Informationen aus dem WDR-Film von 1995 „Arbeit ist das halbe Leben” und „Monitor” vom 25.3. 004
Ein Beispiel aus einem Betrieb der Bekleidungsindustrie, der ursprünglich in der BRD, in Bochum-Wattenscheid ansässigen Steilmann GmbH. Beschäftigt waren in der absoluten Mehrheit Frauen, die im Akkord arbeiteten. Die Monatslöhne lagen dabei nach Aussage der Betriebsratsvorsitzenden zwischen 1.400 und 2.000 Mark. Immer wieder suchten Frauen zusätzlich eine Putzstelle, weil der Lohn vorne und hinten nicht reichte.
Mitte der 90er Jahre wurde auf Verlangen des Kapitalisten mit Zustimmung des Betriebsrates und der Gewerkschaft zur „Sicherung der Arbeitsplätze” ein „flexibles Arbeitszeitmodell” eingeführt. Hierbei wurde die Arbeitszeit von 38 auf 35 Stunden in der Woche ohne Lohnausgleich verkürzt. Gleichzeitig brauchten die Frauen jetzt nur noch 8 Monate im Jahr, während der so genannten „Saison”, zu arbeiten. Die übrigen 4 Monate konnten sie zu Hause bleiben bzw. mit wochenlangen Freizeitblöcken überbrücken. Während der „Saison” wurde die auf 35 Stunden in der Woche verkürzte Arbeitszeit auf 45 Wochenstunden Akkordarbeit hoch geschraubt. Je nach Arbeitsanfall wurde der „freie Samstag” ebenfalls den „betriebsbedingten Notwendigkeiten” untergeordnet. Die Überstundenzuschläge sowie die Zuschläge für die Samstagsarbeit wanderten dabei für die „Arbeitsplatzsicherheit” in die Taschen des cleveren Herrn Steilmann. Bezogen auf die Sicherheit der Arbeitsplätze erklärte er 1995 in einem Interview mit dem WDR:
„Ich hab’ eigentlich dafür immer einen Spruch: Die Bekleidungsindustrie ist ja wie ein Zigeunerwagen. Sie sucht immer die billigste Fertigungsstätte. Und eines Tages landen wir dann am Südpol. Und es wird uns gelingen, den Pinguinen das Nähen beizubringen. Wir brauchen dann gar keine Löhne mehr zu bezahlen. Die Pinguine nehmen eine viertel Stunde Pause und fangen einen Fisch, damit sie ernährt sind und das ist dann das Ende der Arbeitsplätze!”
Steilmanns „Pinguine” sind die Frauen Osteuropas. Schon Anfang der 90er Jahre ist er dort mit seinem „Zigeunerwagen” hingezogen und hat die Frauen für Hungerlöhne von 20 Mark im Monat ausgebeutet (Film WDR 1995). Dabei sind alle seine Fabriken und „Frauenarbeitsplätze” aus der BRD verschwunden. Die letzte Steilmann-Fabrik wurde Ende März 2004 in Cottbus geschlossen. 160 Frauen haben dabei ihre Arbeitsplätze verloren. Verdient haben sie rd. 900 EURO netto im Monat. In der ARD-Sendung Monitor wurde am 25. März 2004 unter o.g. Titel darüber berichtet. „Das kam wie aus heiterem Himmel”, erzählte eine Kollegin. „Auftragsbücher voll, Regale voll, auf einmal wird gesagt: Hier wird zugemacht, weil wir zu teuer sind. So wurde uns das gesagt. Nicht dass der Bankrott geht oder kein Geld mehr hat – Insolvenz. Das war eben eindeutig, dass er nach Rumänien geht, weil es da billiger ist!”
„Deswegen”, so erklärt Steilmann-Manager Knaup, „sind wir schlicht und ergreifend aus Marktbedingungen gezwungen, im Ausland zu fertigen, wo die Löhne günstiger sind!”
Und deswegen stehen die Fabriken jetzt in Rumänien und Moldawien. Steilmann hat es dabei zwischenzeitlich in Rumänien auf rd. 10.000 Beschäftigte, in der Mehrheit Frauen, gebracht. 2.000 davon schuften für 150 EURO im Monat in einer Fabrik in Kreiowa. Die Reporter von Monitor durften nicht in die Fabrik. Der Mutterkonzern hatte Anweisung gegeben: „Niemand rein lassen!” So berichteten Frauen anonym aus der „Modekolonie”, so werden die Fabriken in Rumänien genannt, dass der Druck auf sie zunehmend verschärft wird. Und wer sich über 50 Stunden oder mehr Arbeit in der Woche oder über die Arbeitsbedingungen beschwert, muss damit rechnen, dass er/sie raus fliegt.
„Rumänien ist die Nähstube Europas”, wurde in der Monitor Sendung berichtet. Über 400.000 Beschäftigte in der Textil- und Bekleidungsindustrie. Jeder namhafte Textil- und Bekleidungsunternehmer lässt dort arbeiten. „Der Exportschlager Made in Germany – Arbeitsplätze!”
Das eine „Billiglohnland” wird zur Bedrohung, zur Konkurrenz für das andere Billiglohnland. So berichteten Gewerkschafter in Bukarest von Strategien und Drohungen deutscher Unternehmer: „Die ausländischen Investoren kommen nach Rumänien, um gute Produkte zu möglichst niedrigen Kosten zu produzieren. Dies spiegelt sich natürlich in den Löhnen der Arbeiter hier wieder. Da bildet auch Steilmann keine Ausnahme. Und weil Steilmann Fabriken besitzt und wichtiger Kunde ist, kann er auf die Gewerkschaften und Arbeiter Druck ausüben, die Löhne niedrig zu halten. Auch mit dem Hinweis auf die Konkurrenz.”
Wegen der ausländischen Konkurrenz aus Weißrussland oder der Ukraine sitzt auch den rumänischen Frauen die Angst vor dem Verlust der Arbeitsplätze im Nacken. So stellte Manager Rüdiger Knaup (s. o.) fest, dass dort die Fertigungslöhne noch niedriger sind. „Und auch daher ergibt sich eine Situation, wo die Rumänen natürlich sehen müssen, dass sie ihre Produktivität weiter steigern, und diesen Prozess vermeiden. Sonst wird auch dieses Produktionsland für die Bekleidungsindustrie irgendwann nicht mehr attraktiv sein, weil es zu teuer ist!”
Um die rumänischen Frauen für sich „attraktiv” zu halten, sie noch mehr auszupressen, „produktiver” zu machen, hat der ehrenwerte Herr Steilmann auch schon vorgesorgt. Zwischenzeitlich kann er mit der Fabrik „Balteanco” in Moldawien, mit Verlagerung drohen. Dort nähen, schneidern und bügeln nämlich die „Pinguine”, 600 Frauen und Männer, bereits für 30 Cent in der Stunde. „Wer sich anstrengt”, kommt dabei auf 80 EURO im Monat.
Und der Direktor der Fabrik, Konstantin Botnar, bemerkte im Interview mit Monitor:
„Sie haben natürlich Recht. Jedes Unternehmen geht dahin, wo Lohn und Produktion am billigsten sind. Bei uns sagt ein Sprichwort: „Je schlechter, desto besser!” Und da es Moldawien schlecht geht und Rumänien besser, nun, deswegen sind die Löhne im Vergleich zu Rumänien noch geringer. So funktioniert halt die Philosophie der Unternehmer.”
AG Stellung des
Arbeiters in der Gesellschaft heute
1. Mai 2004 in Nürnberg