Für Dialektik in Organisationsfragen
Es geht um die Schuld. Wenige Wochen nach der Befreiung, in einem verwüsteten Land, vor einem Volk, das vom Krieg erschöpft ist und von Elend, Hunger und Obdachlosigkeit gezeichnet ist, wird diese Schuldfrage gestellt: „… durch seine Politik der Aggression und der Gewalt, des Raubes und des Krieges, der Völkervernichtung hat Hitler unser eigenes Volk ins Unglück gestürzt und es vor der gesamten gesitteten Menschheit mit schwerer Schuld und Verantwortung beladen.“
Das ist schrecklich. Aber was hat das mit uns heute, 80 Jahre später, zu tun?
Tatsächlich hatten nur diejenigen, die heute weit über 90 Jahre alt sind, die Gelegenheit, sich an diesen Verbrechen zu beteiligen. Und das deutsche Volk hat auch kein Nazi-Gen im Blut. Es geht um das Hier und Heute, es geht darum, ob wir uns wieder dieselben Fehler und Versäumnisse vorwerfen müssen wie unsere Eltern, Großeltern, Urgroßeltern …
Es sind dieselben „imperialistischen Auftraggeber der Nazipartei, die Herren der Großbanken und Konzerne“, die uns auch heute beherrschen und ausbeuten und ihren nächsten Krieg vorbereiten. Es ist derselbe deutsche Imperialismus und Militarismus, der bereits zwei Weltkriege angezettelt und verloren hat. Nach der Annexion der DDR hat er sich zwar zur Großmacht aufblasen können und ist jetzt in Europa die Nummer 1. Und dennoch ist er immer noch zu spät und zu kurz gekommen, und im Kampf um die Neuaufteilung der Welt will er auf jeden Fall dabei sein. Für diese seine künftigen Verbrechen braucht er uns, braucht er das Volk. Er droht schon den Völkern der Welt, dass er dieses deutsche Volk bis 2029 „kriegstüchtig“ machen wird.
Unfassbar waren die Verbrechen, in die der deutsche Imperialismus das deutsche Volk verwickelt hat. Aber: „Die Rote Armee und die Armeen ihrer Verbündeten haben durch ihre Opfer die Sache der Menschheit vor der Hitlerbarbarei gerettet. Sie haben die Hitlerarmee zerschlagen, den Hitlerstaat zertrümmert und damit auch dir, schaffendes deutsches Volk, Frieden und Befreiung aus den Ketten der Hitlersklaverei gebracht.
Um so mehr muß in jedem deutschen Menschen das Bewußtsein und die Scham brennen, daß das deutsche Volk einen bedeutenden Teil Mitschuld und Mitverantwortung für den Krieg und seine Folgen trägt. Nicht nur Hitler ist schuld an den Verbrechen, die an der Menschheit begangen wurden! Ihr Teil Schuld tragen auch die zehn Millionen Deutsche, die 1932 bei freien Wahlen für Hitler stimmten …“
Rund zehn Millionen Deutsche haben bei der Bundestagswahl 2025 für die AfD gestimmt. Wir wollen hier nicht über Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Jahre 1932 in der Weimarer und 2025 in der Berliner Republik reden. Aber zehn Millionen Wähler einer faschistischen Partei sind nun mal zehn Millionen Wähler, da gibt es nichts kleinzureden. Das ist ein besorgniserregendes Indiz dafür, dass wir uns auf verheerende Veränderungen vorbereiten müssen. Und diese drohenden Veränderungen heißen nicht nur Krieg, denn zum Krieg gehört auch der Faschismus, die Korrumpierung und Kriegsertüchtigung der Massen durch faschistische Demagogie und staatlichen Terror.
Sehen wir uns dieses Wahlergebnis gründlicher an. War noch bei der letzten Bundestagswahl die SPD die stärkste Partei bei den Arbeitern, so ist das jetzt die AfD mit 38 Prozent[1].
Was sagt uns das: Die SPD verliert in immer schnellerem Tempo ihre eigentliche Daseinsberechtigung. Es geht um den Grundwiderspruch der Sozialdemokratie: „Einerseits darf sie, um die Politik der Bourgeoisie zu unterstützen, ihren Einfluß auf die Massen nicht verlieren, und andererseits, um den Einfluß auf die Massen nicht zu verlieren, darf sie nicht offen unter der Flagge der Bourgeoisie auftreten. Je schärfer die Klassengegensätze in Deutschland werden, desto tiefer wird sich auch dieser Grundwiderspruch in der sozialdemokratischen Politik zeigen, und die Entscheidung wird davon abhängen, wieweit es uns gelingt, die sozialdemokratischen Arbeiter von der Führung der Sozialdemokratie loszulösen.“ (Ernst Thälmann[2]) Wobei es heute vor allem um die in den Gewerkschaften organisierten und dort von der Sozialdemokratie beeinflussten Arbeiter geht.
Nicht uns, den Kommunisten und klassenbewussten Arbeitern gelingt es derzeit, die sozialdemokratisch beeinflussten Arbeiter von der Führung der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften zu lösen. Sondern genau das gelingt vermehrt faschistischen Kräften, zurzeit insbesondere der AfD. Wobei die gewerkschaftlich Organisierten bei der Bundestagswahl an erster Stelle CDU/CSU wählten – die ja gerade kurz vor der Bundestagswahl mit dem Versuch, das „Zustrombegrenzungsgesetz“ gemeinsam mit AfD, FDP und BSW durchzubringen, auch in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit ein starkes Signal nach rechts gesendet haben. An zweiter Stelle nach der CDU/CSU kam bei den gewerkschaftlich organisierten Wählern die AfD, an dritter die SPD, an vierter die Grünen. Bei der Bundestagswahl 2021 war die Reihenfolge noch SPD, CDU/CSU, Grüne, AfD (siehe Tabelle, die auch noch weitere interessante Informationen enthält).
Das Gift der sozialdemokratischen Klassenversöhnung wirkt, und nicht zuletzt gegen die Sozialdemokratie selbst. Zumal die zum DGB gehörigen Gewerkschaftsführungen für die Militarisierung trommeln, Arbeitermassen so nach rechts treiben und damit ihre eigene Daseinsberechtigung untergraben.
Auch in Betrieben breitet sich die faschistische Reaktion mehr und mehr aus. Das ist nichts Neues. In der Weimarer Republik wurden seit 1927 Nazi-Betriebszellen („NSBO“) gebildet, die rückständige Arbeiter mit der Demagogie lockten, endlich mal was gegen die versöhnlerischen und verräterischen Gewerkschaftsbonzen zu tun. Ihren Höhepunkt erreichten die NSBO-Gruppen, als sie am 2. Mai 1933 mitmachen durften beim Sturm der SA auf die Gewerkschaftshäuser. Später wurden sie in die Zwangsorganisation „Deutsche Arbeitsfront“ eingegliedert.
Ähnliche Bestrebungen gibt es auch in unserer Zeit schon seit einigen Jahren. Das Zentrum e.V. (früher Zentrum Automobil e.V.) hatte es geschafft, in einigen Betrieben der Automobilindustrie in die Betriebsräte einzudringen. Das gelang nicht immer problemlos (es gibt natürlich immer noch wache, antifaschistische Arbeiter!). Teilweise wird jetzt der Weg der Unterwanderung gegangen, d.h. man lässt sich auf „unverdächtige“ Listen setzen, um in Betriebsräte einzudringen. Auf diese Weise ist kürzlich der faschistische Aktivist Horst Schmitt auf der Liste der CGM (Christliche Gewerkschaft Metall) in den Betriebsrat bei Opel Rüsselsheim eingezogen. Das Zentrum e.V. kümmert sich inzwischen auch um Arbeiter im Gesundheitsbereich, und versucht in nichtmonopolistischen Betrieben in die Betriebsräte einzudringen. Ursprünglich gab es bei der AfD einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegen den Zentrum e.V., da dieser Verein auch mit NPD und der Nazigruppe „3. Weg“ zusammenarbeitete (man wollte die Staatsorgane nicht unnötig auf sich aufmerksam machen). Im Jahr 2022 wurde auf Betreiben Björn Höckes dieser Unvereinbarkeitsbeschluss aufgehoben.[3]
Es wird Zeit, dass gegen diese Pest Antifaschismus und Antimilitarismus in den Betrieben Raum greifen, und dass der Kampf stärker wird gegen Gewerkschaftsführer, die meinen, mit Standortlogik und Rüstungsaufträgen Arbeitsplätze zu retten.
Eine weitere Niederlage für die Arbeiterbewegung sind die erneuten Stimmenzuwächse der AfD in der annektierten DDR. Wobei es immer offensichtlicher wird, dass Ostdeutschland nur ein Vorläufer der faschistischen Entwicklung ist, wie sie jetzt auch in Westdeutschland immer stärker wird. Aufgrund des Fehlens einer Arbeiteraristokratie im Osten und der Bevormundung durch Beamte, Gewerkschaftsfunktionäre, Arbeiteraristokraten aus dem Westen, der Deindustrialisierung und der Bilderstürmerei und Raserei gegen alle Reste des Antifaschismus der DDR konnte sich nach der Annexion in dem eroberten Gebiet sehr schnell faschistischer Mob aus dem Westen breitmachen, der öfters seine Namen und Organisationen wechselte, aber immer stärker wurde und von sich behauptete, „den Osten“ zu repräsentieren – was leider von vielen auch geglaubt wird. Eine Besonderheit der DDR ist, dass sie nach ihrer Auslöschung als Staat nicht nur eine um ihre Zukunft betrogene Arbeiterklasse zurückließ, sondern auch ein Bürgertum, das auf eine DDR als kapitalistischen Staat mit menschlichem Antlitz gehofft hatte. Tatsächlich wurde dieses Bürgertum zermürbt und zerrieben, weil der deutsche Imperialismus gar nicht daran dachte, neben sich eine neue kapitalistische Entwicklung zu dulden.
Unsere Einschätzung nach den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen 2019 ist auch jetzt noch zutreffend, auch wenn sich die Situation inzwischen weiter zugespitzt hat:
„Es sind die Überreste der verhinderten ostdeutschen Bourgeoisie, deren reaktionärer Frust weiter existiert und stärker wird, je krisenhafter der Kapitalismus ist und je weiter irgendwelche Hoffnungen auf Besserung schwinden. Dieser Frust setzt sich durch und erfasst alle möglichen Kleinbürger, vergiftet sogar einen beträchtlichen Teil der Arbeiter (…). Das Angebot der AfD bedient den Wunsch, nicht mehr abseits zu stehen als Ostdeutscher, dazu zu gehören zu dieser kapitalistischen Gesellschaft, als Auch-Deutscher anerkannt zu werden. Stattdessen, so der dazu gehörige Wahn, werden die Deutschen in Ostdeutschland benachteiligt (was stimmt), während den ‚Ausländern und Asylanten‘ das Geld nur so reingeschoben wird (wozu es null Fakten gibt – aber das ist dann bei diesem reaktionären Gift und Frust egal). Statt sich gegen die westdeutsche Fremdherrschaft zu wehren, wird fremden westdeutschen Faschisten zugestimmt, die gegen alles ‚Fremde‘ hetzen. Statt das deutsche Kapital anzugreifen, das diese Misere verursacht hat, stellt man sich schützend vor die Kapitalherrschaft. So soll die faschistische Volksgemeinschaft geschmiedet werden, damit wir alle, Ost und West gemeinsam, wieder in den Krieg ziehen.“[4]
Was sich seitdem sehr zugunsten der faschistischen Entwicklung (in Ost und West) geändert hat, ist die fatale Übernahme von rassistischen Forderungen der AfD durch alle im Bundestag vertretenen Parteien außer der Linkspartei.
Der Aufruf der KPD führt uns vor Augen, wohin dieser Rassismus letztlich führt:
„Unser Unglück war, daß Millionen und aber Millionen Deutsche der Nazidemagogie verfielen, daß das Gift der tierischen Rassenlehre, des ‚Kampfes um Lebensraum‘ den Organismus des Volkes verseuchen konnte.
Unser Unglück war, daß breite Bevölkerungsschichten das elementare Gefühl für Anstand und Gerechtigkeit verloren und Hitler folgten, als er ihnen einen gutgedeckten Mittags- und Abendbrottisch auf Kosten anderer Völker durch Krieg und Raub versprach.
So wurde das deutsche Volk zum Werkzeug Hitlers und seiner imperialistischen Auftraggeber.“
Wer den Menschen, die es bei der Flucht vor Verfolgung und Elend in unser Land geschafft haben, kein friedliches, auskömmliches Leben bei uns gönnt, der hat schon die Kriegstüchtigkeit erreicht. Da kann eine wie die AfD noch so laut beteuern, dass sie für den Frieden sei. Der Rassismus ist eine der Hauptwaffen des Faschismus. Zum Faschismus wird die Monopolbourgeoisie notwendigerweise greifen, um den Krieg vorzubereiten oder, wenn der Krieg schon begonnen hat, um die „Volksgemeinschaft“ der Deutschen, die Heimatfront dann schnellstens zu sichern.
Faschismus und Krieg gehören zusammen, und so gehört auch der Kampf gegen Faschismus und Krieg zusammen. Die Entwicklung der letzten Wochen und das Ergebnis der Bundestagswahlen zeigen das sehr eindringlich.
Nehmen wir uns den Aufruf der KPD zu Herzen, damit wir nicht eines Tages nach einer noch furchtbareren Katastrophe in Schutt und Asche „vor der gesamten gesitteten Menschheit mit schwerer Schuld und Verantwortung beladen“ dastehen. Dann würde uns wahrscheinlich kein Volk mehr die Hand reichen.
Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!
KAZ-Fraktion „Für Dialektik in Organisationsfragen“
Alle kursiv gedruckten Zitate ohne Quellenangabe sind aus dem Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945.
Wahlentscheidung der Gewerkschaftsmitglieder 1994 bis 2025 in Prozent |
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Quelle: DGB Einblick bis 2021; FG Wahlen, Zusammenstellung express 2-3/2025 |
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Union |
SPD |
Linke |
Grüne |
FDP |
BSW |
AfD |
1994 |
30 |
50 |
6 |
7 |
3 |
|
|
1998 |
22 |
56 |
6 |
6 |
3 |
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(Rep) 4 |
2002 |
27 |
51 |
5 |
9 |
5 |
|
|
2005 |
22 |
47 |
12 |
8 |
6 |
|
|
2009 |
25 |
34 |
17 |
10 |
9 |
|
|
2013 |
32 |
36 |
11 |
8 |
3 |
|
5 |
2017 |
24 |
29 |
12 |
8 |
7 |
|
15 |
2021 |
19 |
32 |
7 |
13 |
9 |
|
12 |
2025 |
23 |
21 |
10 |
11 |
3 |
6 |
22 |
Gesamt 2025 |
28,5 |
16,4 |
8,8 |
11,6 |
4,3 |
4,97 |
20,8 |
1 www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/bundestagswahl-polarisierte-erstwaehler-in-der-wahlanalyse,UdePYRT (zuletzt abgerufen am 29.03.2025)
2 Ernst Thälmann, Die politische Lage und die Aufgaben der Partei, Referat auf dem XI.Parteitag der KPD 1927, in: Ernst Thälmann, Reden und Aufsätze 1919-1928, Nachdruck Frankfurt/Main 1972, 1.Auflage Berlin 1955
3 Informationen siehe www.nd-aktuell.de/artikel/1190007.betriebsratswahlen-aktivist-der-extrem-rechten-im-opel-betriebsrat.html (zuletzt abgerufen am 29.03.2025), www.wiwo.de/politik/deutschland/parteitag-afd-streicht-gewerkschaft-zentrum-von-ihrer-unvereinbarkeitsliste/28436818.html (zuletzt abgerufen am 29.03.2025) und www.deutschlandfunk.de/zentrum-gewerkschaft-rechtsextremismus-betriebsraete-100.html (zuletzt abgerufen am 29.03.2025)
4 E.W.-P.: Vorläufige Ergebnisse einer Konterrevolution in: KAZ Nr. 369, www.kaz-online.de/artikel/vorlaeufige-ergebnisse-einer-konterrevolution (zuletzt abgerufen am 29.03.2025)
Ein Selfie zur Erinnerung: Häme und Freude bei der AfD nach der von der CDU erzwungenen Abstimmung zum sogenannten „Zustrombegrenzungsgesetz“ im Bundestag. 10 Millionen Wähler haben 2025 diese Partei gewählt ...
… 10 Millionen Wähler haben 1932 diesen Mann gewählt, hier am Tag der sogenannten „Machtergreifung“ (30. Januar 1933).
Der Osten hat es „gemacht“: Ostdeutschland sollte der Vorläufer der faschistischen Entwicklung sein.
Faschismus und Krieg gehören zusammen bekämpft!