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Für Dialektik in Organisationsfragen

„Leiharbeit“

„Leiharbeit“ – das klingt nach Sklavenhandel, nach Leibeigenschaft. Der „Sklavenhändler“ scheint vielen Arbeitern ein viel schlimmeres Exemplar zu sein als der Kapitalist, mit dem man direkt einen Arbeitsvertrag abschließt.

Was geschieht nun wirklich, wenn ein Arbeiter von so einem „Sklavenhändler“ „verliehen“ wird?

Wir befinden uns in einer kapitalistischen Gesellschaft, und da ist die menschliche Arbeitskraft eine Ware, genauso wie eine Wurst oder ein Tisch. Die Arbeitskraft hat aber gegenüber allen anderen Waren eine besondere Eigenschaft: Sie kann neue Werte schaffen, und diese Werte sind sehr viel größer als das, was zum Erhalt der Arbeitskraft notwendig ist (Essen, Wohnen, Kleidung, Kinder aufziehen usw.). Der Wert, den der Arbeiter über den zum Erhalt seiner Arbeitskraft notwendigen Wert hinaus schafft, wird Mehrwert genannt. Diesen Mehrwert kassieren die Kapitalisten. Sie beuten also die Arbeiter aus.

Aber was kassiert nun der „Sklavenhändler“?

Die Arbeiter verkaufen den „Verleihern“ genauso ihre Ware Arbeitskraft, wie sie ihre Arbeitskraft direkt den Kapitalisten verkaufen. Da gibt es keinen Unterschied. Dem Verleiher gehört dann diese Arbeitskraft und er verkauft sie an einen kapitalistischen Ausbeuter weiter. Das ist genau so, wie der Wurst- oder Tischhersteller Wurst oder Tisch vielleicht an einen Händler verkauft, damit dieser Händler den Verkauf an die Verbraucher von Würsten oder Tischen weiter verkauft. Die Besitzer von Würsten oder Tischen müssen diesen Händlern natürlich etwas dafür zahlen, dass sie den Verkauf übernehmen, das heißt sie müssen den Händlern Würste oder Tische unter dem Preis abgeben, der auf dem Markt zu erzielen wäre.

Der Arbeiter, der einem Arbeitskraft-Händler (das wäre die richtige Bezeichnung statt Verleiher) seine Ware Arbeitskraft verkauft, muss ebenfalls dafür an diesen Händler bezahlen. Das geschieht dadurch, dass die Löhne, die die Arbeitskraft-Händler zahlen, erbärmlich niedrig sind (es gibt ganz wenige Ausnahmen, in denen diese Händler dem Kapital hoch qualifizierte Fachkräfte anbieten, die nicht so leicht zu haben sind – diese Arbeiter und Angestellten haben dann manchmal sogar bessere Löhne als die direkt in den Betrieben beschäftigten).

Warum müssen überhaupt so viele Arbeiter ihre Arbeitskraft einem Arbeitskraft-Händler verkaufen?

Weil das die Kapitalistenklasse so will. Im Jahr 1967 – als nach der Nachkriegskonjunktur zum ersten Mal eine kleine Wirtschaftskrise die Legende vom „Wirtschaftswunder“ erschütterte – wurde durch das Bundesverfassungsgericht das bis dahin bestehende Verbot der „Leiharbeit“ aufgehoben. 1972 wurde das entsprechende Gesetz erlassen („Arbeitnehmerüberlassungsgesetz“). Die Kapitalisten können auf diese Weise die Schutzgesetze der Arbeiter umgehen und heuern und feuern, wie es gerade passt. Dadurch werden Rechtsmaßstäbe verschoben, die Gesetzgebung folgt der faktischen Entrechtung. Die niedrigen Löhne der Arbeiter der Arbeitskraft-Händler üben auch noch Druck auf die Löhne aller Arbeiter aus.

Die Hauptnutznießer sind also nicht die „Sklavenhändler“, sondern die großen Kapitalisten.[1] Das Problem ist, dass die Arbeitskraft überhaupt eine Ware ist – das ist die Grundlage des Kapitalismus, ist die Grundlage für kapitalistische Krisen, für die allgemeine Krise des Kapitalismus im Zeitalter des Imperialismus, für die imperialistische Konkurrenz und imperialistische Kriege.

„Leiharbeit“ gehört wieder verboten – nicht weil die „Sklavenhändler“ irgendwie „böser“ wären als die Daimler, Thyssen oder Siemens. Sondern weil die Branche des Arbeitskraft-Handels in großem Ausmaß im Interesse der gesamten Kapitalistenklasse zur Entrechtung und Verelendung der Arbeiter beiträgt. Den Kampf um unsere Rechte werden wir aber nur dann führen können, wenn die Arbeiter in einem Betrieb miteinander solidarisch und gemeinsam organisiert sind, egal, ob sie ihre Arbeitskraft direkt an den Kapitalisten oder an den Arbeitskraft-Händler verkauft haben.

Juristisches:

Seit dem 1. Januar 2003 hat sich durch die Hartz-Gesetzgebung vieles für alle Arbeiter in „Leiharbeits“-Verhältnissen verschlechtert:

  • In Zukunft kann das Leiharbeitsunternehmen ein Arbeitsverhältnis auf die Zeit befristen, für die es auch einen Einsatzbetrieb für den Beschäftigten hat. Das Risiko verleihfreiher Zeiten kann damit voll auf die Beschäftigten abgewälzt werden.
  • In die gleiche Richtung geht, dass die Leiharbeitsfirmen ihre LeiharbeitnehmerInnen nun beliebig oft kündigen und innerhalb von drei Monaten wieder einstellen können.
  • Konnten LeiharbeiterInnen bisher nur für maximal zwei Jahre an ein und denselben Betrieb ausgeliehen werden, so ist dies nun unbefristet möglich. Jemand könnte so zum ,Stammleiharbeiter’ werden, ohne jemals Beschäftigter des Entleihbetriebes zu werden.

ACHTUNG: Was bleibt, ist die Beteiligung des Betriebsrates bei der Einstellung von LeiharbeiterInnen nach § 99 BetrVG. Außerdem können z.B. Teilbetriebsversammlungen für die im Betrieb befindlichen LeiharbeiterInnen abgehalten werden. Es bleibt außerdem dabei, dass LeiharbeiterInnen sich an den Betriebsrat des Entleihbetriebes wenden und sich nach drei Monaten an der Betriebsratswahl des Entleihbetriebes beteiligen, wenn auch nicht selbst kandidieren können.[2]

Aus KAZ Nr. 306, Dezember 2003

1 Das alles ist überhaupt nichts Neues. Bereits zur Marx Zeiten gab es Arbeitskraft-Händler. Sie hießen „Gangmaster“ (dieses Wort entwickelte sich sprachgeschichtlich zum „Gangster“), sie bildeten mit den Arbeitern, die sie unter Vertrag hatten, die „Gangs“. Das „Gangsystem“ war insbesondere in England Mitte des 19. Jahrhunderts sehr verbreitet. Marx dazu: „Das Gangsystem, das sich seit den letzten Jahren beständig ausdehnt, existiert offenbar nicht dem Gangmeister zulieb. Es existiert zur Bereicherung der großen Pächter, resp. Grundherrn. Für den Pächter gibts keine sinnreichere Methode, sein Arbeiterpersonal tief unter dem normalen Niveau zu halten und dennoch für alles Extrawerk stets die Extrahand bereit zu haben, mit möglichst wenig Geld möglichst viel Arbeit herauszuschlagen und den erwachsenen männlichen Arbeiter ‚überzählig’ zu machen.“ (Karl Marx, Das Kapital Band 1, 23.Kapitel: Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation, MEW Bd. 23, S. 724/725)

2 Quelle der kursiv gedruckten Informationen: http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/express3.html

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