KAZ-Fraktion: „Ausrichtung Kommunismus”
Die Abteilung 4 ist verantwortlich für Wirtschafts- Finanz- und Arbeitsmarktpolitik im Bundeskanzleramt. Nie gehört? Macht nichts. Trotzdem bekommt sie ab 1. Juli einen neuen Leiter: Lars-Hendrik Röller. Auch nie gehört? Nicht so schlimm. Nicht ganz unerheblich könnten indes die Auswirkungen dessen sein, was Herr Röller seiner neuen Chefin flüstert. Er wird wichtigster Wirtschaftsberater der Bundeskanzlerin und „bestimmt künftig maßgeblich den ökonomischen Kurs der Bundesregierung mit“, wie die Financial Times Deutschland (FTD) am 7. Juni wichtigtuerisch verkündete. Röller wird Nachfolger von Jens Weidmann, der von Merkel an die Spitze der Bundesbank lanciert wurde.
Wer ist dieser Röller, der die Positionen der Regierung der BRD verhandeln wird – im Inneren mit Finanz- und Industriekonzernen sowie Lobbyverbänden, und der als sogenannter Sherpa auf internationalen Euro-, EU-, G-8-, oder G-20-Treffen Weichen stellen soll? Der gebürtige Hesse studierte von 1981 bis 1987 in den USA zunächst Computerwissenschaft, dann auch Wirtschaft. Entscheidende Kontakte dürfte der 1958 geborene Ökonom in den Jahren 1987 bis 1999 als Assistent und Professor an der Topmanager-Schmiede INSEAD in Frankreich geknüpft haben. 1995 erhielt er im Zug des Anschlusses der DDR auch einen Wirtschaftslehrstuhl an der Berliner Humboldt-Universität. 2003 wurde Röller zum „Chief Economist“ für Wettbewerb der Europäischen Kommission unter Wettbewerbskommissar Mario Monti ernannt. Dieser Chefökonom wird laut Kommission in Brüssel für „unabhängige wirtschaftliche Beratung zu Wettbewerbsfällen und politischer Strategie“ in Bereichen wie Fusionskontrolle und Missbrauch von Marktmacht gebraucht. Diese „unabhängige Beratung“ hat Röller offenbar so zufriedenstellend ausgeführt, dass er 2006 zum Präsidenten der sogenannten European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin gemacht wurde. Das Institut mit elitärem Anspruch hat seinen Sitz im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR. Zur Eröffnung des Campus gab sich die Bundeskanzlerin die Ehre. Die ESMT ist eine Privatuniversität, die 2002 von 25 großen deutschen Unternehmen und Verbänden (u.a. Deutsche Bank, Allianz, Daimler, McKinsey, Axel Springer Verlag) ins Leben gerufen wurde. 2011 konnte sie sich bereits im internationalen Ranking der Financial Times unter die ersten zehn europäischen Business Schools platzieren. Die Süddeutsche Zeitung kommentierte Söllers Ernennung als Merkels Wirtschaftsberater: „Musste bisher der ESMT-Präsident auf die Konzernbosse zugehen, damit diese Geld für seine Schule locker machen, werden es künftig die Wirtschaftsführer sein, die dem Kanzlerberater ihre Anliegen vortragen.“ Worte des Zweifels an seiner Unabhängigkeit, wie sie in solchen Fällen gelegentlich in der angelsächsischen Presse formuliert werden, fanden die deutschen Konzernmedien nicht.
Röller gilt durch Mitgliedschaften in vielen Gremien als „gut vernetzt“. Er ist z.B. Mitglied im Vorstand des Brüsseler Wirtschafts-Thinkanks BRUEGEL, der auf Initiative der deutschen und französischen Regierung 2004 zur Beratung der EU gegründet wurde und heute von 18 Regierungen aus der EU und 20 Großkonzernen finanziert wird. Den Vorsitz dieses ebenso diskreten wie mächtigen Vereins vertrauten die Regierungs- und Konzernentscheider Röllers Exchef Mario Monti von 2005 bis 2008 an.
Frau Merkel vertraut Röller schon lange. 2008 durfte er als einer der wenigen Wirtschaftsprofessoren an den Finanz-Krisengipfeln teilnehmen. 2010 wurde er in das Lenkungsgremium der „Nationalen Plattform für Elektromobilität“ berufen. Seit dem 1. Januar 2009 ist er auch Vorsitzender des größten deutschen Zusammenschlusses von Wirtschaftswissenschaftlern, des „Vereins für Socialpolitik“. Vorgänger war dort u.v.a. 1997 bis 2000 Hans-Werner Sinn. Und auch jener berühmte Professor Schmoller, Vorsitzender von 1890 bis 1917. Der umriss seinerzeit die Aufgaben der kapitalistischen Wirtschaftspolitik so: „Auf der Grundlage der bestehenden Ordnung die unteren Klassen soweit heben, bilden und versöhnen, dass sie in Harmonie und Frieden sich in den Organismus einfügen.“
Röllers Ernennung löste auch Verwunderung unter Kollegen aus. Er sei ja eher ein Mikroökonom (Gegenstand Einzelunternehmung) als Makroökonom (Gegenstand Gesamtwirtschaft). Mit Forschungen zu den anstehenden Problemen Staatsschulden, Währungskrise oder der globalen Krise sei Röller bisher nicht hervorgetreten. Auch sei er nie durch markante wirtschaftspolitische Positionen aufgefallen. Wichtiger sein wohl seine „Vernetzung“ und das Vertrauen Merkels gewesen.
Und darauf kommt es an. Die Physikerin im Kanzleramt braucht einen Berater, der einen guten Draht zu den Großkapitalisten hat, ohne die in der Bundesrepublik nichts läuft. Die wollen zwar alle – siehe Schmoller oben – die bestehende Ordnung erhalten, aber das Einfügen in Harmonie und Frieden darf möglichst nichts kosten. Und wenn doch, sollen es die anderen bezahlen. Zu den Konflikten mit den „unteren Klassen“ und denen um die Kosten für deren Befriedung, für die Röller Lösungen finden muss, kommen die Konflikte in der EU und jene mit den USA, die das deutsch-französische Direktorium argwöhnisch beobachten. Mit Röller hat Merkel einen Berater gewählt, der gut verdrahtet ist und der flexibel Lösungen finden wird, die sich unter neoliberalem ebenso wie unter keynesianischem Etikett verkaufen lassen werden.
* Stephan Müller ist Volkswirt, schreibt u.a. in der Kommunistischen Arbeiterzeitung und Theorie und Praxis