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Deutsche Bahn AG: Die Zerschlagung der Eisenbahn

Thyssen Schienentechnik:

Bahn AG: Fahrt in die Zukunft ohne Schienen?

Die Thyssen Schienentechnik (TST) ist eine 100%ige Tochter von Thyssen Krupp Stahl (TKS). Hauptkunde ist die Bahn AG. Umgekehrt ist die TKS der größte Kunde der Bahn AG. Auf dem Gütersektor benötigt sie täglich 260 Waggons. Die Bahn AG stellt aber nur 100 Wagen am Tag zur Verfügung. Damit ensteht der Zwang, noch mehr auf die Straße zu verlagern! Dies entspricht einer Studie von 1997, die besagte, dass der Lkw-Verkehr sich bis zum Jahr 2010 verdoppeln würde.

Die Bahn muss sparen. Die notwendige Nachfrage nach Schienen wird aus diesem Grund stark vernachlässigt.

Anstatt Strecken weitflächig zu erneuern, werden Strecken stillgelegt. So wie viele andere Bahnzulieferer kommt auch der Schienenbereich TST ins Schleudern.

Das geht nicht ohne erhebliche Auswirkungen auf die Arbeiter. Das Programm: Kurzarbeit. Das heißt: 11 Schichten im Monat, erhebliche Einkommensverluste über Monate, gepaart mit kurzen, schnellen Aufträgen mit dem Zwang zu plötzlichen Zusatzschichten.

Hiobsbotschaften von Kündigungen machen die Kollegen nervös! 150 Arbeiter sollen in 6 Monaten verschwinden, dann noch einmal 50. Das heißt 200 von 600, sprich ein Drittel der Belegschaft. Damit ist noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Ziel ist die komplette Stillegung von TST. Da die Bahn zunehmend auf Billigproduktion setzt, hat dies minderwertige Qualität und die Stillegung der Produktion zur Folge.

Die Kollegen reagierten in diesem Jahr spontan mit Arbeitsniederlegung. Dies ist deshalb möglich, da die Schienenproduktion durch die Ausgliederung nur auf dem Papier außerhalb liegt. Die Produktionsanlagen waren und bleiben inmitten des Produktionsgeländes von TKS selbst. Somit liegt es nahe, dass bei Aktionen die Kollegen von TKS mit eingebunden werden.

Am 16.10.00 haben die Kollegen von TST die Arbeit niedergelegt. Sie sind vor die Hauptverwaltung von TKS gezogen und haben dort eine Mahnwache aufgebaut. Die Kollegen aus dem Stahlwerk Hamborn und aus dem Kaltwalzwerk Hamborn wollten sich daran beteiligen. Sie wurden unter massiven Androhungen von Konsequenzen durch die Geschäftsführung daran gehindert. Das zeigt auf, dass die Angst bei der Geschäftsführung vor einem Zusammenhalt der Arbeiter stark vorhanden ist.

Da hier aber noch viel Sprengstoff enthalten ist, kann es beim nächsten Mal schon ganz anders aussehen. Im Grunde sind eben alle Arbeiter des Werkes betroffen, da das Vormaterial eben von den Stahlwerken kommt. Weniger Schiene heißt eben weniger Stahl.

Die Kollegen von Opel Bochum haben gezeigt, dass durch den Zusammenhalt der Arbeiter auch die Angst vor Konsequenzen nicht mehr zieht. Die Ausgliederung der Schienenproduktion zu einer eigenständigen GmbH vor drei Jahren ist unter Manager Dieter Vogel gelaufen. Der ist heute Vorsitzender des Aufsichtsrates der Bahn AG.

K.W.

Eisenbahn contra Automobil: Monopolisierung und Krisenbewältigung

Großbritannien verfügte Mitte des 19. Jahrhunderts über das längste Schienennetz, Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts über das in der Ausdehnung größte Schienennetz Europas. Die USA hatten im Jahr 1870 bereits alle überrundet, das Schienennetz in diesem Land war das längste der Welt. Entsprechend war das internationale Gewicht von Eisenbahnbau und Bahnindustrie: Zunächst war Großbritannien weltweit führend in der Bahntechnik. Dem britischen Eisenbahnindustriellen George Stevenson gelang es, „seine“ Spurbreite (umgerechnet 1.435 Millimeter) als auch heute noch weltweit dominierende „Norm“ durchzusetzen. Die USA verfügten bis in die vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts über eine international konkurrenzfähige Bahnindustrie. Die deutsche Bahnindustrie wiederum kann Wurzeln bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts nachweisen. Das Emblem der Kruppwerke, des lange Zeit größten deutschen Konzerns, symbolisierte in vielen Ländern eine bedeutende Erfindung in der Eisenbahn-Technologie: den nahtlosen Radreifen für Schienenfahrzeuge. Bis in die 70er Jahre existierten in der Bundesrepubik eine bedeutende Anzahl von Eisenbahnherstellern, von denen Anfang der 90er Jahre z. B. auf dem Sektor Schienenfahrzeuge lediglich zwei riesige Konzerne übrig blieben (siehe rechte Seite).

Die bis dahin enorm beschleunigte Konzentration ist mehr als nur Ausdruck monopolkapitalistischer Normalität. Sie ist Teil einer Krisenbewältigungsstrategie des Finanzkapitals, das – in den USA bereits Anfang der 40er Jahre und in der BRD nach 1949 – seine größten Profite im Automobilbau und zunehmend auch in der Luftfahrtindustrie realisiert und nach Lösungen für die zunehmenden Schwierigkeiten im Kapitalverwertungsprozess sucht. Vom Standpunkt der Finanzkapitals geht es um die langfristige Sicherung und Erhöhung der Profitraten, die hauptsächlich durch Absicherung des Waren- und Kapitalexports stabil gehalten werden sollen. Strategische Kennziffern der Krisenbewältigung nach innen sind dabei Kürzung der Staatsausgaben im Sozial- und Bildungsbereich, Druck auf Löhne und andere Einkommen. Die sich daraus ergebende Abschnürung des Inlandsmarktes konnte von den Monopolen zunächst durch Exportüberschüsse weitgehend aufgefangen werden. Da der Export jedoch nicht unbegrenzt wachsen kann, bleiben auch Konzerne von Nachfragerückgang und Krisenfolgen nicht verschont. Das Finanzkapital findet zunehmend weniger profitable Anlagemöglichkeiten, das „überschüssige“ Kapital nimmt zu.

Aufkaufen, rationalisieren, ruinieren ...

1990 arbeiteten in Gesamtdeutschland - einschließlich der Bahnausbesserungswerke - noch rund 100.000 Menschen in der Bahntechnik (davon 32.000 in Westdeutschland). Im Jahr 2000 sind in diesem Sektor noch knapp 40.000 Menschen beschäftigt. Während die bei Bundesbahn und Reichsbahn bzw. bei der Deutschen Bahn AG die Beschäftigten von 500.000 im Jahr 1990 auf 220.000 im Jahr 2000 mehr als halbiert wurden, wurden die Jobs in der Bahntechnik im gleichen Zeitraum auf ein gutes Drittel reduziert. ...

Seit Mitte der achtziger Jahre erleben wir weltweit einen beispiellosen Konzentrationsprozess in der internationalen Bahnindustrie. Bis 1995 bildeten sich zunächst drei Stränge mit Konzernen heraus, die weltweit traditionelle Bahntechnikunternehmen „einsammelten“: die ABB-Daimler-Tochter ADtranz, die ... Siemens-Verkehrstechnik und das französisch-britische Unternehmen GEC-Alsthom. Im Zeitraum 1995 bis 1999 kam es zu drei gewichtigen Veränderungen: ABB stieg ... bei ADtranz aus und überließ das Unternehmen komplett DaimlerChrysler. Der britische Konzern General Electric (GEC) stieg bei GEC-Alsthom aus ...

Wie Phönix aus der Asche tauchte als neuer Bahntechnikhersteller Bombardier auf – mit einer Reihe von Einkäufen und Aufkäufen in der BRD, in Mittel- und Osteuropa, in Kanada, Frankreich und Mexiko. Auffallend ist: Die im Zentrum des Konzentrationsprozesses agierenden Konzerne hatten und haben ihre Produktionsschwerpunkte in anderen Bereichen als der Bahntechnik, oft auch in Sektoren, die in Konkurrenz zum Schienenverkehr stehen. ABB und Alstom sind vor allem im Energiesektor und im Maschinenbau engagiert. Siemens hat in denselben Bereichen einen Teil seiner Schwerpunkte, ist im Elektro- und Elektronikgeschäft tätig und erlöst große Umsatzanteile als Autozulieferer. DaimlerChrysler ist schwerpunktmäßig Autokonzern und darüber hinaus über Dasa/Airbus im Flugzeugbau und in der Rüstung aktiv.

DaimlerChrysler ist nach dem Umsatz der größte Pkw- und Lkw-Hersteller der Welt. Bombardier wiederum hat seine Schwerpunkte im Flugzeugbau (Canadair; Learjet) und im Freizeitsektor („Schneemobile“). Dieses Unternehmen ist im Jahr 2000 der weltweit größte Hersteller von Regionalflugzeugen.

Quelle: Winfried Wolf, Fahrt aufs Abstellgleis – Die Monopolisierung der Bahntechnik und die Folgen für die Verkehrspolitik, junge welt, 13.09.2000.

Abkürzungen:

KM: Kraus-Maffei. Produzent elektrischer und dieselhydraulischer Lokomotiven (mechanischer Teil).

DUEWAG: Waggonfabrik in Düsseldorf und Triebwagenhersteller in Uerdingen.

Krupp: Produzent elektrischer Lokomotiven und der Treibköpfe für ICE-1 und ICE-2 (mechanischer Teil)

MAN: Waggonbau, ICE-Mittelwagen, elektrische und diselhydraulische Triebwagen.

MBB: ICE-Mittelwagen und -speisewagen.

LEW: Lokomotivbau-Elektro­technische Wer­ke Hans Beimler, Hennigsdorf (ehem. AEG-Werk, nach 1945 enteignet und in einen Volkseigenen Betrieb /VEB umgewandelt). Lieferant der meisten elektrischen und dieselhydraulichen Lokomotiven der Deutschen Reichsbahn (DDR).

AEG: bis zur Liquidation neben Siemens größter Produzent elektrischer Lokomotiven (elektrischer und elektronischer Teil). Schluckte 1989 die LEW Hennigsdorf und wurde 1994 von Daimler-Benz geschluckt (ADtranz).

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, wurde die staatliche Konjunkturpolitik Mitte der 70er Jahre vom Vorrang der öffentlichen Aufträge umgepolt auf die direkte Profitsubventionierung (Steuererleichterungen, Investitionsprämien etc.), begleitet von einer Welle von Rationalisierungen und Deregulierungsmaßnahmen. Zwar bleibt die Kapitalanlage im Ausland das Hauptmittel zur Lösung des „Problems“. In dieser zugespitzten Situation werden aber Bestrebungen zur Reprivatisierung staatlicher Betriebe zu einem wichtigen Mittel, die drohende umfassende Krise hinauszuzögern. Die Privatisierung von Post, Lufthansa und Eisenbahn lieferte Anlagemöglichkeiten fürs Kapital in diesen Bereichen. Neben der Umverteilung der Marktanteile – national wie international – bewirkte diese „Strukturbereinigung“ die Abwälzung der Krisenlasten auf das nichtmonopolistische Kapital und dessen Vernichtung durch Bankrott.

Die Konzentration in der Bahnindustrie, die Privatisierung und damit verbundene Zerschlagung des Staatskonzerns „Deutsche Bundesbahn“ sind dabei von ihren Auswirkungen her gesehen vor allem strategische „Marktbereinigungen“ mit dem Ziel der Zerstörung von mit Auto- und Flugzeug konkurrierenden Produktions- und Transportpotentialen. Entgegen der sonst öffentlich vertretenen Logik – unter soundsoviel Prozent Rendite fangen wir gar nicht erst an zu investieren – wurden bei den Fusionen in der Bahnindustrie im Zeitraum von 1995 bis 1999 erhebliche Verluste aufgehäuft: bei Siemens gut eine Milliarde[1] Mark, bei DaimlerChrysler sollen es 5 Milliarden Mark[1] gewesen sein.

Die Hauptlast dieser Politik, die sich in sinkenden Löhnen, Verringerung staatlicher Sozialleistungen und anhaltender Massenarbeitslosigkeit ausdrückt, haben Arbeiter und Angestellte zu tragen. Für die Nutznießer dieser Politik wird es nur ein Argument geben, diese Strategie in Frage zu stellen: dass der Widerstand der Betroffenen so stark wird, dass er außer Kontrolle zu geraten droht.

Hermann Josef Abs – der Geburtshelfer der Deutschen Bahn AG

„Losgelöst von partikulären Interessen des Alltagsgeschehens erfordert eine verantwortungsbewusste und dauerhaft sanierende Umstrukturierung der Deutschen Bundesbahn den nachhaltigen politischen Willen zur Durchsetzung der Vorschläge. Die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Rolle der Deutschen Bundesbahn erlaubt es nicht, gerade im Hinblick auf die jüngste Vergangenheit, zögerliche Einzelvorschläge kompromißhaft zu verwirklichen zu suchen, sondern erfordert eine ergebnisorientierte, anhaltende Bereitschaft, die Gesamtheit der empfohlenen Maßnahmen einzuführen.“ ...

„Man muß deshalb heute um so deutlicher der festen Überzeugung Ausdruck geben, daß mit der Reduzierung des Streckennetzes eine Maßnahme ergriffen werden muß, die einzig und allein geeignet ist, eine finanziell gesunde Struktur der Deutschen Bundesbahn wieder herzustellen. Unterbleibt die Verwirklichung dieses Vorschlags, so bewirken alle anderen begleitenden Verbesserungen nur kosmetische und daher nicht grundsätzlich ändernde Effekte. ...“

Bei der Durchführung der erforderlichen Maßnahmen hat, so die Auffassung von Abs, das Mitentscheidungsrecht der Kommunen und Länder bei Stillegungsverfahren zu unverhältnismäßigen Verzögerungen geführt.

(Das Bahn-Memorandum des Hermann Josef Abs, zitiert nach: Die Bundesbahn Nr.4/1983, S.213ff. – Das 2. Kabinett Kohl am Start.)

Die Verkehrspolitik der Deutschen Bank: Die Entstehungsgeschichte der Deutschen Bahn AG

Die endgültige Unterordnung der Eisenbahn unter die Interessen des im Ölverarbeitungs-, Automobil- und Luftfahrtsektor agierenden Finanzkapitals erfolgt in Deutschland – anders als in den USA – verspätet und unter dem Vorzeichen krisenhaften Entwicklungen. Einerseits der bereits täglich stattfindende Kollaps des Straßenverkehrs, andererseits die drohenden Vorzeichen einer möglichen Überproduktionskrise in der Automobilindustrie. Und beides im Widerspruch zu der Absicht, die Renditen jährlich zu erhöhen und die Marktanteile zu vergrößern. Die Zerschlagung dieses gordischen Knotens – Sicherung und Ausweitung der Transportkapazitäten und Aufrechterhaltung bzw. weitere Steigerung der Profite – erfordert eine Politik, die die Eisenbahn als erstrangige Konkurrenz im Festlandverkehr auf die hinteren Plätze verweist und dazu ihre direkte Kontrolle ermöglicht.

Erneut übernimmt die Deutsche Bank die Führung. Ihre Strategie ist im Folgenden in gekürzter Form dem Buch „Die Deutsche Bank und ihre Energie- und Verkehrspolitik“[2] entnommen.

Viele Jahre forderten die Umweltverbände – ebenso unermüdlich wie vergeblich – die Bundesregierung auf, die Schulden der Bundesbahn zu übernehmen. Da war die Anfang der neunziger Jahre so plötzlich vorhandene Bereitschaft zur Schuldenübernahme im Rahmen der Strukturreform von Bundesbahn und Reichsbahn zunächst erstaunlich. Offenbar hatten hier mächtige Interessengruppen ihre Hände im Spiel.

Im Juli 1989 (wenige Wochen nach dem spektakulären Besuch Gorbatschows inder BRD, mit dem die Abwicklung des Sozialismus in der DDR begann – die A. G.) konstituierte sich eine sogenannte „Regierungskommission Bahn“ mit dem Auftrag, Vorschläge zur sog. Neustrukturierung der Eisenbahn zu erarbeiten. Ihr Vorsitzender, Günther Saßmannshausen, kam jedoch nicht etwa aus Politik oder Verwaltung, wie es bei einer Regierungskommission zu erwarten gewesen wäre; er ist vielmehr ein Mann der Privatwirtschaft. Er sitzt zum einen in Aufsichtsräten der Automobilindustrie (Volkswagen/Continental), der Mineralölwirtschaft (Deutsche Shell) sowie in anderen Großkonzernen und Verbandsgremien (BDI) und zum anderen in den Beiräten der Dresdner Bank, des Versicherungsriesen Allianz und der Westdeutschen Landesbank Girozentrale. Saßmannshausen gehört also zu den führenden Männern der deutschen Wirtschaft. Auch bei zwei weiteren der acht Kommissionsmitglieder lassen sich enge Verbindungen zu den Großbanken nachweisen. Walter Leisler Kiep, der über den Parteispendenskandal gekippte ehemalige Bundesschatzmeister der CDU, sitzt im Beirat Frankfurt der Deutschen Bank. Kiep ist nicht nur Aufsichtsrat der Volkswagen AG, sondern auch Gesellschafter der Firma Gradmann & Holler, die den Automobilkonzern zu erheblichen Teilen versichert ... Prof. Horst Albach, ebenfalls Mitglied der Regierungskommission, war bis 1992 Aufsichtsratsmitglied der Dresdner Bank und sitzt im Aufsichtsrat der zum Daimler-Benz-Konzern gehörenden AEG.

Angesichts dieser personellen Zusammensetzung ist es nicht verwunderlich, dass die Vorschläge, die die Regierungskommission im Dezember 1991 in ihrem Abschlussbericht vorlegte, weitgehend identisch sind mit denen, die ein parallel tätiges Gremium lieferte. Dabei handelte es sich um eine Arbeitsgruppe des „Verkehrsforums Bahn e.V.“, einer Wirtschaftsvereinigung von rund 240 Unternehmen, die für einen arbeitsteiligen Einsatz von Auto, Bahn, Flugzeug und Schiff eintreten. Ehrenvorsitzender dieses Lobbyverbandes war kein geringerer als Hermann Josef Abs von der Deutschen Bank. In der für die Bahnreform maßgeblichen Arbeitsgruppe („Arbeitsgruppe Unternehmensstruktur einer künftigen Deutschen Bahn“) saßen eine ganze Reihe enger Vertrauter des Bankhauses. So zum Beispiel der langjährige „Berufsaufsichtsrat“ der Deutschen Bank, Günter Vogelsang, sowie das Aufsichtsratsmitglied von Deutscher Bank und Allianz, Klaus Liesen. Diese Konstellation macht deutlich, dass die Großbanken und die ihnen verbundene Großindustrie das Drehbuch für die geplante Gründung der Deutsche Bahn AG, deren spätere Privatisierung und die Ausgliederung des defizitären Nahverkehrs geschrieben haben. Folgerichtig warb die Deutsche Bank 1992 auf einem von ihr veranstalteten Verkehrs-Kongress zusammen mit dem damaligen Verkehrsminister Krause für eine zügige Bahnreform [Frankfurter Rundschau vom 27.11.92]. Bahn-Chef Dürr macht die Bahn seit Jahren privatisierungsfähig: jährlich werden die Fahrpreise kräftig erhöht, betriebswirtschaftlich unrentable Nebenstrecken werden stillgelegt, die profitablen Städteverbindungen werden dagegen ausgebaut und noch vor der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft wurden gewaltige Summen in das teure Hochgeschwindigkeitsnetz gepumpt. Unter Dürr nahm die Verschuldung der Bahn noch in den letzten Jahren als Staatsbetrieb rapide zu. Der Jahresverlust von Bundesbahn und Reichsbahn stieg von 3,9 Milliarden Mark 1989 auf 14 Milliarden im Geschäftsjahr 1992 [FR 30.1.93]. Gerade das Defizit diente jedoch als stärkstes Druckmittel, um die Bahnreform voranzutreiben. Der Verdacht liegt nahe, der „Privatwirtschaftler“ an der Spitze des „Staatsbetriebs“ habe in den letzten Jahren bewusst die Verschuldung gefördert, da diese seinen Privatisierungsinteressen entgegenkam und der Staat ohnehin im Rahmen der Reform die Schulden übernahm. Da kam es Dürr auf ein paar Milliarden mehr oder weniger offenbar nicht an.

Für diese Vermutung sprechen Klagen von Beamten des Bundesfinanzministeriums, denen Dürrs Drängen auf eine rasche Reform und seine ständige Warnung vor den Konsequenzen eines totalen Kapitalverzehrs auf die Nerven gingen. In einem internen Papier des Ministeriums heißt es verärgert: „Der Vorstand (der Bahn) bittet den Eigentümer (Bund) um neues Geld, ohne eine fundierte Analyse über die Verlustquellen und eigene Vorschläge zur Konsolidierung zu machen.“ In der Öffentlichkeit werde der Eindruck erweckt, nur die Strukturreform könne alle Sorgen und Probleme lösen. ... Schließlich forderten die Ministerialbeamten, die Bahnreform dürfe „nicht nur ein Verschiebebahnhof der finanziellen Lasten von der Bahn zum Bundeshaushalt werden“ [FR 13.11.92]. Neben Dürr fungierte ein weiterer Bahn-Vorstand als Exekutor der Reform: Diethelm Sack. Beide leiteten nämlich die „Deutsche Bahn Gründungsgesellschaft mbH“ in Frankfurt, die 1993 die Vorarbeiten für die Gründung der Deutschen Bahn AG leistete. Die Deutsche Bank honorierte Sacks Bemühungen mit dessen Beförderung in den Frankfurter Beirat der Bank, Allianz und Münchener Rück stellten dem Bahn-Manager einen Aufsichtsratsposten bei einer gemeinsamen Tochtergesellschaft, der Frankfurter Versicherungs-AG, zur Verfügung. Anfang 1994 wurde der Staatsbetrieb Bahn in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. 100 Prozent der Bahn-Aktien hält – noch – der Bund, aber die Hälfte der Kapitalseite im neuen Aufsichtsrat kommt bereits aus der Privatwirtschaft. Die Bahnindustrie ist hier ebenso vertreten wie die Automobilindustrie, das Speditionsgewerbe und die Luftfahrt. Den Aufsichtsratsvorsitz überließ die Bundesregierung Günther Saßmannshausen. Und der ehemalige Bundestagsabgeordnete und SPD-Verkehrsexperte Klaus Daubertshäuser wurde noch im ersten Halbjahr von 1994 in den Vorstand der Bahn AG berufen. Herr Daubertshäuser hatte sich in der heißen Phase der Verhandlungen zwischen Bund und Ländern Ende 1993 plötzlich für eine radikal andere Einschätzung der Bahnreform entschieden und offenbar im Bundesrat für ein entsprechendes Abstimmungsverhalten SPD-regierter Länder gesorgt.

Deutsche Bank & Co. – Kontrolle über die Eisenbahn

Bereits ein halbes Jahr nach der Bahnreform zeigte sich, wohin die Reise im Güterverkehr geht: „Die Bahn will mehr Güter auf der Straße transportieren. Nach Angaben der Tochtergesellschaft Transfracht sollen in Zukunft die Container verstärkt mit Lkw zu ihren Zielen gelangen. Diesen Service will die Gesellschaft, die derzeit 300 Spediteure unter Vertrag hat, ausbauen“ [FR 25.6.94].

Erst in einigen Jahren soll die Deutsche Bahn AG privatisiert werden (gemeint ist hier der Gang an die Börse – die A. G.). Denn noch arbeitet das Unternehmen nicht profitabel. Spätestens im Rahmen dieser Privatisierung dürfte die Interessengruppe um die Deutsche Bank die volle Kontrolle über die Bahn erlangen. Die Bahn AG wird als Aktienemittentin (= Bank, die die Aktien an die Börse bringt) verschiedene Banken beauftragen, die Aktien des Bundes zu veräußern. Die Großbanken und deren Tochterbanken werden dabei erfahrungsgemäß den weitaus größten Teil der Aktien erhalten. Die Banken werden die Bahn-Aktien befreundeten Großkonzernen anbieten. Diese werden entweder die Stimmrechte den Banken übertragen („Depotstimmen“) oder in Absprache mit diesen votieren. Hat diese Interessengruppe auf den Hauptversammlungen der neuen Bahn-Gesellschaften erst einmal das Sagen, dann bestimmt sie durch die Bestellung von Aufsichtsrat und Vorstand auch über die Geschäftspolitik.

Die neue Geschäftspolitik der Bahn dürfte beispielsweise der Münchener Rückversicherungsgesellschaft zugute kommen: „Zur Beschaffung der notwendigen Finanzierungsmittel muß der privatwirtschaftliche Kapitalmarkt in Anspruch genommen werden, der seinerseits eine Risikoabsicherung und daher Versicherungsschutz benötigt“, freut sich die Allianz-Schwester. Der Finanzkonzern kennt das potentielle Geschäftsvolumen recht genau: Allein der Wiederherstellungswert von 26.000 Bahnbrücken wird auf 60 Milliarden Mark geschätzt. „Mit Blick in die Zukunft lohnt es sich für die Versicherungswirtschaft, verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um den privaten Bahnbetreibern einen sachgerechten und umfassenden Versicherungsschutz für ihre Kapitalinvestitionen anzubieten. Die Münchener Rück berät und unterstützt ihre Geschäftspartner bei der Suche nach Versicherungs- und Rückversicherungslösungen auch auf dem Gebiet der privaten Bahnsysteme (...)“.

Es zeichnet sich bereits ab, dass in Zukunft die Geschäftspolitik der Bahn noch stärker als bisher den Interessen der Bahnindustrie unterworfen werden wird. Und diese ist mit Konzernen wie Siemens, ABB, Thyssen oder Daimler Benz und den deutschen Großbanken stark exportorientiert. Produziert wird nicht alleine für den Binnenmarkt, sondern für den Weltmarkt. Da gilt eine schlichte E-Lok nicht gerade als Verkaufsschlager und moderne Waggons mit Neigetechnik zum schnelleren Kurvenfahren, wie es sie von italienischen und schwedischen Herstellern gibt, hatte die deutsche Industrie bisher nicht zu bieten.

Stattdessen wurde der Hochgeschwindigkeitszug ICE entwickelt. Dieser kommt zwar nur im Schneckentempo um die Kurve, doch das hat immerhin den Vorteil, dass die befreundete Bauindustrie schön gerade Gleise durch die Landschaft legen darf. Auch die Münchener Rück hat ein starkes Eigeninteresse an den neuen Hochgeschwindigkeitsstrecken. Denn die teuren Trassen versprechen gewaltige Versicherungsprämien „für die Deckung der Bau- und Montagerisiken bei den sehr kapitalaufwendigen neuen Bahnstrecken, die je Kilometer Strecke bis zu DM 30 Millionen kosten“. ... Die Bahnpolitik der Bank-Manager wird bestimmt von dem Wunsch nach möglichst hohen Geschwindigkeiten (im Fernverkehr, während der Regionalverkehr mit Uraltmaterial hinterher fährt – die A. G.). ... Damit wird jedoch der bisherige Systemvorteil Energieeffizienz der Bahn zunehmend in Frage gestellt. ... Die Argumentation der Bankbosse mit dem Umweltschutz zielt also mehr auf die Akzeptanz der neuen Bahntechnologien ab, denn auf eine reale Entlastung der Umwelt.

Kooperation zwischen Schiene und Straße – ein fatales Konzept!

Die Verkehrspolitik der Großbanken ist nur zu verstehen vor dem Hintergrund der massiven Steigerungen des Verkehrsaufkommens im neuen Europa. Angesichts immer längerer Staus reifte die Erkenntnis, dass auch die Kapazitäten der Bahn benötigt werden, um immer größere Personen- und Gütermassen im Dienste der „global player“ über den Kontinent zu jagen.

Mit dem Einstieg in das Bahn-Geschäft geht es den Banken also nicht im mindesten um eine Verlagerung des vorhandenen Verkehrs von der Straße auf die Schiene. Vielmehr soll ein Teil des zusätzlichen Verkehrs der Bahn zugute kommen. „Die Straße wird auch künftig einen Großteil der Last bei der Bewältigung des steigenden Verkehrsaufkommens zu tragen haben“, gibt Kopper die Marschrichtung vor [Kopper 1991]. Auch Bahn-Manager Diethelm Sack dementierte 1992 heftig, im Stückgutverkehr auf Konfrontation zum Speditionsgewerbe zu gehen. „Wir wollen Kooperation“, versicherte der Bankenfreund lehrbuchgemäß und stellte die Einbindung privater Speditionen in dem Geschäftsbereich in Aussicht [HB 26.11.92].

Wolfgang Röller, Aufsichtsratschef der Dresdner Bank, macht den künftigen Stellenwert der Bahn deutlich: „Einer Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene sind Grenzen gesetzt. Wollte die Bahn auch nur die Hälfte der für die 90er Jahre prognostizierten Zunahme des Gütertransports übernehmen, müßte sie ihre Verkehrsleistung um mehr als ein Drittel steigern. Des halb müssen auch bei den anderen Verkehrswegen kapazitätserhöhende Ausbaumaßnahmen beschlossen werden. An eine dramatische Änderung der Verkehrsträgerstruktur ist nicht zu denken“, betont der Bankmanager. Dennoch lohnt sich auch der Einstieg in das Bahngeschäft: „Gleichwohl bedeutet schon eine begrenzte Änderung dieser Struktur für die Bahn einen erheblichen Verkehrszuwachs“ [Röller 1991].

Es geht um einen breiten Einstieg in den Wachstumsmarkt Verkehr, an dem alle Verkehrsmittel partizipieren sollen – ob sie nun die Umwelt etwas mehr oder weniger belasten. „Ohne einen weiteren kapazitätserhöhenden Ausbau bei allen Verkehrswegen sind diese wachsenden Ströme nicht zu bewältigen“, so Röller. Außer im Straßen- und Schienenverkehr sieht der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Lufthansa auch Nachholbedarf im Luftverkehr und im Bereich der Binnenschiffahrt [Röller 1991].

„Richtige Verkehrspolitik ist ein Gesamtkunstwerk“, sagte Deutsche-Bank-Vorstand Ulrich Cartellieri 1992 auf dem Bank-Kongress „Strategien gegen den Verkehrsinfarkt“ in Frankfurt. Es ist beabsichtigt, Schnittstellen zwischen Straße, Schiene, Wasser und Luft herzustellen. So forderte Cartellieri den Bau von Güterverteilzentren, um Straße und Schiene miteinander zu vernetzen [FR 27.11.92]. Dann wird ein kleiner Teil des drastisch wachsenden Güterfernverkehrs über die Schiene rollen, um anschließend in einem solchen Zentrum auf Lkw verladen zu werden, die die jeweilige Region bedienen. Die geringe Zahl der geplanten Güterumschlagplätze in der Bundesrepublik stellt sicher, dass die Speditionen auch in Zukunft den weitaus größten Teil des Güterverkehrs abwickeln dürfen. VEBA-Vorstand und Chef der Speditionstochter Stinnes („Schenker“), Hans-Jürgen Knauer (Beirat NRW der Allianz Versicherung und Commerzbank-Aufsichtsrat), machte den vorgesehenen Stellenwert der Bahn deutlich: allenfalls 4 Prozent der auf der Straße transportierten Gesamtgütermenge möchte er über Güterverkehrszentren abwickeln lassen [FAZ 2.9.94]. Deutschlands Spitzenmanager haben im Prinzip schon vor Jahren entschieden, welche Rolle die verschiedenen Verkehrsmittel spielen sollen bzw. dürfen.

Die „Systemnachteile“ der Eisenbahn

So sieht etwa Herr Kopper die „systemeigenen Vorteile“ der Eisenbahn in der „sichere(n) Beförderung großer Verkehrsaufkommen über weite Entfernungen“. Naturgegeben ist der Eisenbahn offenbar die Eigenschaft Hochgeschwindigkeit. „Der Aufbau eines leistungsfähigen Schnellbahnstreckennetzes wäre für Europas Eisenbahnen der wichtigste Hebel, um ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den anderen Verkehrsträgern – vor allem im Personenverkehr – zu verbessern.“ Kopper möchte „die Attraktivität der Eisenbahn insbesondere für die zahlungskräftige Zielgruppe der Geschäftsreisenden deutlich verbessern“ [Kopper 1991]. ...

Und noch etwas stellt der nüchterne Geldmann entgegen den Beteuerungen der Bahn klar: „Die Eisenbahn ist in der Bundesrepublik noch immer zu sehr im Personennahverkehr vertreten (...) In der Fläche, beim Sammeln und Verteilen sowie im Streuverkehr, ist die Bahn systembedingt dem Kraftfahrzeug respektive dem Bus unterlegen“, behauptet Kopper. Die „Systemeigenschaft Umweltverpestung“ durch Kraftfahrzeuge spielte bei dieser Bewertung ganz offensichtlich keine Rolle! Doch selbst die angeblich so unüberwindbaren Nachteile der Bahn bei der Verteilung von Personen oder Gütern vermögen nicht so recht zu überzeugen. Denn dass es mit den so dogmatisch vorgetragenen Systemeigenschaften nicht so weit her sein kann, wird anhand Koppers Ausführungen zur Belieferung des Einzelhandels deutlich. Bei dieser höchst kleinräumigen Verteilungsaufgabe kann sich der Bankboß merkwürdigerweise „integrierte“ Konzepte vorstellen, obwohl doch dem Lkw naturgemäß die Eigenschaft des Individualverkehrs zukommt. „Anstelle der unkoordinierten, getrennten Anlieferung durch jeden einzelnen Lieferanten“ könnten die Güterströme abnehmerorientiert gebündelt per Lkw verteilt werden.

Solche intelligenten Verteilerkonzepte mag sich die Volkswirtschaftliche Abteilung der Deutschen Bank für die Bahn offenbar nicht ausdenken. Dazu benötigt es kritischer Verkehrswissenschaftler wie Heiner Monheim. In seinem Konzept für eine „Flächenbahn“ heißt es: „Das Güterbahnsystem bietet zwischen 600 Schnellumschlaganlagen ein System von Liniengüterzügen. Die regionale Erreichbarkeit der Güterbahn sichern sog. Feeder- und Verteilerzüge. Alle größeren Gewerbegebiete und Industriegebiete verfügen über einen eigenen Gleisanschluß.“ Eine „moderne Zugsicherung wie Betriebssteuerung sichern einen einfachen, rationellen Betrieb. Personal- und zeitintensive Rangier- und Wendefahrten, Umspannmanöver und Wartezeiten entfallen. Das Personal wird auf produktive, kundennahe Aufgaben konzentriert“ [Monheim 1993]. Es kann ja gerne darüber gestritten werden, welches das geeignete Verkehrsmittel für die Belieferung des Einzelhandels ist. Schließlich ist bei fraktionierten Frachten, die im Zielgebiet weit gestreut verteilt werden müssen, nicht nur die Bahn, sondern auch der Straßengüterfernverkehr im allgemeinen auf einen separaten Güternahverkehr angewiesen [Brandt 1994].

Doch wer die umweltfreundliche Bahn mit dem Argument angeblicher Systemeigenschaften auf den Fernverkehr zwischen Brüssel, Berlin und Moskau beschränken möchte, agiert völlig unseriös. Auch die Darstellung Röllers, wonach die Bahn eigentlich nur für Massenguttransporte wie Kohle, Steine, Erden und Düngemittel so richtig geeignet sei, ist absolut unhaltbar. Indem der Banker dies jedoch zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen macht, fällt es ihm nicht schwer, die offenbar beabsichtigte Zurückdrängung der Eisenbahn im ostdeutschen Güterverkehr als reinen Markteffekt zu verkaufen: „In hochentwickelten Volkswirtschaften nimmt die Bedeutung der Massengüter ab, es werden immer mehr hochwertige, leichte und kleinere Gütersendungen befördert. Der Güterstruktureffekt wirkt sich zu Lasten der Bahn aus. Die veränderten Logistikkonzepte der verladenden Wirtschaft, insbesondere just-in-time, verstärken diesen Effekt zu Lasten der Bahn. Der Lastkraftwagen entspricht in besonderem Maße dem Anforderungsprofil der Verlader. (...) Just-in-time-Konzepte sind am ehesten mit dem Lastkraftwagen zu verwirklichen“, weiß Röller. ...

Die angeblichen Systemeigenschaften berücksichtigen zwar weniger ökologische (verkehrspolitische und soziale – die A. G.) Belange, umso mehr korrelieren (= übereinstimmen) sie jedoch mit den Geschäftsinteressen der Banken und der Industrie. Wenn Herr Röller die „freie Wahl der Verkehrsmittel“ beschwört und „politisch motivierte“ hohe Verkehrsanteile der Bahn in Ostdeutschland kritisiert, täuscht er nur darüber hinweg, dass auch er und seine Managerkollegen „politisch“ motiviert bestimmte Verkehrsmittel für bestimmte Zwecke reservieren möchte. Wenn beispielsweise der Bundestag im Juni 1994 weitere finanzielle Entlastungen für die deutschen Lkw-Spediteure beschließt – eine durch und durch politische Entscheidung –, dann können die Bank-Manager völlig problemlos das Hohelied auf die freie Verkehrsmittelwahl singen! ... Denn es ist ein (verkehrspolitischer – die A. G.) Irrsinn, wenn Kartoffeln zum Waschen nach Italien gefahren werden, bayerischer Joghurt für deutsche TouristInnen nach Spanien gekarrt wird oder belgische Schweine nach Italien transportiert werden, um anschließend als „Original-Parma-Schinken“ auf deutschen Tischen zu landen.

Endstation Börse

Eine kurze Bestandsaufnahme

Als Heinz Dürr 1994 von der Kohl-Regierung an die Spitze des „Unternehmens Zukunft“ gesetzt wurde, wandte er die gleichen Prinzipien an, nach denen er im Auftrag der Banken die AEG kaputtsaniert hatte.[3] Auf der Grundlage dieser Erfahrungen und gestützt von der Deutschen Bank präsentierte er eine schöngerechnete Zukunftsperspektive. Da die Eisenbahn bereits zum Sanierungsfall gemacht worden war, eine Alternative innerhalb der bestehenden Grenzen des kapitalistischen Systems nicht entwickelt wurde und die vorgelegten Zahlen eine Verbesserung der Situation vorspiegelten, gelang es den Widerstand der Privatisierungsgegner – vor allem innerhalb der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) – zunehmend zu paralysieren.

Dürrs Unternehmenspolitik ebenso wie die seiner Nachfolger Ludewig und Mehdorn haben die Eisenbahn schließlich an den Rand des Ruins gebracht. „Die Qualität der baulichen Anlagen des Eisenbahnnetzes der Deutschen Bahn AG hat sich während der vergangenen Jahre fortschreitend verschlechtert. Unter mangelnder Instandhaltung und Erneuerung hat insbesondere der Zustand der Gleisanlagen gelitten. Die sprunghafte Zunahme der sog. Langsamfahrstellen, verursacht durch Mängel des Oberbaus mit der Folge eines spürbar unpünktlichen Betriebs, dokumentiert diesen Zustand. Während einer Zeitspanne weniger Jahre täuschte die Strategie eines „Zehrens vom Bestand“ einen Scheinerfolg vor ...

Der vor Jahren noch existierende technische Fachdienst hat vor dieser Entwicklung gewarnt, wurde aber alsbald aufgelöst. ... Die als „AG-Effekt“ ... erwartete Kostenminderung hat sich in ihr Gegenteil verkehrt.“[4]

Es ist fünf Minuten vor Zwölf!

Im Folgenden eine Auswahl aus den ca. 250 Initiativanträgen zum Gewerkschaftstag der Transnet-GdED in Magdeburg (Quelle: Internetseite www.bahnvonunten.de):

Initiativantrag zur aktuellen Auseinandersetzung mit dem DB AG-Management

Adressaten: GdED-Hauptvorstand, Gewerkschaftstag.

(Dieser Antrag wurde von der GdED-Bundesbetriebsrätekonferenz am 2./3. Mai 2000 in Köln einstimmig angenommen.)

Die GdED-Bundesbetriebsräte-Konferenz 2000 begrüßt die Standfestigkeit der GdED in der Kampagne gegen den Verkauf der Eisenbahnerwohnungen sowie die starke Mobilisierung und Entschlossenheit unserer Gewerkschaft im Zusammenhang mit den Verhandlungen zum Beschäftigungsbündnis Bahn in den vergangenen Monaten. Viele tausend Eisenbahner(innen) haben im Vorfeld dieser Verhandlungen deutlich gemacht, dass sie zur Verteidigung ihrer Arbeitsplätze und Realeinkommen auch zum Streik bereit sind.

Nachdem ein erster Warnstreik in letzter Sekunde abgeblasen wurde, stellen wir fest: Auch wenn betriebsbedingte Kündigungen vorerst vom Tisch sind, kommen für uns direkte oder indirekte Lohn- und Gehaltseinbußen nicht in Frage. Die GdED-Verhandlungsführung wird daher aufgefordert, keinen Tarifabschluss zu vereinbaren, der eine Nullrunde oder Kürzung von Urlaubsgeld und Jahressonderzahlung („Weihnachtsgeld“) oder anderen tariflichen Leistungen vorsieht. Da die meisten Eisenbahner(innen) kleine und mittlere Einkommen beziehen, können weitere Opfer nicht in Frage kommen. Wir sehen nicht ein, dass wir für eine verfehlte Verkehrspolitik und die von der Politik zu verantwortende Benachteiligung der Bahn im Wettbewerb noch mehr Opfer bringen sollen.

Streikbereitschaft war und ist vorhanden, sie lässt sich aber nicht unendlich konservieren. Sollte die in Kundgebungen gezeigte Entschlossenheit vieler tausend Kolleginnen und Kollegen jedoch nicht ausreichen, um das DB AG-Management am Verhandlungstisch zum Einlenken zu bewegen, dann muss in den nächsten Wochen der Arbeitskampf vorbereitet und auch tatsächlich durchgeführt werden.

Das in den letzten Wochen entwickelte gemeinsame Handeln aller Bahngewerkschaften ist angesichts der großen Herausforderungen sinnvoll. Gleichzeitig sucht die GdED aber auch die Zusammenarbeit und den Schulterschluss mit allen Opfern von Privatisierung und Deregulierung. Das Widerstandspotential der Beschäftigten von Bahn, ÖPNV, Stadtwerken und anderen Bereichen und ihrer Gewerkschaften muss gebündelt werden. Wir grüßen an dieser Stelle die Belegschaft der Kölner Verkehrsbetriebe, die in den letzten Wochen durch Warnstreiks in Aktion getreten ist. Wir grüßen Eisenbahner in ganz Europa, die mit den gleichen Problemen konfrontiert sind und mit Interesse verfolgen, ob die deutschen Eisenbahner mit ihrem hohen Organisationsgrad in der Lage sind, einen Abwehrkampf zu führen und britische oder amerikanische Verhältnisse zu verhindern.

Alle GdED-Funktionäre und Mitglieder werden aufgefordert, im Bereich politischer Parteien Einfluss zu nehmen und Initiativen zu entwickeln. Insbesondere ist auf die Abgeordneten der Regierungskoalition und die Mitglieder der Bundesregierung dahingehend einzuwirken, dass ein radikaler Kurswechsel stattfindet und eine Politik betrieben wird, die wirklich „rot“ und „grün“ genannt werden kann. Wir fordern vom Gesetzgeber eine unverzügliche Herstellung wirklicher Chancengleichheit und fairer Wettbewerbsbedingungen für die Bahn. Wir fordern einen Stopp der Zerstückelung der DB AG und der Jagd nach Kapitalmarkt- und Börsenfähigkeit und Rendite auf Kosten der Beschäftigten und sozial Schwachen! Wenn öffentliche Kampagnen, Anträge und Petitionen dazu nicht ausreichen, so muss das Mittel des Streiks unseren Forderungen mehr Gewicht verleihen.

Was hier als „Scheinerfolg“ bezeichnet wird, war jedoch von Anfang an beabsichtigt und ist Teil der Strategie der „Sanierer“ Deutsche Bank und ihrer Vollstrecker Dürr und Mehdorn. Der Erfolg währte gerade lange genug, um die Zerschlagung und Neuverschuldung der Eisenbahn so weit zu treiben, dass das Umschwenken vom Zukunftsgesäusele zum Katastrophengeschrei als unumkehrbare Tatsache präsentiert werden konnte. Dürrs frisierte neue Zukunft und Mehdorns nüchterne Bestandsaufnahme sind lediglich zwei Seiten ein und derselben Medaille (siehe S. 38 „Gewinnerwartungen“): die Eisenbahn um den Preis ihrer Vernichtung als Verkehrsmonopol in die Schuldenfalle zu treiben und diesen Prozess politisch möglichst unumkehrbar zu machen.

28. November 2000 – Initiativantrag an den Gewerkschaftstag:

Arbeitsplätze und Flächentarifvertrag verteidigen! Kein Ausverkauf - weder an ausländische noch an inländische Kapitalgruppen!

Der Gewerkschaftstag betrachtet mit großer Sorge den Verlauf der jüngsten Tarifverhandlungen und die neuerlich aufgeflammte Diskussion über einen möglichen Ausverkauf von Konzernteilen an in- oder ausländische Kapitalgruppen.

Der Eckpunkte-Tarifvertrag nimmt immer mehr Konturen an. Der Flächentarifvertrag, eine der wichtigsten Errungenschaften der Gewerkschaftsarbeit (garantierte flächendeckend gleiche tarifliche Bedingungen für alle Beschäftigten) zerbröselt vor sich hin, bis er völlig verschwindet.

Nicht nur bereits bestehende Unterschiede (Ost/West; Beamte/Angestellte; Tarifkräfte vor und nach 1994; DB Arbeit-Mitarbeiter; Mitarbeiter DB AG/Töchter;...), sondern vom Management geplante regionale Differenzierungen, „Mittelstandsoffensive“ etc. atomisieren die Belegschaft zunehmend.

Ein guter Ansatz waren die Aktionen in diesem Jahr, die viele tausend Kolleg(inn)en auf die Beine brachten, aber wir brauchen dringend eine Bündelung der Kräfte.

Die Konzentration des Widerstandspotenzials hat bisher nicht stattgefunden. Die Kampfbereitschaft wird immer wieder nur punktuell mobilisiert und lässt sich so nicht auf Dauer konservieren.

Viele Kollegen schauen nach Frankreich und fragen sich: warum können wir nicht so konsequent Widerstand leisten wie die französischen Kollegen?

Wir demonstrieren, aber die Zerschlagung, der Arbeitsplatz-Abbau gehen munter weiter.

Betriebsräte und Vertrauenspersonen leisten tagtäglich einen isolierten, einsamen, zermürbenden und fast aussichtslosen Widerstand. Sind wir alle Masochisten? NEIN, es ist genug!

Wo bleibt die Wende? Wann kommt mehr Verkehr auf die Schiene und steigt der prozentuale Anteil des Schienenverkehrs am Gesamtverkehr?

Die Antwort kann nicht MORA, REGENT (Konzepte zur Regionalisierung des Nahverkehrs bzw. der Reduzierung von kostengünstigen Fernverbindungen – die A. G.) oder Verkauf von dvm, Mitropa, AHS, ... sein.

Wir lassen uns nicht verscherbeln und in Belegschaften 1., 2., 3. ... Klasse spalten.

Der schleichende Tod des Flächentarifvertrages bedeutet für viele jüngere Kolleginnen und Kollegen eine wachsende Gefahr der späteren Altersarmut.

Es reicht uns: Der Zukunftsfonds „beruhigt“ durch Besitzstandswahrung die Belegschaft vor 1994 – was ist mit den Jüngeren? Hinterlassen wir für die nächste Generation verbrannte Erde?

Daher fordern wir:

  • Um alle Arbeitsplätze kämpfen und den Flächentarifvertrag verteidigen. Keine Zerschlagung des Bahnkonzerns.
  • Für die Erhaltung einer einheitlichen, flächendeckenden und bundeseigenen Bahn im Interesse der Beschäftigten, der Umwelt und der Kunden. Kein Börsengang! Kein Ausverkauf - weder an ausländische noch an inländische Kapitalgruppen!
  • Bündelung des Protestes durch bundesweite Aktionen: an einem bestimmten Tag Betriebsversammlungen in jedem Wahlbetrieb bundesweit zu demselben Thema...
  • Bereitschaft auch zu unbefristeten Streiks
  • Zur Vorbereitung und Einleitung eines „heißen Winters“ Bildung von Arbeitsgruppen der Vertrauenspersonen, Betriebsräte und Einbeziehung auch von interessierten Kolleginnen und Kollegen.
  • Arbeitszeit-Offensive: nur Regel-Arbeitszeit und keine Minute länger. Ablehnung von Überstunden!
  • Koordinierung von Widerstandsaktionen gemeinsam mit anderen ebenfalls von Privatisierung und Deregulierung betroffenen Gewerkschaften, wo immer es darum geht, feste Arbeitsverhältnisse zu tariflichlich abgesicherten Bedingungen zu verteidigen.
  • Vor Ort Druck auf politische Parteien und Mandatsträger machen und auf eine radikale Wende in der Bahn- und Verkehrspolitik drängen.

Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Verluste ...

Das Finanzkapital weiß aus praktischer Erfahrung mit der AEG, dass ein derartiges Unternehmen wegen der immer noch großen Zahl an Beschäftigten und seiner verkehrspolitischen Bedeutung nicht einfach pleite gehen kann. Also wird hoch gepokert – da sind noch jede Menge Zuschüsse, Darlehen und andere Geldgeschäfte für das Finanzkapital drin, da kann noch am Lohn und am Weihnachtsgeld gekürzt werden, da können noch Fahrpreise erhöht, Zugverbindungen eingestellt und Kosten auf den Staatshaushalt und somit auf die Lohnabhängigen abgewälzt werden. Die Profitmaximierung verlangt’s. Und wenn das alles nichts mehr nützt, legt man die maroden Überreste – wie in den USA geschehen –möglicherweise wieder in staatliche Hände zurück.

Mach‘ mir eine schöne Bilanz ...

Bereits im März 1994 berichtete der Spiegel über die Manipulationen der Kohl-Regierung: „,Damit das klar ist’“, erklärte Finanzminister Theo Waigel (CSU), „es gibt keine zusätzlichen höheren Steuern oder Abgaben.“ ... Ehrlich sind solche Beteuerungen nicht. Schon jetzt ist sicher: Wer immer die Wahl gewinnt, muss die Benzinsteuer noch einmal erhöhen. ... Seine Beamten haben das längst schriftlich fixiert. ... Die fest kalkulierte Steuererhöhung ist zwingende Konsequenz der von Kanzler Helmut Kohl in jeder Wahlrede als „Jahrhundertreform“ gepriesenen Umwandlung der Deutschen Bundesbahn in eine Aktiengesellschaft. Zum Start der neuen Firma wurden in der Bilanz Schulden in Höhe von 67 Milliarden Mark gestrichen. ...

Was bei der Bahn verschwand, tauchte beim „Bundeseisenbahnvermögen“ (BEV) wieder auf. Das ist ein Schattenhaushalt des Bundes, der – anders, als das Etikett suggeriert – im Wesentlichen Schulden verwaltet und sie auch bedienen muss.

Um Zinsen und sonstige Lasten aus diesem sonderbaren „Vermögen“ tragen zu können, bleibt Waigel nichts anderes übrig, als am Jahresbeginn die Benzinsteuer um 16 Pfennig zu erhöhen. ...

Dürr hat seine Ausgangsposition unauffällig so arrangiert, dass er ein rechnerisches Plus, so der Gießener Verkehrswissenschaftler Gerd Aberle, „kaum vermeiden kann“.

In der Silvesternacht nämlich begab sich für Heinz Dürr neben der wundersamen Schuldentilgung ein weiteres Mirakel. Im alten Jahr standen Schienenwege und Bahnhöfe ... noch mit 99,2 Milliarden Mark in den Büchern. Die Eröffnungsbilanz für 1994 weist dieselben „Sachanlagen“ nur noch mit 25,3 Milliarden Mark aus.

Ein Unternehmen muss seine Sachanlagen nämlich im Umfang des jährlichen Wertverlustes abschreiben. Geschähe das nicht, stünden abgenutzte Maschinen und Gebäude mit viel zu hohen Werten in den Büchern.

Die jährlichen Abschreibungen müssen verdient werden. ... Dank des „erstaunlichen Wertes“ (Aberle) muss die Bahn AG 1994 von ihren Erlösen nur eine Milliarde Mark für Abschreibungen abzwacken. ... Die ICE-Neubaustrecken Würzburg-Hannover und Mannheim-Stuttgart kosteten 16 Milliarden Mark. Für neue Hochgeschwindigkeitsloks und Komfortwaggons überwies Waigel in den vergangenen Jahren mehrere Milliarden Mark. Wie hoch diese Investitionen bei der neuen Bahn noch bewertet sind, mag Bahnvorständler Diethelm Sack nicht verraten. Viel kann es nicht sein, sonst wäre ein Gesamtwert der Sachanlagen von 25 Milliarden Mark rasch überschritten.

„Die drastischen Wertkorrekturen lassen ahnen, dass die Bahn AG noch viele Jahre lang massive Ansprüche geltend machen wird.“[5]

Nach diesem „positiven“ Auftakt geht es munter weiter: „Die vor wenigen Tagen vorgelegte 1999er Bilanz der Deutschen Bahn AG und die Ergebnisse für das erste Quartal 2000 sind katastrophal, aber nichts wirklich Neues: Im vergangenen Jahr wurde ein Verlust von 170 Millionen DM »eingefahren«, das Defizit im 1. Quartal 2000 läuft auf einen Gesamtverlust von 200 Millionen Mark bis Jahresende hinaus.

Wer die Bilanzen der Deutschen Bahn AG seit der ,Bahnreform’ 1994 liest, stellt aber erstaunt fest, dass es Jahr für Jahr aufwärts ging. Laut dem 1995er Bilanzbericht hat sich das ,Betriebsergebnis der Deutschen Bahn AG im Vergleich zu 1994 deutlich verbessert. Nach Verrechnung von Zinsen ist es von 90 Millionen DM in 1994 auf 293 Millionen in 1995 angestiegen.’ Ein Jahr später wandelte der Bilanz-Lyriker den Satz wenig originell um in: ,Im Vergleich zu 1995 hat sich das Betriebsergebnis der DB AG erneut verbessert. Nach Verrechnung von Zinsen ist es von 293 Millionen DM in 1995 auf 336 Millionen DM in 1996 angestiegen.’ Die 1996er Bilanz stellte dann fest: ,Das Betriebsergebnis der DB AG... ist unter Berücksichtigung von Sonderaffekten im Vorjahr annähernd unverändert.’ Im 1998er Bilanzbericht heißt es dann: ,Das Betriebsergebnis war rückläufig und erreichte einen Wert von 334 Millionen DM.’“

Trotz dieser Delle wurde im gleichen Geschäftsbericht einleitend vom damaligen Bahnchef Johannes Ludewig festgestellt: „Wirtschaftlich war 1998 sicher kein einfaches Jahr. Gleichwohl sind wir im Sanierungsprozess der Bahn ein beachtliches Stück vorangekommen.“ Was also hat sich jetzt derart radikal verändert, dass Mehdorn seit Monaten tönt, die Bahn drohe, erneut Sanierungsfall zu werden? Wie kommt es, dass Mehdorn eine Bilanz für 1999 vorlegte, die eine rapide Verschlechterung belegt?

„Tatsächlich gibt es keine solche Wende bei der Bahn. ... Wenn erst jetzt auch offiziell Verluste ausgewiesen werden, dann sei darauf hingewiesen: Auch die vorausgegangenen Bilanzen waren dann negativ, wenn Sondereffekte wie zu niedrig ausgewiesene Anlagen mit zu geringen Abschreibungskosten und Einnahmen aus Verkäufen z. B. von Immobilien korrekt eingerechnet werden. ... Mit einem Federstrich waren (1994 – die A. G.) Tunnel, Gleise, Brücken und Fahrzeuge nur noch ein gutes Viertel ihres früheren Betrages wert. Damit reduzierten sich jedoch auch die Abschreibungsleistungen für die Bahn - also die Kosten, die zu verbuchen sind, um nach dem Verschleiß dieses Anlagenvermögens wieder die Erneuerung bezahlen zu können. 1993 mußten Bundesbahn und Reichsbahn zusammen noch fünf Milliarden Mark an Abschreibungen aufwenden; 1994 denn nur noch 1,9 Milliarden Mark. Es war einer der Väter dieser Bahnreform, Prof. Aberle, der dazu feststellte, die Bahnbilanzen seien geschönt. Und der Bundesrechnungshof stellte am 21. 1. 1997 fest, dass ,die DB AG noch keinen eigenen Beitrag zur Ergebnisverbesserung geleistet hat’. Und dann schrieb der Bundesrechnungshof wie folgt Klartext: ,Das Betriebsergebnis der DB AG zeigt eine deutliche Verschlechterung gegenüber dem letzten Jahr vor der Bahnreform.’“[6]

Die Vorschläge, die Mehdorn für die weitere Bahnpolitik ankündigte, werden die Krise noch verstärken. Mehdorn will die „Zugkategorien auf nur noch vier“[6]reduzieren. Tatsächlich soll der Interregio (IR) faktisch abgeschafft werden. Dabei ist diese Zuggattung ausgesprochen populär, erfolgreich und rentabel. Bis 1995 nutzten z. B. mehr Fahrgäste den IR als den ICE. Die Bilanz: Je mehr sich die Bahnpolitik auf Hochgeschwindigkeit und auf den Geschäftsreiseverkehr konzentriert, desto schneller bewegt sie sich aufs Abstellgleis.

... und keinen Ausweg mehr?

„Ist das Monopol einmal zustande gekommen und schaltet und waltet es mit Milliarden, so durchdringt es mit absoluter Unvermeidlichkeit alle Gebiete des öffentlichen Lebens, ganz unabhängig von der politischen Struktur und beliebigen anderen ‚Details‘“[7], schrieb Lenin. Die Verkehrspolitik der Deutschen Bank bestätigt diese Aussage. Die Hilflosigkeit „politischer Entscheidungsträger“ in Regierung und Opposition ist – solange die Grenzen des kapitalistischen Systems nicht einmal gedanklich überschritten werden – der logische Ausdruck dieser Tatsache. Ernst zu nehmender Widerstand regt sich lediglich in den Gewerkschaften (siehe S.39/40, Initiativanträge zum Gewerkschaftstag der Transnet-GdED). Neben den von der Transnet-GdED zur Diskussion gestellten Vorschlägen war der im Jahr 1997 von der PDS gemachte Vorstoß, die Eisenbahn als „Flächenbahn“[8] zu behandeln, der bisher einzige politisch ernsthafte Vorschlag, die weitere Zerschlagung der Eisenbahn zu verhindern.

In der jetzigen Situation kommt es darauf an, eine weitere Aufspaltung der bundeseigenen Aktiengesellschaft Bahn AG in voneinander unabhängige börsenfähige Aktiengesellschaften zu verhindern. Nur über die Verbindung des gewerkschaftlichen Widerstandes mit einer derartigen politischen Konzeption kann der gezielt vorangetriebene Niedergang der Eisenbahn gestoppt werden. Eine wirkliche Verbesserung der Situation ist jedoch nur über die Beseitigung der verkehrspolitischen Benachteiligung der Eisenbahn zu erreichen.

1 Zahlen aus: Winfried Wolf, Fahrt aufs Abstellgleis – Die Monopolisierung der Bahntechnik und die Folgen für die Verkehrspolitik, junge welt/13.9.00.

2 Henrik Paulitz, Manager der Klimakatastrophe – Die Deutsche Bank und ihre Energie- und Verkehrspolitik, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 1994, S.328-338: Die Verkehrspolitik der Deutschen Bank – Zur Entstehungsgeschichte der Deutschen Bahn AG.

3 Die AEG, die jahrzehntelang in enger Zusammenarbeit mit der Siemens AG den Elektromarkt in Deutschland und Europa beherrschte, versuchte in den 60er Jahren mit riskanten Investitionen und Aufkäufen vor allem auf dem Atomkraftwerkssektor (die KWU war eine gemeinsame Gründung beider „Partner“ und wurde dann von Siemens komplett übernommen) Siemens national wie international zu überrunden. Als sie dabei in Zahlungsschwierigkeiten geriet, wurde sie für die mit Siemens liierten Banken vom Profitbringer zum Übernahme- und Liquidierungsfall. Dürr wurde mit der Abwicklung des Konzerns beauftragt. Die AEG ist heute nur noch eine Name in der Geschichte der deutschen Elektro-Monopole und ein Beispiel dafür, wie sich aus der Zusammenarbeit von Monopolen der Übergang zum gegenseitigen Vernichtungskrieg vollzieht.

„Aber auch der höchste Vergesellschaftungsgrad der Produktion innerhalb eines Monopols, auch die weitestgehende Zusammenarbeit zwischen Monopolen zur noch umfassenderen Vergesellschaftung geschieht immer und ausschließlich im Profitinteresse der einzelnen monopolistischen Kapitale. Deshalb hört der Konkurrenzkampf der Monopole untereinander nie auf; deshalb ist jedes Monopol bestrebt, das andere zum eigenen Vorteil zu schwächen; deshalb gleicht jedes Abkommen zur Kooperation einem Waffenstillstand zwischen Räuberhäuptlingen, bei denen die eine Hand zum Gruß gereicht wird, während die andere hinter dem Rücken das offene Messer bereit hält.“ (Zitiert nach: Gert Hautsch, Das Imperium AEG-Telefunken, Verlag Marxistische Blätter Frankfurt/Main 1979, S.85).

4 Eisenbahn-Revue International Nr.12/Dezember 00, S.554, Dr.-Ing. Rudolf Breimeier: Trennung von Fahrweg und Betrieb mit Wettbewerb auf dem Netz – die Zukunft der Eisenbahn?

5 Der Spiegel Nr.11/14.3.94, S.121f. – Erstaunliche Werte.

6 junge Welt/13.5.00, Winfried Wolf – Was Mehdorn verschweigt: Die Bilanzen der Bahn wurden seit Jahren gefälscht.

7 LW Bd. 22, W. I.. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, Dietz Verlag Berlin 1988, S.241, III. Finanzkapital und Finanzoligarchie.

8 Das Manifest der 1435 Worte wurde 1997 von Winfried Wolf (MdB/PDS) als politische Initiative der Öffentlichkeit vorgestellt und forderte, die Bahn als Gesamtsystem zu beschleunigen, anstatt einzelne „Rennstrecken“ losgelöst vom Regionalverkehr mit hohem Finanzierungsaufwand zu bauen.

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