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„Hauptsache das Feindbild stimmt’’

Der frühere Botschafter der DDR in Jugoslawien zu den Wurzeln des Kosovo-Konfliktes.

20.000 Menschen demonstrierten am Ostermontag in Berlin gegen den NATO-Krieg in Jugoslawien.

Im folgenden dokumentieren wir die Rede von Ralph Hartmann auf der Abschlußkundgebung des Berliner Ostermarsches am Ostermontag. Ralph Hartmann war von 1982 bis 1988 Botschafter der DDR in Jugoslawien und zuletzt auch Doyen der Diplomatischen Korps in Belgrad. Er ist Autor des Buches „Die ehrlichen Makler. Die deutsche Außenpolitik und der Bürgerkrieg in Jugoslawien“.

Prijatelji, ljudi, liebe Freunde, „Schluß mit dem schmutzigen NATO-Krieg auf dem Balkan!“- darin sind wir uns alle einig, die wir hier versammelt sind.

Angesichts des ungeheuerlichen Geschehens zu Ostern fehlen einem fast die Worte, um Zorn und Wut und Schmerz Ausdruck zu verleihen. Machtarroganz, Grausamkeit, Vergewaltigungen der Wahrheit machen nahezu sprachlos. Alle auf diesem Platz leiden mit den Überfallenen mit; auch die Deutschen sind NATO-Opfer, viele wissen es nur noch nicht.

Im Fernsehen haben wir -welche Ausnahme! - die gerade Geborenen gesehen, die in Belgrad das Licht der Welt erblickten, als ein Marschflugkörper keine 50 Meter entfernt von ihnen einschlug. Was für eine Geburt! Was für eine Welt! 58 Jahre nach dem faschistischen Bombenüberfall auf Belgrad, 54 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, zehn Jahre nach dem angeblichen Ende des Kalten Krieges, pünktlich zum Jubiläum der NATO.

Die Wurzeln des Kosovo-Konfliktes reichen weit in die Geschichte zurück, sie sind viel zu tief und verzweigt, um allein einer Seite die Schuld zuzuweisen. Doch Clinton, ausgerechnet der, und seine europäischen Partner kennen die Alleinschuldigen. Seit Jahren hintertreiben sie den politischen Dialog zwischen Belgrad und Pristina, machen aus der UCK, die sie gestern noch als „Terroristen“ betrachteten, eine „Befreiungsarmee“, unterstützen und bewaffnen sie, schüren den Konflikt und machen ihn zum Vorwand für eine verbrecherische Aggression. Und Schröder, Fischer, Scharping marschieren in der ersten Reihe mit. Sie mißachten die UN-Charta, die Schlußakte von Helsinki, den Zwei-plus-vier-Vertrag, die Charta von Paris, das Grundgesetz, das NATO-Statut, die Vermittlungsversuche Moskaus, den Friedensappell des Papstes, das flehentliche Rufen deutscher Soldatenmütter. Sollten sie wirklich nicht sehen, daß sie die Gefahr eines Weltbrandes heraufbeschwören, wenn nicht nur in Washington und Bonn, sondern auch anderswo die Sicherungen durchbrennen?

Sie zerschlagen die intemationale Rechts- und Weltordnung und errichten an ihrer Stelle eine Ordnung der Gewalt und ein Gebäude aus Verdrehungen, Halbwahrheiten und Lügen. ­

Seit Beginn der NATO-Aggression sehen wir jeden Tag im Fernsehen die Züge von leidenden, erschöpften, vorwiegend albanischen Kriegsflüchtlingen aus Kosovo. Wer kann da kalt und gefühllos bleiben?

Doch neben dem tiefen Mitgefühl drängen sich auch Fragen auf? Warum zeigen sie uns nahezu pausenlos die verzweifelten albanischen Flüchtlinge, die sich nach dem NATO-Angriff auf den Weg machten und nicht die von NATO-Raketen erschlagenen, zerfetzten, verstümmelten Serben, Albaner, Moslems, Montenegriner?

Warum haben sie nicht ein einziges Mal wahrheitsgemäß darüber informiert, welche Anstrengungen Belgrad - mag man zu der dortigen Regierung stehen wie man will - in letzter Zeit unternommen hat, um den Konflikt politisch zu lösen?

Warum verschweigen sie, daß Serbien bereit war, Kosovo eine äußerst weitgehende Autonomie einzuräumen, daß Serbien in Rambouilett dazu den 10-Punkte-Plan der internationalen Kontaktgruppe unterschrieben hat, daß die UCK-Delegation sich geweigert hat, diesen Plan zu unterschreiben und auch nur ein einziges Mal und sei es auf Expertenebene, mit der serbischen Delegation zusammenzutreffen? Warum verschweigen sie, daß der sogenannte Friedensplan nichts anderes war als das ultimative Diktat an Belgrad zuzustimmen, daß Kosovo und Metohien - ein integraler Bestandteil Serbiens und Jugoslawiens - von der NATO okkupiert und nach drei Jahren von Jugoslawien abgespalten wird?

Und noch eine letzte Frage: Wo waren die Bilder vom Elend der 250.000 serbischen Flüchtlinge, die vor wenigen Jahren, innerhalb von drei Tagen mit NATO-Billigung und Unterstützung aus ihrer Heimat, der Krajina in Kroatien, tatsächlich vertrieben wurden?

Im Kosovo wiederholen die Pub­lic-Relations-Firmen der USA und die Greuelnachrichten-Aufkäufer nur das, was sie in Bosnien gelernt und geübt haben.

Und der deutsche Kriegsminister Scharping, der längst auch zum Propagandaminister avanciert ist, flüchtet sich, im Versuch den Krieg zu rechtfertigen, in immer neue Legenden. Er sieht in Jugoslawien, dem Opfer dreier deutscher Aggressionen in diesem Jahrhundert, die „Fratze der eigenen Geschichten“, er erfindet „Konzentrationslager“ und „unbeschreibliche Brutalitäten“ der Antichristen, der Serben. Das Wort von „Deportationen“ geht um - es fehlt nur noch das Wort „Holocaust“. Wie in Bosnien: „Was schert mich die Wahrheit, die Hauptsache das Feindbild stimmt!“ Zur gleichen Zeit hilft die NATO in Albanien, ein UCK-Heer aufzustellen, um es als Bodentruppe des Paktes, als billiges Kanonenfutter in Kosovo einzusetzen.

Die Lüge ist die Wegbereiterin des Krieges und sie begleitet ihn. Im Krieg stirbt die Wahrheit. Wäre den Menschen in Deutschland auch nur die halbe Wahrheit bekannt, dann wäre die deutsche Beteiligung am NATO-Krieg gegen Jugoslawien schon beendet, dann würden hier und auf den vielen Plätzen in Deutschland nicht Zehntausende, sondern Millionen stehen und mit uns gemeinsam rufen: „Schluß mit dem schmutzigen NATO-Krieg gegen Jugoslawien! Nie wieder Krieg von deutschem Boden aus!“ Ja, es ist unsere gemeinsame Forderung: „Schluß mit dem schmutzigen Krieg auf dem Balkan!“

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