Hatte die „internationale Staatengemeinschaft“ – inzwischen schon fast Synonym für imperialistische Verbrecherbande – noch mit halbherzigem Getöse auf die Etablierung der von Stoiber und Co. geforderten und geförderten FPÖ/ÖVP-Regierung unter der faktischen Führung von Haider in Österreich reagiert, so ist der Regierungswechsel in Italien schon gänzlich ohne internationale Turbulenzen über die Bühne gegangen. Im Gegenteil! Berlusconi, der den MSI-Faschisten Fini (neuerdings Alleanza Nazionale) zu seinem Stellvertreter erkoren hat, darf sich auf dem G8-Treffen in Genua als „starker Mann“ präsentieren und hofieren lassen, der mit Polizei und Militär den Protest erstickt und auch vor Toten nicht zurückschreckt. Gerhard Schröder und Josef Fischer – noch so erbärmlich mutig und vor keiner Moralkeule zurückschreckend, als es gegen das arme, geschwächte Jugoslawien ging – knicken ein, sind beflissen und verhandeln sachlich über Probleme, die sie nicht lösen können: Klima, Konjunktur, Aids. Ihr Verhalten auf der internationalen Bühne wirft ein bezeichnendes Licht darauf, wie ihr Widerstand gegen rechts, gegen Stoiber aussehen wird.
Grund genug, die in der KAZ begonnene Serie mit Beiträgen über die faschistische Gefahr, fortzusetzen.
Gespräch des Genossen Kurt Gossweiler mit Gertrud Bongaerts, Mitarbeiterin der Internationalen Abteilung der Partei der Arbeit Belgiens.
Frage: Welches sind die ökonomischen und politischen Voraussetzungen für das Entstehen des Faschismus?
Genosse Gossweiler: Der Faschismus ist ein Produkt des Hinüberwachsens des Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium und des Eintritts der kapitalistischen Gesellschaft in das Zeitalter der imperialistischen Kriege und der proletarischen Revolutionen.
Die mit diesem Übergang neu entstandenen Bedürfnisse der nunmehr imperialistischen Bourgeoisie hat Rudolf Hilferding schon 1910, als er noch ein marxistischer Theoretiker war, hellsichtig erkannt: „Als ideal erscheint es jetzt, ... die Herrschaft über die Welt zu sichern ... Zugleich stärkt die zunehmende Macht der Arbeiter das Streben des Kapitals, die Staatsmacht zur Sicherung gegen die proletarischen Forderungen noch weiter zu verstärken.“[1] Als Ergebnis seiner Studien über den Imperialismus formulierte Lenin: „Der freien Konkurrenz entspricht die Demokratie. Dem Monopol entspricht die politische Reaktion.“[2]
Die Vorläufer faschistischer Parteien entstanden schon vor und während des Ersten Weltkrieges als Antwort auf das von Hilferding und Lenin konstatierte neue Streben der imperialistischen Bourgeoisie nach Reaktion und Gewalt. Faschistische Gestalt nahm dieser Drang aber erst nach dem Ersten Weltkrieg und nach dem Sieg der Oktoberrevolution an, also erst nach dem Eintritt des Kapitalismus in das Stadium, das wir – wie ich meine, noch immer zu Recht – als das Stadium seiner allgemeinen Krise bezeichnet haben. Palmiro Togliatti bezeichnete die faschistischen Parteien deshalb auch als „eine bürgerliche Partei besonderen Typs ... sie ist gleichsam eine Partei ,neuen Typs’ der Bourgeoisie, die den Umständen der Auflösungsperiode des Kapitalismus sowie denjenigen der Epoche der proletarischen Revolutionen entspricht.“[3]
Welche Aufgaben sollte diese neue politische Waffe für die Monopolbourgeoisie lösen?
Sie sollte der imperialistischen Bourgeoisie ermöglichen, die Ziele zu erreichen, die zu erreichen ihr mit Hilfe der alten bürgerlichen Parteien nicht mehr möglich war: erstens die Beseitigung der Revolutionsgefahr, zweitens die erfolgreiche Verwirklichung ihrer maximalen Expansionsziele. Die Revolutionsgefahr sollte in erster Linie durch die Vernichtung der Arbeiterbewegung beseitigt werden; kennzeichnend für die faschistischen Parteien ist aber, dass sie die terroristische Unterdrückung der Arbeiterbewegung begleiten mit dem Versuch, durch scheinsozialistische, scheinrevolutionäre, schein-antibürgerliche Phraseologie und Demagogie große Teile der Arbeiterklasse von ihren alten Organisationen loszulösen und ins rechte, nationalistische Lager zu ziehen, sie zu „nationalisieren“, wie das im Jargon der Hitlerfaschisten und ihrer monopolkapitalistischen Förderer genannt wurde. Das kommt bereits im Namen der Nazipartei zum Ausdruck, der in jedem seiner Bestandteile lügt: nationalsozialistische Deutsche Arbeiter Partei“.
Ist die Existenz einer großen Massenbewegung, wie der Mussolini-Partei in Italien und der NSDAP in Deutschland, eine unabdingbare Voraussetzung für die Errichtung einer faschistischen Diktatur?
Nein, keineswegs. Die meisten faschistischen Staaten der Zwischenkriegsperiode und auch der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg entstanden im Ergebnis von Militäraktionen: man denke an das Horthy-Regime in Ungarn, an das Zankoff-Regime in Bulgarien, die Franco-Diktatur in Spanien, an die Pinochet-Diktatur in Chile und an das Obristen-Regime in Griechenland, um nur die bekanntesten zu nennen. Schon 1928 hat Georgi Dimitroff zwei Haupttypen der faschistischen Diktatur unterschieden. Er schrieb: „Die besonderen Bedingungen in den Ländern Südosteuropas verleihen dem Faschismus einen eigentümlichen Charakter. Die Eigentümlichkeit besteht vor allem darin, dass sich der Faschismus in diesen Ländern, zum Unterschied vom Faschismus in Italien zum Beispiel, vorwiegend nicht von unten, durch eine Massenbewegung, als staatliche Regierungsform durchsetzt, sondern im Gegenteil von oben. Sich auf die usurpierte Staatsmacht, die militärischen Kräfte der Bourgeoisie und die Finanzmacht des Bankkapitals stützend, versucht der Faschismus in die Massen einzudringen und sich unter ihnen eine ideologische, politische und organisatorische Stütze zu schaffen.[4]
Die beste, umfassendste Antwort auf diese Frage finden wir noch immer bei Georgi Dimitroff in seinem Referat auf dem VII. Weltkongress der KI, zu dem wir immer wieder zurückgreifen sollten, wenn wir uns über den Faschismus in Vergangenheit und Gegenwart Klarheit verschaffen wollen.
War der deutsche Faschismus in Gestalt der Nazipartei NSDAP eine Partei des Kleinbürgertums?
Nein. Man darf die soziale Zusammensetzung einer Partei nicht zum Kriterium dessen machen, welche Klasseninteressen sie vertritt. Die Masse der Mitglieder und Wähler der NSDAP kamen in der Tat aus dem Kleinbürgertum. Aber sie war von Anbeginn an eine Partei der reaktionärsten Kräfte der deutschen Oberklassen, der Großbourgeoisie und des Junkertums, sowie der Militärkaste. Ich kann das hier nicht im Einzelnen belegen, habe das aber in meinen Büchern ausführlich getan.[5] Die NSDAP wurde von Vertretern des Alldeutschen Verbandes und des Militärs aus der Taufe gehoben. Der Alldeutsche Verband war im Wilhelminischen Deutschland die Interessenvertretung der reaktionärsten Kreise der deutschen Schwerindustrie und vertrat die expansivsten Kriegsziele des deutschen Imperialismus. Es waren gerade diese Kreise, die am gierigsten nach Revanche für den verlorenen Krieg lechzten und als Voraussetzung dafür zum einen die Vernichtung der deutschen Arbeiterbewegung, zum anderen die „Nationalisierung der Arbeiterschaft“ durch die Heranbildung einer nationalistischen „Arbeiterpartei“ zum Ziele hatten. Ihr Kind, die „Deutsche Arbeiterpartei“, die wenig später durch einen Zusatz die Bezeichnung „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ annahm, hatte als ihre Zielgruppe ursprünglich nicht das Kleinbürgertum, sondern die Arbeiter ins Visier genommen. Aber der erwünschte und erhoffte Zulauf aus der Arbeiterklasse blieb aus. Statt, wie von ihren Förderern aus der herrschenden Klasse erhofft, den beiden Arbeiterparteien – KPD und SPD – die Anhänger wegzunehmen, zog sie die kleinbürgerlichen und bürgerlichen Wähler der alten bürgerlichen Parteien zu sich herüber; diese – die Deutschnationale Volkspartei Hugenbergs, die Deutsche Volkspartei – deren prominentester Führer bis zu seinem Tode 1929 Stresemann gewesen war –, die katholische Zentrumspartei und verschiedene kleinere Parteien, erreichten bei den letzten Reichstagswahlen in der Weimarer Republik im November 1932 zusammen mit knapp 30 Prozent der Wählerstimmen nicht einmal soviel, wie die NSDAP – mit 33 Prozent – alleine. Vier Jahre zuvor, bei den Reichstagswahlen von 1928, sahen die Zahlen noch so aus: Die gleichen alten bürgerlichen Parteien erhielten zusammen über 55 Prozent der Stimmen, die NSDAP dagegen ganze 2,6 Prozent! Die Stimmen für die beiden Arbeiterparteien blieben dagegen fast konstant: 1928: SPD 29,8 und KPD l0,6 Prozent; 1932: SPD 20,4 und KPD 16,8 Prozent.
Warum hat das deutsche Großkapital die NSDAP großgezogen? Wofür brauchten sie die NSDAP, wenn es der doch nicht gelungen war, die Aufgabe der „Nationalisierung“ der Arbeiter zu lösen?
Die angestrebte, aber verfehlte Gewinnung einer großen Anhängerzahl aus der Arbeiterklasse war nicht Selbstzweck, sondern war gedacht als ein den Terror gegen die Arbeiterbewegung ergänzendes Mittel zur Erreichung des innenpolitischen Hauptzieles – der Vernichtung der Arbeiterbewegung. Keine der anderen bürgerlichen Parteien war dafür so geeignet wie die NSDAP, die nicht nur Partei war, sondern eine Partei, die zugleich in der SA und der SS und ihren Sturm-Abteilungen und Schutz-Staffeln über von Reichswehroffizieren ausgebildete militärische Terror- und Bürgerkriegstruppen verfügte. Sie war aber auch wie keine andere Partei der Monopolbourgeoisie geeignet, das deutsche Volk auf ihr außenpolitisches Hauptziel, den zweiten Griff nach der Weltmacht, zu präparieren. Ich muss das nicht weiter ausführen. Die Völker haben noch gut in Erinnerung, wie gut den Nazis das gelungen ist.
Du hast in Deinen Aufsätzen davon gesprochen, dass das Legalitäts-Prinzip eine große Rolle gespielt hat bei der Entscheidung der herrschenden Kreise für die NSDAP. Wie ist das zu verstehen?
Die reaktionärsten, aggressivsten Kreise der Herrschenden in Deutschland hatten ja schon bald nach 1918 Versuche gemacht, die Weimarer Republik zu stürzen und ein offenes Diktaturregime zu installieren. Der bekannteste dieser Versuche war der Kapp-Putsch im März 1920. Sein Scheitern hat sich im Bewusstsein der klügsten Vertreter der herrschenden Klasse tief eingebrannt. Statt zur erstrebten Militärdiktatur zu führen, hatte dieser Versuch, die Republik durch einen Militärputsch zu beseitigen, den bewaffneten Widerstand der Arbeiterklasse hervorgerufen, zur Bildung einer Roten Armee im industriellen Herzen Deutschlands, im Ruhrgebiet, geführt und die Arbeiterschaft in einem Maße revolutioniert, wie seit den Novembertagen 1918 nicht mehr. Die entscheidenden Kreise der herrschenden Klasse Deutschlands haben daraus die Lehre gezogen, künftig den illegalen, putschartigen Weg auszuschließen und statt dessen nur den „legalen“ Weg zur Beseitigung der Weimarer Republik zuzulassen. Dieser legale Weg konnte aber nur darin bestehen, im Parlament eine Zweidrittelmehrheit für die Außerkraftsetzung der bestehenden Verfassung zu erreichen. Mit ihren beispiellosen Wahlerfolgen seit 1929/30 gewann die NSDAP in den Augen der führenden Kräfte der deutschen Monopolherren, Großgrundbesitzer und Militärs zu allen anderen Vorzügen auch noch den unschätzbaren Vorzug hinzu, die einzige der ihr zur Verfügung stehenden Parteien zu sein, die den notwendigen „legalen“ Weg zur Liquidierung der verhassten Weimarer Republik eröffnen konnte. Die beiden entscheidenden Schritte zur Verwirklichung des legalen Mordes an der Weimarer Republik waren erstens die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten Hindenburg am 30. Januar 1933 und zweitens die Zustimmung aller im Parlament vertretenen bürgerlichen Parteien – außer der Sozialdemokratischen Partei – am 23. März 1933 zum sogenannten „Ermächtigungsgesetz“ das dem Hitlerkabinett freie Hand gab, künftig Gesetze auch ohne Zustimmung des Reichstages zu erlassen.
Gab es eine ökonomische Zwangsläufigkeit für den Faschismus in Deutschland oder in Italien?
Eine solche Zwangsläufigkeit wurde z.B. von Alfred Sohn-Rethel postuliert.[6] Aber es gab sie weder in Italien noch in Deutschland bei der Errichtung der faschistischen Diktatur. Es gibt keine ökonomischen Zwangsgesetze, die anstelle des Klassenkampfes über die Gestalt des politischen Herrschaftssystems entscheiden. Am 30. Januar 1933 fiel eine politische Entscheidung, die nicht unvermeidbar war. Der Machtantritt des Faschismus hätte – genau wie 1920 der Kapp-Putsch – zum Scheitern gebracht werden können, wenn die Antifaschisten wie damals in einer geschlossenen Abwehrfront der faschistischen Regierung entgegengetreten wären.
Hatte die deutsche Bourgeoisie keinen anderen Ausweg aus der Krise?
Ich erinnere mich gut: damals, 1932, waren wir Kommunisten der Meinung, es gäbe in Deutschland nur noch die Alternative: Sowjetstern oder Hakenkreuz, Sowjetdeutschland oder Faschismus. Und auch noch Dimitroff formulierte auf dem VII. Weltkongress der KI: der Sieg des Faschismus „bringt die Schwäche der Bourgeoisie zum Ausdruck, die... nicht mehr imstande ist, die Diktatur über die Massen mit den alten Methoden der bürgerlichen Demokratie und des Parlamentarismus aufrechtzuerhalten.“
In dieser Formulierung kam eine große Überschätzung der eigenen revolutionären Kräfte und eine Unterschätzung der Stärke der deutschen Bourgeoisie zum Ausdruck. Die Herrschenden in Deutschland schätzten das Klassenkräfteverhältnis nüchtern ein: Die Weltwirtschaftskrise hatte ihren Tiefpunkt im Herbst 1932 schon durchschritten, von daher war keine weitere Zuspitzung der sozialen Konflikte zu befürchten; die Kommunistische Partei war im wesentlichen eine Partei der Arbeitslosen und daher nicht einmal in der Lage, einen Generalstreik zu organisieren, wenn die Gewerkschaften und die SPD nicht mitmachten, und dass die einem Aufruf der KPD zum Generalstreik nicht folgen würden, dessen konnte sich die Monopolbourgeoisie sicher sein. Sie wusste also, dass in Deutschland keine siegreiche sozialistische Revolution zu befürchten war. Was sie in Wahrheit befürchtete, das war der Rückfall aus der bestehenden Präsidialdiktatur, in der nicht mehr das Parlament, sondern der Reichspräsident die Gesetze mit Hilfe des „Notstands“-Artikels der Verfassung erließ, in eine normal funktionierende parlamentarische Republik mit einer gestärkten Linken und anspruchsvollen Gewerkschaften und einer zerfallenen, geschwächten NSDAP, war also die Wiederkehr von Verhältnissen, die alle Hoffnungen auf einen neuerlichen kriegerischen Griff nach der Weltmacht zunichte machen mussten. Diesen Rückfall wollte sie nicht zulassen. Sie wollte endlich die Fesseln des Versailles Vertrages abschütteln und freie Hand bekommen für den Kampf um die Nummer Eins bei der Neuaufteilung der Welt, für den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und den Raub ihrer Reichtümer. Dazu brauchte sie den Faschismus. Die Kräfte der Revolution waren 1932/33 leider nicht stark genug, um den deutschen Imperialismus stürzen zu können.
Es wird von bürgerlicher Seite oft gesagt, die deutschen Arbeiter hätten sich von den Nazis, den deutschen Faschisten, mitreißen lassen. Stimmt das?
Ganz entschieden: Nein. Wahr ist, dass die Nazis große Bemühungen unternommen haben, in die deutsche Arbeiterklasse einzudringen und große Teile von ihr auf ihre Seite zu ziehen. Sie versuchten z.B. arbeitslose Arbeiter zu korrumpieren, indem sie ihnen versprachen, sich um Arbeit für sie zu bemühen, wenn sie der SA
beiträten; außerdem erhielten sie mit ihrem Eintritt in die SA kostenlos die SA-Uniform und damit Kleidung und Schuhwerk. Aber sie erlitten bei diesen ihren Bemühungen um die Gewinnung der Masse der Arbeiter kläglichen Schiffbruch. Das geht allein schon aus den Ergebnissen der Reichstagswahlen hervor, die ich vorhin genannt habe. Bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 hatte die NSDAP 13,7 Millionen Stimmen erhalten, die sie allesamt den bürgerlichen Parteien abgenommen hatte; damals wurde geschätzt, dass von diesen rund 14 Millionen 12 Millionen aus dem Bürgertum, dem Kleinbürgertum und der Bauernschaft kamen und nur etwa 2 Millionen aus der Arbeiterschaft. Wie schon vorher gezeigt, blieb die Wählerschaft der beiden Arbeiterparteien KPD und SPD zusammengenommen konstant und betrug 13,2 Millionen, nämlich 8 Millionen SPD- und 5,2 Millionen KPD-Stimmen.
Vor den letzten Reichstagswahlen in der Weimarer Republik – sie fanden am 6. November 1932 statt – hatten die Nazis ihre soziale Demagogie auf die Spitze getrieben. Die 1929/30 gegründete „NSBO“, die „Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation“ der Nazis, hat als unternehmerfreundliche Organisation ihre Hauptaufgabe im Kampfe gegen die KPD, gegen die RGO (Revolutionäre Gewerkschafts-Opposition) und gegen die Gewerkschaften gesehen und sich als Streikbrecher-Organisation betätigt. Im August 1932 gab die Leitung der NSBO auf einmal die Mitteilung heraus, sie werde künftig an Mitglieder, die sich an Streiks beteiligen, Unterstützung zahlen, und als die Berliner Verkehrsarbeiter Anfang November 1932 beschlossen, gegen Lohnherabsetzung in den Streik zu treten, beteiligte sich die NSBO an diesem Streik.
Das brachte Hitler, als er am 19. November vom Reichspräsidenten Hindenburg empfangen wurde, dessen Vorwurf ein, worauf Hitler sich mit der Erklärung entschuldigte: „Die Leute sind sehr erbittert. Wenn ich meine Leute von der Beteiligung abgehalten hätte, hätte der Streik doch stattgefunden, aber ich hätte meine Anhänger in der Arbeiterschaft verloren.“[7] Aber das alles hatte nichts genützt: In den Novemberwahlen verloren die Nazis 2 Millionen Stimmen und fielen auf 11,7 Millionen zurück, die beiden Arbeiterparteien blieben bei 13,2 Millionen, aber die SPD hatte 700.000 Stimmen verloren, die KPD genau die gleiche Stimmenzahl gewonnen. Die NSDAP befand sich in einer empfindlichen Krise, und gerade deshalb beeilte sich das Großkapital nun ganz besonders, sie an die Macht zu bringen, um dieses ihr so sorgfältig großgezogenes Instrument nicht wieder zu verlieren. Kein anderer als der Bankier Kurt von Schröder, der eine besonders aktive Rolle bei der Vorbereitung der Machtübergabe an Hitler gespielt hatte, sagte vor dem Nürnberger Gericht aus: „Die allgemeinen Bestrebungen der Männer der Wirtschaft gingen dahin, einen starken Führer in Deutschland an der Macht zu sehen ... . Als die NSDAP am 6. November 1932 ihren ersten Rückschlag erlitt und somit also ihren Höhepunkt überschritten hatte, wurde eine Unterstützung durch die deutsche Wirtschaft besonders dringend.“[8] Also: nicht die Stimmen der Millionen Wähler, sondern die Millionäre haben die schon von einer Krise geschüttelte NSDAP Hitlers an die Macht gebracht.
Hätte die Errichtung und Konsolidierung der faschistischen Diktatur nicht verhindert werden können?
Die deutsche Arbeiterklasse hatte – wie schon vorhin erwähnt – im Jahre 1920 bewiesen, dass sie der Faschistischen Konterrevolution den Weg verlegen kann, wenn sie einheitlich und geschlossen kämpft. Die Kommunistische Partei hat sich seit dem Aufkommen der faschistischen Gefahr entschlossen und hartnäckig um die Herstellung einer Einheitsfront von Kommunisten und Sozialdemokraten und überhaupt aller Antifaschisten gegen das Vordringen der Nazi-Faschisten bemüht. Aber diese Bemühungen scheiterten an der hartnäckigen Ablehnung aller Aufrufe und Angebote der KPD durch die sozialdemokratischen Führer.
Vielfach kann man hören und lesen, schuld am Nichtzustandekommen der Einheitsfront sei die zu linke, sektiererische Politik der KPD gewesen?
Ja, das ist die uralte, längst widerlegte sozialdemokratische Schutz-Lüge, mit der die eigene Schuld auf die Kommunisten abgewälzt wird. ... Zur Begründung werden linke Fehler der KPD angeführt, die es in der Tat als Reaktion auf die pro-imperialistische, arbeiterfeindliche Politik der sozialdemokratischen Führer von Gustav Noske 1918/19 – („einer muss der Bluthund sein“) – bis zum Verbot der 1. Mai-Demonstration 1929 des Berliner SPD-Polizeipräsidenten Zörgiebel und dessen Schiessbefehl, dem 33 Tote am 1. Mai 1929 zum Opfer fielen, gab. Zu ihnen gehörte vor allem die „Sozialfaschismus“-These. Die vor dem Vergießen von Arbeiterblut nicht zurückschreckende Politik der Noske und Severing und Zörgiebel sowie die Tatsache, dass solche Führer faschistischer Regimes, wie Mussolini in Italien, Pilsudski in Polen, aus der Sozialdemokratie hervorgegangen waren, bildeten die Grundlage für das Entstehen der Theorie, dass die Sozialdemokratie, die sich im ersten Weltkrieg zum Sozial-Imperialismus und zum Sozial-Chauvinismus entwickelt hatte, sich nun auf dem Wege zum Sozialfaschismus befinde und selbst Träger eines faschistischen Regimes sein könne.[9] Zeitweilig wurde daraus in der Führung der KPD die Schlussfolgerung gezogen, dass die Einheitsfront mit der Sozialdemokratie nur „von unten“, mit den sozialdemokratischen Mitgliedern, nicht jedoch „von oben“, durch Einheitsfrontabkommen mit den SPD-Führern, zustande kommen könne und dürfe.
Lässt sich diese These noch als eine zwar falsche, aber verständliche und nahezu unvermeidliche Reaktion auf die arbeiterfeindliche Politik der SPD-Führer erklären, so liegt die Sache sehr anders bei dem schweren Fehler der Beteiligung der KPD an dem im Sommer 1931 von den Deutschnationalen und der Nazipartei betriebenen Volksentscheid mit dem Ziel des Sturzes der sozialdemokratisch geführten Regierung Braun-Severing in Preußen. Am Beginn der Nazi-Kampagne hatte die KPD eine klar ablehnende Stellungnahme zu diesem Volksentscheid eingenommen. Durch eine Intrige gelang es aber den beiden Mitgliedern des KPD-Sekretariats Heinz Neumann und Hermann Remmele, diese Stellungnahme umzustoßen und einen Beschluss zur Teilnahme an dem Nazi Volksentscheid durchzusetzen.[10] Die beiden hatten damit der SPD-Führung einen hocherwünschten Vorwand geliefert für die Ablehnung aller künftigen Einheitsfront-Angebote der KPD an die SPD; konnte sie ihren Mitgliedern gegenüber diese Ablehnung doch nun damit begründen, ein Einheitsfront-Angebot der KPD gegen die Nazis könne doch nicht ernst gemeint sein, nachdem die KPD noch vor kurzem in einer Einheitsfront mit den Nazis die SPD-Regierung in Preußen habe stürzen wollen. Trotz der grundsätzlich einheitsfrontfeindlichen Einstellung der SPD-Führung und auch trotz der eigenen sektiererischen Hemmungen, wie sie in der Losung „Einheitsfront nur von unten“ ihren Ausdruck fanden, kämpfte die KPD unermüdlich um die Herstellung der breitesten Einheitsfront gegen den Faschismus. Die praktische Politik der KPD-Führung ließ sich stärker von den politischen Erfordernissen des Kampfes gegen den Faschismus als von solchen falschen, doktrinären Festlegungen leiten; sowohl örtlich als auch zentral wandte sich die KPD immer wieder an die Führungen der SPD mit Angeboten und der Aufforderung zum gemeinsamen Kampf gegen die Vorstöße der reaktionären Regierungen und der Faschisten; ein solches Angebot zum gemeinsamen Aufruf zum Generalstreik richtete die Führung der KPD an die SPD- und die Gewerkschaftsführung sowohl am 20. Juli 1932, als die Papen-Reichsregierung die sozialdemokratisch geführte Regierung Braun-Severing in Preußen durch einen Staatsstreich absetzte, als auch erneut am 30. Januar 1933 gegen die Bildung der Hitlerregierung. Beide Male lehnte die SPD-Führung ab, am 30. Januar mit der Begründung, die SPD werde nicht die erste sein, „die den Boden der Verfassung verlässt.“ Im Gegensatz zu ihrer Führung kämpften aber viele sozialdemokratische Arbeiter und Angehörige des sozialdemokratisch geführten „Reichsbanner“ gemeinsam mit ihren kommunistischen Genossen gegen die Überfälle von SA-Banden. Wie abwegig, wenn nicht gar nur geheuchelt die Vorwürfe gegen die Kommunisten sind, wird besonders offenkundig, wenn wir die Frage stellen: Warum kommt eigentlich keiner von denen, die diese Vorwürfe gegen die KPD erheben, auf die Idee, diesen Vorwurf gegen die Sozialdemokratie zu kehren? Warum klagen sie diese nicht an, die Einheitsfront verhindert zu haben, da diese doch schon von 1922 an, seitdem die Mussolini-Faschisten ihre Diktatur in Italien errichtet haben, und bis zum heutigen Tage ununterbrochen die Kommunisten mit den Faschisten gleichsetzen, sie als „rotlackierte Faschisten“ verunglimpfen? Warum kommt keiner von ihnen auf die Idee, die Schuldigen für die Vereitelung der Einheitsfront in den Noske, Müller, Zörgiebel und Braun-Severing zu sehen oder in den SPD-Reichstags-Abgeordneten, die am 17. Mai 1933 der Hitler-Erklärung zur Außenpolitik des faschistischen Deutschland ihre Zustimmung gaben?
Die Wahrheit ist: Die Kommunistische Partei Deutschlands hat als einzige unermüdlich und in vollem Bewusstsein dessen, dass der Faschismus Krieg und Vernichtung aller schwer erkämpften Errungenschaften der deutschen Arbeiterklasse und grausamste terroristische Unterdrückung bedeuten würde, für die Herstellung der Einheitsfront gegen den Faschismus gerungen. Die Einheitsfront konnte nicht zustande kommen, weil der Antikommunismus der sozialdemokratischen Führer stärker war und ist, als ihr Antifaschismus. Selbst nachdem die Kommunisten auf dem VII. Weltkongress der Komintern im Jahre 1935 ihre sektiererischen Fehler korrigierten und die Einheitsfrontangebote ohne jede Einschränkung an die Führer der Sozialdemokratie richteten, blieben diese bei ihrer Ablehnung überall dort, wo der Druck von unten auf sie nicht stark genug war. Das schändlichste Beispiel für die Begünstigung des Faschismus lieferte die französische Volksfront-Regierung Leon Blums mit ihrer Weigerung der Unterstützung der spanischen Volksfrontregierung gegen Franco unter dem Vorwand der „Nichteinmischung“.
Wie verhielt sich die deutsche Arbeiterklasse zur faschistischen Diktatur?
Die überwiegende Mehrheit der deutschen Arbeiter stand der Nazidiktatur noch längere Zeit deutlich ablehnend gegenüber. Das zeigte sich sehr eindrucksvoll noch bei den Wahlen der Vertrauensräte in den Betrieben, die im März-April 1934 stattfanden und bei denen rund 75 Prozent der stimmberechtigten Arbeiter entweder direkt durch ein „Nein“ auf den Stimmzetteln oder durch Wahlenthaltung die Nazikandidaten ablehnten.[11] Selbst ein Jahr später stimmten – nach den in der Nazi-Presse veröffentlichten Angaben! – trotz des nunmehr viel schärferen Terrors noch immer 30 bis 40 Prozent der Arbeiter bei den Vertrauensrätewahlen direkt oder indirekt gegen die Nazi-Kandidaten.[12] Daraufhin wurden in den folgenden Jahren überhaupt keine Vertrauensrätewahlen mehr durchgeführt. Erst allmählich gelang es den Faschisten, die mehrheitliche Gegnerschaft in der Arbeiterklasse zu neutralisieren und schließlich auch bei breiten Schichten der Arbeiterschaft ihre Naziideologie zur vorherrschenden Ideologie werden zu lassen. Den Hauptanteil daran hatten zum einen die vorher von vielen nicht für möglich gehaltene, vornehmlich durch die Aufrüstung bewirkte Verminderung und schließlich völlige Beseitigung der Arbeitslosigkeit von 1932 rund 8 Millionen Erwerbslosen, zum anderen die ebenso wenig für möglich gehaltenen, Hitler von den Westmächten zugespielten außenpolitischen Erfolge, wie die widerstandslose Wiedereinführung der Wehrpflicht, die Rheinlandbesetzung, das Flottenabkommen mit England, die Annexion Österreichs, die „friedliche“ Eroberung des sogenannten „Sudetenlandes“ dank des „Münchener Abkommens“ Englands und Frankreichs mit Hitler, und schließlich deren widerstandsloses Hinnehmen der Zerschlagung und Besetzung der Tschechoslowakei durch Hitlerdeutschland. Dazu kam, dass sowohl das eine – die Beseitigung der Arbeitslosigkeit –, wie das andere, – die faschistische Aussenpolitik –, von sozialdemokratischen Politikern, wie schon erwähnt – gebilligt und von einigen gar in den höchsten Tönen gelobt wurde. So ließ sich z.B. der langjährige sozialdemokratische Reichstags-Präsident Paul Löbe einem Vertreter der belgischen Zeitung „Libre Belgique“ gegenüber so vernehmen: er sei „objektiv genug, zuzugeben, dass die neuen Führer Deutschlands mit einem schönen Ungestüm Probleme in Angriff genommen hätten, die sie, die Sozialdemokraten, nicht hätten lösen können ... . Wenn es der neuen Regierung gelänge, sechs Millionen Arbeitslose wieder einzustellen, so wäre das eine Heldentat, die mir Achtung abnötigen würde.“[13]
Trotz des Eindringens der Nazi-Ideologie in breite Schichten der Arbeiterklasse war sie die Klasse, aus der heraus dem Faschismus von Anfang an der stärkste, konsequenteste und opferreichste Widerstand geleistet wurde, dessen Träger vor allem Kommunisten und Sozialdemokraten waren. Der englische Historiker Allan Merson schrieb in seinem 1985 in London, in deutscher Übersetzung 1999 erschienenen Buch über den kommunistischen Widerstand in Deutschland: „Von allen Parteien und Gruppierungen war der Widerstand der Kommunisten gegenüber dem Dritten Reich der stärkste. Er kam nie zum Erliegen, selbst nicht zu Zeiten des Nichtangriffspakts. Wo immer die Ereignisse Kommunisten zusammenbrachten – ob in Fabriken, Arbeitervierteln, Heereseinheiten, in Gefängnissen oder Konzentrationslagern –, bildeten sie Gruppen und versuchten, politischen Widerstand zu leisten. Seite an Seite hatten sie mit den spanischen Republikanern gekämpft, mit den Partisanen vieler europäischer Freiheitsbewegungen, mit der Roten Armee. Der Preis an Menschenleben war ungeheuer. Von den 300.000 Mitgliedern, die die Partei 1932 hatte, waren schätzungsweise 150.000 verhaftet und verfolgt worden; an die 25.000 bis 30.000 waren ermordet oder hingerichtet worden oder infolge Misshandlungen in Konzentrationslagern gestorben. Die Verluste überstiegen bei weitem die jeder anderen Widerstandsgruppe oder Partei in Deutschland.“[14] Der kommunistische Widerstand – das war konzentrierter Ausdruck dessen, dass der Hauptträger des Widerstands die Arbeiterklasse war.
Welche Rolle spielten die sogenannten bürgerlich-demokratischen Parteien? In welchem Verhältnis stehen sie zur faschistischen Partei?
Alle bürgerlichen Parteien sind letzten Endes Parteien der herrschenden Klasse, aber jeweils unterschiedlicher Gruppen oder Fraktionen dieser Klasse. Sie vertreten also zunächst Teilinteressen, aber immer innerhalb des Gesamtinteresses des Gesamt-Monopolkapitals. Daher kommt es, dass die bürgerlichen Parteien in der bürgerlich-parlamentarischen Ordnung auch unterschiedlichen politischen Konzepten folgen und wir in bestimmten Grenzen durchaus zu Recht von bürgerlichen Rechts-, Mittel- und Linksparteien sprechen können. Aber in Entscheidungssituationen, in denen die Teilinteressen dem Gesamtinteresse völlig unterzuordnen sind, treten sie alle wie eine Partei – eben die Partei des herrschenden Gesamtmonopolisten – auf: als es darauf ankam, den legalen Übergang aus der Weimarer Republik in die faschistische Diktatur zu ermöglichen, stimmten alle bürgerlichen Parteien geschlossen dem Ermächtigungsgesetz zu. Die sozialdemokratische Partei leistete als bürgerliche Arbeiterpartei ihren Beitrag zum Gelingen des Vorhabens, indem sie dessen einzig mögliche Störung, nämlich durch den geschlossenen Arbeiterwiderstand, verhinderte. Im Verhältnis zum Faschismus spielen die rechten, konservativen Parteien, eine besondere Rolle. Solange die faschistischen Parteien – die man heute mit dem weniger belastenden Etikett „rechtsextremistisch“ zu versehen beliebt –, noch um ihre Anerkennung als normaler Bestandteil der bürgerlich-parlamentarischen „freiheitlichen Grundordnung“ zu ringen haben, fanden und finden die Nazis und die „Republikaner“ und die Haiders in den konservativen Parteien ihren wohlwollenden, den mäßigenden Vormund spielenden Förderer, später den unentbehrlichen Koalitionspartner, der den Weg zum weiteren Aufstieg ebnet. ...
Hat die Bourgeoisie aus der Niederlage des Faschismus nicht die Lehre gezogen, dass sie heute die demokratische Fassade aufrechterhalten muss?
Wer aufmerksam zur Kenntnis nimmt, was seit zehn Jahren auch und gerade in Mittel- und Westeuropa vor sich geht, der kommt nicht umhin, festzustellen: Die Herrschenden haben offenbar keine größere Sorge als die, die Hemmnisse möglichst rasch aus dem Wege zu räumen, die sie daran hindern, die demokratische Fassade, besser gesagt, die politischen und sozialen Rechte die sich die Werktätigen in den Jahrzehnten davor erkämpft haben, noch schneller und gründlicher aus der Welt zu schaffen, als das bisher schon geschehen ist. Wenn nach dem Sieg über den Faschismus in den meisten westeuropäischen Ländern – keineswegs in allen, man denke an Spanien, Portugal, Griechenland – für vierzig Jahre relativ stabile bürgerlich-demokratische Verhältnisse herrschten, dann hat das überhaupt nichts damit zu tun, dass die Monopolbourgeoisie die Lehre gezogen hätte, nunmehr für immer die Demokratie hochzuhalten. Nein, dazu war sie gezwungen durch die Existenz des Sozialismus auf einem Drittel der Erde und der guten Hälfte Europas. Da sie den Kalten Krieg gegen die sozialistischen Staaten unter der Fahne „Demokratie statt Diktatur“ führte, musste sie den Werktätigen – wenigstens in Westeuropa – soziale und politische Zugeständnisse zugestehen, die ihrer ausbeuterischen Räubernatur zutiefst widerstrebten.
Braucht denn die Monopolbourgeoisie nach dem Ende der sozialistischen Staaten in Europa noch den Faschismus als Waffe in ihrer politischen Rüstkammer?
Die Bedingungen, die den Faschismus als neue politische Waffe der imperialistischen Bourgeoisie hervorbrachten, bestehen weiter: Erstens: Der dem Imperialismus innewohnende Drang nach Reaktion und Gewalt ist nicht schwächer geworden, sondern hatte nur dank der Existenz des sozialistischen Weltsystems jahrzehntelang weniger Möglichkeiten, sich voll auszuleben. Seit dem Wegfall des Sozialismus als gleichgewichtiger Gegenmacht vollzieht der Imperialismus vor unseren Augen einen systematischen Ausbau seines Repressionsapparates. Schon fordern bundesdeutsche CDU-Politiker ein Gesetz, das den Einsatz der Bundeswehr auch nach Innen, gegen die eigene Bevölkerung, erlaubt. Das kündigt an, worauf sich die Herrschenden selbst in den scheinbar gefestigten bürgerlichen Demokratien vorbereiten. Sie möchten gerne, dass die Massen ihrer immer wiederholten Behauptung Glauben schenken: „Der Kommunismus ist tot!“ Aber sie wissen nur zu gut, wie wenig diese Behauptung mit der Wirklichkeit zu tun hat. Sie wissen durchaus, dass die Abwälzung der wachsenden ökonomischen Schwierigkeiten auf die Massen in der Zukunft wachsenden Widerstand breiter Bevölkerungskreise hervorrufen wird. In Russland, in fast allen ehemals sozialistischen Staaten, sind die kommunistischen Parteien eine große politische Kraft geblieben. Die sozialistischen Staaten – Volks-China, Vietnam, Nordkorea in Asien, Kuba in Amerika –, sind trotz imperialistischer Erdrosselungs- und Isolierungsversuche sehr lebendig. Besonders Kuba beweist die unbändige Lebenskraft des Sozialismus, indem diese kleine, vor der Haustür der Supermacht USA liegende, mit einem USA-Stützpunkt in Guantanamo versehene, ihrer sozialistischen Verbündeten verlustig gegangene sozialistische Insel nahezu unmögliche Wunder vollbringt. Wem von uns hätte nicht das Herz höher geschlagen, als er die Nachrichten über das Treffen des G77-Gipfels vernahm, auf dem sich 122 Vertreter von Staaten aus der sogenannten Dritten Welt in Havanna trafen und Fidel Castro unter ihrem Beifall forderte, das den Entwicklungsländern aufgezwungene Wirtschaftssystem müsse im Rahmen eines neuen „Nürnberger Prozesses“ vor ein internationales Gericht gestellt werden, denn es bringe alle drei Jahre durch Hunger und vermeidbare oder heilbare Krankheiten mehr Menschen um, als im gesamten Zweiten Weltkrieg in sechs Jahren getötet wurden. Es ist unvermeidlich: die Völker werden sich erneut und stärker gegen den Imperialismus erheben, weil sie anders nicht überleben können! Zweitens: Das Zeitalter der imperialistischen Kriege und der proletarischen Revolutionen ist keineswegs vorbei – wir sind noch mitten darin. Die neue Umverteilung der Welt unter die imperialistischen Hauptmächte geht vor unseren Augen vor sich. Was im Überfall der NATO auf Jugoslawien ablief, und was sich jetzt in Tschetschenien abspielt, sind eine Art Stellvertreter-Kriege: der NATO-Überfall auf Jugoslawien zielte in Wirklichkeit auf Russland, und die sog. tschetschenischen Rebellen weit entfernt davon, für ihre eigenen Interessen zu kämpfen, wie ihre militärischen Führer vorgeben, spielen – genau wie vorher die albanische UCK –, nur die Rolle von Hilfswilligen, die dem US- und dem deutschen Imperialismus den Weg zu den Ölquellen des Kaukasus und zu den Reichtümern Mittelasiens und Sibiriens freikämpfen sollen. Hitler und Goebbels haben noch unumwunden ausgesprochen, dass ihr Krieg gegen die Sowjetunion um Öl und die Weizenfelder der Ukraine geführt würde. Die NATO-Aggressoren geben heuchlerisch vor, Kriege zu führen, um Blutvergießen zu beenden und die Menschenrechte zu verteidigen. Heute lancieren sie über die Medien die Forderung, man müsse in Tschetschenien gegen Russland eingreifen, um die Menschenrechtsverletzungen zu beenden. Und morgen? Müssen morgen oder übermorgen die Menschenrechte durch Truppen der bis nach Asien erweiterten NATO gegen das kommunistische Volks-China in Tibet verteidigt werden? Nichts ist heute mehr unmöglich! Wer 1998, bei der Bildung der Schröder-Fischer-Regierung vorhergesagt hätte, dass diese Regierung ein halbes Jahr später deutsche Soldaten in den Krieg schicken würde, der wäre für verrückt erklärt worden! Heute ist selbst in bürgerlichen Gazetten zu lesen, dass sogar ein großer Krieg zwischen den Großmächten in der Zukunft nicht mehr auszuschließen sei! Fast jeder Tag bringt neue Beispiele und Beweise für die Zuspitzung der imperialistischen Gegensätze auch zwischen den USA und der von Deutschland dominierten Europäischen Union.
Dies alles zusammengenommen bedeutet aber: In der Zukunft werden imperialistische Staaten oder Staatengruppierungen mit Sicherheit sich auch wieder vor Situationen gestellt sehen, die ihnen für geraten erscheinen lassen können, sich erneut der Waffe des Faschismus zu bedienen.
Ist denn die Errichtung einer faschistischen Diktatur heute noch möglich?
Deine Frage bezieht sich wohl im wesentlichen auf Europa? Denn ich glaube nicht, dass wir davon sprechen können, es gäbe überhaupt nirgends mehr ein faschistisches Regime auf unserem Erdball. Ob dann, wenn in irgendeinem Staat oder einer Staatengruppe – etwa in der Europäischen Union – die Herrschenden sich irgendwann zur Etablierung eines faschistischen Regimes entschließen würden, sie dazu auch imstande wären, das hängt in jedem gegebenen Fall von der Stärke und Geschlossenheit der antifaschistischen Kräfte ab. Wie das dann aussehen würde – das kann nicht vorhergesagt werden. Aber dass sich die antifaschistischen Kräfte in einem solchen Falle wiederum als zu schwach erweisen könnten, das kann keineswegs ausgeschlossen werden. Wie uns die Entwicklungen in Österreich, in Italien und auch in der Bundesrepublik Deutschland zeigen, ist die Gefahr, dass die Massenunzufriedenheit mit der Politik der Regierenden vor allem den neofaschistischen Parteien zugute kommt, sehr groß. Dazu tragen auch solche „Linken“ bei, die die Niederlage des Sozialismus nicht auf das zurückführen, was sie wirklich verursacht hat, – nämlich das jahrzehntelange Zusammenwirken äußerer und innerer Feinde des Sozialismus – sondern die sie ausgeben als das unvermeidliche Ergebnis von angeblichen Geburtsfehlern des auf Marx und Lenin zurückgehenden Sozialismus-„Modells“, zu dessen schlimmstem Fehler der „Stalinismus“ gehöre. Die Verteufelung Stalins und des unter seiner Führung errichteten sozialistischen Staates war ein Hauptfaktor bei der Unterminierung und schließlichen Zerstörung der Sowjetunion, und sie ist ein fortwirkender Hauptfaktor der anhaltenden Schwäche und Zersplitterung der linken und antifaschistischen Kräfte.
Die aktivste, stärkste und konsequenteste antifaschistische Kraft waren in der Vergangenheit die Sowjetunion und die kommunistischen Parteien. Auch heute sind die sozialistischen Staaten und die Kommunisten der stärkste, aktivste und konsequenteste Bestandteil des Kampfes gegen den Faschismus. Je stärker die Kommunisten in einem Land, desto stärker und wirkungsvoller die antifaschistische Bewegung. Deshalb ist Antikommunismus heute wie eh und je Begünstigung des Faschismus.
Von woher droht die größte Gefahr der Liquidierung der bürgerlichen Demokratie und der Errichtung einer neuen faschistischen Diktatur? Von den neofaschistischen Bewegungen oder von der Demontage der demokratischen Verfassungen durch die imperialistischen Regierungen?
Die Hauptgefahr des Faschismus geht heute wie früher von der imperialistischen Bourgeoisie aus. Die faschistischen Bewegungen sind keine selbstständige Kraft, sie werden von den Herrschenden an der kurzen Leine gehalten, wenn sie ihrer in der Regierung nicht bedürfen; ihr Wachstum zu regierungsfähiger Größe wird aber dann gefördert – durch politische und wirtschaftspolitische Maßnahmen und durch „Spenden“-, wenn dies als zweckmäßig erscheint, um den gewünschten Sozial- und Demokratie-Abbau forciert voran zu bringen oder außenpolitischen Expansionen eine stärkere innere Unterstützung zu sichern. Im übrigen aber sollten wir nicht erwarten, dass der Übergang zum Faschismus, sollte er irgendwo vollzogen werden, sich als Wiederholung von bereits Bekanntem abspielt. Die imperialistische Bourgeoisie verfügt heute über ein ungleich größeres Reservoir von Mitteln sowohl der Manipulierung der Massen als auch der Überwachung jedes Bürgers, als zu Zeiten Mussolinis und Hitlers. ... Aber trotz aller Veränderungen, die ein neuer Faschismus des 21. Jahrhunderts gegenüber dem des 20. Jahrhunderts aufweisen würde – auch er würde ohne den Terror, die offene, brutale Gewalt gegen alle seine Gegner nicht auskommen ... .
Was ist zu tun, um die Möglichkeit eines neuen Faschismus nicht zur Wirklichkeit werden zu lassen?
Erstens: Wir müssen unsere Kraft und unseren Einfluss dafür einsetzen, dass jeder Angriff der Herrschenden auf die in langen Jahrzehnten errungenen demokratischen und sozialen Rechte auf eine möglichst breite und möglichst entschlossene Abwehr stößt.
Zweitens: Wir müssen immer wieder daran erinnern, was die Faschisten über ihr Volk und die ganze Menschheit gebracht haben. Die faschistischen Verbrechen dürfen nicht vergessen und nicht vergeben werden!
Drittens: Wir dürfen nicht müde werden, darüber aufzuklären, wessen Instrument der Faschismus war und nach wie vor ist.
Viertens: Wir müssen unermüdlich Klarheit darüber verbreiten, dass Antikommunismus Begünstigung des Faschismus bedeutet.
Fünftens: Wir müssen die Wahrheit zur Massenerkenntnis machen, dass, solange der Imperialismus herrscht, auch die Gefahr des Faschismus bestehen bleibt. Nur der Sozialismus kann der Menschheit eine Welt ohne Kriege und ohne Faschismus bringen.
Das Gespräch wurde am 15. April 2000 in Berlin geführt: geringfügige Kürzungen durch die Redaktion der KAZ.
Dr. Kurt Gossweiler ist einer der bedeutendsten deutschen Faschismus-Forscher. In seinen zahlreichen Veröffentlichungen (u.a. Die Röhm-Affäre, Großbanken – Industriemonopole – Staat, Ökonomie und Politik des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland 1914-1932, Kapital, Reichswehr und NSDAP 1919-1924) hat er den Klassencharakter des Faschismus unwiderlegbar herausgearbeitet.
Kurt Gossweiler ist am 5. November 1917 in Stuttgart geboren. Seine Eltern, Lena und ihr zweiter Mann, Adolf Reichle, waren seit 1927 Mitglieder der KPD, befreundet u.a. mit Erich und Zenzl Mühsam. Als Schüler und Student ist Kurt seit 1933 im illegalen organisierten Widerstand gegen die Nazi-Diktatur. Vor allem die Verbindung zu seinen als Juden verfolgten Mitschülern hält er aufrecht. Er wird 1939 zunächst zum „Reichs-Arbeitsdienst“, dann zur Wehrmacht eingezogen. Im März 1943 gelingt ihm der Übergang auf die Seite der Roten Armee. Von da an ist er bis 1947, Kursant und schließlich Assistent an der Antifa-Schule in Taliza.
In der DDR ist sein Forschungsschwerpunkt an der Humboldt-Universität und dann am Zentralinstitut für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR neben dem Faschismus auch der Revisionismus in der kommunistischen Bewegung. In dem Band „Wider den Revisionismus“ ( erschienen 1997 im Verlag zur Förderung der wissenschaftlichen Weltanschauung, München) sind streitbare Beiträge Kurt Gossweilers u.a. zum Chrustchow-Revisionismus, zum Geschichtsrevisionismus, zu Gorbatschow und zu den Ursachen des vorläufigen Siegs der Konterrevolution in Osteuropa und der Sowjetunion versammelt.
Kurt Gossweiler hat auch verschiedene Beiträge in der Kommunistischen Arbeiterzeitung veröffentlicht.
1 Zitiert nach Kurt Gossweiler, Aufsätze zum Faschismus, Pahl-Rugenstein Verlag, Köln, 1988, S.580 f.
2 Ebenda, S.a. Ludo Martens, The road oft he world revolution in the XXIst century, S. 25.
3 Gossweiler, Aufsätze..., S.586.
4 Ebenda, (Aufsatz; Über Ursprünge und Spielarten des Faschismus), 5.604 f.
5 Ebenda, S.3 16 ff. Ferner für die Frühzeit der NSDAP in Kurt Gossweiler, Kapital, Reichswehr und NSDAP 1919-1924, PahI-Rugenstein-Verlag, Köln, 1982, S.319 ff.
6 Aufsätze zum Faschismus ... , S.640, 645 ff.
7 Ebenda, S.68.
8 Aufsätze zum Faschismus ... , S.326.
9 Dazu ganz wichtig die Arbeit von Josef Schleifstein: Die „Sozialfaschismus“ - These, Frankfurt/M., 1980.
10 Näheres dazu in: Ernst Thälmann. Eine Biographie. Von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Günter Hortzschansky, Berlin 1979, S.528 ff.
11 Kurt Gossweiler, Die Röhm-Affäre, Pahl-Rugenstein, Hochschulschriften 151, Köln 1983, S.52 f.
12 Der Gegen-Angriff, Prag-Paris-Basel, Nr. 16 v. 19. April 1935 und Nr. 17 .v. 26. April 1935.
13 Gossweiler, Röhm-Affäre, S.58, zit. nach: Rundschau, Basel, 1934, S.545.
14 AIlan Merson, Kommunistischer Widerstand in Nazideutschland, PahI-Rugenstein, Bonn 1999, S.293.
Arbeiter-Illustrierte Zeitung AIZ Nr. 1, 1932 Montage von John Heartfield
Arbeiter-Illustrierte Zeitung AIZ Nr. 29, 1932 Montage von John Heartfield
Arbeiter-Illustrierte Zeitung AIZ Nr. 42, 1932 Montage von John Heartfield