Für Dialektik in Organisationsfragen
Dazu hat die Bezirksleitung der IG Metall von Berlin, Brandenburg und Sachsen am 14. März 2025 erklärt, dass die Unternehmensleitung von der Musk-Autofabrik Tesla in Grünheide bei Berlin in großem Umfang ärztliche Atteste anzweifelt und einfach die Löhne/Entgelte, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einbehält. Krankschreibungen werden dabei oft rückwirkend angezweifelt und die Betroffenen aufgefordert, ärztliche Diagnosen offenzulegen und die Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Der nächste Schritt ist dann die Verweigerung der Lohnzahlung, wobei – wie es heißt – kein einziger Euro überwiesen und Pfändungsgrenzen nicht eingehalten werden. In persönlichen Gesprächen werden Beschäftigte mit der Aussage von einer angeblichen „Überbezahlung“ unter Druck gesetzt und Schulden unterstellt. Laut IGM „haltlose Behauptungen“. Hierbei wird ihnen erklärt, dass sie die angeblich gegenüber der Firma bestehenden Schulden, durch die sofortige Unterschrift unter einen Aufhebungsvertrag los sind.
„Mit diesem inakzeptablen Vorgehen treibt das Unternehmen immer wieder Kolleginnen und Kollegen in finanzielle Not“, hat IG Metall-Bezirksleiter Dirk Schulze festgestellt. Bisher konnte die IGM gegen dieses Vorgehen nur mit Einzelklagen am Arbeitsgericht vorgehen. Wie Schulze erklärt, wurden dabei fast eine halbe Million Euro für IGM-Mitglieder von Tesla eingeklagt. Nach Aussage der Bezirksleitung brauchen sie bei Tesla 21mal mehr den Rechtsschutz der IGM als im IGM-Durchschnitt. Die Bezirksleitung will das „unakzeptable Verhalten“ von Tesla jetzt bekämpfen. Bezirksleiter Schulze hat erklärt: „Ich fordere die Werksleitung in Grünheide auf, diese Praxis sofort einzustellen. Es muss Schluss sein mit der völlig unzulässigen Einschüchterung der Kolleginnen und Kollegen. Für die Betroffenen und ihre Familien ist es eine unglaubliche Belastung, wenn sie nicht wissen, ob sie im nächsten Monat genug Lohn bekommen, um ihre Miete zu zahlen. Das Vorgehen der Werksleitung ist nicht nur hochgradig unseriös und inhuman, sondern auch kontraproduktiv. Hohe Krankenstände bekämpft man nicht durch Druck auf die Beschäftigten, sondern durch bessere Arbeitsbedingungen. Unsere Umfrage hat klar gezeigt, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht.“
Der Kollege Bezirksleiter wirkt bei seinen Aussagen schonend ausgedrückt etwas uninformiert. Die „völlig unzulässige Einschüchterung“ von Kolleginnen und Kollegen, um sie vom kostenverursachenden „Krankfeiern“ oder auch „Blaumachen“ abzuhalten, gehört allerdings nicht nur bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, vielfach mit zu den fast normalen Instrumenten bzw. Druckmitteln der „Sozialpartner“, Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter bei der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft gefügig zu machen. Die Sozialpartner haben jetzt wie schon so oft in der Vergangenheit deutlich gemacht, wie sie nicht nur hohe Krankenstände bekämpfen wollen.
Vor Bildung einer neuen Bundesregierung fordern die Arbeitgeber erneut eine Erhöhung des Rentenalters und Einschnitte bei Renten- und Gesundheitsleistungen, um die Sozialbeträge dauerhaft auf 40 Prozent zu drücken. Außerdem sollte die ,Rente mit 63’ abgeschafft und ein Anstieg der Renten in den nächsten Jahren stark gedrosselt werden.“ (Deutsche Wirtschaftsnachrichten, 08.03.2025)
Dazu hat der „Sozialpartner“ BDA, der Bund Deutscher Arbeitgeber eine Kommission eingesetzt, die „Drosselungs-Empfehlungen“ ausgearbeitet und in einer 116 Seiten zählenden Broschüre – „Zukunft der Sozialversicherungen: Beitragsbelastung dauerhaft begrenzen“ – niedergelegt hat.
Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf Vorschlägen zur Teil-Privatisierung der Rente sowie der Verharmlosung damit verbundener Kostenbelastungen und Risiken für die Lohnabhängigen und der Rentenversicherung. Die Verharmlosung gilt hierbei insbesondere für den von der Ampel-Regierung – namentlich von der FDP veranlassten – und mit hohem Risiko für die Rentenversicherung verbundenen Börsengang.
Was das Drosseln angeht, haben die BDA-Kapitalisten auch einen Überfall auf die Lohnfortzahlung eingeplant. Nachstehend einige Auszüge aus einem dazu am 28. Februar 2025 veröffentlichtem eigenen 13-seitiges Papier, mit dem sie schweres Geschütz auffahren und feststellen: „Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist die teuerste allein von den Arbeitgebern finanzierte Sozialleistung, im Jahr 2023 mussten die Arbeitgeber für sie rund 77 Mrd. € aufwenden ... Es ist wissenschaftlich belegt, dass eine großzügigere Lohnfortzahlung signifikant und kausal zu mehr Fehltagen führt. Führt die Lohnersatzrate von 100 auf 80 % würden gemäß diesen Studien die Fehlzeiten im Mittel auch um etwa 20 % sinken. Menschen lassen sich – gerade bei leichteren Erkrankungen – bei der Entscheidung, ob sie sich krankmelden auch von monetären Anreizen leiten. Dabei sollten auch arbeits- oder tarifvertragliche Vereinbarungen in den Blick genommen werden, die selbständige Ansprüche auf Lohnfortzahlung konstituieren. Andernfalls besteht das Risiko, dass gesetzliche Veränderungen zumindest teilweise ausgehebelt werden ... Notwendig sind Maßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung, zur Kostensenkung und zur Bürokratieentlastung. Als erster Schritt sollte die missbrauchsanfällige telefonische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abgeschafft werden. Mit ihr macht man es sogenannten Blaumachern viel zu einfach. Eine Kostensenkung und zugleich Bürokratieentlastung würden erreicht werden, wenn die Lohnzahlung generell auf 6 Wochen pro Kalenderjahr begrenzt würde. Mehrbelastungszuschläge sollten bei der Berechnung der Höhe der Lohnfortzahlung unberücksichtigt bleiben, da Mehrbelastungen bei Arbeitsunfähigkeit nicht vorliegen. Darüber hinaus muss die bürokratische Mehrbelastung der Arbeitgeber durch die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reduziert werden.“
Möglicherweise rechnen die Kapitalisten damit, dass die Zeit günstig ist fürs Opferbringen und die Regierung das genauso sieht und mit Gesetzesänderungen reagiert. So wie das angeblich laut Koalitionsvereinbarung für die Abschaffung täglicher Arbeitszeitgrenzen und einer Höchstarbeitszeit für die Woche gelten soll. Davon sind auch alle Lohnabhängigen betroffen, ohne dass es bisher darauf eine gewerkschaftliche kampfmäßige Antwort gibt. Ein im o.g. Sinne erfolgender Angriff auf die Lohnfortzahlung durch den Gesetzgeber schwarzrote Koalitionsregierung, lässt sich auf diesem Wege nicht verhindern und abweisen. Da müssen sich die Lohnabhängigen insgesamt, die Arbeiterklasse – vielleicht mit der gebeutelten Tesla-Belegschaft gemeinsam – schon etwas mehr als Stillhalten einfallen lassen, um sich selbst und auch IGM-Bezirksleiter von papierenen Protesten befreien zu können.
Ludwig Jost
Nicht nur beim Kampf gegen die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist die Tesla-Giga-Factory des AfD-Unterstützers Elon Musk Schrittmacher. Gegen die miserablen Arbeitsbedingungen bei Tesla haben über 3.000 Kolleginnen und Kollegen eine Petition der IG-Metall-Betriebsräte unterschrieben, in der mehr bezahlte Pausen, mehr Personal und Respekt statt ständiger Schikanen gefordert wurden. Als die IG-Metaller auf der Betriebsversammlung am 20.März 2025 die Unterschriften übergeben wollten, kam es zum Eklat. Das Banner der IG-Metaller (siehe nächste Seite) wurde von der Security konfisziert, ein Gewerkschafter wurde aus der Halle eskortiert. Reden dürfen die IG-Metall-Betriebsräte auf den Betriebsversammlungen bei Tesla schon gar nicht. Aber der Kampf geht weiter!
Dieses Banner haben die IG-Metaller auf der Betriebsversammlung bei Tesla am 20.03.2025 (siehe vorige Seite) hochgehalten: „Wir bei Tesla leisten Großes. Unsere Arbeit ist wertvoll, wir sind wertvoll! Und wir wollen, dass so auch mit uns umgegangen wird. Unsere Gesundheit zuerst! Personalmangel, starke körperliche und psychische Belastungen, Druck durch hohe Zielzahlen und aggressives Vorgehen einiger Führungskräfte. Das führt zu Stress, Schmerzen und Erschöpfung.“ Einen ausführlichen Bericht über die Betriebsversammlung gibt es hier: archive.is/nsXNJ