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Die „Landsmannschaft Schlesien” und das „Schlesiertreffen” 2003 in Hannover

Von Detlef von Busch (VVN-BdA Stade)

Der folgende Text gibt einen Überblick über die „Landsmannschaft Schlesien” (im Folgenden LMS genannt) sowie über ihre Zusammenarbeit mit den Verbänden der sog. deutschen Minderheit in Polen. Der Text enthält Auszüge einer Broschüre der Kommission Neofaschismus der VVN-BdA in NRW „Grenzen auf für Deutschland? Aktuelle Analysen zu Pan-Europa, Revanchismus, Ost-Expansion“, die im Sommer 2002 von der VVN-BdA Niedersachsen herausgegeben wurde. Die Herausgabe der Broschüre wurde notwendig, weil das nächste „Deutschlandtreffen” der LMS im Sommer 2003 wieder in Hannover stattfinden wird – mit finanzieller Unterstützung der niedersächsischen Landesregierung.

Entwicklung der LMS bis 1989

Bis Anfang der 90er Jahre stand für ehe „Vertriebenenverbände” die Forderung nach Rückgewinnung der ehemaligen deutschen Ostgebiete im Vordergrund – jedenfalls in der öffentlichen Wahrneh­mung. Spätestens Ende der 60er Jahre setzte jedoch verstärkt eine Europa-Orientierung – die nie im Widerspruch stand zur Forderung nach Anschluss der ehemaligen Ostgebiete – bei den „Vertriebenen” ein:

im Zuge der so genannten neuen Ostpo­litik wurde unter der Federführung von NS-Volksgruppenideologen wie Theo­dor Veiter und Boris Meissner sowie des damaligen BdV-Präsidenten Reinhold Rehs mit der Ausarbeitung eines „Sy­stems eines internationalen Volksgruppenrechts” begonnen. Es handelte ­sich um eine dreibändige Schrift, de­ren erster Teil 1970 veröffentlicht wur­de. Ausdrücklich wurde darin auf die „Char­ta der deutschen Heimatvertriebenen” vom 5.8.1950 Bezug genommen. Dieses – als „Grundgesetz” der Vertriebenen an­gesehene – Dokument wurde von den damals 30 höchsten Vertriebenenfunktionären unterzeichnet, von denen die Mehrzahl bereits unter dem NS-Re­gime (mit oder ohne Parteibuch) treue Dienste für das Deutschtum geleistet hatten. In der „Charta” – sie wurde auf den Tag genau fünf Jahre nach dem Abschluss des Potsdamer Abkommens verkündet – steht das Potsdamer Abkommen „ungenannt gewissermaßen am Pranger”[1].

Mit der Charta – die auch von politisch unverdächtigen Kräften als Dokument des Friedenswillens bezeichnet wird – preisen sich die „Vertriebenenverbände” als „die ersten Europäer” der Nachkriegs­zeit. Und so stellt sich die LMS denn auch 1996 im BdV-Handbuch vor: „Die Landsmannschaft Schlesien – Nie­der- und Oberschlesien – in der Bundes­republik Deutschland ist die Vertretung Schlesiens und der Schlesier. Die Landsmannschaft Schlesien tritt ein für die Frei­heit der Heimat in einem freien Vater­land Deutschland in einem freien, geein­ten Europa, auf Grund der Selbstbestim­mung und gemäß der Charta der deut­schen Heimatvertriebenen vom 5.8.1950. ... Sie vertritt die politischen, wirtschaft­lichen, kulturellen und sozialen Interes­sen Schlesiens und der Schlesier...”

Die LMS ist eine von 21 Landsmann­schaften, die im Bund der Vertriebenen (BdV) zusammengeschlossen sind, und einer der mitgliederstärksten und tonan­gebenden Vertriebenenverbände. Sitz der LMS ist Königswinter bei Bonn. Dort besitzt die LMS seit 1978 das von einem separaten Verein betriebene „Haus Schlesien”. Die LMS gibt das alle zwei Wochen erscheinende Verbandsorgan „Schlesische Nachrichten” mit einer Auf­lage von ca. 10.000 heraus. Bekanntester Funktionär der LMS ist der langjährige frühere Bundesvorsitzende Herbert Hupka. Neben dem inzwischen verstorbenen früheren BdV-Präsidenten Herbert Czaja war Hupka seit Ende der 60er Jahre tonangebende Persönlichkeit der Vertriebenenverbände. Herbert Hupka war von 1968 bis 2000 Bundesvorsitzender der LMS. Er war langjähriger Bundes­tagsabgeordneter. 1972 trat er aus Pro­test gegen die so genannten Ostverträge von der SPD zur CDU über. Seit April 2000 ist Rudi Pawelka Bundesvorsitzender der LMS. Die jetzigen Stell­vertreter sind Dr. Idis B. Hartmann, Pe­ter Großpietsch und Christian Kuznik.

Rudi Pawelka ist Vertreter der LMS im Bundesvorstand des BdV. An einflussreicherer Stelle im BdV – nämlich im ge­schäftsführenden Vorstand – ist Helmut Sauer aus Salzgitter. Sauer war lange Bun­destagsabgeordneter. Er ist Mitglied im CDU-Bundesvorstand und Vorsitzender der OMV (Ost- und Mitteldeutsche Ver­einigung in der CDU/CSU). Helmut Sau­er steht auch der Landesgruppe Nieder­sachsen der LMS vor. Außerdem ist er stellv. Landesvorsitzender des BdV Nie­dersachsen.

Die Entstehung der „Deutschen Freundschaftskreise” (DFK) in Polen

Die Ursprünge der Verbände der soge­nannten deutschen Minderheit in Polen fallen nicht – wie vielleicht angenommen – in die Zeit der politischen Wende in Polen 1989, sondern gehen bereits auf den Anfang der 80er Jahre zurück, als die polnische Regierung das Kriegsrecht ver­hängt hatte. Erstmals wurde im November 1983 in Roszków bei Raciborz (früher Ratibor) in Oberschlesien ein Antrag auf Regi­strierung eines „Verbandes der Deut­schen” gestellt, der von den Behörden aber abgelehnt wurde[2] . Die Gründungsaktivitäten solcher Orga­nisationen gingen aber weiter: so sollte im Mai 1986 in Raciborz ein erster „Kulturkongress der deutschen Volks­gruppe” stattfinden. Die polnischen Si­cherheitsbehörden nahmen im Vorwege aber mehrere führende Mitglieder des il­legal gebildeten „Deutschen Freundschaftskreises” DFK) fest, sie wurden später ausgewiesen. Außerdem wurden rund 200 aus der BRD angerei­ste Gäste, die meisten aus dem Spektrum des BdV und der AGMO[3] aufgefordert, Polen zu verlassen[4].

Anfang 1988 traf sich BRD-Außenmi­nister Genscher in der deutschen Bot­schaft in Warschau mit mehreren DFK­-Vertretern. Diese Verbände hatten Ende 1987 allein im früheren Oberschlesien bereits ca. 5.000 Mitglieder.[5] Mit der politischen Wende in Polen nach den Parlamentswahlen im Juni 1989 stie­gen die Gründungszahlen der „Deut­schen Freundschaftskreise” dann rasant an.

Die Änderung der außenpolitischen Rahmenbedingungen seit 1989

Trotz Propaganda gegen den sog. 2+4-Vertrag merkten die Vertriebenenverbände sehr schnell, dass die neue Si­tuation außerordentlich günstig war. Im Juni 1991 wurde der „Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Beziehungen” (Polnisch-deutscher Nach­barschaftsvertrag) abgeschlossen. Dieser Vertrag stellt einen – von der deut­schen Öffentlichkeit als solchen kaum wahrgenommenen – Meilenstein der deutschen Volksgruppenpolitik dar: die BRD konnte damit Polen zur Anerken­nung ethnischer Minderheiten deutscher Abstammung bringen. Dass dies nicht ohne ökonomische und diplomatische Druckmittel vonstatten ging, versteht sich von selbst[6]. Vor allem in Oberschlesien, wo der An­teil von Menschen, die sich zum Deutschtum bekennen, relativ hoch ist, waren schon die Verhandlungen und der Abschluss des polnisch-deutschen Nach­barschaftsvertrages von schweren Aus­ein­ander­setzungen begleitet, wie die fol­genden Beispiele (es gibt zahlreiche wei­tere) zeigen:

  • ­Im Frühjahr 1990 stand in der Wojwodschaft Opole die Nachwahl für einen Sitz im polnischen Senat an. Ge­gen den Vertreter der „deutschen Minderheit”, Henryk Król, trat u.a. die Kan­didatin der Solidarnosc, Dorota Simonides, an. Die Wahlkundgebungen Króls waren von Parolen begleitet wie „Schmeißt die Polen raus”, „Pollaken raus”, „Polenpack, ab hinter den Bug”. Nach dem ersten Wahlgang kam es zur Stichwahl zwischen Król und Simonides, die für Król mit einer herben Niederlage endete, Frau Simonides beschuldigte den BdV von Deutschland aus massive Wahlhilfe für die „deutsche Minderheit” be­trieben zu haben.
  • Im Sommer 1990 standen in Po­len Kommunalwahlen an. Kandidaten der „deutschen Minderheit” in Oberschlesien forderten im Wahlkampf öf­fentlich den Anschluss an die BRD. Sie wurden dabei tatkräftig von Vertretern des BdV und der AGMO unterstützt. Das Verbandsorgan der LMS, die „Schle­sischen Nachrichten”, wurden zur wei­test verbreiteten deutschsprachigen Zei­tung in Oberschlesien. Verbreitet wurde sie über ein Netz von BdV-Sympathisan­ten – der BdV hatte in Strzelec Opolskie (früher Groß Strehlitz) ein von der Bundesregierung finanziertes „Koordinationsbüro” eingerichtet[7]. Nach der Wahl musste der Oppelner Wojwode Zembaczynski die Mandatsträger der „deutschen Minderheit” wiederholt auf­fordern, sich loyal gegenüber dem polni­schen Staat zu verhalten.
  • Ebenfalls im Sommer 1990 trat auf einer Kundgebung des DFK in Lubowice (früher Lubowitz) mit über 10.000 Teilnehmern der LMS-Vorsitzen­de Herbert Hupka auf, in Begleitung von Otto von Habsburg, dem Chef der Pan-Europa-Union. Neben Parolen wie „Wir wollen wieder deutsche Ordnung” und „Hier sollte die Wehrmacht wieder ein­rücken” fiel der Wortführer der „deut­schen Minderheit”, Henryk Król, mit der Aussage auf: „Wir Schlesier sind hier zu Hause, die Polen sind hier nur zu Gast.
  • Im Juni 1991, unmittelbar vor dem Abschluss des polnisch-deutschen Nach­bar­schafts­vertrag, fand in Góra Swietej Anny (früher Annaberg) ein „Schlesier­treffen” mit mehreren Tausend Teilneh­mern statt. Auf Druck der Bundesregie­rung – um den bevorstehenden Vertragsabschluss nicht zu gefährden – reisten der BdV-Chef Herbert Czaja und sein Generalsekretär Hartmut Koschyk nicht nach Polen. Stattdessen erschien dort LMS-Chef Herbert Hupka. Er kam geradewegs von politischen Gesprächen aus dem deutschen Konsulat in Wrocaw[8]. Der ND-Redakteur Wolfgang Rex schrieb: „Deutsche Fahnen im Saal und im Ort. Nein, eine polnische Fahne habe ich nicht gesehen.”

Der polnische Außenminister Skubiszewski musste im Frühjahr 1991 klarstellen: „Der polnische Staat erkennt eine deut­sche Staatsangehörigkeit von Schlesiern weder de jure noch de facto an. Die Mitglie­der einer nationalen Minderheit – auch das entspricht den Standards der entspre­chenden internationalen Minderheitenvereinbarungen – haben die Pflicht, je­nem Staat gegenüber, in dem sie wohnen und dessen Bürger sie sind, loyal zu sein.[9]

In einer Resolution der LMS mit dem Titel „Leitsätze zu Schlesien” vom April 1993 hieß es u.a.: „Die gemäß geltendem Völkerrecht als Unrecht zu verurteilende Annexion von 104.000 km² deutschen Territoriums der Deutschen Reiches in den Grenzen der Weimarer Republik wurde zum Recht erklärt. ... Die ethnischen Begradigungen im ehemaligen Jugoslawien werden von der ganzen Welt als Unrecht verurteilt. Nicht anders sind die ethnischen Begradigun­gen, ist die Vertreibung, deren Opfer 1945 und danach wir Deutsche gewor­den sind, Unrecht muss verurteilt werden. ... Es gibt keinen historischen, morali­schen, rechtlichen Titel Polens auf Ost­deutschland jenseits von Oder und Nei­ße. ... Pacta sunt servanda, abgeschlossene Verträge sind einzuhalten, dieses Wort gilt, aber mit dem Zusatz: Sed sunt pacta iniuriae, aber hier haben wir es mit Ver­trägen der Sanktionierung des Unrechts zu tun. Es gibt die Chance des peaceful change, des friedfertigen Veränderns bestehender Grenzen in Übereinstimmung mit den Nachbarn...”[10]

Diese Möglichkeit des „Peaceful Change”, die Option auf Grenzverände­rung trotz bestehender Verträge, wieder­holte LMS-Chef Hupka kurz vor dem „Schlesiertreffen” 1995[11]. Auf weitere Verwahrungen der polni­schen Seite gegen die Forderungen der LMS und der Verbände der „deutschen Minderheit” reagierte die LMS im Juni 1997 mit einem Papier, in dem sie Polen Nationalismus und Geschichtsrevisionismus vorwarf sowie die Behinderung der polnisch-deutschen Beziehungen: „... Rückfälle in den nationalistischen Mythos, dass Schlesien 1945 zu Polen zurückgekehrt sei, bedeuten nicht nur eine Geschichtsverfälschung und eine Wiederaufnahme von der kommunisti­schen These von der Heimholung Schle­siens und der anderen ostdeutschen Ge­biete zum polnischen Mutterland, son­dern fügen einer deutsch-polnischen Verständigung schweren Schaden zu ...”[12].

Beinhaltete das vorige Zitat schon eine versteckte Drohung, so wurde diese von der bayrischen Arbeits- und Sozialministerin Barbara Stamm offen geäu­ßert, und zwar auf dem „Schlesier­treffen” im Juli 1997 in Nürnberg: „Wer meint, durch die ... Verweigerung des Dialogs alles beim Alten lassen zu können, schafft das unkalkulierbare Ri­siko eines späteren Aufbrechens der Pro­blematik als schweren Konflikt.”[13]

Einen Monat vorher hatte die LMS ei­nen konkreten Forderungskatalog verab­schiedet:

„... Es sind jedoch noch viele Fragen offen...

  • Genügende Anzahl von Lehrkräf­ten, für die nicht nur die Bundesrepublik Deutschland Sorge trägt, sondern für die gerade auch die polnische Regierung ver­antwortlich ist, denn Deutsch als Mut­ersprache wurde durch Kommunisten und Nationalisten unterdrückt. Hier herrscht nicht nur ein Nachholbedarf, sondern es muss Wiedergutmachung ge­leistet werden.
  • Gleichberechtigung bei der Beset­zung von Ämtern entsprechend der Mehrheitsverhältnisse in Oberschlesien. Die Gleichberechtigung von Polen und Deutschen steht immer noch aus.
  • Zweisprachige Ortsschilder wie zum Beispiel deutscherseits gegenüber den 60.000 Sorben in der Lausitz oder seitens der Slowakei gegenüber den Un­garn.
  • Angemessene Vertretung in den Medien.
  • Freistellung von Abgaben und Zöllen auf Hilfsgüter aus der Bundesre­publik Deutschland.
  • Wegnahme des anhaltenden Drucks gegen die Unterhaltung von Kon­takten zu Vertriebenenorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Druck ist globaler Art. Man stempelt die Organisationen wie früher zu Revanchi­sten und Revisionisten ab. So Profes­sor und Senator Gerhard Bartodziej, Vorsitzender des Zentralverbandes der Deutschen Freundschaftskreise...” („50 Jahre...”, S. 87)

Mittlerweile war im oberschlesischen Brzeszcze die erste deutschsprachige Grundschule in Betrieb genommen wor­den[14]. Mitte 1999 protestierten im ober­schlesischen Kotlarnia erstmals polnische Bürger gegen eine Schulschließung. Der zuständige Gemeinderat von Bierawa (Wojwodschaft Opole) – dort haben die Vertreter der „deutschen Minderheit” eine satte Mehrheit – hatte beschlossen, die einzige Schule der Gemeinde, in der noch polnisch als Muttersprache unter­richtet wird, zu schließen. In sämtlichen anderen Schulen der Gemeinde wird be­reits deutsch als Muttersprache unterrich­tet[15]. Der Deutschunterricht wird mit erhebli­chen Mitteln der deutschen Bundesregie­rung ermöglicht. Dazu der Ministerial­di­rektor Klaus Pöhle – er ist im BMI seit 1996 für die Angelegenheiten der Vertrie­benen und der deutschen Minderheiten im Ausland zuständig:

Seit dem Jahre 1990 hat allein das Bun­desministerium des Innern für die deut­sche Minderheit und ihr Umfeld in Po­len Mittel in Höhe von über 150 Mio. DM (davon im Jahre 1996 26,6 Mio. DM) bereitgestellt ...[16]

Anfang des Jahres 2000 meldete der pol­nische Geheimdienst UOP Befürchtun­gen über eine von Deutschland ausgehen­de „Propaganda-Offensive für die Auto­nomie Schlesiens”. Als Drahtzieher ver­mutete der UOP den „Bund der Vertrie­benen”, auch die „Sozialkulturelle Gesellschaft der Deutschen Minderheit” (SKGD) in Katowice und Politiker der „deutschen Minderheit” in Oberschlesi­en würden sich derart betätigen[17].

Im Frühjahr 2000 protestierte die „SKGD im Oppelner Schlesien” bei der Bundesregierung gegen die Kürzung der Finanzhilfe, die aber eigentlich gar keine war: das BMI hatte die direkten Mittel für die „deutsche Minderheit” gegenüber 1999 um 4,5 Mio. DM gekürzt. Dem stand jedoch entgegen, dass Rückzahlun­gen für BMI-Kredite in Höhe von 13,7 Mio. DM in vollem Maße der „deutschen Minderheit” zugute kamen. Zusammen mit den 14 Mio. DM[18] direkter Hilfen er­gab sich ein Betrag von 27,7 Mio. DM, der höher war als jemals zuvor[19].

Gleichwohl griff Rudi Pawelka im Mai 2000 – er war einen Monat zuvor zum neuen Vorsitzenden der LMS gewählt worden – die polnische Regierung an. Die „diskriminierenden Gesetze gegenüber Deutschen aus der Nachkriegszeit” müssten vor einem EU-Beitritt Polens aufge­hoben werden[20].

Es geht hier nicht um einen eventuellen formalen Rechtsakt der Republik Polen, sondern um kollektive Sonderrechte für die „Deutschen”, denn, so Pawelka: „Aber Freizügigkeit im EU-Rahmen ist etwas anderes als Heimatrecht. Wir wol­len auf das Unrecht der Vertreibung hinweisen, ob das nun im Kosovo ist, in Palästina oder in Schlesien. Eine Ent­schuldigung müsste kommen und eine Wiederherstellung alterRechte.”

Zum Jahresende 2000 wurde – vor allem auf Betreiben der Landsmannschaft Ost­preußen – eine „Preußische Treuhand GmbH” gegründet. An ihr beteiligen sich mittlerweile auch die LMS sowie mehre­re hohe Vertriebenenfunktionäre Der Zweck dieser Organisation ist die Bündelung von Rechts- und Eigentumsan­sprüchen von „Vertriebenen” und deren Nachkommen. Grund und Boden sowie sonstiger Besitz, der nach 1945 enteig­net wurde, soll bei den osteuropäischen Staaten, vor allem in Polen, eingefordert werden. Dazu ruft die „Preußische Treu­hand” die Betroffenen auf, ihr die Eigentumstitel treuhänderisch zu über­tragen.

Nachdem der BdV und mehrere Lands­mannschaften im Spätsommer 2000 die Aktion „Entschädigung von deutschen Zwangsarbeitern” gestartet hatten, mel­det die LMS im Januar 2002 den Eingang von 60.000 Vordrucken, die zuvor mit den Verbandszeitungen verschickt wor­den waren (Schlesische Nachrichten [SN], 2/2002). Es handelt sich hierbei weniger um eine Reaktion auf die damals in der Öffentlichkeit laufende Debatte zur Ent­schädigung der NS-Zwangsarbeiter, son­dern um einen weiteren Schritt, um die Maßnahmen der Alliierten Siegermächte nach dem 2. Weltkrieg für unrechtmäßig zu erklären und so eine Revision der Nachkriegsordnung zu erreichen.

Ebenfalls im Januar führte der stellv. Bun­desvorsitzende Christian Kuznik u.a. aus:

Wir müssen auch künftig unsere gerech­ten und berechtigten Ziele beharrlich wie bisher weiterverfolgen, wir müssen un­ser Wissen und unsere Aufgabe an die nachfolgenden Generationen übertragen. Zu diesem Wissen gehört z.B. auch die Aussage, dass es neben einem Individu­alrecht völkerrechtlich auch ein Gruppenrecht gibt. Und das bedeutet z.B., dass es neben dem Individualrecht auf die Hei­mat auch ein Gruppenrecht auf die Hei­mat gibt, das selbstverständlich so lan­ge existiert, wie die Gruppe existent ist. Ebenso selbstverständlich ist es für je­den Juristen, dass ein Recht nicht durch bloßen Zeitablauf untergeht. (Prof Kimminich...) Deswegen ist es auch wich­tig, dass wir als Landsmannschaft, als Gruppe weiter bestehen.”[21]

Kuznik führt hier mit Otto Kimminich einen der völkischen Hauptideologen an, die das „Recht auf Heimat” wissenschaftlich begründen[22]. Bruno Kosak, Vizevorsitzender der „Vereinigung der Deutschen Freundschaftskreise im Oppelner Schlesi­en” beklagte vor wenigen Wochen, die „Deutsch­stämmigen” in Polen hätten „ir­gendwann den Glauben daran verloren, wie gleichberechtigte Bürger behandelt zu werden”. Die „deutsche Min­derheit” werde diskriminiert, die polni­sche Regierung stelle kaum Geld für die „Freundschaftskreise” und für den Deutschunterricht bereit, die polnischen Medien würden negativ über die Minder­heit berichten. Kosak griff auch die Minderheitenbeauftragte der Wojwodschaft Opole, Danuta Berlinska, an. Frau Berlinska hatte den Vorsitzen­den der SKGD und vielen seiner Mitglie­der „versteckte faschistische Tendenzen” vorgeworfen[23] .

Fazit und Ausblick

Als „friedliches Nebeneinander” – wie es in den deutschen Medien überwiegend dargestellt wird – kann man das Verhält­nis der „deutschen Minderheit” und ih­rer Verbände zum polnischen Staat und der übrigen Bevölkerung wohl kaum be­zeichnen. Die Annahme, dass das Ver­hältnis zwischen den deutschen Vertriebenenverbänden und den Verbän­den der „deutschen Minderheit” in Po­len abgekühlt oder distanziert ist, lässt sich ebenso wenig belegen. Im Gegen­teil ist davon auszugehen, dass sich die enge Zusammenarbeit, die der SZ-Kor­respondent Thomas Urban bereits 1993 ausführlich beschrieb, weiter entwickelt hat.

Die Politik – der alten wie der gegenwär­tigen – Bundesregierung leistet dem Vor­schub:

Zum einen durch die finanzielle Förde­rung der „Vertriebenenverbände” in der BRD und der Verbände der „deutschen Minderheit” in Polen. Die Förderung der deutschen Sprache spielt dabei eine zentrale Rolle. Sprache bewirkt eine Identitätsfindung als Unterscheidungsmerkmal zwischen Bevölkerungsgruppen (oder Staaten). Gegen deutsch als Fremdsprache haben auch die polnischen Be­hörden nichts einzuwenden – englisch ist seit 1989 als Fremdsprache in Polen ebenfalls sehr verbreitet. Die Forderung nach deutsch als „Muttersprache für die deutsche Minderheit” aber untergräbt Loyalität zum polnischen Staat.

Zum anderen führt die Förderung der Regionen, in denen Angehörige der deutschen Minderheit wohnen, zu einem sozialen Gefälle innerhalb Polens. Unzufriedenheiten sind vorhanden und Auseinandersetzungen deswegen jederzeit zu befürchten. Dies wäre der ideale Vorwand, den – latent vorhandenen – Konflikt zu internationalisieren und im Falle einer Eskalation eine „internationale Friedenstruppe” auf den Plan zu rufen. Die Forderungen nach „Minderheitenrechten” und „Selbstbestimmungsrecht” würden in ein „Friedensabkommen” aufgenommen und „Polen wieder offen”. Dass dabei die deutsche Karte gespielt würde, ist dann sozusagen ein Selbstläufer (Nachbarstaat „deutscher Kulturraum”, ehemals deut­sches Gebiet usw.).

Wer dies für eine gewagte These hält, sollte sich den Konflikt in Mazedonien im letzten Jahr vergegenwärtigen: Inner­halb weniger Monate waren dort – seit Jahren latent vorhandene, vor allem durch Einwirkung von außen provozierte – „ethnische” Konflikte eskaliert. Unter Federführung der EU wurde ein „Friedensabkommen” mit weit gehenden Kollektivrechten für „Minderheiten” er­zwungen und eine NATO-„Schutztrup­pe” unter deutschem Kommando statio­niert.

Eine zweite gefährliche Entwicklung könnte sich in Zusammenhang mit dem EU-Beitritt Polens (und auch Tschechiens) eröffnen. Die Aktivitäten des BdV und der Landsmannschaften in Bezug auf die „Entschädigung deutscher Zwangsarbeiter” und die Geltendma­chung von Besitzansprüchen über die „Preußische Treuhand GmbH” werden aller Voraussicht nach vor den Europäi­schen Gerichtshof gebracht. Sollten dort – wenn auch nur teilweise – Erfolge er­zielt werden, so käme dies ebenfalls ei­nem Dammbruch gleich bei der Beseiti­gung der europäischen Nachkriegs­ordnung. Auch dies ist nicht undenkbar, es ist jedenfalls keine Äußerung von deut­schen Regierungsstellen bekannt, diese Forderungen der „Vertriebenen­verbände” zurückzuweisen.

Im Gegenteil, am 23. Januar 2002 fand im Deutschen Bundestag eine Debatte statt:

Es ging um ein Interview des tschechi­schen Ministerpräsidenten Milos Zeman mit der österreichischen Zeitschrift „Pro­fil”, in dem Zeman die Sudetendeutschen als fünfte Kolonne Hitlers bezeichnet hatte. Nach tschechischem Recht hätten die Sudetendeutschen 1938 Landesverrat begangen, ein Vergehen, auf das die Todesstrafe stand. Die „Vertreibung” sei also milder als die Todesstrafe gewesen. Statt die „Sudetendeutsche Landsmannschaft” (SL) zu kritisieren und ihre Poli­tik zu verurteilen, wiesen die Redner aller Bundestagsparteien die Aussagen Zemans zurück.

Das tschechische Parlament stellte dar­aufhin Ende April fest, dass die Benes-­Dekrete und damit die Umsiedlung der Sudetendeutschen nach dem zweiten Weltkrieg Bestandteil der tschechischen Rechtsordnung sind und bleiben. Auf dem letzten Pfingsttreffen der SL im Mai 2002 forderte mit Otto Schily erstmals ein Vertreter der rot-grünen Bundesre­gierune die Rücknahme der Benes-De­krete. Dieser offene Schulterschluss mit den „Vertriebenenverbänden” zeigt die derart dominierende Stellung der BRD, die selbst eine Rücksicht auf die westli­chen Verbündeten bzw. Alliierten Sieger­mächte nicht mehr erfordert.

1 Bund der Vertriebenen (BdV): “Kulturelle Arbeitshefte 22”, S.3

2 Urban, Thomas: „Deutsche in Polen”, München 1994, S. 97

3 Die AGMO (Arbeitsgemeinschaft für Men­schenrechte in Ostdeutschland) ist eine Organisa­tion der „Schlesischen Jugend”.

4 Urban, a.a.O., S.99

5 Urban, a.a.O., S.99

6 BRD-Finanzminister Theo Waigel sagte Ende 1989 ganz offen, die Bundesregierung werde Po­len nur dann finanzielle Hilfe gewähren, wcnn die Rechtsposition der deutschen Minderheit verbes­sert werde (Th. Urban..., Seite 105)

7 Urban, a.a.O., S.116

8 Neues Deutschland, 25.6.1991

9 taz, 2.5.1991

10 „50 Jahre Landsmannschaft Schlesien. Eine Do­kumentation”, Königswinter 1999, Seite 57-58.

11 FAZ, 9.6.1995

12 „50 Jahre Landsmannschaft...”, S.70

13 „50 Jahre...”, S.71

14 Süddeutsche Zeitung, 4.9.1996

15 Jungle World, 2.6.1999

16 DIALOG – Magazin für deutsch-polnische Ver­ständigung, Ausgabe 12/97.

17 Antifa­schistische Nachrichten, 13.4.2000

18 BT-Ds 14/4045 (Förderung deutscher Minder­heiten in Osteuropa seit 1991/1992)

19 FAZ, 21.2.2000

20 DOD, 12.5.2000

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