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KAZ-Fraktion: „Ausrichtung Kommunismus”

Zur Debatte um den Mindestlohn

Wer bietet weniger?

Die Auseinandersetzung um einen gesetzlichen Mindestlohn gerät zum erbärmlichen Theater. Mitte Juli präsentierte die große Koalition einen Kompromiss, der Elemente von Tarifvereinbarungen mit gesetzlichen Regelungen seitens des Staates kombinieren soll. Vorgestellt wurde eine angeblich Eier legende Wollmilchsau, die Kapital und Arbeit gleichermaßen glücklich macht, mit folgenden Kommentaren: „Das ist ein guter Tag für viele Arbeitnehmer, die hart arbeiten und wenig verdienen, und das ist ein guter Tag für die Koalition, sagte Scholz (Arbeitsminister, SPD). Glos (Wirtschaftsminister, CSU) sprach von einer wirtschaftsfreundlichen Lösung, Merkel (Bundeskanzler, CDU) von einem vernünftigen Kompromiss. SPD-Chef Kurt Beck sagte, die Einigung sei ein Schritt zu mehr Schutz vor Dumping-Löhnen.“[1]

Der Kompromiss beinhaltet keinen flächende­ckenden tariflich festgesetzten Mindestlohn. Es geht lediglich um die Ausdehnung des seit März 1997 eingeführten sog. Entsendegesetzes für das Bauhaupt- und Nebengewerbe auf einige, also nicht einmal alle Branchen. Nach diesem Gesetz ist es die Aufgabe der „Tarifverhandlungsparteien“, Mindestlohnbedingungen auszuhandeln (Schlagwort Tarifautonomie!). Kommt eine Einigung zustande, bedarf sie auf der Grundlage des Tarifvertragsgesetzes mittels der „Allgemeinverbindlichkeitserklärung“ der Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Soziales. Der „Herz-Jesu-Marxist“ Norbert Blüm führte kurz nach der Einführung dieses Entsendegesetzes ganz praktisch vor, wofür es wirklich gut ist. Als die IG Metall sich mit dem „Bund deutscher Arbeitgeber“ (BDA) nicht über Mindeststundenlöhne im Bereich des Elektrohandwerks einigen konnte und bei ihm deshalb vorstellig wurde, erklärte Blüm unverblümt, selbst wenn der BDA dieser Regelung zugestimmt hätte, wäre ihr die „Allgemeinverbindlichkeitserklärung“ durch das Arbeitsministerium versagt geblieben. Der damaligen Kohl-Regierung ging es dabei darum, das Lohngefälle und damit die Konkurrenz zwischen west- und ostdeutschen Kollegen aufrecht zu erhalten, um insgesamt niedrigere Löhne durchsetzen zu können.[2]

Da diese Regelung nur in den Bereichen greift, in denen die Tarifbindung mindestens 50 Prozent beträgt, sollen auf der Grundlage des sog. Mindestarbeitsbedingungsgesetzes von 1952 in paritätisch von Unternehmern und Gewerkschaftsvertretern besetzten Gremien Mindestlöhne im tariflosen Bereich ausgehandelt werden. Diese „Einigung“ bedarf dann ebenso der Zustimmung der jeweiligen Bundesregierung – beste Voraussetzungen für den Beginn einer „endlosen Geschichte“ mit dem oben beschriebenen Ende.

In den Monaten zuvor war die Schindmähre „soziale Gerechtigkeit“ zu Tode geritten worden. Dagegen hatten die offen sozialrektionären Parteien, Institute und Verbände das gewohnte Szenario vom Untergang des „StandortDeutschland“ gemalt.

Worum wurde hier eigentlich gestritten? Es wurde mit viel Theaterdonner darum gestritten, wie viel Verelendung dem deutschen Arbeiter zugemutet werden kann.

Während an den Börsen die großen Räder gedreht wurden, die Eigentümer der Fabriken, Banken und Warenhäuser nicht mehr wissen, wohin mit dem Geld, während sich die Vorstände der Monopole generöse Gehaltserhöhungen und Bonuszahlungen gönnen, wird darum gefeilscht, wie tief der Werktätige gedrückt werden kann, was der Erwerbslose an Peitsche braucht, um seine Haut zu Markt zu tragen.

Halten wir fest: Solange wir nicht wieder die Berechtigung des ganzen kapitalistischen Systems in Frage stellen, werden sie uns noch die schimmeligen Brotkrumen vorrechnen, die von ihren Tischen fallen.

Die Nettoverdienste der Arbeitnehmer sind ... im vergangenen Jahr auf den niedrigsten Stand seit 20 Jahren gesunken. Der durchschnittliche Netto-Monatslohn liegt demnach bei 1.320 Euro. Der sogenannte Nettorealverdienst lag nach Abzug von Steuern, Sozialbeiträgen und bei Berücksichtigung der Preisentwicklung im vergangenen Jahr durchschnittlich bei 15.845 Euro im Jahr - etwa so hoch wie 1986 mit damals 15.785 Euro.“[3] Also mehr als 20 Jahre Lohn- und Sozialabbau – vor dem Hintergrund steigender Steuern und Sozialabgaben, steigender Arbeitshetze und Arbeitszeitverlängerung, Dauerarbeitslosigkeit und sozialer Diskriminierung.

Arbeitszeit, Reallöhne ... „Wir sind Deutschland!“?

So hatte der Berliner Finanzsenator Sarrazin (SPD) mit seinem Speiseplan für Hartz IV-Empfänger schon mal getestet, wie weit man Armut schon wieder verspotten darf. Gestärkt durch die Fütterung am Tisch der Arbeitsgemeinschaft von Kapital und Arbeit und diese Position rüde verteidigend, pöbelte Sarrazin im Juni in Richtung der Mindestlohnbefürworter vor allem aus den Gewerkschaften: „Für fünf Euro würde ich jederzeit arbeiten gehen. Das wären 40 Euro pro Tag“, sagte er dem Politikmagazin „Cicero“ (Juliausgabe) auf die Frage, was sein persönlicher Mindestlohn sei.[4]

Die Antwort der Befürworter des Mindestlohnes – und mehr noch die vom DGB initiierte Kampagne „Volksbegehren für ein bayrisches Mindestlohngesetz“ – ist dem entsprechend. 7,50 € werden vom DGB als „realistisch“ durchsetzbar eingeschätzt. Schon die Argumentation ist bezeichnend: Der Mindestlohn habe in den anderen Ländern keine Rezession verursacht und es seien auch keine Arbeitsplätze wegen des Mindestlohns abgebaut worden. Oh wie wahr, denn in fast allen Ländern sind auch dort die Mindestlöhne zu niedrig (Frankreich mit vergleichbaren Lebenshaltungskosten: 7,61 € Stundenlohn).

Eine frühere Forderung u.a. der damaligen HBV und der NGG aus dem Jahr 2000 lautete 3.000 DM brutto als untersten Lohn festzusetzen, umgerechnet waren das 1.534 €. Berechnet auf den Zeitraum 2000-2006 stiegen die Lebenshaltungskosten um 10%. Wir kämen also auf 1.687 € im Jahr 2006. Das wären bei einer 38,5 Stundenwoche 10,10 € brutto.

Wieso ist die frühere Mindestlohnforderung um 25% gesenkt worden? Mit einer Orientierung an dem, was man mindestens zum Leben braucht, hat die Senkung auf ca. 7,50 € nichts zu tun. Wohl aber mit einer politischen Ausrichtung an der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Kapitals, d.h. an der Höhe der Renditen.

Sowohl den Gewerkschaften wie auch der SPD und den regierungsnahen Sozialverbänden kommt es lediglich darauf an, dem weiteren bodenlosen Absinken der Billiglöhne, der so genannten „Schmutzkonkurrenz“, einen gewissen, aber in Wahrheit nur formalen Riegel vorzuschieben. Eine Anhebung aller Billiglöhne auf ein akzeptables Niveau ist nicht ihre Absicht.

So hat z.B. der Tarifvertrag Öffentliche Dienste (TVöD) vom September 2005 die bestehenden Entgelttabellen abgesenkt. Angelernte im Gebäudereinigerhandwerk hatten bis dahin 8,60 € verdient. Nach der Einführung des abscheulichen TV für die Zeitarbeit, mit dem EU-Recht in Sachen „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ umgangen wird, wurde dort der Lohn auf 7,68 € abgesenkt, um den Lohnabstand zum TV Zeitarbeit zu verringern. Dieser neue Lohn von 7,68 € (monatlich 1.286 €) liegt jetzt gut 300 € unter der vorher gültigen niedrigsten Entgeltgruppe im Öffentlichen Dienst.

Ebenfalls abgesenkt wurden die untersten Entgeltgruppen im TV Service Hessen (TVöD, besonderer Teil Krankenhäuser). Hier werden die Entgeltgruppen 1 - 3 (1.286 bis 1.995 €) des TVöD in einem Entgeltbereich A auf einheitlich 1286 € reduziert und die EG 4 von 1.602 – 2.081 € auf einheitlich 1499 € abgesenkt.

Die Einführung des Billigentgeltes im TVöD wurde damit begründet, dass so Privatisierungen verhindert werden können. Das Gegenteil ist der Fall: Mit diesem tariflichen „Türöffner“ wurden diese Bereiche für die Kapitalverwertung erst richtig attraktiv gemacht.

Ein weiteres Beispiel: Lag die PDS im Jahr 2005 mit ihrer Mindestlohnforderung von 1.400 € monatlich bereits unter der vom DGB festgelegten Armutsgrenze, forderte sie – nun in Gemeinschaft mit der WASG – nur noch 1.250 €. Die Begründung: Frank Bsirske, Vorsitzender von ver.di, hatte den Betrag von 1.400 € als „politisch kaum durchsetzbar“ bezeichnet, Oskar Lafontaine unterwegs – sekundierte: 1.250 € reichen doch auch! Immerhin sei damit netto wenigstens die Pfändungsfreigrenze erreicht[5]. Dass der Mindeststandard fürs bloße physische Überleben sicher über 1.250 Euro liegt, gibt sogar der DGB zu, der Einkommen unter 1.442 € als „Armutseinkommen“ bezeichnet.

Müssen wir denn nicht berücksichtigen, was ein Lohnarbeiter tatsächlich für ein nicht nur die nackte physische Existenz umfassendes Leben benötigt und welche Auswirkungen ein derart niedriger Mindestlohn auf das gesamte Lohngefüge hat?

Was nützt uns da der verbale Schlagabtausch zwischen „Reformern“ aller bürgerlichen und verbürgerlichten Parteien, die nichts anderes im Kopf haben als ihr Zuständigkeitsrevier und ihren Platz am Verhandlungs- und Verteilungstisch? Lobbyismus und „Überzeugung“ im Parlament und in Regierungskoalitionen – die einzige Existenzberechtigung „mit“regierender Sozial-Demokraten und anderer kleinbürgerlicher „Reformer“. Geführt unter dem Motto: Wer verwaltet den Mangel am effektivsten für das deutsche Finanzkapital?[6]

Ein Rückblick: Mindestlöhne in der Bauindustrie anno 96/97 …

Im März 1996 wurde von der Kohl-Regierung besagtes Entsendegesetz beschlossen. Anfang Januar 1997 wurden unterschiedliche Mindestlöhne für ausländische Kollegen ausgehandelt: im Westen 17,00 und im Osten 15,64 DM pro Stunde.

Damals stellte sich die Situation aus der Sicht der Baukapitalisten folgendermaßen dar. Kleinbetriebe könnten damit etwas besser leben – und wie sie hoffen: auch etwas länger. Der Bayerische Bauindustrieverband (BBIV) bezeichnete die Regelung als „nicht ausreichend“, fand aber „die Lösung besser als gar keine“. Die Einschätzung gründet auf der Hoffnung, dass der Konkurrenzkampf mit den mittleren und großen Bauunternehmen nun nicht mehr ausschließlich über Niedrigstlöhne ausgetragen wird. Das ist verständlich, denn die Kleinen der Branche können das Subunternehmertum (das den Niedrigstlöhnen bei Illegalen erst so richtig zum Durchbruch verholfen hat) wenig bis gar nicht nutzen.

Das ist den Eigentümern von mittleren Betrieben offenbar wohl bekannt. Der Mindelheimer Bauunternehmer Xaver Riebel: „... die Einigung (sei) völlig überflüssig. ... Eine bürokratische Dampfwalze wie die Mindestlohnregelung rette bedrohte Firmen nicht.“ Aus dieser Aufregung kann man schließen, dass Herr Riebel als Mittelgewicht der Branche durch diese Regelung gegenüber den großen Baukonzernen verstärkt unter Druck gerät. Subunternehmer mit legal in der EU angeheuerten Bauarbeitern sind nun unter Umständen – allerdings abhängig von der jeweiligen Regierung – nach Gesetz und Tarifvertrag verpflichtet, sich an die Mindestlohngrenze zu halten. Und Herr Riebel ist jetzt zusätzlich dazu verpflichtet, den unter Vertrag genommenen Subunternehmer auf die Finger zu schauen, ob sie dann auch nach Tarif bezahlen. Also nichts als drohende neue Schwierigkeiten, die bei schlechter werdender Konjunkturlage den eigenen Betrieb ins Wanken bringen können.

Gelassen reagierten die Vertreter großer Baufirmen auf die ganze Angelegenheit. Im November ‘96 schrieb hierzu die Augsburger Allgemeine, der Mindestlohn werde das Problem der Arbeitslosigkeit nicht lösen, da ausländische Subunternehmer auch weiter preisgünstiger arbeiten könnten. Der Grund: Die Sozialpflicht sei von der Regelung ausgeklammert, es gelte die Versicherungspflicht des jeweiligen Heimatlandes. Ein bei einem ausländischen Subunternehmer angestellter Arbeitnehmer erhalte zwar 17,00 DM Mindestlohn, koste seinen Arbeitgeber etwa in Portugal nur 25,00 DM einschließlich Sozialzuschlägen. Für einen deutschen Bauarbeiter mit 25,00 DM Stundenlohn müssten wegen der Sozialzuschläge dagegen 43,00 bis 50,00 DM veranschlagt werden. Das Ergebnis: große Baukonzerne beschäftigten weiterhin ausländische Subunternehmer.

Wird man bei der Beschäftigung Illegaler erwischt, kann man den Subunternehmer haftbar machen (falls er sich nicht schon abgesetzt hat), mit der Abschiebepraxis der Behörden und der Verschleppung durch die Justiz rechnen – den Rest besorgt die Anwaltsabteilung dieser Großkonzerne.[7]

An dieser Situation hat sich auch nach 11 Jahren nichts Entscheidendes geändert. Es sind sogar weitere Teilbranchen (Gebäudereinigung, Postzustelldienst, Teilbereiche im Gesundheitswesen, Krankenhaus und Pflegedienste) dazugekommen.

Und es treten neue Schwierigkeiten auf. Vielleicht schon 2009, spätestens aber ab 2011 gilt die Dienstleistungsfreiheit innerhalb der EU uneingeschränkt. Dann darf jedes Unternehmen eines EU-Mitgliedsstaates überall seine Dienstleistungen anbieten.

Kann es eine „gerechte Entlohnung“ überhaupt geben?

Zum „unverkürzten Arbeitsertrag“, dem „gerechten Lohn“ und der „gerechten“ Verteilung – den beliebtesten Losungen des politischen Reformismus – schrieb Karl Marx in den Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei, also zum ersten Programm der ersten revolutionären Partei in Deutschland – der Sozialdemokratie:[8]

Was ist „Arbeitsertrag“?

Das Produkt der Arbeit oder sein Wert? Und im letzteren Fall, der Gesamtwert des Produkts oder nur der Wertteil, den die Arbeit dem Wert der aufgezehrten Produktionsmittel neu zugesetzt hat?

„Arbeitsertrag“ ist eine lose Vorstellung, die Lassalle an die Stelle bestimmter ökonomischer Begriffe gesetzt hat.

Was ist „gerechte“ Verteilung?

Behaupten die Bourgeois nicht, dass die heutige Verteilung „gerecht“ ist? Und ist sie in der Tat nicht die einzige „gerechte“ Verteilung auf Grundlage der heutigen Produktionsweise? Werden die ökonomischen Verhältnisse durch Rechtsbegriffe geregelt, oder entspringen nicht umgekehrt die Rechtsverhältnisse aus den ökonomischen? Haben nicht auch die sozialistischen Sektierer die verschiedensten Vorstellungen über „gerechte“ Verteilung?

Um zu wissen, was man sich bei dieser Gelegenheit unter der Phrase „gerechte Verteilung“ vorzustellen hat, müssen wir den ersten Paragraphen (unverkürzter Arbeitsertrag“) mit diesem („gerechte Verteilung“) zusammenhalten. Letzterer unterstellt eine Gesellschaft, worin „die Arbeitsmittel Gemeingut sind und die Gesamtarbeit genossenschaftlich geregelt ist“, und aus dem ersten Paragraphen ersehen wir, dass „der Ertrag der Arbeit unverkürzt, nach gleichem Rechte, allen Gesellschaftsmitgliedern gehört“. „Allen Gesellschaftsgliedern“? Auch den nicht arbeitenden? Wo bleibt da „der unverkürzte Arbeitsertrag“? Nur den arbeitenden Gesellschaftsgliedern? Wo bleibt da „das gleiche Recht“ aller Gesellschaftsglieder?

Das gleiche Recht ist – wie in allen anderen Fragen der Gleichheit vor dem bürgerlichen Gesetz – in Sachen Eigentumsfrage ein formales Recht. Und dieses formale Recht existiert im vom antagonistischen Widerspruch zwischen Kapital (Besitzer nur der Produktionsmittel) und Arbeit (Besitzer nur der Ware Arbeitskraft) als faktischer Beweis der Ungleichheit – bestenfalls also als Traum von der Gleichheit!

Wodurch wird der Lohn bestimmt?

Karl Marx hat nachgewiesen, dass sich der Lohn am sog. Wert der Arbeitskraft bemisst. (s. auch Kasten „Verdienen wir das, was wir verdienen?“) Der Wert der Arbeitskraft wird bestimmt durch die Kosten/die Arbeitszeit, die notwendig ist, um Arbeitskraft und Arbeitskräfte zu produzieren.

Das sind die Kosten bzw. die Arbeitszeit, die eine Gesellschaft für die Herstellung der Lebensmittel (im weitesten Sinn) und der Bildung in einem Land zu einer bestimmten Zeit aufwenden muss, damit genügend Arbeitskräfte in der notwendigen Qualifikation zu Verfügung stehen.

Die Arbeitskraft hat im Gegensatz zu allen anderen Waren die „wundersame“ Fähigkeit mehr schaffen/produzieren zu können, als sie zu ihrer eigenen Produktion/Reproduktion benötigt. Dieses „Mehr“ eignet sich der Käufer der Arbeitskraft, der Kapitalist, an. Je weniger nun der Arbeiter für sich, zu seiner eigenen Reproduktion, arbeiten muss, desto mehr steckt der Kapitalist für sich ein. Je geringer also der Wert der Arbeitskraft, desto größer tendenziell der Mehrwert. Aus dieser Gesetzmäßigkeit ergibt sich das elementare historische Geschäft des Kapitalismus: Umwandlung der feudalen Agrargesellschaften in Industriegesellschaften und Verelendung der Produzenten, der Arbeiter und der Bauern, Untergrabung der „Springquellen allen Reichtums“, der Arbeiter und der Erde und Entwicklung aller Produktivkräfte, – und damit einer Voraussetzung – um mit dem Ausbeutungssystem ein Ende machen zu können.

Drei wesentliche Faktoren haben m.E., seit Karl Marx dies 1867 veröffentlichte, auf den Wert der Ware Arbeitskraft eingewirkt:

1. Die Produktion von Lebensmitteln ist aufgrund der Mechanisierung in der Landwirtschaft, aber auch durch die Verschlechterung der Qualität erheblich billiger geworden; dadurch Sinken des Werts der Lebensmittel, dadurch Sinken des Werts der Arbeitskraft und damit Druck auf die Löhne.

2. Die Weltkriege des 20. Jahrhunderts waren die Motoren zur Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Frauen. Nach den Kriegen traten die Frauen nun teil­weise in Konkurrenz zu den Männern. Der Druck auf die Löhne wuchs. Musste davor in der Regel der Lohn des Mannes hinreichen, um Frau und Kinder zu ernähren, so wurde es immer mehr zur gängigen „Kultur“, dass zwei Löhne notwendig wurden, um eine Familie über Wasser zu halten. Der zweite Welt­krieg insbesondere hatte daneben noch einen besonderen Effekt, eine beson­dere „historische und moralische Komponente“ wie Marx es ausdrückt, für die deutsche Arbeiterklasse. Krieg und Nachkrieg hatten in unserer von den faschistischen Deutsch-Herren gedemütigten Nation und in ihrer Arbeiter­klasse ein Maß an Entbehrungen und Genügsamkeit zum Standard werden lassen, das bis heute nicht überwunden ist. Aldi und Konsorten sind Ausdruck davon. So sind die qualitativ schlechtesten Spaghetti in Italien, die in Neapel niemand kaufen würde, immer noch gut genug für den Export – auf den deutschen Markt.

3. Die chronische Erwerbslosigkeit wurde seit den 1920er Jahren zur Begleiterin der wirtschaftlichen Entwicklung in den imperialistischen Ländern. Diese ständige industrielle Reservearmee erhöht die Konkurrenz unter den Arbeitern und damit den Druck auf die Löhne. Verstärkend kommt hinzu, dass der Imperialismus in den von ihm abhängigen Ländern eine eigenständige selbst kapitalistische Entwicklung behindert. Dadurch wird der Abfluss der Landbevölkerung in die Industrie erschwert. Die agrikole Überbevölkerung konzentriert sich in Slums. Dies erhöht den Druck auf die Löhne im globalen Maßstab.

Insgesamt sieht man deutlich, dass bei sinkendem Wert der Arbeitskraft (wegen der tendenziell sinkenden Kosten für Lebensmittel) ohnehin der Druck auf die Löhne wächst. Diese Tendenz nach unten setzt sich aufgrund der im Imperialismus gewachsenen Konkurrenz durch. Gewerkschaftliche Organisierung und Lohnkampf können dies verlangsamen, aufhalten aber nicht.

Aber auch die Kapitalisten können nicht schalten, wie sie wollen. Der Kapitalismus muss die Träger der Arbeitskraft noch so erhalten, dass immer wieder Arbeitskräfte in gebührender Anzahl und Qualität/Qualifikation bereit stehen. Diese benötigte Anzahl vermindert sich allerdings mit Verbesserung der Produktionsmittel. Es wächst die relative Überbevölkerung. Teile der Bevölkerung, die bei lebendigem Leib verfaulen, weil der Kapitalismus keine Verwendung für sie hat, aktuell und in wachsendem Maß auch nicht auf lange Sicht. Zusehen, wie sie am ausgestreckten Arm verhungern, oder sich in Seuchen vermindern, in Kriegen sich aufreiben – das ist tägliche Dosis im Fernsehen.

Der Wert der Arbeitskraft – Verdienen wir das, was wir verdienen?

„Diese eigentümliche Ware, die Arbeitskraft, ist nun näher zu betrachten. Gleich allen anderen Waren besitzt sie einen Wert. Wie wird er bestimmt?

Der Wert der Arbeitskraft, gleich dem jeder andren Ware, ist bestimmt durch die Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifischen Artikels notwendige Arbeits­zeit. Soweit sie Wert, repräsentiert die Arbeitskraft selbst nur ein bestimmtes Quantum vergegenständlichter gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit. Die Arbeitskraft existiert nur als Anlage des lebendigen Individuums. Ihre Produktion setzt also sein Existenz voraus. Die Existenz des Individuum gegeben, besteht die Produktion der Arbeitskraft in seiner eignen Reproduktion oder Erhaltung. Zu seiner Erhaltung bedarf das lebendige Individuum einer gewissen Summe von Lebensmitteln. Die zur Produktion der Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit löst sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel notwendigen Arbeitszeit, oder der Wert der Arbeitskraft ist der Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel. Die Arbeitskraft verwirklicht sich jedoch nur durch ihre Äußerung, betätigt sich nur in der Arbeit. Durch ihre Betätigung, die Arbeit, wird aber ein bestimmtes Quantum von menschlichem Muskel, Hirn, Nerv usw. verausgabt, das wieder ersetzt werden muss. Diese vermehrte Ausgabe bedingt eine vermehrte Einnahme. Wenn der Eigentümer der Arbeitskraft heute gearbeitet hat, muss er denselben Prozess morgen unter denselben Bedingungen von Kraft und Gesundheit wiederholen können. Die Summe der Lebensmittel muss also hinreichen, das arbeitende Individuum als arbeitendes Individuum in seinem normalen Lebenszustand zu erhalten. Die natürlichen Bedürfnisse selbst, wie Nahrungsmittel, Kleidung, Heizung, Wohnung usw. sind verschieden je nach den klimatischen und andren natürlichen Eigentümlichkeiten eines Landes. Andererseits ist der Umfang sog. notwendiger Bedürfnisse, wie die Art ihrer Befriedigung selbst ein historisches Produkt und hängt daher großenteils von der Kulturstufe eines Landes, unter andrem auch wesentlich davon ab, unter welchen Bedingungen, und daher mit welchen Gewohnheiten und Lebensansprüchen die Klasse der freien Arbeiter sich gebildet hat. Im Gegensatz zu andren Waren enthält also die Wertbestimmung der Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element. Für ein bestimmtes Land, zu einer bestimmten Periode jedoch, ist der Durchschnitts-Umkreis der notwendigen Lebensmittel gegeben.

Der Eigentümer der Arbeitskraft ist sterblich. Soll also seine Erscheinung auf dem Markt eine kontinuierliche sein, wie die kontinuierliche Verwandlung von Geld in Kapital voraussetzt, so muss der Verkäufer der Arbeitskraft sich verewigen, ‚wie jedes lebendi­ge Individuum sich verewigt, durch Fortpflanzung’. Die durch Abnutzung und Tod dem Mark entzogenen Arbeitskräfte müssen zum aller mindesten durch eine gleiche Anzahl neuer Arbeitskräfte beständig ersetzt werden. Die Summe zur Produktion der zur Produktion der Arbeitskraft notwendigen Lebensmittel schließt also die Lebensmittel der Ersatzmänner ein, d.h. der Kinder der Arbeiter, so dass sich diese Race eigentümlicher Warenbesitzer auf dem Warenmarkte verewigt.

Um die allgemein menschliche Natur so zu modifizieren, dass sie Geschick und Fertigkeit in einem bestimmten Arbeitszweig erlangt, entwickelte und spezifische Arbeitskraft wird, bedarf es einer bestimmten Bildung oder Erziehung, welche ihrerseits eine größere oder geringere Summe von Warenäquivalenten kostet. Je nach dem mehr oder minder vermittelten Charakter der Arbeitskraft sind ihre Bildungskosten verschieden. Die Erlernungskosten, verschwindend klein für die gewöhnliche Arbeitskraft, gehen also ein in den Umkreis der zu ihrer Produktion verausgabten Werte.

Der Wert der Arbeitskraft löst sich auf in den Wert einer bestimmten Summe von Lebensmitteln. Er wechselt daher auch mit dem Wert dieser Lebensmittel, d.h. der zu ihrer Produktion erheischten Arbeitszeit.“

(K. Marx, Das Kapital, Bd.1, MEW 23, S.184 ff.)

Es ist nicht sehr beruhigend, dass der Kapitalismus nicht ohne Arbeitskräfte auskommen kann, dass es eine Grenze nach unten geben muss, wie sehr die eingesetzten Arbeitskräfte abgehaust werden können, mit welchen Mindestmengen ein Erwerbsloser abgespeist werden kann. Auch die Erkenntnis ist nicht erbauend, dass die Grenze nach unten nie für lange Zeit unterschritten werden kann. Für „lange Zeit“ ist dabei der Maßstab: das 12 Jahre währende „1.000jährige Reich“. Dort wurde in vier Jahren vorexerziert, was nach unten möglich ist – in den KZ, in der „Vernichtung durch Arbeit“, – grammgenau aufgerechnet, wie viel ein Leben wert ist und wie lange die Restarbeitsdauer zu veranschlagen sei.

Allerdings konnten in diesem System nur relativ einfache Arbeiten abgepresst werden. Kapitalistische Ausbeutung auf Basis großer Industrie d.h. auf Basis komplexer Produktionssysteme verlangt den freien Lohnarbeiter – frei von Produktionsmitteln und frei, seine Arbeitskraft zu verkaufen. Diese Freiheit ist der Garant dafür, dass die Arbeiter sich ohne Widerstand in den Produktionsprozess einfügen; andererseits aber auch die Voraussetzung dafür, die eigene Lage zu erkennen und sie zu überwinden: Die Produktionsmittel in die eigenen Hände zu nehmen und zu diesem Zweck die politische Macht zu übernehmen. (s. auch Kasten: Die Sprengkraft der Arbeit)

Halten wir fest: Lohn drückt ein gesellschaftliches Verhältnis aus, das darauf beruht, dass einer kleinen radikalen Minderheit die Produktionsmittel gehören und demgegenüber die übergroße noch geduldige Mehrheit nichts hat als ihre Arbeitskraft.

Was hier eher nüchtern distanziert dargestellt ist, das beinhaltet millionenfachen Mord. Mord deshalb, weil es genug gibt, um das tägliche Verhungern zu vermeiden, weil es möglich ist, Kriege zu verhindern. Mord deshalb, weil die Verantwortlichen in den imperialistischen Ländern bewusst Hunger und Krieg dazu benutzen, um ihr historisches Überlebtsein, um ihr Ausbeutersystem zu konservieren.

Wenn der Kampf um Mindestlöhne uns einen Schritt weiter bringen soll, den Blick zu öffnen auf die notwendigen Aufgaben hin zum Sozialismus, dann gibt es Einiges zu tun.

Denn alleine sind Mindestlöhne – selbst wenn sie eingehalten würden – bestenfalls ein Trostpflaster auf die Wunden; in der Hand von Sozialdemokraten sind Mindestlöhne nichts anderes als Beruhigungspillen, um von den krassen Widersprüchen des Kapitalismus abzulenken; in der Hand von Sozialdemagogen sind Mindestlöhne ein Mittel, um ihre chauvinistische und rassistische Hetzpropaganda zu verankern (NPD: „Sozial geht nur national“).

Für Sozialisten und Kommunisten ist der Kampf um Mindestlöhne der Anlass laut und deutlich die Forderung zu erheben: Mindestlohn – das sind die Brösel, wir wollen das ganze Brot – und die Brotfabriken und die Äcker mit dem Korn. Das ist die aktuelle Aufgabe, das haben wir in die Bewegung hineinzutragen.

Wie können wir die Kampfkraft der Arbeiterklasse erhalten und stärken?

Man kann nicht einfach bestreiten, dass Mindestlöhne den Maßlosigkeiten des reaktionären deutschen Finanzkapitals vorübergehend Schranken setzen könnten. Inhaltliche Regelungen sind samt Zeitgewinn hilfreich, um den weiteren Kampf gegen niedrige Löhne überhaupt vorzubereiten und besser durchführen zu können.

Aber mit der Mindestlohnregelung seit 1996 ist eine Situation entstanden, die nicht nur die die in der IG Bauen-Agrar-Umwelt organisierten Kollegen in den anstehenden Tarifrunden von einer Niederlage in die nächste treiben wird. In der Tat ist es so, dass – wo Mindestlohnregelungen wie am Bau bereits existieren – ihr Bestand akut gefährdet ist. Basierte doch das Gesetz von ‘96 und der ihm folgende Tarifvertrag auf der Diskriminierung der ausländischen Kollegen – und das auch noch auseinander dividiert in Ost und West. Das kann durch einen Tarifvertrag alleine nicht aufgehoben werden.

Und hier zeigt sich, dass die formale Gleichheit vor dem Gesetz als Ausdruck des Demokratismus – anders als in der Eigentumsfrage – für die Organisierung des Kampfes der Klasse gegen das Kapital von großer Bedeutung ist. Denn die volle Entwicklung des Demokratismus ist eine wichtige Voraussetzung dafür, im Kampf die Einheit aller lohnabhängig Beschäftigten gegen das Kapital durchzusetzen – Arbeiter und Angestellte, Mann und Frau, Deutscher und Nicht-Deutscher, Liberaler, Sozialdemokrat und Kommunist, Gewerkschaftsmitglied und Unorganisierter etc.

Wo liegt die eigentliche Schwierigkeit, den immer wieder drohenden freien Fall nicht nur dieser Löhne zu stoppen?

Einerseits fällt der Preis für die Ware Arbeitskraft (siehe Kasten „Wert der Arbeit“). Außerdem bestimmt auch in der Bauindustrie Konzentration und Monopolisierung die Entwicklung – nicht anders wie in anderen Bereichen der Produktion. Die Großen der Branche sind zu „Allroundern“ im Gewerbe geworden und bieten von der Planung über die Realisierung bis zur Verwaltung alles aus einer Hand. Die bloße Bautätigkeit wird zur Zuliefertätigkeit – kontrolliert und gedeckelt von wenigen Monopolen. Entsprechend nimmt der Preisdruck auf die mittleren und kleinen Baufirmen zu – Lohndrückerei bis hinein in die Illegalität wird zum Standard im Überlebenskampf.

Die kapitalistische Produktion entwickelt ... nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.[9]

Zum anderen gehen gleichzeitig immer mehr bauverwandte Betriebe dazu über, auch klassische Bautätigkeiten zu verrichten – besonders im Osten, wo der Druck auf die Branche am größten ist. Sei es der Malerbetrieb, der komplette Fassaden renoviert. Oder der Garten- und Landschaftsbau, der auch Straßen und Wege erstellt. „Jeder Fortschritt in der Produktion ist gleichzeitig ein Rückschritt in der Lage der unterdrückten Klassen.“[10]

Zusätzliche Dramatik erhält diese Situation dann auch noch durch den Opportunismus der Sozialdemokratie. Dass nämlich die IG Bau – dem Kampf um jeden Preis ausweichend – in diesen Bereichen bereits wesentlich geringeren Löhnen zugestimmt hat als im Bauhauptgewebe.

Das Ergebnis: Der alte Tarifvertrag läuft am 31. August 2008 aus. Bereits im Sommer 2007 für die westlichen Bundesländer ausgehandelte Mindestlöhne können jedoch in einem bundeseinheitlichen Tarif erst dann vom Arbeitsministerium abgesegnet werden, wenn in gesonderten Verhandlungen die wieder einmal niedrigeren Stundenlöhne für die Kollegen im Osten festgelegt wurden. Doch der Verhandlungsführer des dortigen Bauhauptgewerbes sagt mit Hinweis auf die voranstehend beschriebene und von der Gewerkschaft selbst verursachte Lage: „Dagegen sind wir nicht mehr wettbewerbsfähig.“[11] Und stellt die bereits etablierten Mindestlöhne in der Baubranche überhaupt zur Disposition.

In diesem Jahr ist der Druck so groß geworden, dass auch der DGB mit dem vordergründigen Verweis auf die Verteidigung der Tarifautonomie nur noch in die Defensive gerät. Wann hat z.B. die gesetzliche Bestimmung des Mindesturlaubs von 24 Tagen die Gewerkschaften je daran gehindert, bessere Tarifverträge abzuschließen?

Auch das, was der DGB heute in seiner Mindestlohnkampagne fordert, ist weder ausreichend noch praktikabel. Ein niedriger Mindestlohn birgt die Gefahr, dass die unmittelbar darüber liegenden Löhne unter Druck geraten. Denn kaum hatte im letzten Jahr ver.di die Forderung von 7,50 € beschlossen, da bekam sie „Unterstützung“ z.B. von der ostdeutschen Bauindustrie. Der Verband ging davon aus, dass der gesetzliche Mindestlohn, so er unter den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen zustande kommt, unter dem Mindestlohn der Bauindustrie liegen wird. Mindestlohn ist also noch lange nicht automatisch ein akzeptabler Mindestlohn und schon gar nicht stellt er automatisch ein Fortschritt für die Masse der heutigen Niedriglohnarbeiter dar.

Was nutzt ein Mindestlohn, wenn trotzdem 50 bis 60 Stunden in der Woche gearbeitet werden muss, um ein akzeptables Einkommen zu erzielen? Wenn so lange gearbeitet werden muss, dass keiner der Betroffenen am gesellschaftlichen Leben wie am Kampf teilnehmen kann. Nicht zu reden von dem niedrigen Lohn, den Menschen in Teilzeitbeschäftigung immer noch in Form von Billiglöhnen erhalten.

Also ist in Sachen Mindestlohn alles zu begrüßen, was das Selbstbewusstsein und die Kampfkraft steigert – anstatt – Wahrung des „sozialen Friedens“, dem Synonym für die reformistische Sozialpartnerschaft, die im schlimmsten Falle den Übergang in die faschistische Volksgemeinschaft vorbereiten hilft!

Die Sprengkraft der Arbeit

„Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch dadurch, dass es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren stört, während es andererseits die Arbeits­zeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt. Es vermindert die Arbeitszeit daher in der Form der notwendigen, um sie zu vermehren in der Form der überflüssigen; setzt daher die überflüs­sige in wachsendem Maß als Bedingung – question de vie et de mort – für die notwendige. Nach der einen Seite ruft es also alle Mächte der Wissenschaft und der Natur, wie der gesellschaftlichen Kombination und des gesellschaftlichen Verkehrs ins Leben, um die Schöpfung des Reich­tums unabhängig (relativ) zu machen von der auf sie angewandten Arbeitszeit. Nach der andren Seite will es diese so geschaffenen rie­sigen Gesellschaftskräfte messen an der Arbeitszeit, und sie einbannen in die Grenzen, die erheischt sind, um den schon geschaffenen Wert als Wert zu erhalten. Die Produktivkräfte und gesellschaftlichen Bezie­hun­gen - beides verschiedene Seiten der Entwicklung des gesellschaft­lichen Individuums - erscheinen dem Kapital nur als Mittel, und sind für es nur Mittel, um von seiner bornierten Grundlage aus zu produ­zie­ren. In fact aber sind sie die materiellen Bedingungen, um sie in die Luft zu sprengen.“

(K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Frankfurt/Wien, o.J., S. 593 f.)

Die NPD glänzt inzwischen schon mit sozialdemagogischen Sprüchen wie „Deutsch sein heißt sozial gerecht sein“ und fordert einen Mindestlohn von 8,80 € die Stunde.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang Organisierung der Klasse?

Wo es jetzt schon seit Jahrzehnten als akzeptabel gilt, Flüchtlinge in Zwangsunterkünfte einzusperren, illegale und illegalisierte Arbeiter für Hungerlöhne malochen und bei Entdeckung beschleunigt abschieben zu lassen, entwickelt sich ein politisches Klima, in dem auch Einkesselung und datenelektronische Erfassung von Demonstranten, die „präventive Aussperrung“ von Arbeitern, Haftstrafen für Brücken besetzende Stahlarbeiter und der immer wieder geforderte Einsatz der Bundeswehr im Innern mehr und mehr durchsetzbar werden.

Der alltägliche Rassismus erzeugt ein Klima, das von sozialer Hetze beherrscht wird und in dem sich der Ruf nach einem „starken Staat“ breit machen kann, der dieses Land nach innen wie nach außen „schützen“ soll. Aber mit welcher Berechtigung soll denn der Bock zum Gärtner gemacht werden? Wer glaubt, illegale Beschäftigung und Lohndumping bekämpfen zu können mit Polizei, Verschärfung des Ausländerrechts, Kappung des Asylrechts, Kürzung von Sozialleistungen, Arbeitszwang und „Hartz-IV-Schmarotzer“-Hetze à la BILD hilft dem schwarz-braunen Bürgerblock nur bei der Durchsetzung seiner reaktionären Ziele.

Das Kapital kann nicht anders als Arbeitskräfte international einzukaufen. Und zwar immer da, wo sie am billigsten – also auch illegal – zu haben sind. Die Beschränkung der Rechte ausländischer Arbeiter und der zunehmende Arbeitszwang für deutsche Langzeitarbeitslose bei ständiger Herabsetzung der Löhne dient einzig dazu, sie zunehmend und leichter als Lohndrücker und Streikbrecher einsetzen zu können.

Dabei gibt es einfache (wenn auch nicht einfach durchzusetzende) und wirksame Mittel dagegen: Abschaffung des Ausländerrechts, Wiederherstellung des Asylrechts, Organisierung in den Gewerkschaften, Abschaffung des „zweiten Arbeitsmarktes“ (Zeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, Scheinselbständigkeit etc.), Wiederherstellung des durchlöcherten Rahmentarifvertrages und gleicher Lohn für gleiche Arbeit – ob Ausländer oder Deutscher, Mann oder Frau, west- oder ostdeutscher Arbeiter!

All dies natürlich nur auf der Basis des gemeinsam organisierten Kampfes aller Gewerkschaften gegen das Kapital, der auch den – zunehmend direkt von Kapital finanzierten – gelben Spaltergewerkschaften den Boden entziehen kann. Anstatt also in „Arbeitsplatzpatriotismus“ zu machen – Frontstellung gegen Kapital und Reaktion!

Selbstverständlich wird durch formale Gleichheit – d.h. Gleichheit vor dem Gesetz – die soziale Ungleichheit – der antagonistische Widerspruch zwischen Kapital und Lohnarbeit –, von der alle arbeitenden Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft betroffen sind, nicht berührt. Es ist aber der Ausschluss von Ausländern, Frauen und „Ostdeutschen“ von der Teilhabe an der Rechtsgleichheit, der sie zu Menschen zweiter Klasse abstempelt, und oft daran hindert, solidarisch Seite an Seite den Kampf gegen Lohnraub und Unterdrückung aufzunehmen.

Wir sind so arm, weil wir die Kapitalisten so reich machen!

Es ist also gar nicht so schwierig, das Interesse aller Bauarbeiter und aller anderen in der Schlinge der Niedriglöhne gefangenen Kollegen festzustellen: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Zahlung nach Tarif der IG Bau, ver.di wie anderer Gewerkschaften! Sofortige Anpassung der Löhne zwischen Ost und Westdeutschland! Bei Zahlung unter Tarif- oder Mindestlohn: Gefängnis für den Unternehmer! – Dann braucht es keine Razzien auf Baustellen und anderswo, sondern nur noch im Lohnbüro!

Und noch eine Klarstellung: Es muss wieder deutlich gemacht werden, dass der bloße Lohnkampf angesichts der Zwänge des kapitalistischen Systems nur in einer Abwärtsspirale verläuft, wenn die Perspektive dieses Kampfes die Änderung des Gesellschaftssystems nicht als Ziel einschließt.

Im Kampf um mehr Lohn und soziale Rechte darf nie aus den Augen verloren werden, dass das Verhältnis Kapital – Arbeit ein gesellschaftliches Verhältnis ist. Beide Seiten sind zwei Seiten eines Widerspruchs, der – solange er existiert – antagonistisch ist und bleibt. Die eine Seite kann nur aufgehoben werden, wenn mit ihr auch die andere fällt. Damit sich also daran überhaupt jemals etwas ändert, müssen wir mit dem Ziel kämpfen, das kapitalistische System endgültig zu zerschlagen!

Aber: Aus der Verankerung von Rechten im bürgerlichen Gesetz resultiert keineswegs automatisch ihre tatsächliche Realisierung – das würde bedeuten, eine Rechtsfrage zu einer ökonomischen Frage zu machen. Mit dem Recht auf gleichen Lohn, Arbeit überhaupt etc. verhält es sich nämlich wie mit dem berühmt-berüchtigten Recht auf Eigentum an den Produktionsmitteln. Es existiert dadurch, dass es für alle Lohnabhängigen gar nicht existiert. Ebenso wie das allgemeine Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit nur auf der Grundlage des Besitzes an Papierfabriken, Buch- und Zeitungsverlagen existiert.

Deswegen ist der revolutionäre Sozialismus auch nicht einfach die allgemeine Durchsetzung dieser Rechte, auch wenn sie in den Verfassungen der sozialistischen Länder für den überwiegenden Teil der Menschen erstmals verwirklicht werden. Die Verwirklichung beginnt zwar mit der rechtlichen Garantie, dass niemand mehr Angst um seinen Arbeitsplatz haben muss. Aber diese Garantie unterliegt im Sozialismus den Schwankungen, Rückschlägen und revolutionären Sprüngen eines ständig zu führenden Kampfes um die Frage „Wer – wen?“ – ist also Ausdruck des nicht beendeten Klassenkampfes. Dieser Kampf endet erst mit dem Erreichen des Kommunismus. Wo die Bourgeoisie nicht nur ökonomisch als Klasse aufgehört hat zu existieren, sondern auch kulturell, moralisch und im alltäglichen Umgang mit den praktischen Problemen der Arbeit und den Gewohnheiten des Zusammenlebens ihren jahrhundertelangen Einfluss eingebüßt haben wird.

Wenn es also dieser Rechtsgarantie nicht mehr bedarf, weil das Prinzip verwirklicht sein wird „jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“

Oder um Friedrich Engels zu zitieren: „ ... dass der sog. Kampf ums Dasein also die Form annimmt: die von der bürgerlichen kapitalistischen Gesellschaft produzierten Produkte und Produktivkräfte gegen die vernichtende, zerstörende Wirkung dieser kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu schützen, indem die Leitung der gesellschaftlichen Produktion und Verteilung der dazu unfähig gewordenen Kapitalistenklasse abgenommen und der produzierenden Masse übertragen wird – und das ist die sozialistische Revolution.“[12]

KAZ-Fraktion „Ausrichtung
Kommunismus“, Karlchen

1 Süddeutsche Zeitung Nr. 165/17.7.08, S. 1 – Mindestlohn für 3,6 Millionen Deutsche

2 KAZ Nr. 276 – 22.3.1996, S. 8, Entsendegesetz: BDA und Blüm lassen Tarifvertrag platzen

3 Artikel in Zeit online vom 24.09.2007

4 Thilo Sarrazin-Mindestlohn Finanzsenator Sarrazin würde für fünf Euro jederzeit arbeiten gehen - business-on_de Berlin.mht – Übrigens hat Sarrazin, der als Treuhand-Mann Erfahrungen im Beutemachen hat, 46 Nebenjobs, darunter einige Aufsichtsratsposten, mit denen er seine 5 Euro aufbessern muss.

5 Billiglöhne sind insbesondere solche Löhne, die netto trotz Vollzeitstelle noch nicht einmal die Pfändungsfreigrenze erreichen: Diese liegt im Juli 2006 gemäß § 850 ZPO bei 985,15  (gleich Grundfreibetrag ohne Unterhaltsverpflichtung; bei Unterhaltsverpflichtungen entsprechend höher).

6 Zu den Strategien des Bürger­blocks und den „Antworten“ der Sozialdemokratie von 1914 bis heute siehe auch KAZ 323, Die mörderische Illusion vom Staat, der über den Klassen steht ..., S. 9 ff)

7 siehe dazu KAZ 284/Nov. 96, S. 5 f. Tatort Baustelle – Gleiches Recht für alle!

8 MEW Bd. 22, Dietz Verlag 1972, S. 18

9 MEW Bd. 23, S. 529 f. Karl Marx Das Kapital Erster Band

10 Marx-Engels Ausgewählte Schriften in zwei Bänden Dietz Verlag, S. 299 f. F. Engels, Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates

11 Der Spiegel Nr. 25/2008, S. 78 – Ost bedroht West

12 MEW Bd. 20, S. 565, F. Engels Dialektik der Natur

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