KAZ-Fraktion: „Ausrichtung Kommunismus”
In Teil 1 dieses Artikels trugen wir einige Grundlagen zur Klärung des Begriffs ‚staatsmonopolistischer Kapitalismus‘ zusammen. Wir zeigten, dass der SMK nur in seiner Entwicklung begriffen werden kann. Im SMK setzt sich das Gesamtinteresse des Monopolkapitals im Staat durch, den es sich untergeordnet hat, als Reaktion auf die Entwicklung der Allgemeinen Krise des Kapitalismus im Imperialismus, der Epoche des Niedergangs des Kapitalismus.
Wir brauchen die Klarheit dieses zentralen Begriffs, um Einheit herzustellen im Kampf um eine antimonopolistische Strategie auf dem Weg zum Sozialismus. In diesem zweiten Teil des Artikels wollen wir den Begriff des staatsmonopolistischen Kapitalismus nutzen für die konkrete Analyse unseres Hauptfeinds, des deutschen Imperialismus.
Dazu knüpfen wir an die Veränderung der Weltlage an, die wir im ersten Teil des Artikels dargestellt haben. Durch den Kollaps der Sowjetunion war eine neue Weltlage entstanden, auf die der SMK der imperialistischen Großmächte reagierte.
Die veränderte Gesamtlage nach dem Ende der SU hatten wir charakterisiert durch folgende Punkte:
– Die Konterrevolution in der Sowjetunion konzentrierte das Interesse der imperialistischen Großmächte auf die dadurch mögliche Neuverteilung der Einflusssphären der Welt.
– Der Neuverteilung des SU-Gebiets unter die imperialistischen Großmächte mit der Perspektive, sie zu Halbkolonien zu machen, stellte sich die dortige neue herrschende Klasse entgegen mit der Übergabe der Regierungsmacht an Putin. Der Kampf um die Unabhängigkeit der Russischen Föderation konzentrierte sich bald auf die Ukraine. Russland ist dabei auf die Unterstützung der VR China angewiesen.
– Die VR China stieg in ihrem Kampf um Unabhängigkeit und Sozialismus zur Weltmacht auf und setzt der imperialistischen Einkreisungspolitik Bündnisse mit Partnern entgegen, die im Widerspruch zur Hegemonie der USA stehen. Sie strebt ein System der kollektiven Sicherheit an.
– Nachdem mit der SU die politische Begründung der US-Hegemonie über die anderen imperialistischen Großmächte untergegangen war, soll die Begründung nun durch die Notwendigkeit von Containment und Roll-back des Einflusses von China ersetzt werden.
– Auf dem Gebiet der Entwicklung der Produktivkräfte wird die Digitalisierung für die Gesamtentwicklung ähnlich grundlegend wie der Eisenbahnbau bei der Entwicklung des Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium. Neue Großunternehmen entstehen in den USA und China auf größerer technischer und finanzieller Stufenleiter, mit Börsenwerten von mehreren Tausend Milliarden US-Dollar. Netzwerke zur Konzentration dieser Kapitalmassen sind in den USA mit einer Handvoll dominierender Digitalkonzerne entstanden und in der VR China mit dem Aufbau entsprechender Unternehmen unter Kontrolle des Staates. Produktivkraftentwicklung ist zu einem entscheidenden Feld des Klassenkampfs im Weltmaßstab geworden.
– Die USA-Finanzhegemonie wurde durch die von ihr geprägte weltweite Finanzkrise geschwächt.
– Mit dem Ukraine Konflikt verhindern die USA die Infragestellung ihrer militärischen Hegemonie, d.h. der NATO. Das damit verbundene Sanktionsregime soll auch die politische und ökonomische Hegemonie aufrechterhalten.
Der deutsche Imperialismus stößt in seiner aktuellen Entwicklung an die Grenzen dieses Sanktionsregimes.
Das Sanktionsregime der USA, das die Krise der US-Hegemonie dämpfen soll, trägt aber zur Destabilisierung bei z.B. in der Frage, ob die außerhalb Russlands angelegten russischen Währungsreserven für den Ukrainekrieg requiriert werden dürfen. Der Hauptanteil der zunächst blockierten Währungsreserven liegt nicht in US-Dollar, sondern in Euro bei der Bankdienstleistungsgesellschaft Euroclear in Belgien. Euroclear hat belgische und französische Aktionäre, darunter auch die staatliche französische Caisse des Depots. Wenn die belgische Regierung unter Druck der USA das russische Euro-Guthaben bei Euroclear beschlagnahmt, wird die Rolle des Euro als Alternative zur Weltwährung US-Dollar beschädigt, was im Widerspruch zum Gesamtinteresse des deutschen und französischen Imperialismus, von den USA unabhängiger zu werden, steht. Gleichzeitig, so warnt die NZZ, Sprachrohr des schweizer Finanzkapitals, wird damit ein Präzedenzfall geschaffen: Zentralbanken können weltweit die Sicherheit auch der Dollarreserven gefährdet sehen und „zu alternativen Währungen wie dem Renminbi flüchten“.[1]
Das US-Sanktionsregime wirft ein Licht auf den Bewegungsspielraum der deutschen Finanzoligarchie im Verhältnis zu den USA bzw. zur EU und Frankreich.
Der deutsche Imperialismus versucht im Rahmen der EU in Zusammenarbeit mit dem französischen Imperialismus Grundlagen zu schaffen zur strategischen d.h. technologischen und damit ökonomischen, militärischen und politischen Souveränität gegenüber den USA. Beide, die deutsche wie die französische Finanzoligarchie wissen, dass sie allein zu schwach sind, um mit den USA um die Neuaufteilung der Welt konkurrieren zu können. Beide waren von den USA in die Montanunion getrieben worden, um den USA Stahllieferungen für den Koreakrieg zu garantieren, im Gesamtinteresse des Imperialismus zum Containment und Roll-back des Sozialismus. Bei Beiden setzte sich aber gleichzeitig das nationale imperialistische Gesamtinteresse durch, die Montanunion zur Verringerung der Abhängigkeit von den USA zu nutzen. Die Montanunion wurde zur EWG, Währungsunion und EU mit schleichender Militarisierung ausgebaut.
EU-Institutionen sollen die kritische Masse für Unabhängigkeit von den USA in Währung, Entwicklung der Produktivkräfte und Rüstung schaffen. Initiativen wie die Eurorettungsinstitution ESFR, die EU-Cloud Gaia X, der EU-New Green Deal und Chips Act und nicht zuletzt die EU-Rüstungskooperationen wurden mit Großbanken, aber auch Industriemonopolen wie Siemens, SAP, Dassault oder Airbus auf den Weg gebracht. Das Gesamtinteresse der EU-Imperialisten an Souveränität bei der Neuaufteilung der Welt steht auch in enger Verbindung mit dem Interesse ihrer Autoindustrie, ihre weltweite Marktführerschaft zu verteidigen.
Gleichzeitig senkte der deutsche Imperialismus als Konkurrent auf dem Weltmarkt seine Produktionskosten mit den staatsmonopolistischen „Agenda“ – Reformen, die der französische Staat bisher nicht aufholen konnte.
Die Konkurrenzsituation zwischen den deutschen und den französischen Bank- und Industriekonzernen und ihren Staats- und Regierungsapparaten erklärt den geringen Erfolg der deutsch-französischen Zusammenarbeitspläne, im Zusammenspiel mit dem Einfluss der USA selbst, gegen deren Hegemonie die Pläne gerichtet sind.
Ein Beispiel: Gegen das deutsch-französische Panzerprojekt MGCS, das mit der Fusion Kraus-Maffei-Wegmann und Nexter zu KDNS besiegelt wurde, bringt sich Rheinmetall in Stellung mit einem Panzerprojekt mit dem Nazi-Wehrmachts-Traditionsnamen Panther, an dem sich Italien beteiligt.
„Ergänzt“ wurde die deutsch-französische Rüstungszusammenarbeit im Oktober 2024 vom deutschen Rüstungsminister Pistorius mit dem deutsch-britischen ‚Trinity-House-Agreement‘ um die Rüstungskooperation mit Britannien, nachdem die Franzosen mit den Briten bereits 2010 ein entsprechendes ‚Lancaster-House-Agreement‘ geschlossen hatten.
Die Zentralfigur der deutsch-französischen Rüstungszusammenarbeit, Thierry Breton, hat die Erwartungen seiner Auftraggeber nicht erfüllt. Als Chef des französischen IT-Konzerns Atos hatte er mit dem damaligen Banker Macron die Fusion von Atos mit der Siemens-IT-Beraterfirma SIS zum zweitgrößten IT-Dienstleister in Europa organisiert und wurde zum Industrie- und Rüstungskommissar der EU befördert. Für die neue EU-Kommission wurde Breton von Ursula von der Leyen abgelehnt und von Macron fallengelassen.
Die IT-Firma Atos ist aktuell in Auflösung ebenso wie die deutsch-französischen Projekte für EU-Clouds und Quantencomputer. In Auflösung scheint auch der der von Breton noch 2023 verkündete Plan, 20% der Welt-Chipproduktion bis 2030 in der EU zu haben.
Für die aktuelle Entwicklung der Allgemeinen Krise in der EU ist charakteristisch, dass es dem Finanzkapital in seinem Gesamtinteresse nicht gelungen ist, die von der Mikroelektronik getriebene Produktivkraftentwicklung auf die Autoindustrie in der EU zu übertragen, die die Industrieentwicklung im 20. Jahrhundert maßgeblich geprägt hat.
In Frankreich erhoffte sich das Finanzkapital die entsprechende Entwicklung für Renault aus der Kooperation mit japanischen Partnern, die aktuell in Frage gestellt ist. PSA, die zweite große Autogruppe in Frankreich, wurde von der Familie Peugeot dominiert. Nach der Übernahme von Citroen und Opel an ihre Grenzen gekommen, wurde die PSA-Gruppe finanziell vom französischen Staat und technologisch von der chinesischen Dongfeng Gruppe gerettet, und fusionierte schließlich mit Fiat-Chrysler zu Stellantis. Die Familie Peugeot überließ dort den Vorsitz im Verwaltungsrat John Elkann, dem Chef des italienischen Agnelli-Clans. Elkann hat nun nach Rücktritt des von Peugeot kommenden CEO Tavares auch die operative Führung bei Stellantis übernommen.
In Deutschland ist vor allem der Porsche-Clan nicht Willens und wohl auch nicht mehr in der Lage die Kapitalmassen für die nötigen Investitionen für die technologische ‚Transformation‘ der Volkswagen-Gruppe allein zu organisieren. An der VW-Gruppe zeigt sich beispielhaft die Krise und die entsprechende Reaktion des deutschen Finanzkapitals, d.h. die Entwicklung des deutschen staatsmonopolistischen Kapitalismus, der in dem nun zu Ende gehenden Abschnitt von ‚Wende‘ 1989 bis ‚Zeitenwende‘ 2023 geprägt war vom Niedersachsen-Sumpf mit seinen Blüten SPD-Schröder und VW-Piech und deren Kreatur Hartz.
Im deutschen Finanzkapital verschieben sich mit der Entwicklung der Produktivkräfte die Schwerpunkte von der autozentrierten zur IT-zentrierten Industrie, voran Siemens, SAP, Telekom und Bosch. Beide Industrien sind sowohl vom US-Markt als auch vom Markt der VR-China abhängig.
Der Widerspruch soll, wie seit 1945, vom deutschen Imperialismus durch das oben erwähnte bedingte Unterordnungsangebot an die USA mit Schwerpunkt Aufrüstung gegen Russland unterlaufen werden: „Zeitenwende“ in den Rüstungsausgaben, aber mit möglichst viel EU-Anteil, wobei dann wieder gestritten wird um den jeweiligen Anteil für die deutsche oder die französische Rüstungsindustrie.
Der deutsche Imperialismus kann davon profitieren, dass er für den Gesamtimperialismus unter Führung der USA die Aufgabe übernehmen soll, die EU nach Osten maximal auszudehnen und gegen Russland auszurichten. Es gilt Russland so einzuengen und so zu zermürben, dass es keine Unterstützung mehr für die VR China sein kann.
Die deutsche Rolle als Führungsmacht in der EU kann dabei ökonomisch, politisch und militärisch ausgebaut werden. Noch bestehende Beschränkungen für den deutschen Imperialismus können in Frage gestellt werden, was aber – Stichwort Atomrüstung – auf französischen Widerspruch stößt.
Mit einer derart deutsch-dominierten und für die USA nützlichen EU im Kreuz erhofft sich der deutsche Imperialismus für eine gewisse Zeit gegenüber China eine scheinbar unabhängige Rolle spielen zu können. Die Bedenken der USA versucht man zu zerstreuen mit Hinweis auf die taktische Variante „Wandel durch Annäherung“ oder „Die Burg von Innen sturmreif machen“ – wie es schon mit dem ‚Osthandel‘ und der ‚Entspannungspolitik‘ gelungen ist.
Zeit spielt eine Rolle, weil der Anlauf zur Weltmacht und Konkurrenz auf Augenhöhe mit dem US-Imperialismus durch ‚Souveränität‘ einer deutsch-französisch dominierten EU bisher nicht erfolgreich ist für den deutschen Imperialismus. Eine alternative Linie, um das Gesamtinteresse durchzusetzen, ist aber nicht sichtbar. Die sichtbare Suche nach Alternativlösungen mit Britannien oder Italien erscheint als Testen taktischer Winkelzüge und nicht als strategische Perspektive.
Die alte Linie des Anlaufs zur Weltmacht durch taktisches Wechselspiel zwischen Frankreich und den USA soll offenbar mit wesentlich erhöhtem staatsmonopolistischem Mittelaufwand weiterverfolgt werden.
Dazu muss der deutsche Imperialismus seine politische Aufstellung ändern. Die Propaganda der Allmacht des freien Marktes war als Schuldenbremse in Verfassungsrang erhoben worden und hatte auch geholfen, die deutsche EU-Dominanz über Frankreich durch die EU-Schuldenregeln zu sichern.
Im September 2024 legte Mario Draghi der EU-Kommission seinen Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit gegen USA und China, sprich zur Weltmachtposition vor. Die Vernetzung der Person Draghi aus seiner Zeit als Chef der EU-Zentralbank und Retter des Euro „whatever it takes“ gewährleistet, dass das Gesamtinteresse des EU-Finanzkapitals berücksichtigt wurde.
Der Bericht verlangt, dass in der EU pro Jahr ca. 800 Milliarden Euro zusätzlich investiert werden, um in Technologie, Energieunabhängigkeit und Rüstung gegen die USA und China aufzuholen.
Für Deutschland hieße das entsprechend des wirtschaftlichen Gewichts etwa 200 Milliarden Euro pro Jahr, also zweimal den ‚Zeitenwende‘-Betrag pro Jahr!
Die Reaktion aus Deutschland war nicht etwa überrascht, der Sturm im Medienwald blieb aus. Das Wirtschaftsministerium kommentierte sachlich, der Draghi-Bericht werde „voraussichtlich maßgeblichen Einfluss auf die Politikgestaltung und Schwerpunktsetzung der neuen [EU-]Legislatur haben.“
Draghi fasst offenbar die Sicht des EU-Finanzkapitals zusammen, dass die gigantischen Investitionssummen und Umbauten des Staatsapparats erforderlich sind, nachdem die bisherigen Pläne gescheitert sind.
Der Draghi-Bericht liefert die Sprachregelung für eine neue Propagandarichtung, mit der die Abwälzung der neuen gigantischen Milliardenlasten auf die Arbeiterklasse und die nicht-monopolistischen Volksschichten als alternativlos verteidigt werden soll.
Die Finanzoligarchen selbst investierten ihre Gewinne ihrer Monopole nicht ausreichend in die neuen Technologien, um gegen die Konkurrenten in den USA und China mitzuhalten, sie verlangen jetzt vom Staat im Gesamtinteresse die Mobilisierung der Draghi-Milliarden. Die Rechtfertigungsideologie soll wieder gewechselt werden von „neoliberal“, d.h. der Markt soll alles richten, auf „Keynes“, d.h. der Staat soll die in der Krise fehlende Nachfrage durch Schuldenaufnahme und Investitionen ausgleichen. Wie im vorigen mit „Keynesianismus“ bemäntelten Abschnitt des SMK unter Schmidt/Leber wird die Schuldenaufnahme auch diesmal letztlich auf Rüstungstechnologie ausgerichtet. Im „Narrativ“ des SMK wird in der Sprachregelung durchgesetzt das Leitbild der „Sicherheit“. Damit wird die von Propaganda-Generationen des deutschen Imperialismus mit den Mitteln der angewandten Psychologie gepflegte Angst vor dem Unheil aus dem Osten verbunden mit der realen Existenzangst um den Arbeitsplatz.
Der unter Sparzwang gesetzte Staat hat die Investitionen in die für die Produktivkraftentwicklung erforderliche Bildung und Wissenschaft nicht geleistet. Zwar wurde versucht, die US-Militärforschungsagentur DARPA zu kopieren, aber die Kopien wurden mit Millionen statt wie in den USA mit Milliarden ausgestattet. Konkret umgesetzt wurden aber Projekte, die eher Einzelmonopolinteressen dienen. Zum Beispiel BMW geht voran mit „vorbildlichen Exzellenzprogrammen“ mit der TU München.
Der Staat hat in seiner Aggressivität, die Maximalprofite der Monopole zu sichern, nicht einmal mehr die Infrastruktur für die Mehrwertproduktion aufrechterhalten:
Minister Lauterbach grübelt in Deutschland, mit wie wenig Geld im Gesamtinteresse die Ware Arbeitskraft repariert werden kann, ohne Teilinteressen – z.B. Profite von Bayer oder Siemens zu verletzen.
Im Gesamtinteresse muss die Ware Arbeitskraft auch zum Produktionsmittel kommen und das Produkt zum Kunden, aber weder die Profite der Bahnindustrie, wieder z.B. Siemens, noch die der Autoindustrie sollten geschmälert werden.
Die natürlichen Grundlagen der Produktion sollten aufrechterhalten werden im „grünen“ Einklang mit steigenden Profiten der Monopole. Der Königsweg des deutschen SMK, billige Energie aus Russland als Brückenlösung und „grüne“ Exporterfolge funktioniert nicht mehr. Widerspruch realisierte sich im US-Protektionismus (Nordstream/US-Gas, IRA-Gesetz) aber auch von der französischen Atomindustrie.
Das Handelsblatt, Selbstverständigungsorgan des Finanzkapitals, stellt seiner Leserschaft die Dringlichkeit der Situation dar: (HB, ‚Kommentar aus Berlin‘, 18.11.2024, S. 15):
„Sechsjährige starten mit massiven Defiziten, weil sie keinen Kita-Platz hatten oder dort nicht gefördert wurden. Unsere 15-Jährigen sind bei Pisa jäh abgestürzt, die Zahl der Jugendlichen ohne Ausbildung hat einen traurigen Höchststand erreicht, und die vielen Migranten können nicht so integriert werden, wie es mit mehr Bildung möglich wäre. All das bedroht den Standort Deutschland mit zeitlicher Verzögerung mehr als die fehlende Infrastruktur. Wer mangels Personal keine modernen Maschinen entwickeln kann, braucht auch keine Straße, um sie zum Kunden zu bringen.“
Der Draghi-Bericht und seine Schlußfolgerung, dass ab jetzt jedes Jahr in Deutschland zusätzlich ca. 200 Milliarden in Technologie investiert werden muss, um dem Niedergang unter Vormundschaft der USA zu entkommen, fällt also nicht vom Himmel.
Mit dem Maßstab, den Draghi anlegt, erscheinen die Beträge sogar bescheiden: Als er den Bericht vortrug, hielt er dem EU-Parlament und der EU-Kommission die Realität vor: „In den neuen Technologien bleiben wir stark zurück: Nur vier der Top-50-Tech Companies der Welt sind europäisch“. Zum Vergleich: Der Meta-Konzern (Facebook etc.) hat angekündigt, 2024 allein für Hardware nur für KI ca. 40 Milliarden US-Dollar auszugeben. Entsprechend kommen die bekannten deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute und der für das Gesamtinteresse des deutschen Imperialismus maßgebliche BDI auf Beträge in ähnlichen Größenordnungen wie der Draghi Bericht.
Wie soll die EU, wie der deutsche Staat jedes Jahr zusätzlich hunderte von Milliarden mobilisieren?
Im Getümmel um das Ende der Ampelkoalition zeichnete sich die Umorientierung des deutschen Imperialismus weg von der Schuldenbremse bereits ab.
Die gängigen Vorschlagmuster des Politpersonals des deutschen Imperialismus sind der Realität nicht mehr angemessen. Zur Realität gehört auch, dass die zyklische Krise die Symptome der Allgemeinen Krise verstärkt.
Nach der Finanzkrise 2008 kam der deutsche Imperialismus nicht mehr in Schwung. 2018 sahen wir den letzten Höhepunkt der deutschen Industrieproduktion, 2020 den Tiefpunkt. Nach Ende der Pandemiemaßnahmen zog die Nachfrage an, ging wieder zurück, zog wieder an, ohne einen Aufschwung auszulösen, d.h. die Industrieproduktion kam nicht mehr über den letzten Höhepunkt.
Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen steigt, die Industrieaufträge sinken. Die Konsumnachfrage ist mager, nach den vielen Entlassungsmeldungen werden selbst Lohnerhöhungen eher gespart.
Der Anschub für den Aufschwung aus den letzten Zyklen kam aus dem Export, vor allem aus China und den USA. In der EU, in China und auch den USA war und ist aber mit schwächerem Wachstum zu rechnen.
Die Allgemeine Krise hat den 8- bis 10-jährigen Krisenzyklus deformiert, die Staatseingriffe auch in den Währungs- und Kapitalmarkt haben neue Krisenpotentiale geschaffen.
Die Kernbranche der deutschen Industrie, der Automobilbau, ist von sinkender Nachfrage getroffen. Gleichzeitig muss sie auf neue Technologie umstellen, alternative Antriebe und autonomes Fahren. Die Anforderungen waren unterschätzt und die Profite nicht investiert worden. An VW, Mercedes, BMW hängen die Weltfirmen Bosch, ZF, Conti, Schäffler, Mahle und 1.000e andere in Maschinenbau etc. Auch im High-Tech-Bereich, von Siemens bis Intel sinkt dadurch die Nachfrage.
Ob, wann und wie tief sich eine Krisen-Kettenreaktion in der EU und in Deutschland ausbreitet, wird auch von den im Draghi-Bericht genannten massiven staatlich subventionierten Investitionen abhängen.
Um die gigantischen Beträge zu mobilisieren wird auch vom politischen Personal erwartet, sich neu aufzustellen.
Die Krise wird sich durch den zunehmenden Protektionismus der USA verstärken. Deshalb ist zu erwarten, dass sich zur Einigung über die Finanzierung der Draghi-Milliarden eine Koalition bildet, die eine Notsituation konstatiert und das Grundgesetz mindestens in der Frage der Schuldenbremse ändert.
Der „neoliberale“ Modus des staatsmonopolistischen Kapitalismus, das freie Rennen um die Beute bei der Neuaufteilung nach der Konterrevolution („Globalisierung“, Deregulierung) wird abgelöst durch einen autoritären Modus („Sicherheit“, Protektionismus, „Industriepolitik“), den wir in Deutschland als reaktionär-militaristischen Staatsumbau richtig charakterisieren.
Das relativ lockere Abfedern der Widersprüche mit den USA und Frankreich kann nach der Sprengung von Nordstream und Macrons Fallenlassen von Breton bei der EU nicht weitergeführt werden. Auch das Abfedern der Widersprüche nach Innen unter dem Titel „Sozialpartnerschaft“ ist in Frage gestellt, wie sich an den Auseinandersetzungen bei VW zeigt.
Je mehr sich die Krise entfaltet, desto deutlicher wird die Widersprüchlichkeit der SPD: Je offener sie im Klassenkampf das Kapital unterstützt, desto mehr verliert sie an Einfluss in der Arbeiterklasse, ohne den sie aber ihren Wert für das Kapital verliert.
SPD-Pistorius steht an der Seite des Kapitals für NATO und Rüstung, fordert mit dem 2. Vorsitzenden der IG Metall, Jürgen Kerner, SPD, mehr deutsche Rüstungsproduktion und sichert damit die NATO-Einbindung des DGB ab, gleichzeitig demonstriert SPD-Stegner mit Wagenknecht dagegen.
CDU-Merz profiliert sich als gesprächsoffen für alle die einen starken Staat wollen, mit dem der deutsche Imperialismus auf die Krisenentwicklung reagieren kann.
Gesprächsoffen ist Merz auch für eine SPD der Pistorius, Kerner und Faeser, die signalisieren, die Gewerkschaften im Griff zu haben auch auf dem Weg zum starken Staat, der Opfer in Richtung Lebensstandard, soziale und demokratische Rechte verlangt.
Diese Bereitschaft, Opfer zu bringen für die Weltmachtstellung der deutsch-geführten EU, wird das Kriterium sein für die Gesprächsbereitschaft von Merz. Dabei müssen Leute wie Höcke, die bereits jetzt den offenen Terror gegen die Nicht-opferbereiten fordern, noch außen vor bleiben.
Wieweit das Abwälzen der vom Finanzkapital ins Auge gefassten Lasten gelingt, wird vor allem davon abhängen, ob eine wirkungsvolle Bewegung derer zustande kommt, die die Opfer bringen sollen.
Wirkungsvoll wird sie in Deutschland nicht werden, solange die Kräfte, für die Pistorius, Faeser und Kerner stehen, den DGB im Griff haben.
AG Krise Corell, O’Nest, Müller, Flo
„Freunde“ Boris Jelzin und Bill Clinton: Die Konterrevolution in der Sowjetunion konzentrierte das Interesse der imperialistischen Großmächte auf die dadurch mögliche Neuverteilung der Einflusssphären der Welt.
Die Konkurrenzsituation zwischen den deutschen und den französischen Bank- und Industriekonzernen und ihren Staats- und Regierungsapparaten erklärt den geringen Erfolg der deutsch-französischen Zusammenarbeitspläne, im Zusammenspiel mit dem Einfluss der USA selbst, gegen deren Hegemonie die Pläne gerichtet sind.
Im September 2024 legte Mario Draghi der EU-Kommission seinen Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit gegen USA und China, sprich zur Weltmachtposition vor.
Georg „Schorsch“ Leber, antikommunistischer Gewerkschaftsführer, 1972 – 1978 „Verteidigungs“-Minister im Kabinett Helmut Schmidt: Wie im vorigen mit „Keynesianismus“ bemäntelten Abschnitt des SMK unter Schmidt/Leber wird die Schuldenaufnahme auch diesmal letztlich auf Rüstungstechnologie ausgerichtet.
Schulterschluss von Gewerkschafts- und Friedensbewegung bei großer Demonstration in München am 12. Oktober: Wieweit das Abwälzen der vom Finanzkapital ins Auge gefassten Lasten gelingt, wird vor allem davon abhängen, ob eine wirkungsvolle Bewegung derer zustande kommt, die die Opfer bringen sollen. (Foto: Christa Hourani)