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Für Dialektik in Organisationsfragen

Vorauseilender Burgfrieden

Am 1. und 2. August 1914 beschloss die Vorstandskonferenz der freien Gewerkschaften nach Verhandlungen ihrer Generalkommission mit dem Reichsamt des Innern ein Stillhalteabkommen. Die opportunistischen Gewerkschaftsführer verpflichteten sich damit gegenüber dem letzten deutschen Kaiser, Wilhelm II., und seiner Regierung, aus Gründen der Vaterlandsverteidigung alle Streiks abzubrechen und in Zukunft Streikbewegungen zurückzuhalten. Das Stillhalteabkommen wurde in der Folge als der Burgfrieden bekannt und auch in der Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung so bezeichnet.

Die heutige Situation ist sicher nicht (noch nicht) vergleichbar mit 1914, doch ein Blick in die aktuellen Resolutionen des DGB und der IGM mit den Kapitalistenverbänden Gesamtmetall und BDI zeigt, wie der Burgfrieden für den von den Hauptkriegstreibern vorsorglich angekündigten, weil nicht mehr ganz auszuschließendem 3. Weltkrieg, schon vorher wieder funktioniert.

Nachstehend dazu einige Auszüge aus den Erklärungen.

Im gemeinsamen Aufruf von IGM und Gesamtmetall wird offensichtlich mit der folgenden Feststellung für eine ganze Zeitlang ein Zustand der Amnesie geltend gemacht. Da wird u. a. festgestellt: „Nach Jahrzehnten des Friedens in Europa ist diese militärische Aggression gegen ein unabhängiges Land ein tiefer Einschnitt für uns alle. Innerhalb weniger Tage sind die Grundlagen unseres friedlichen Zusammenlebens in Frage gestellt worden.“ Dann war wohl die Bombardierung Jugoslawiens 1999 keine Aggression gegen ein unabhängiges Land. Dann gehörte die deutsche Luftwaffe, bombend und mordend über Belgrad wohl zu den „Grundlagen unseres friedlichen Zusammenlebens“ in Europa?

Im letzten Absatz der Erklärung heißt es:

Auf die Aggressionen haben, Deutschland, Europa und viele andere Staaten entschlossen reagiert. Die bereits beschlossenen Sanktionen gegen Russland richten sich gegen die politisch Verantwortlichen und ausdrücklich nicht gegen die russische Bevölkerung, gleichwohl diese ebenfalls unter den Auswirkungen zu leiden hat. Diese Maßnahmen werden uns allen Opfer abverlangen.

Das trifft sich ja gut für die Metall- und Elektrokapitalisten. Das können sie der IGM-Führung bei der im Oktober anstehenden Tarifrunde brühwarm unter die Nase reiben. Das kann dann wie bei der letzten Tarifrunde vereinbart und geübt wieder über Differenzierungsklauseln geregelt werden. Der Kapitalist, der kann zahlt und die anderen, wenn sie können oder gar nicht. Dafür steht dann die Opferbereitschaft der Arbeiterklasse.

In der Erklärung der IGM und dem BDI, dem Bundesverband der Deutschen Industrie heißt es: „Die Spitzenvertreter des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und der Industriegewerkschaft Metall, die auch Mitbegründer des Bündnisses ‚Zukunft der Industrie‘ sind, unterstützen mit Nachdruck die von der Bundesregierung, der Europäischen Union und den westlichen Bündnispartnern verhängten Sanktionsmaßnahmen gegen Russland.“ Dabei wird festgestellt, dass die Sanktionen „auch zu Nachteilen für Deutschland, seine Unternehmen und Beschäftigten“ führen, die „gemeinsam mit der Politik so weit wie möglich“ abgefedert werden müssten. (Info WSWS.ORG, 10. März 2022, Ulrich Rippert)

Wir unterstützen die beschlossenen Maßnahmen“ heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der IGM-Baden-Württemberg mit dem Kapitalverband Südwestmetall. Die militärische Aggression Russlands habe eine „geschlossene und entschlossene“ Reaktion Deutschlands, Europas und seiner Verbündeten erforderlich gemacht und eindrucksvoll hervorgebracht. (Info WSWS.ORG 10. März 2022, Ulrich Rippert)

Am 2. März hat der DGB-Bundesausschuss – die Vertreter der Einzelgewerkschaften im DGB – u. a. erklärt: „Die letzten Tage lehren uns, dass freiwilliges Einlenken des Regimes in Russland nicht erkennbar ist. Deshalb befürworten der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften die scharfen wirtschaftlichen Sanktionen, die von der Bundesregierung, der Europäischen Union und den westlichen Bündnispartnern gegen Russland verhängt worden sind.

Die nachteiligen Folgen dieser Sanktionen werden auch an uns selbst nicht spurlos vorübergehen. Neben gestörten Lieferketten erweist sich vor allem die hohe Abhängigkeit Deutschlands von russischen Erdgas-, Kohle- und Erdölimporten als problematisch ...

Die Bundesregierung hat zu Recht verteidigungspolitisch schnell auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine reagiert.

Die dauerhafte Aufstockung des Rüstungshaushalts zur Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels der Nato wird vom DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften weiterhin kritisch beurteilt. Die dringend erforderlichen Zukunftsinvestitionen in die sozial-ökologische Transformation und in die Leistungsfähigkeit unseres Sozialstaates müssen sichergestellt bleiben.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften halten daran fest, dass die militärische Friedenssicherung nicht zulasten des sozialen Friedens erkauft werden darf. Auch weiterhin treten der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften für eine allgemeine und weltweite kontrollierte Abrüstung, für die Verwirklichung und Erhaltung des Friedens und der Freiheit im Geiste der Völkerverständigung ein. Die Bundesrepublik muss als wesentlicher Akteur an einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur arbeiten ...“

Zu dem, was hier alles an Zustimmung zum Krieg, zu Waffenlieferungen, zu Sanktionen und Opfern signalisiert wird, fehlt nur noch das entsprechende Gesetz, was klar macht, wer zu zahlen und Opfer für die „Kriegswirtschaft“ zu bringen und dabei die Leichen zu stellen hat.

Aus der Geschichte der Arbeiterbewegung kennen wir dazu das „Hilfsdienstgesetz“ von 1916. Wir haben darüber in mehreren Ausgaben der KAZ berichtet. Der damalige Gewerkschaftsvorsitzende, Carl Legien, erklärte dazu am 9. Dezember 1916 im Correspondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, das Gesetz sei ein Erfolg der Arbeiter und ihrer Anstrengungen im Kriege, und: „Der Hilfsdienst verlangt weitgehende Opfer von allen, nicht zum wenigsten auch Verzicht auf wichtige Rechte. Dem freien Arbeitsvertrag, der Freizügigkeit sind Schranken gesetzt. Das neue Gesetz bringt aber nicht bloß Pflichten für die Arbeiterschaft, sondern es ist (...) gelungen, die Rechte der Arbeiter und Angestellten in Formen, die für die Interessenvertretung während des Krieges ausreichend sind, sicherzustellen (...) In dem Existenzkampf, den Deutschland um sein Bestehen und seine Zukunft führt, hat sich die Wahrheit glänzend durchgerungen, dass die Arbeiterklasse der bedeutsamste Teil des Volksganzen ist, ohne deren Opfersinn der geregelte Aufbau der Kriegswirtschaft nicht möglich wäre.

Erkenntnisse nach dem Krieg, die uns heute zu denken geben müssen!

Am 6. April 1919 beschloss der Deutsche Metallarbeiterverband (DMV) Zahlstelle Berlin, folgende Resolution zur Kriegspolitik der Generalkommission der Gewerkschaften: „Neben Ludendorff und Genossen tragen die Mitglieder der Generalkommission die Schuld an dem Unglück des deutschen Volkes, die die verhängnisvolle Politik des 4. August gemacht haben, jede freie Regung der Arbeiterschaft unterdrücken halfen, ja schließlich selbst ihre Mitglieder den Schergen des alten Regimes zur Bestrafung auslieferten. Die Berliner Metallarbeiter fordern den kommenden Gewerkschaftskongress auf, die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen und der verdienten Strafe teilhaftig werden zu lassen.“ (M. Ruck, S. 146, Dok. 7)

Im Oktober 1919 beschloss die Generalversammlung des Deutschen Metallarbeiterverbandes (DMV) auf ihrem Kongress (13.-22.10 1919) folgende, im Correspondenzblatt der Gewerkschaften veröffentlichte Resolution: „Die Generalversammlung verwirft die Haltung und Politik, die von der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands und von den leitenden Instanzen unseres Verbandes während der Jahre des Krieges wie nach den Novembertagen 1918 eingenommen wurde.

Jene Kriegspolitik ließ den Klassenkampfcharakter der Gewerkschaften verschwinden und fand ihren Anschluss an der Seite der herrschenden Klasse, der bürgerlichen Parteien, und führte zum engsten Zusammenarbeiten mit dem Arbeitgebertum in den sogenannten Arbeitsgemeinschaften, in denen sich die Vertreter freier Gewerkschaften in holder Eintracht mit den Widersachern der Arbeiterklasse, den Kapitalisten zusammengefunden haben.

Die verwerfliche Kriegspolitik der leitenden Gewerkschafsinstanzen und Vorstände fand ihre logische Fortsetzung nach den Tagen der Revolution. Anstatt den revolutionären Kampf des Proletariats mit allem Nachdruck zu fördern, wurde die Haltung der gleichen Gewerkschaftsinstanzen vielfach zu einem Hemmnis des proletarischen Befreiungskampfes inmitten der Revolution (...)“ (M. Ruck, S. 163, Dok. 17)

Die Resolution wurde bei der Abstimmung mit 194 Ja- gegen 124 Nein-Stimmen angenommen. Beim gleichen Kongress beschloss der DMV bereits den Austritt des DMV aus der ZAG.

Ludwig Jost

Anmerkung:

Die beiden letzten Zitate sind aus: Michael Ruck, „Gewerkschaften Staat Unternehmer – Die Gewerkschaften im sozialen und politischen Kräftefeld 1914 bis 1933“, Bd. 3 der vom DGB herausgegebenen Schriftenreihe „Gewerkschaften in Deutschland“, Bund-Verlag 1990.

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