Für Dialektik in Organisationsfragen
Gegner der Atomkraft zu sein, ist ebenso unvernünftig wie Gegner der Schwerkraft zu sein. Die Atomkraft, von der heute landläufig gesprochen wird, ist genau genommen die Kernkraft, die im Inneren des Atomkerns wirkt. Wie die Schwerkraft ist sie eine der Urkräfte, die unser Universum bestimmen. Der Vollständigkeit halber: Dazu kommen die elektrodynamische Kraft und der Magnetismus.
Zuerst zu einigen Bildern, wie sie in den Köpfen der Menschen existieren – und von den Herrschenden erzeugt werden: Ein KKW (Kernkraftwerk) ist kein blauer Swimmingpool. Um Meldungen im Fernsehen zu illustrieren, wird immer wieder das so genannte Abklingbecken gezeigt. Dort werden die Brennelemente gelagert, die nicht mehr genug Wärme liefern. Mit anderen Worten: Sie sind für den am meisten verbreiteten Typ des Leichtwasserreaktors nicht mehr brauchbar.
Brennelemente? Im KKW brennt nichts wie beim Verbrennen von Holz oder Kohle, wo der Oxydationsvorgangs genutzt wird – unter Freisetzung von CO2, was einzudämmen ist. Das ist der menschheitsgeschichtliche Fortschritt, dass wir uns nicht mehr an der Atomschale befinden, um Wärme zu gewinnen, wie es allen Feuerstellen eigen war, von der Urzeit über den Kohleherd bis zur Dampflok. Der Mensch ist ins Atom eingedrungen, seit ungefähr 100 Jahren übrigens, als Ernest Rutherford das erste brauchbare Atommodell vorstellte. Ebenso lange ist es her, dass Albert Einstein 1905 die theoretische Grundlage dafür schuf, die ungeheure Energie im Atomkern begreifen zu können. Es ist die bekannte Formel E= mc[2], der Ausdruck für die Äquivalenz von Masse und Energie. Oder wie Einstein selbst sagte: Masse ist Energie auf Sperrkonto.[1] Ein Kilogramm spaltbaren Materials birgt mit E=mc[2] soviel Energie in sich, wie bei der Verbrennung von 3 Millionen Tonnen Braunkohle frei wird. Die würden einen Güterzug mit einer Länge von über 700 Kilometern füllen.
Die Kernspaltung in den Brennelementen setzt Wärme frei in Form von kinetischer Energie, die aus der Bindungsenergie der Bestandteile des Atomkerns kommt. Dieser Vorgang findet im KKW in einer vergleichsweise kleinen Stahlkammer statt. Noch ein Bild: Ein KKW ist nicht ein 150 Meter hoher Turm mit einer Dampfwolke, wie wir sie z.B. bei Ohu kilometerweit sehen können. Solche Kühltürme besitzen auch Kohlekraftwerke. Das heiße Wasser, das die Turbine verlässt, nachdem es dort als Dampf seine Arbeit verrichtet hat, wird im Turm herunter geregnet und die Wolke entsteht. Ein Teil des Wassers wird abgeleitet und heizt Flüsse um einige Grade auf.
Abklingbecken, Kühlturm, warme Flüsse – alle sind Symptome dafür, wie der Kapitalismus verschwenderisch und schlampig mit der Kernkraft umgeht. Wir haben in den alten KKW einen Wärmeverlust von 60%, ein Wirkungsgrad nicht viel besser als bei Kohlekraftwerken. Die Abwärme wäre nutzbar für Heizzwecke, in Gewächshäusern oder für chemische Prozesse. Schlamperei und Verantwortungslosigkeit sind die Stichworte. Als die Kernspaltung in Kraftwerken weltweit verbreitet wurde, wurde eine veraltete Technologie multipliziert, was ungeheure Profite für die Atommonopolisten bedeutete!
Der Kapitalismus ist das größte denkbare Risiko, insbesondere in seiner Gestalt des deutschen Imperialismus. Es hat in der ganzen Menschheitsgeschichte keine solchen Katastrophen gegeben wie die vom Kapitalismus hervorgerufenen zwei Weltkriege mit ihren Verbrechen gegen die Menschheit. Das Monopolkapital macht aus jeglicher Technologie eine Katastrophe: Es macht aus Nitroglyzerin Herzmittel oder Granaten, es setzt Blausäure zur Schädlingsbekämpfung ein oder in Auschwitz. Der Kernenergie wird angelastet, dass sie nicht beherrschbar sei. Das dominierende Verkehrssystem ist Beispiel für eine riesige Maschine – nimmt man die aber Millionen Autos als Ganzes – die in der Tat nicht beherrschbar ist. Je nach Quelle fordert der Autoverkehr bis zu 1 Million Menschenleben jährlich weltweit, im letzten Jahr davon 3.275 in Deutschland[2]. Wenn Millionen Individuen gleichzeitig unorganisiert und letztlich chaotisch in ihren Blechkisten irgendwie von A nach B wollen, kann das nicht gut gehen, trotz TÜV und Ampel. Sicherheit ist eine gesellschaftliche Kategorie, sie ist Ergebnis einer gesellschaftlichen Debatte – beeinflusst von Medienmacht! Sicherheit ist also keine absolute Größe. Das Grenzrisiko legt die Gesellschaft fest.
Kernfusion – die Sonne auf die Erde holen!
Eine vielversprechende Möglichkeit, die Kernkräfte zu nutzen, ist die Kernfusion. Ob sie die Energieform der Zukunft ist, ist ebenso wenig die Frage wie: Soll der Mensch den Mond besiedeln? Wir sind viel weiter, Kernfusion ist die Gegenwart. Seit 1968 ist sie Tagesaufgabe der Wissenschaft. So wie es seit der Entdeckung 1938 die Kernspaltung war! 1968 gelang der erste Einschluss von Plasma in einer Versuchsanordnung in der Sowjetunion, nachdem schon etwa 10 Jahre geforscht worden war. Was ist ein Plasma? 99% der sichtbaren Materie besteht daraus – die Sonne, die Sterne, das Universum. Plasma ist der 4. Aggregatzustand. Einfach gesagt: ionisiertes, also leitfähiges Gas im Vakuum bei hohen Temperaturen, bei Plasma lösen sich Elektronen von den Atomkernen.[3]
Wir kennen Plasma als Funken im Lichtschalter, als Blitz und in der Leuchtstoffröhre als Leuchtmittel. Schon lange weiß die Wissenschaft, dass das Leuchten der Sterne, die Wärmestrahlung der Sonne Wirkungen der Kernfusion sind. Es ist der effektivste Naturprozess, den wir kennen. Die Sonne auf die Erde holen mittels der Kernfusion – den Beweis, dass das möglich ist, hat die Sowjetunion gebracht. Sie hat übrigens die Kernspaltung immer als Übergangstechnologie betrachtet, um zur Kernfusion zu kommen. Kernfusion also ist die Verschmelzung von Atombestandteilen im Unterschied zur Kernspaltung (Fission). Die Bewegungsenergie der freiwerdenden Neutronen wird wieder in Wärme gewandelt. Dieser Prozess ist etwa zwei Zehnerpotenzen effektiver als die Kernspaltung.
Der Einschluss des Plasmas von einigen 100.000 Grad Celsius wurde erstmals in einem Tokamak-Reaktor durchgeführt. Der russische Name beschreibt den Aufbau: Torusförmige Kammer mit Magnetischen Spulen (Katuschka). US-amerikanischen Forschungen zur Kernfusion gelang erst in den 1980er Jahren der Anschluss an die Sowjetunion. Neue Erkenntnisse brachte die Anwendung von Big Science, d.h. nicht mehr Labortechnik, sondern Großversuch und fortgeschrittene Computertechnik. Doch fehlende Geldmittel behindern dauernd diesen Forschungsbereich. Die Kernfusion ist ein Projekt, das Mittel benötigt, die ein einzelner Monopolist, ein Staat nicht mehr aufbringen kann. Was die Entwicklung und Forschung bremst, ist das mangelnde Interesse der Monopole. Schneller Profit ist nicht zu erwarten. Und bei einem Erfolg der Kernfusion sind alle Investitionen in andere Energieformen plötzlich entwertet.
Die Monopole bremsen wieder mal den Fortschritt
Die Wissenschaft kennt also heute das Volumen des Plasmas, das mindestens nötig ist, um als Kraftwerk zu funktionieren. Noch geht es darum, das Plasma langfristig selbsterhaltend zu machen. Das ist die Voraussetzung für großindustrielle Nutzung. Dazu wird in Greifswald der Experimentierreaktor „Wendelstein 7-X“ betrieben, der Grundlagenergebnisse liefern soll und einen Stellarator als Alternative zum Tokamak-Typ erprobt. 2007 wurde vertraglich vereinbart, in Südfrankreich den Fusionsreaktor ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) unter Beteiligung der EU-Staaten, der Schweiz, den USA, Japan, Russland, China, Indien und Südkorea zu errichten. Wie bei solchen Projekten von Konkurrenten üblich, tobt ständig Streit um die Finanzierung. Die Gesamtkosten aller Beteiligten werden derzeit mit 15 Milliarden Euro angesetzt, zum Vergleich: die Solarenergie in Deutschland liefert unter 10% des heutigen Stromverbrauches im Inland, wird aber mittlerweile jährlich über den Strompreis mit 10 Milliarden Euro gefördert. ITER ist ein Reaktor vom Tokamak-Typ, die Fertigstellung ist derzeit verschoben auf das Jahr 2025[4]. Die GRÜNE Kotting-Uhl als Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag spricht sich grundsätzlich gegen den Forschungsreaktor ITER aus[5].
Auch in den USA gibt es Forschungen zum Fusionsreaktor, vor allem aber ist wieder einmal der Volksrepublik China zuzutrauen, sich an die Spitze der technischen Entwicklung zu setzen. In Kürze soll über die Umsetzung des China Fusion Engineering Test Reactor (CFETR) entschieden werden, dieser Testreaktor soll in 10 Jahren in Betrieb gehen. Da weltweit Jahrzehnte verschlafen worden sind mit der Entwicklung der theoretisch erforschten Kernfusionstechnik, ist mit den ersten Fusionsreaktoren zur Stromproduktion frühestens 2050 zu rechnen.
Für Sozialismus und Fusion!
Die Technik der Kernfusion übersteigt die Dimensionen des Kapitals, solche Technik können auch mehrere Monopole gemeinsam nicht entwickeln und umsetzen, das geht nur gesellschaftlich! Mit der Umsetzung dieser Technik würde ein Großteil der heutigen Profite aus der vermurksten klein-klein-Produktion verschwinden. Der gesellschaftliche Fortschritt würde die Profite der unvollkommenen Vorgänger vernichten und so die bisherigen Anlagen wertlos machen. Deshalb haben die Monopole kein ernsthaftes Interesse an der Kernfusion. Kernfusion ist Technik des Sozialismus, deshalb brauchen wir auch für die Kernfusion den Sozialismus!
Die erwarteten Vorteile der Kernfusion sind bestechend, wiewohl sie noch zu verifizieren sind: Der Brennstoff ist unerschöpflich, nämlich – das Wasser in den Weltmeeren. Aus dem wird Schweres Wasser (Deuterium) mittels Elektrolyse gewonnen. Als weitere Komponente dient Überschweres Wasser (Tritium), das mithilfe von Lithium gewonnen wird. Das Tritium kann im Fusionsreaktor erbrütet werden. Das alles in verhältnismäßig kleinen Mengen: Theoretisch sind 86 g dieses Brennstoffgemischs erforderlich, um die Energie von 1.000 t Kohle darzustellen. Die „Asche” dieses Prozesses ist Helium.
Weitere Vorteile gegenüber der Kernspaltung sind:
Es findet keine Kettenreaktion statt, die entgleiten könnte. Sobald sich nur eine der Bedingungen für das Plasma ändert, schaltet sich der Prozess ab. Es kann auch nicht zu einer Kernschmelze kommen. Das Tritium ist schwach radioaktiv und gut manipulierbar, die Strahlung dringt nicht durch die Haut. Wie die Kernspaltung führt auch die Kernfusion zu keinerlei CO2-Emissionen.
Die Auskleidung des Plasmagefäßes (Blanket), an dem die Wärme entsteht und abzuführen ist, wird durch den Neutronenbeschuss verstrahlt und muss von Zeit zu Zeit getauscht werden. Es ist möglich und bedarf weiterer Forschung, Materialien einzusetzen, die dagegen stabil sind. Denkbar ist auch die Anwendung der Transmutation.
Die Entwicklung von Kernfusionsreaktoren betrifft die Seite der Stromproduktion. Die Transformation des Strom in die notwendige Spannung, um ihn im Netz zu verarbeiten und zum Abnehmer laufen zu lassen, wäre dann sicherlich noch entsprechend anzupassen. Dies ist aber im Verhältnis als eine deutlich leichter lösbare Aufgabe anzusehen. Hinsichtlich des Netzbetriebes zeigt auch die Volksrepublik China einmal mehr die Dimensionen auf. Während sich Deutschland auf der unteren Netzebene in rund 800 Netzbetreiber aufsplittert, versorgt der chinesische Staatskonzern State Grid Corporation of China (SGCC) über 1 Milliarde Menschen mit Strom und ist somit für das Stromnetz in 26 der 32 Provinzen Chinas zuständig[6].
Dieser Abschnitt ist gekürzt und leicht verändert entnommen einem Artikel aus der KAZ Nr. 338 (erschienen im März 2012): „Materialistisches zum Atomausstieg“, Peter Willmitzer, KAZ 338, Seite 4 ff. www.kaz-online.de/artikel/materialistisches-zum-atomausstieg
1 Herzuleiten aus der Formel für die kinetische Energie Wkin = mv² / 2
2 www.adac.de/der-adac/verein/aktuelles/bilanz-verkehrstote/
3 Lichtenberg hat (in Göttingen) bereits 1777 ein durch Plasma verursachtes Muster entdeckt
4 www.spektrum.de/news/kernfusion-wie-geht-es-bei-iter-voran-und-ueberholen-uns-die-chinesen/1595228
5 www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kernfusion-teure-hoffnung-1.4675536
6 FAZ 28.07.2018