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Kartell aufgeflogen

Durch Vitamine zum Krieg?

Bei Vitaminen kommt der gewöhnliche Pillenschlucker doch zuallerletzt auf schlechte Gedanken. Das schmeckt doch geradezu nach Leben, Stärkung der Abwehrkräfte, Gesundheit schlecht­hin. Dass ausgerechnet hier ein Beispiel von Fäulnis und Niedergang des globalen Kapitalismus zu finden ist, teilte der EU-Kommissar Mario Monti am 22. November 2001 der erstaunten Öffentlichkeit mit:

Die Europäische Kommission hat heute gegen acht Vitaminhersteller wegen Beteiligung an acht geheimen Marktaufteilungs- und Preisfestsetzungsabsprachen Geldbußen in Höhe von insgesamt 855.22 Mio. EUR verhängt. Zusammensetzung und Dauer dieser Kartelle waren zwar unterschiedlich, insgesamt waren sie aber alle zwischen September 1989 und Februar 1999 aktiv. Die höchste Geldbuße muss der Schweizer Konzern Hoffmann-La Roche als Anstifter und Mitglied aller acht Kartelle zahlen: insgesamt 462 Mio. EUR. Diese Absprachen sind nach den Worten von Wettbewerbskommissar Mario Monti wegen des breiten Spektrums an Vitaminen, die in einer Vielzahl von Produkten – von Getreideflockengerichten, Keksen und Getränken über Tierfuttermittel bis hin zu Medikamenten und Kosmetika – verwendet werden, die schlimmsten Kartelle, gegen die die Kommission jemals ermittelt hat. Durch die geheimen Absprachen hätten die Hersteller zum Schaden der Verbraucher und zum eigenen – illegalen – Profit höhere Preise verlangen können, als dies bei echtem Wettbewerb möglich gewesen wäre. Besonders schwer wiege der Umstand, dass die verbotenen Verhaltensweisen Substanzen betrafen, die wesentliche Bestandteile der Ernährung sind und als solche unabdingbar für ein normales Wachstum und ein gesundes Leben.” (s. EU-Kommission, http://europa.eu.int, Hervorheb. die AG)

Weiter wird ausgeführt: „Nach Auffassung der Kommission waren die Unternehmen Hoffmann-La Roche und BASF bei den Vitaminprodukten, die sie beide herstellen, die gemeinsamen Anführer und Anstifter der geheimen Absprachen.” (a.a.O., Hervorheb. die AG)

Die beiden Unternehmen, schon zu Zeiten der I.G. Farben[*], – Stichworte: Federführung im Hitlerschen 4-Jahres-Kriegsplan, Betreiber von Auschwitz-Mono­witz, Hersteller des Giftgases Zyklon-B – im guten Einvernehmen, waren also die Anführer und Anstifter in dieser Vereinigung, der aus der BRD noch die Fa. Merck, aus den Niederlanden der I.G.-Farben-Kollaborateur Solvay und sieben japanische Chemiekonzerne angehörten. Pikant: die Fa. Aventis, der Zusammenschluss eines weiteren I.G. Farben-Nachfolgers, der Hoechst AG, mit der französischen Rhône-Poulenc, wurde belohnt, weil sie aufgrund der Kronzeugenregelung die Kartellbrüder hingehängt hatte. Herr Monti drückt das so aus:

Im Falle des Unternehmens Aventis (vormals Rhône-Poulenc) wurde von einer Geldbuße wegen seiner Teilnahme am Vitamin-A- und am Vitamin-E-Kartell abgesehen, weil es sich als erstes bereit erklärt hatte, mit der Kommission zusammenzuarbeiten, und entscheidende Beweise für diese beiden Kartelle lieferte. Es ist das erste Mal, dass die Kommission einem Unternehmen die Geldbuße auf der Grundlage ihrer sog. Kronzeugenregelung vollständig erlassen hat.” (a.a.O.)

Und so hat das Kartell gewirkt

Die Kartellmitglieder haben für die diversen Vitaminprodukte jeweils Preise festgelegt und Absatzquoten zugewiesen, Preissteigerungen vereinbart und umgesetzt, Preisbekanntmachungen entsprechend ihren Vereinbarungen herausgegeben und die Produkte zu den vereinbarten Preisen verkauft. Außerdem schufen sie einen Mechanismus zur Überwachung und Sicherung der Einhaltung ihrer Vereinbarungen und kamen regelmäßig zusammen, um die Umsetzung ihrer Pläne zu besprechen.

Die Vorgehensweise der einzelnen Kartelle war im Wesentlichen gleich, wenn nicht sogar identisch (Festsetzung von ,Ziel’- und ,Mindest’-Preisen, Wahrung des Status quo bei den Marktanteilen und Kompensationsabsprachen). Sie beinhaltete insbesondere die Festlegung einer formalen Struktur und Hierarchie der unterschiedlichen Leitungsebenen, oft mit sich überschneidender Mitgliedschaft auf höchster Leitungsebene, um die Effizienz der Kartelle zu gewährleisten; den Austausch von Informationen über Umsätze, Absatzmengen und Preise bei regelmäßigen, d.h. vierteljährlichen oder monatlichen, Zusammenkünften; (im Falle der großen Kartelle) die Erarbeitung, Vereinbarung, Durchführung und Überwachung eines Jahres-,Budgets’ mit Anpassung der erreichten Ist-Verkäufe entsprechend den im ,Budget’ zugeteilten Quoten.

Die Kartellabsprachen folgten in der Regel stets demselben Schema, und zwar zunächst auf den Märkten für die Vitamine A und E, später mit gewissen Abweichungen auch in anderen Produktmärkten. Hoffmann-La Roche handelte bei den Zusammenkünften und Verhandlungen in Japan und Fernost als Beauftragter und Vertreter der europäischen Hersteller.

Die gleichzeitige Existenz der geheimen Absprachen auf den einzelnen Vitaminmärkten war weder spontan noch zufällig, sondern wurde stets von denselben Personen auf den höchsten Führungsebenen der betreffenden Unternehmen geplant und geleitet.” (a.a.O.)

Osama bin BASF?

Fehlte noch, dass die Brüsseler „Wettbewerbshüter” von krimineller, terroristischer Vereinigung gesprochen hätten. Aber ruhig Blut: In den Hochsicherheitstrakt nach Stammheim muss­te keiner der Verantwortlichen, die die EU-Kommission in den höchsten Führungsebenen ausgemacht hat. Warum auch? Gehören doch solche Gebilde zum Alltäglichen, sind sie doch das Normale, das Bestimmende in dieser Wirt­schafts­„ordnung”. Es brauchte natürlich nicht erst der Aufdeckung des Vitaminkartells im Jahr 1999, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Aus dem Jahr 1916 wird der erstaunten Gegenwart mitgeteilt:

Ökonomisch ist das Grundlegende an diesem Prozess die Ablösung der freien Konkurrenz durch die kapitalistischen Monopole. Die freie Kon­kurrenz ist die Grundeigenschaft des Kapitalismus und der Warenpro­duktion überhaupt; das Monopol ist der direkte Gegensatz zur freien Konkurrenz, aber diese begann sich vor unseren Augen zum Monopol zu wandeln, indem sie die Großproduktion schuf, den Kleinbetrieb ver­drängte, die großen Betriebe durch noch größere ersetzte, die Konzen­tration der Produktion und des Kapitals so weit trieb, dass daraus das Monopol entstand und entsteht, nämlich: Kartelle, Syndikate, Trusts und das mit ihnen verschmelzende Kapital eines Dutzends von Banken, die mit Milliarden schalten und walten. Zugleich aber beseitigen die Monopole nicht die freie Konkurrenz, aus der sie erwachsen, sondern bestehen über und neben ihr und erzeugen dadurch eine Reihe besonders krasser und schroffer Widersprüche, Reibungen und Konflikte. Das Mono­pol ist der Übergang zu einer höheren Ordnung.” (W.I. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, LW Bd. 22, S. 266)

Von allein geht die BASF natürlich nicht zu einer „höheren Ordnung”, zum Sozialismus, über; vorläufig geht sie erst einmal zur Tagesordnung über: „700 Millionen Euro hatten die Finanzbuchhalter des Chemiegiganten bereits für mögliche Bußen und Schadenersatzzahlungen zurückgestellt ...” (Stuttgarter Zeitung vom 24.11.2001). Und das Jammern ist groß: Das Betriebsergebnis soll auf ach so armselige zwei Milliarden Euro fallen. Und Börsenanalysten empfehlen, „BASF-Aktien weiterhin als einen Baustein im Aktiendepot zu halten, denn die Fundamente bei dem ‚gut geführten Unternehmen‘ stimmten.” (a.a.O.)

Zurück zum Wettbewerb?

Das ist die ökonomische Seite der Angelegenheit. Und der eingefleischte Marktwirtschaftler und Apologet des Kapitalismus könnte gerade dadurch sein Weltbild bestätigt sehen. Zeugt denn nicht gerade die Aufdeckung und Bestrafung der am Kartell beteiligten Unternehmen davon, dass der Wettbewerb behütet wird? Peinlich allerdings, dass in diesem Träumer-Kapitalismus der Staat zur Aufrechterhaltung der Konkurrenz eingreifen muss, der Staat, der sich doch nach der reinen Lehre aus dem Wirtschaftsgeschehen heraushalten soll (wie wär’s denn mit Privatisierung der Kartellbehörden?). Das Eingreifen des Staates ist nichts anderes als die Anerkennung der Tatsache, dass von alleine der Kapitalismus sich selber auffrisst. Um der tiefverwurzelten deutschen Staatsgläubigkeit vorzubeugen, sei aber die Frage erlaubt: wofür oder wogegen soll sich denn der Staat entscheiden? Für höhere Vernunft, für das Gemeinwohl gar – und das gegen die finanzkräftigsten Unternehmen, die größten Arbeit„geber”?. Die Frage stellen, heisst sie beantworten. Die Kartellbehörde hat immer nur dann ihre große Stunde, wenn sie von einer interessierten Konzerngruppe gegen eine andere in Marsch gesetzt wird.

Auf den ersten Blick scheint es im Fall des Vitaminkartells die Fa. Aventis gewesen zu sein, die sich durch Herabsetzung des Bußgeldes offenbar Vorteile von einem Auffliegen des Kartells versprochen hat.

Aber die Sache hat noch eine ganz andere Dimension:

1999 gestanden die wichtigsten Mitglieder der von der Kommissionsentscheidung erfassten Kartelle ähnliche wettbewerbswidrige Verhaltensweisen in den USA ein, wofür sie Geldbußen in Höhe von 500 Mio. USD (Hoffmann-La Roche), 225 Mio. USD (BASF) bzw. 72 Mio. USD (Takeda) zahlten.” (EU-Kommission, a.a.O.)

Im Klartext: Die Vitaminmonopole der USA haben ihre Kartellbehörde schon vor dem Jahr 1999 eingeschaltet, um gegen das Kartell der deutschen, französischen und japanischen Monopole vorzugehen. Und der ehrenwerte Herr Monti braucht zwei geschlagene Jahre, um seinerseits zu einem Urteil zu kommen! Bezeichnend auch, dass dem Kartell keine amerikanischen, aber auch keine englischen Monopole angehörten. (Was, verehrter Marktwirtschaftler, wenn es um Kartelle geht, die alle amerikanischen, japanischen und europäischen „Brüder” umfasst? Dann wird gar kein Kartellamt eingeschaltet und die geheimen Absprachen bleiben über Jahrzehnte in Kraft wie etwa bei den berüchtigten Stahl-, Öl-, Elektrokartellen. Auf die Hinweise von „Außenseitern” eines Kartells, die von kleineren Unternehmen meist aus Angst vor den Großen schon gar nicht geäußert werden, reagieren die Kartellbehörden praktisch nie!).

Monopolallianzen – Kriegsallianzen

In solchen Kartellabsprachen – wie es jetzt einmal exemplarisch und eher beliebig am Vitaminkartell demonstriert wurde – zeichnen sich Allianzen ab, die auch die Politik, die jeweiligen Nationalstaaten in ihre Auseinandersetzungen einbeziehen. Hinter den scheinbar friedlich-zivilen „Lösungen” wie einem Bußgeldbescheid aus Brüssel lauert die Bereitschaft, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Das dünne Eis von Frieden und Zivilisation trägt so lange, als sich die Beteiligten auf Kosten Dritter, in erster Linie auf Kosten der Konsumenten, aber auch auf Kosten der nicht am Kartell beteiligten Produzenten, schadlos halten können. Das zeigt auch dieses Kartell, das sich schamlos an unseren Lebensgrundlagen bereichert hat. (Die EU-Kommission spricht beim hier herausgeschundenen Monopolprofit von „illegalem” Profit (s.o.), um der Wirkungs­weise der Monopole den Schein des „Auswuchses” zu verleihen – und die Profitwirt­schaft als solches zu retten – bis zum nächsten dummerweise entdeckten Aus­rutscher)

Es geht um die Aufteilung und Neuaufteilung der Welt unter die Monopole und unter die imperialistischen Staaten. Das ist der Kern. Wenn es in Afghanistan auf den ersten Blick heute um das Öl und die Pipelines in der gesamten Region geht, so steht auf den zweiten Blick die Frage: Was springt dabei für die Monopole von Stahl, Elektro, Chemie, Pharma usw. heraus; was springt heraus für die Monopole, deren „Heimatmarkt” die BRD, Frankreich oder Japan ist. Das Beispiel des Vitaminkartells sollte diese Dimension der Auseinandersetzung bewusst machen. Es geht nicht nur um einzelne Rohstoffe wie das Erdöl z.B., auch nicht um einzelne Produkte, wie hier die Vitamine, und ihre Absatzmärkte. Auf allen Feldern stehen sich große Monopole auf der Basis der Verschmelzung von Industrie- und Bankkapital gegenüber, die sich heute bekämpfen und morgen zusammen gehen, wenn es gegen Dritte sich zu schlagen gilt. Gibt es keine Dritten mehr, gegen die sich die Größten der Großen zusammen­schließen können, dann bleibt nur noch der Krieg gegeneinander, der Kannibalismus unter den Monopolen selbst. In diese Auseinandersetzung werden die Staaten hineingezogen mit ihrer Militärmacht und sollen die Völker gezerrt werden, damit sie für „ihre” Monopole, für ihr „Vaterland” die Kohlen buchstäblich aus dem Feuer holen. Sterben für BASF, Daimler, Siemens etc., Sterben für ihr barbarisches Treiben – das wird die Frage sein.

Kein Burgfrieden mit der Bourgeoisie! Krieg dem imperialistischen Krieg!

Arbeitsgruppe „Zwischenimperialistische
Widersprüche”

* Die BASF mit Sitz in Ludwigshafen ist wie Bayer und Hoechst eine der Nachfolgegesellschaften der I.G. Farben. Spezielle Beziehungen u.a. zu Kohl sind bekannt. Die Interessengemeinschaft (I.G.) Farben wurde 1925 gegründet und war neben den Vereinigten Stahlwerken einer der größten Trusts (heute spricht man meist von Konzernen) der Welt. Der Gründer der I.G. Farben, Carl Duisberg, war einer der bedeutendsten Feinde der Arbeiterklasse in den Klassenauseinandersetzungen der zwanziger Jahre. Die I.G. Farben gaben den Ausschlag im deutschen Monopolkapital bei der Machtübertragung an die Nazis, die zunächst vor allem durch die Kohle- und Stahlbarone gefördert wurden. Auch während des zweiten Weltkriegs hielten die I.G. Farben enge Beziehungen mit dem Rockefellerschen Erdöltrust aus dem Lager des Kriegsgegners. Während die alliierten Bomber Frankfurt a.M. in Schutt und Asche legten (darunter das Geburtshaus von Goethe) überstand – „wie durch ein Wunder” – das I.G. Farben-Hochhaus den Krieg beinahe unversehrt. Die „Betriebsführer” wurden 1946 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt und die meisten zu milden Haftstrafen verurteilt. Dann als Manager saßen sie fast alle wieder in den Chefetagen der westdeutschen Chemieindustrie.

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