu verhindern. Daß sie trotz der Niederlage eine Menge über den Klassencharakter und die Brutalität des kapitalistischen Systems gelernt und die Einsicht gewonnen haben, daß sie immer aufs neue um Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen kämpfen müssen, das haben zahlreiche Renault-Kollegen öffentlich ausgesprochen. Einer von ihnen, Stan van Hulle, 24 Jahre Arbeiter bei Renault, Gewerkschaftsmitglied, Kommunist, Mitglied der Partei der Arbeit Belgiens (PTB) und Streikführer wird im August 1997 aus der Gewerkschaft FGTB ausgeschlossen, weil den sozialdemokratischen Funktionären dieser Klassenkämpfer, der dafür gesorgt hat, daß die Kollegen von Forges und Renault in einer Front kämpfen, gefährlich geworden ist. Heute unterstützt er die „13 von Clabecq“ in ihrer Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Justiz und ist aktiv bei der Verbreiterung der „Bewegung für die Erneuerung der Gewerkschaften“ (MRS).

2. März 1997: In den Straßen von Tubize demonstrieren mehrere tausend Frauen und Kinder ihre Solidarität mit dem Kampf der Arbeiter von Clabecq.

Am darauffolgenden Tag treffen in Brüssel über tausend Clabecq-Arbeiter mit ihren Kollegen von Renault zu einer gemeinsamen Demonstration gegen die Werksschließungen zusammen.

28. März 1997: Drei Monate, nachdem bei Forges kein Stahl mehr produziert wird, ist die Situation noch immer vollkommen festgefahren. Die Belegschaft läßt schon deshalb nicht locker, weil die finanzielle Situation für viele Familien immer bedrohlicher wird. Auf der Belegschaftsversammlung an diesem Tag beschließen die Stahlarbeiter als weithin sichtbares Zeichen ihres Protestes eine Blockade der Autobahn Brüssel-Paris bei Wauthier-Braine durchzuführen. Trotz behördlicher Genehmigung geht bei Ankunft der Demonstranten, die von Arbeitern mit Bulldozern angeführt werden, die Gedarmerie sofort zum Angriff über. Auf diese Provokation hin kämpfen sich die Arbeiter zum ersten Mal mit schwerem Gerät das Demonstrationsrecht auf der Straße frei. Die Bilder von Gendarmerie-LKWs, die samt Mannschaft von Bulldozern „entsorgt“ werden, sind europaweit im Fernsehen zu bestaunen.

An der Aktion nehmen auch einige Renault-Arbeiter teil, (die selbst schon das Mittel der Autobahnblockade eingesetzt hatten), getreu ihrer Losung: „Renault - Clabecq, ein Kampf“.

Silvio Marra, Ex-Delegierter von Forges und einer der Beschuldigten im Clabecq-Prozeß berichtet:

Ende Dezember 97 wurde die Belegschaft von Forges auf die Straße gesetzt. Drei Monate später, am 20. März 1998, war noch immer keine wirtschaftliche oder soziale Lösung in Sicht. Wir hatten eine Demonstration mit 70.000 Leuten organisiert, aber es kam keine Antwort aus Politik und Wirtschaft. Daraufhin beschlossen wir einige Aktionen.

An erster Stelle stand die Demonstration auf der Autobahn, die mit den Gewerkschaftsverantwortlichen abgesprochen und vom zuständigen Bürgermeister genehmigt worden war. Auch die Polizei (BOB)[1] von Nivelles war benachrichtigt. (...) Wir hatten mit dem Chef der BOB eine zweistündige Demonstration verabredet. (...) Morgens, auf einer Belegschaftsversammlung, war einstimmig durch Handaufheben beschlossen worden zur Autobahn zu ziehen. Als wir dort ankamen, sah ich von überall schreiende Gendarmerie in voller Ausrüstung auf uns zustürmen. Ich versuchte zunächst Zusammenstöße zu vermeiden und zu verhandeln. Während ich mit einem Gedarmerie-Kommissar über unsere Demonstrationserlaubnis diskutierte, griffen die anderen uns mit Wasserwerfern, Tränengas und Pfefferspray an. Das ließen sich unsere Leute natürlich nicht gefallen. Ihre Wut war riesig.“ (Solidair 12, 3/99)

Die Bilanz dieser Aktion (der inzwischen bereits ein ganzer Prozeßtag in Nivelles gewidmet war): 6 LKWs zerstört, 2 Wasserwerfer beschädigt, div. Gendarmen entwaffnet...

4. April 1997: Erneut weisen Arbeiter von Clabecq, Renault und anderen Betrieben in Brüssel mit Nachdruck auf ihre gemeinsamen Interessen hin.

3. April 1997: Der schon lange geplante „Marsch gegen die Lügner“ bringt in Namur 15.000 Menschen auf die Straße.

18. April 1997: Die wallonische Regierung gibt die Kandidatur der italienisch-schweizerischen Kapitalgruppe Duferco für die Übernahme von Forges bekannt. Auf einer Belegschaftsversammlung am 24. April verweigern die Arbeiter durch Handaufheben die Annahme eines Vertrags, der im Auftrag von Duferco von vier Ministern und einigen Gewerkschaftssekretären - ohne Beteiligung der Gewerkschaftsdelegation - ausgearbeitet worden ist. Dabei geht es unter anderem darum, daß die Belegschaft im Betrieb gelagerte Stahlplatten zum Verkauf freigibt, um so Schulden von Forges an die Banken zurückzahlen zu können. Für die Belegschaft sollen dabei auch einige Krümel abfallen - statt den 6 Milliarden Franken (300 Mio. DM), die ihnen noch zustehen für nichtgezahlte 13. Monatseinkommen und die vorgeschossene 10% Lohnkürzung von 1996. Außerdem sieht der Plan vor, die Arbeits- und Aktionsmöglichkeiten der Gewerkschaftsdelegierten im Betrieb erheblich einzuschränken. Ein offener Angriff auf die Einheit der Belegschaft und ihre gewerkschaftliche Führung.

Aber die wütende Ablehnung der 1200 versammelten Kollegen ist einstimmig. Ihre Forderung in dieser Situation: „Keine Demontage des Betriebes!“

Derartige demokratische Entscheidungen von Arbeitern passen allerdings nicht in die politische Landschaft. Deshalb versucht die wallonische Regierung die Belegschaft durch Ansetzen eines offiziellen Referendums zu erpressen. Nach dem Motto: Wenn ihr jetzt nicht zustimmt, ist die letzte Chance für Forges vertan.

6. Mai 1997: 55,7% der am Referendum teilnehmenden Belegschaftsmitglieder lehnen erneut den Plan ab. Der Aufschrei in den bürgerlichen Medien über die „Unnachgiebigkeit“ derer von Clabecq ist gewaltig.

Erneut marschiert die kampferprobte Stahlwerksmannschaft in die Landeshauptstadt nach Brüssel. Diesmal zum Sitz der Zentrale ihrer Gewerkschaft FGTB, die aufgefordert wird, endlich ihre Möglichkeiten für die Durchsetzung einer akzeptablen Lösung in die Waagschale zu werfen.

12. Juni 1997: Die Hartnäckigkeit der Kollegen hat eine greifbare Folge: die wallonische Regierung akzeptiert, bei einer Minderheitsbeteiligung ihrerseits, die Übernahme des Betriebes durch die Duferco-Gruppe.

2. Juli 1997: Duferco, die wallonische Regierung und die Gewerkschaftsführung erarbeiten einen „sozialen Rahmenplan“ für den „neuen“ Betrieb und setzen ein Referendum darüber an. Der regionale Sekretär der Metallarbeitergewerkschaft CMB im FGTB lehnt dessen Durchführung jedoch vor September ab, weil bis dahin zahlreiche Kollegen Urlaub haben. Dessen ungeachtet stimmt der FGTB-Vorsitzende - begleitet von der Drohung des Duferco-Kapitals, den Betrieb andernfalls nicht zu übernehmen - einer sofortigen Abstimmung zu, und zwar per Post.

So unter Druck gesetzt, unter dem Damoklesschwert der Erwerbslosigkeit und der Angst, doch noch alles zu verlieren, stimmen 95% der teilnehmenden Belegschaftsmitglieder für den Vertrag.

Politiker und Medien jubeln und beschimpfen - hämisch den Daumen nach unten - die Gewerkschaftsdelegierten, die Anführer der Kämpfe um das Stahlwerk von Clabecq. Von den Sozialdemokraten bis zu den Christlichen ergehen sich die Politiker in Lobgesängen auf die Demokratie, die gegen die von Clabecq gesiegt habe. Als ob es nicht deren Zähigkeit und Überzeugungskraft zu danken gewesen ist, daß - trotz Konkurserklärung - wenigstens die Hälfte der Arbeitsplätze gerettet werden konnte. Die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer versuchen sich selbst den Erfolg an die Brust zu heften, obwohl sie alles getan haben, um ihre Linie der Unterwerfung unter die „Notwendigkeiten des Marktes und der Wettbewerbsfähigkeit“ durchzusetzen. Und jetzt gehen sie gegen diese ihre Gewerkschaftsmitglieder vor, damit wieder „normale Verhältnisse in die Gewerkschaft einkehren.“

Und die Medien singen dazu das Lied: „Es ist vorbei mit Renault und Clabecq. Der Terror der Delegierten hat jetzt keinen Boden mehr, die Arbeiter sind schließlich doch vernünftig geworden und haben für die Wiederaufnahme der Arbeit bei Duferco gestimmt...“

Die Wahrheit ist, daß viele Kollegen von Forges nur mit schwerem Herzen und leerem Magen abgestimmt haben. Ein Delegierter kommentiert das Ergebnis so:

„Die Arbeiter sitzen in der Klemme. Sie müssen Schulden zurückzahlen und haben große finanzielle Probleme. Sie halten den Kopf nur mit Mühen über Wasser. Und dann wird ihnen auf einmal ein Seil hingeworfen. An dessen Ende ist allerdings ganz und gar nichts. Aber, wenn du in Gefahr bist zu ertrinken, greifst du nach dem Ende, um dich vielleicht doch über Wasser halten zu können. Deshalb haben die Kollegen gesagt: laß uns für die Wiedereröffnung stimmen, dann haben wir wenigstens etwas.“ (Solidair 30, 8/97)

6. August 1997: Die AG Duferco Clabecq wird gegründet.

20. September 1997: Auf einer Versammlung in Tubize - die ausdrücklich vom Gewerkschaftsvorsitzenden der Metallarbeitergewerkschaft CMB in einem Brief als „verboten“ erklärt worden war - ziehen D’Orazio, seine Mitkämpfer und 900 Arbeiter ein Resümee des Kampfes um „ihr“ Stahlwerk. Trotz der haßerfüllten Kampagne in Zeitungen und Fernsehen wird die Aussprache zu einem Vertrauensbeweis für die Gewerkschaftsdelegation und zu einem Gewinn für die „Bewegung zur Erneuerung der Gewerkschaft“ (MRS).

15. November 1997: Die zuständigen Gewerkschaftsführer und die Direktion von Duferco unterschreiben den Vertrag, der der zukünftigen Belegschaft um 15% niedrigere Löhne als vor der Schließung des Betriebes zumutet, die Arbeitszeiten und Arbeitsrythmen verschlechtert, die Bedingungen nur noch befristeter Arbeitsverträge festlegt und die Einhaltung des „sozialen Friedens“ für die Dauer von 5 Jahren verlangt. Außerdem dürfen die Gewerkschaftsdelegierten von Clabecq bei Androhung einer Strafe von 25 000 Franken (1250 DM) pro Tag und Person den Betrieb nicht mehr betreten. Damit ist jeder Schutz vor unternehmerischer Willkür, den Gewerkschaftsdelegierte normalerweise genießen, zunichte gemacht. Die Jagd ist eröffnet.

28. November 1997: Die Delegation von Forges gewinnt den von ihr angestrengten Prozeß gegen die Zwangssummen, die jedem von ihnen auferlegt werden sollten, der den Betrieb noch einmal betritt. Die Leitung des FGTB gibt dieses selbst von ihr als sehr bedeutend eingeschätzte Urteil innerhalb der Gewerkschaft ohne die Nennung der Namen der Prozeßbeteiligten - D’Orazio und 21 Gewerkschaftsdelegierte von Clabecq gegen die Konkursverwalter - bekannt. Ein Hinweis darauf, daß diese famosen Gewerkschaftsführer schon zu diesem Zeitpunkt den Ausschluß der Clabecq-Delegation planen.

2. Dezember 1997: Die ersten Arbeiter werden wieder eingestellt. Aufgrund einer der Duferco-Direktion von der Führung der Gewerkschaft CSC (Christlicher Gewerkschaftsbund, ebenfalls bei Clabecq vertreten) zur Verfügung gestellten „Schwarzen Liste“ werden von der Neueinstellung alle Mitglieder der ehemaligen Gewerkschaftsdelegation ausgeschlossen, sowie Arbeiter, die in vorderster Reihe an den Kämpfen teilgenommen haben, solche, die durch einen Arbeitsunfall bleibende Schäden erlitten haben oder lange krank waren, ältere Kollegen...

Schon einige Zeit vorher hatte der Vertreter von Duferco, Grosso, dem Wortführer der Gewerkschaftsdelegation von Clabecq, D’Orazio, folgendes anvertraut: „Gestern noch habe ich die Bankiers getroffen und die haben mir gesagt, daß, wenn ich einen von der Gewerkschaftsdelegation von D’Orazio einstelle, sie kein Geld geben werden.“ (Solidair 30, 8/97)

Für diesen kapitalistischen „Retter“ war es auch nichts Ungewöhnliches, einem, der jahrzehntelang in diesem Betrieb geschuftet und z.B. ein wirksames Arbeitssicherheitssystem aufgebaut hat mitzuteilen, daß er den Betrieb für 1 Franken[2] erworben habe und im weiteren auf die finanzielle Unterstützung der wallonischen Regierung rechnen könne.

Im Einklang mit dieser Personalpolitik nutzt die FGTB-Führung ihre Chance zur Festigung ihrer partnerschaftlichen Beziehungen mit den neuen Fabrikbesitzern und schließt alle ehemaligen Delegierten von Forges aus der Gewerkschaft aus.

Der Kampf von Clabecq ist noch nicht zu Ende

Aus einem Interview mit Roberto D’Orazio und Silvio Marra:

Die Wiedereröffnung von Clabecq wird triumphierend als das Ergebnis des Durchsetzungsvermögens des PS-Ministerpräsidenten der Wallonie, Collignon, und von Duferco hingestellt.

Sivio Marra: „Daß heute wieder Stahl fließt, ist ausschließlich dem Kampf der Arbeiter zu verdanken, die sowohl die drohende Erwerbslosigkeit als auch die Demontage des Betriebes abgelehnt haben. 1992 haben wir unser Ehrenwort darauf gegeben, daß nichts und niemand Forges sollte schließen können. Es ist allein der Wille der Arbeiter, der den Neustart herbeigeführt hat.

Die Sozialistische Partei (PS) versucht jeden Arbeitskampf für sich zu vereinnahmen, nachdem sie vorher alles getan hat, um ihn zu sabotieren. (...)

In den Gewerkschaften und selbst unter den Arbeitern, die jetzt für Duferco arbeiten, gibt es Kollegen, die sagen, daß die Wiedereröffnung durch den Radikalismus der Gewerkschaftsdelegation und ihre übertriebenen Forderungen zu mißglücken drohte.

D’Orazio: „Heute befragt die Presse Menschen, die unter Druck stehen, die die Erpressungen bei der Einstellung erfahren haben, die verschiedene Befragungen durch den Psychologischen Dienst (Forem) über sich ergehen lassen mußten. Mit all diesen Maßnahmen versuchen sie, das Bewußtsein, daß die Arbeiter und die gewerkschaftlichen Delegierten jahrelang aufgebaut haben, zu zerstören.

Wenn Journalisten einen Arbeiter fragen, ob er zufrieden darüber ist, daß der Hochofen wieder läuft: natürlich ist er zufrieden, hat er doch mitgekämpft, um die Fabrik wieder in Gang zu bringen! (...)

Eurer Kampf hat eine enorme Hoffnung in diesem Land geweckt. 70 000 Arbeiter aus allen Bereichen haben im Februar vorigen Jahres in Tubize demonstriert. Wie gedenkt ihr, dieser Hoffnung gerecht zu werden?

Silvio: „Wir müssen Bande zwischen allen Arbeitern schmieden, die dem Kampf um Clabecq mit Sympathie gegenüberstehen. Wir müssen diese Verbindungen zwischen ihnen organisieren. Dazu haben wir die „Bewegung zur Erneuerung der Gewerkschaften“ (MRS) gegründet - damit alle, die wollen, an dieser Debatte teilnehmen können. (...)“ (Solidair 4, 1/98)

An anderer Stelle geht D’Orazio auf seine Haltung zur bestehenden Gewerkschaft ein:

Es gibt Leute, die denken, daß ich jetzt anfange, gegen den FGTB zu hetzen. Das ist vollkommen lächerlich. Der FGTB, das sind die Arbeiter und das sind nicht die, die mich ausgeschlossen haben, soviel ich weiß. Ich begreife mich immer noch als Mitglied der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiter, allerdings nicht mehr als Teil des Gewerkschaftsapparates.

Die Gefahr besteht jedoch, daß Arbeiter, die wissen was ich gemacht habe und, daß ich ausgeschlossen worden bin, in die Falle des Antigewerkschaftertums gehen und sagen: von der Gewerkschaft habe ich die Nase voll. Das ist nicht gut. Wir müssen unsere Beiträge weiterbezahlen und jeden, der die Organisation sabotieren will, rausschmeißen. Denn diese Leute liefern uns an dieses System aus. Nicht wir, sondern die machen die Organisation kaputt. Sie machen eine ,Dienstleistungsgewerkschaft’ daraus“. (Solidair 15, 4/98)

15. Oktober 1998: Nach zahlreichen Versammlungen der „Bewegung für die Erneuerung der Gewerkschaften (MRS)“, der sich Arbeiter aus allen Teilen Belgiens anschließen, findet auf deren Initiative hin eine große Demonstration in Charleroi gegen die Gewerkschaftsausschlüsse und für die Wiederaufnahme von D’Orazio und seinen Mitkämpfern statt.

26. November 1998: Die öffentliche Kriminalisierung der Klassenkämpfer aus den Stahlschmieden von Clabecq findet ihren juristischen Niederschlag. 13 Arbeiter werden 19 verschiedener Straftaten beschuldigt: Delegierte, Gewerkschaftsmitglieder und Arbeiter von Forges, ein Arbeiter von Renault.

Der Prozeß soll Geschichte machen. Er hat drei Ziele. Zum ersten will die Bourgeoisie die Führer von Clabecq und die Bewegung zur Gewerkschaftserneuerung moralisch und finanziell vernichtend treffen. Zum zweiten sollen erhebliche Geld- und Gefängnisstrafen allen Gewerkschaftern klarmachen, daß Kämpfen sich nicht lohnt, weil es zu gefährlich ist. Und zum dritten soll mit dem Prozeß ein Präzedenzfall dafür geschaffen werden, bei Gelegenheit auch andere Streikführer verfolgen zu können.

Allein die breite Solidarität der Arbeiterklasse kann die Bourgeoisie an der Durchsetzung ihrer Ziele hindern. Unsere belgischen Kollegen lassen nicht locker.

Über den Prozeß und seinen Ausgang berichten wir in der nächsten Ausgabe der Kommunistischen Arbeiterzeitung.

Arbeitsgruppe „Gewerkschaft“

Dieses Diskussionsdokument wurde von der Bewegung für die Erneuerung der Gewerkschaften (MRS), bestehend aus der Gewerkschaftsdelegation von Forges de Clabecq und Gewerkschaftsdelegierten aus ganz Belgien, zu Papier gebracht. Diese Bewegung ist aus dem Marsch für Arbeit hevorgegangen, der am 2.Februar 1997 70.000 Menschen in Tubize auf die Straße brachte.

Bewegung zur Erneuerung der Gewerkschaften 21. Juni 1997

(...) Die Interessen des Kapitals und die der Arbeit stehen im Gegensatz zueinander. Deshalb hat der Kampf zwischen diesen beiden Klassen nie aufgehört, sich zu entwickeln und ist Motor allen sozialen Fortschritts. Das bedeutet, daß eine Politik, die den Klassenkampf nicht bewußt entwickelt, eine ist, die die Ausbeutung der Arbeiterklasse und die Vernichtung der natürlichen Ressourcen bestehen lassen will.

Welche Art von Gewerkschaftertum wollen wir?

Eine der Formen, die die Organisierung von Arbeitern angenommen hat, ist die Gewerkschaft. Dabei war die Rolle von Gewerkschaftern, die den Klassenkampf als ihre Sache betrachtet haben, von besonders großer Bedeutung für alle sozialen Errungenschaften (der Arbeiterklasse, d. Übersetzer).

Die Bourgeoisie und ihre Parteien, die sich bewußt wurden, welche Gefahr diese Vereinigungen (der Arbeiter, d.Übs.) bedeuteten, haben es geschafft, deren Leitungsorgane in die Hand zu bekommen und so daraus Mauschelvereine zwischen Kapital und Arbeit zu machen.

Heute bekämpfen sich zwei Strömungen in den Gewerkschaften bis aufs Blut.

– Die erste, welche prinzipiell den finanziellen, politischen und unternehmerischen Vorgaben und allen Regeln der kapitalistischen Gesellschaft gehorcht (Konkurrenz, Rentabilität etc.) und die glaubt, daß Probleme nur durch Kompromisse mit Kapital und Regierung gelöst werden können (konzertierte Aktion). Sie akzeptiert permanent den sozialen Rückschritt (Absenken des Lebensstandards, Lohnverlust, Abbau sozialer Sicherheit, Hinnahme von ungeschützten Arbeitsverhältnissen und Billiglohnjobs, Entlassungen und Betriebsschließungen ...). Das alles im Namen des „ökonomischen Realismus“. Diese Strömung wird durch die Verbindungen gestützt, die zwischen gewerkschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und staatlichen Institutionen bestehen. Sie schließt die Arbeiter von der Teilnahme an Entscheidungen aus und führt zu Fatalismus und Duckmäusertum.

– Die Strömung für die gewerkschaftliche Erneuerung kämpft dafür, daß die Wirtschaft den Arbeitern dient. Wir wollen eine Gesellschaft, in der niemand von der Ausbeutung anderer lebt. Jeder muß an der Produktion von Waren und Dienstleistungen teilnehmen, um den Bedarf der Gesellschaft planbar machen zu können. Dabei soll den physischen und intellektuellen Fähigkeiten eines jeden Rechnung getragen werden. Der Aufbau eines Wirtschaftssystems, in welchem der Mensch den ersten Platz einnimmt, erfordert ein materialistisches Gesamtkonzept. Das beinhaltet, daß die Produktionsmittel (Maschinen, Werkzeuge, Betriebe etc.) und die Reichtümer dem Volk gehören und in seinem Interesse und zum Wohle der Umwelt verwaltet werden. In den letzten 50 Jahren haben die Kapitalisten in katastrophaler Weise die Plünderung der natürlichen Ressourcen beschleunigt und noch nie dagewesene Schäden am Ökosystem verursacht.

Es ist undenkbar, einerseits das kapitalistische System bekämpfen zu wollen und andererseits seine Methoden innerhalb der Gewerkschaft zu dulden.

Eine neue gewerkschaftliche Praxis

Man muß mit dem Studium der wahren Geschichte der Arbeiterbewegung beginnen, damit man auf einer höheren Stufe aktiv werden kann. Man muß sich das Recht zu Entscheidungen nehmen und die Unterwürfigkeit ablegen. Die gewerkschaftliche Organisation muß der Ort werden, an dem die kontroverse Debatte zum Motor der Suche nach Lösungen für die aktuellen Probleme wird. (...)

Man muß mit den nichtssagenden Reden aufhören. 80 Prozent der Vertreter der Basis müssen an den Konferenzen und organisatorischen Aufgaben teilnehmen, damit die Gewerkschaft nicht zu einer Organisation von Spezialisten und Universitätsprofessoren wird. Die Mandatsträger der Gewerkschaft müssen auf allen Ebenen von den Arbeitern gewählt werden, von der Basis bis zur Führung. Arbeiter, die sich im Klassenkampf einsetzen, dürfen nicht ausgeschlossen werden. (...)

Damit mehr Arbeiter aktiv werden, müssen betriebliche Komitees und Gewerkschaftsgruppen gegründet werden. Die nicht organisierten Arbeiter (z.B. die Arbeitslosen) müssen gewerkschaftliche Delegationen aufstellen können mit dem Recht, auf allen Kongressen und Ebenen der Gewerkschaft vertreten zu sein.

(Im weiteren wird in dem Dokument zu den verschiedenen gewerkschaftlichen Zielen und Aufgaben – von der Arbeitszeitverkürzung über die Stellung zum Staatsapparat bis hin zur Schaffung der Einheit der Arbeiter in einem Europa des Kapitals – Stellung genommen.

Aus: R.D’Orazio, Debout! - L’esprit de Clabecq

Spenden unterstützen die Herausgabe der Kommunistischen Arbeiterzeitung
Email Facebook Telegram Twitter Whatsapp Line LinkedIn Odnoklassniki Pinterest Reddit Skype SMS VKontakte Weibo