Der folgende Text gibt einen Überblick über die „Landsmannschaft Schlesien” (im Folgenden LMS genannt) sowie über ihre Zusammenarbeit mit den Verbänden der sog. deutschen Minderheit in Polen. Der Text enthält Auszüge einer Broschüre der Kommission Neofaschismus der VVN-BdA in NRW „Grenzen auf für Deutschland? Aktuelle Analysen zu Pan-Europa, Revanchismus, Ost-Expansion“, die im Sommer 2002 von der VVN-BdA Niedersachsen herausgegeben wurde. Die Herausgabe der Broschüre wurde notwendig, weil das nächste „Deutschlandtreffen” der LMS im Sommer 2003 wieder in Hannover stattfinden wird – mit finanzieller Unterstützung der niedersächsischen Landesregierung.
Bis Anfang der 90er Jahre stand für ehe „Vertriebenenverbände” die Forderung nach Rückgewinnung der ehemaligen deutschen Ostgebiete im Vordergrund – jedenfalls in der öffentlichen Wahrnehmung. Spätestens Ende der 60er Jahre setzte jedoch verstärkt eine Europa-Orientierung – die nie im Widerspruch stand zur Forderung nach Anschluss der ehemaligen Ostgebiete – bei den „Vertriebenen” ein:
im Zuge der so genannten neuen Ostpolitik wurde unter der Federführung von NS-Volksgruppenideologen wie Theodor Veiter und Boris Meissner sowie des damaligen BdV-Präsidenten Reinhold Rehs mit der Ausarbeitung eines „Systems eines internationalen Volksgruppenrechts” begonnen. Es handelte sich um eine dreibändige Schrift, deren erster Teil 1970 veröffentlicht wurde. Ausdrücklich wurde darin auf die „Charta der deutschen Heimatvertriebenen” vom 5.8.1950 Bezug genommen. Dieses – als „Grundgesetz” der Vertriebenen angesehene – Dokument wurde von den damals 30 höchsten Vertriebenenfunktionären unterzeichnet, von denen die Mehrzahl bereits unter dem NS-Regime (mit oder ohne Parteibuch) treue Dienste für das Deutschtum geleistet hatten. In der „Charta” – sie wurde auf den Tag genau fünf Jahre nach dem Abschluss des Potsdamer Abkommens verkündet – steht das Potsdamer Abkommen „ungenannt gewissermaßen am Pranger”[1].
Mit der Charta – die auch von politisch unverdächtigen Kräften als Dokument des Friedenswillens bezeichnet wird – preisen sich die „Vertriebenenverbände” als „die ersten Europäer” der Nachkriegszeit. Und so stellt sich die LMS denn auch 1996 im BdV-Handbuch vor: „Die Landsmannschaft Schlesien – Nieder- und Oberschlesien – in der Bundesrepublik Deutschland ist die Vertretung Schlesiens und der Schlesier. Die Landsmannschaft Schlesien tritt ein für die Freiheit der Heimat in einem freien Vaterland Deutschland in einem freien, geeinten Europa, auf Grund der Selbstbestimmung und gemäß der Charta der deutschen Heimatvertriebenen vom 5.8.1950. ... Sie vertritt die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Interessen Schlesiens und der Schlesier...”
Die LMS ist eine von 21 Landsmannschaften, die im Bund der Vertriebenen (BdV) zusammengeschlossen sind, und einer der mitgliederstärksten und tonangebenden Vertriebenenverbände. Sitz der LMS ist Königswinter bei Bonn. Dort besitzt die LMS seit 1978 das von einem separaten Verein betriebene „Haus Schlesien”. Die LMS gibt das alle zwei Wochen erscheinende Verbandsorgan „Schlesische Nachrichten” mit einer Auflage von ca. 10.000 heraus. Bekanntester Funktionär der LMS ist der langjährige frühere Bundesvorsitzende Herbert Hupka. Neben dem inzwischen verstorbenen früheren BdV-Präsidenten Herbert Czaja war Hupka seit Ende der 60er Jahre tonangebende Persönlichkeit der Vertriebenenverbände. Herbert Hupka war von 1968 bis 2000 Bundesvorsitzender der LMS. Er war langjähriger Bundestagsabgeordneter. 1972 trat er aus Protest gegen die so genannten Ostverträge von der SPD zur CDU über. Seit April 2000 ist Rudi Pawelka Bundesvorsitzender der LMS. Die jetzigen Stellvertreter sind Dr. Idis B. Hartmann, Peter Großpietsch und Christian Kuznik.
Rudi Pawelka ist Vertreter der LMS im Bundesvorstand des BdV. An einflussreicherer Stelle im BdV – nämlich im geschäftsführenden Vorstand – ist Helmut Sauer aus Salzgitter. Sauer war lange Bundestagsabgeordneter. Er ist Mitglied im CDU-Bundesvorstand und Vorsitzender der OMV (Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung in der CDU/CSU). Helmut Sauer steht auch der Landesgruppe Niedersachsen der LMS vor. Außerdem ist er stellv. Landesvorsitzender des BdV Niedersachsen.
Die Ursprünge der Verbände der sogenannten deutschen Minderheit in Polen fallen nicht – wie vielleicht angenommen – in die Zeit der politischen Wende in Polen 1989, sondern gehen bereits auf den Anfang der 80er Jahre zurück, als die polnische Regierung das Kriegsrecht verhängt hatte. Erstmals wurde im November 1983 in Roszków bei Raciborz (früher Ratibor) in Oberschlesien ein Antrag auf Registrierung eines „Verbandes der Deutschen” gestellt, der von den Behörden aber abgelehnt wurde[2] . Die Gründungsaktivitäten solcher Organisationen gingen aber weiter: so sollte im Mai 1986 in Raciborz ein erster „Kulturkongress der deutschen Volksgruppe” stattfinden. Die polnischen Sicherheitsbehörden nahmen im Vorwege aber mehrere führende Mitglieder des illegal gebildeten „Deutschen Freundschaftskreises” DFK) fest, sie wurden später ausgewiesen. Außerdem wurden rund 200 aus der BRD angereiste Gäste, die meisten aus dem Spektrum des BdV und der AGMO[3] aufgefordert, Polen zu verlassen[4].
Anfang 1988 traf sich BRD-Außenminister Genscher in der deutschen Botschaft in Warschau mit mehreren DFK-Vertretern. Diese Verbände hatten Ende 1987 allein im früheren Oberschlesien bereits ca. 5.000 Mitglieder.[5] Mit der politischen Wende in Polen nach den Parlamentswahlen im Juni 1989 stiegen die Gründungszahlen der „Deutschen Freundschaftskreise” dann rasant an.
Trotz Propaganda gegen den sog. 2+4-Vertrag merkten die Vertriebenenverbände sehr schnell, dass die neue Situation außerordentlich günstig war. Im Juni 1991 wurde der „Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Beziehungen” (Polnisch-deutscher Nachbarschaftsvertrag) abgeschlossen. Dieser Vertrag stellt einen – von der deutschen Öffentlichkeit als solchen kaum wahrgenommenen – Meilenstein der deutschen Volksgruppenpolitik dar: die BRD konnte damit Polen zur Anerkennung ethnischer Minderheiten deutscher Abstammung bringen. Dass dies nicht ohne ökonomische und diplomatische Druckmittel vonstatten ging, versteht sich von selbst[6]. Vor allem in Oberschlesien, wo der Anteil von Menschen, die sich zum Deutschtum bekennen, relativ hoch ist, waren schon die Verhandlungen und der Abschluss des polnisch-deutschen Nachbarschaftsvertrages von schweren Auseinandersetzungen begleitet, wie die folgenden Beispiele (es gibt zahlreiche weitere) zeigen:
Der polnische Außenminister Skubiszewski musste im Frühjahr 1991 klarstellen: „Der polnische Staat erkennt eine deutsche Staatsangehörigkeit von Schlesiern weder de jure noch de facto an. Die Mitglieder einer nationalen Minderheit – auch das entspricht den Standards der entsprechenden internationalen Minderheitenvereinbarungen – haben die Pflicht, jenem Staat gegenüber, in dem sie wohnen und dessen Bürger sie sind, loyal zu sein.”[9]
In einer Resolution der LMS mit dem Titel „Leitsätze zu Schlesien” vom April 1993 hieß es u.a.: „Die gemäß geltendem Völkerrecht als Unrecht zu verurteilende Annexion von 104.000 km² deutschen Territoriums der Deutschen Reiches in den Grenzen der Weimarer Republik wurde zum Recht erklärt. ... Die ethnischen Begradigungen im ehemaligen Jugoslawien werden von der ganzen Welt als Unrecht verurteilt. Nicht anders sind die ethnischen Begradigungen, ist die Vertreibung, deren Opfer 1945 und danach wir Deutsche geworden sind, Unrecht muss verurteilt werden. ... Es gibt keinen historischen, moralischen, rechtlichen Titel Polens auf Ostdeutschland jenseits von Oder und Neiße. ... Pacta sunt servanda, abgeschlossene Verträge sind einzuhalten, dieses Wort gilt, aber mit dem Zusatz: Sed sunt pacta iniuriae, aber hier haben wir es mit Verträgen der Sanktionierung des Unrechts zu tun. Es gibt die Chance des peaceful change, des friedfertigen Veränderns bestehender Grenzen in Übereinstimmung mit den Nachbarn...”[10]
Diese Möglichkeit des „Peaceful Change”, die Option auf Grenzveränderung trotz bestehender Verträge, wiederholte LMS-Chef Hupka kurz vor dem „Schlesiertreffen” 1995[11]. Auf weitere Verwahrungen der polnischen Seite gegen die Forderungen der LMS und der Verbände der „deutschen Minderheit” reagierte die LMS im Juni 1997 mit einem Papier, in dem sie Polen Nationalismus und Geschichtsrevisionismus vorwarf sowie die Behinderung der polnisch-deutschen Beziehungen: „... Rückfälle in den nationalistischen Mythos, dass Schlesien 1945 zu Polen zurückgekehrt sei, bedeuten nicht nur eine Geschichtsverfälschung und eine Wiederaufnahme von der kommunistischen These von der Heimholung Schlesiens und der anderen ostdeutschen Gebiete zum polnischen Mutterland, sondern fügen einer deutsch-polnischen Verständigung schweren Schaden zu ...”[12].
Beinhaltete das vorige Zitat schon eine versteckte Drohung, so wurde diese von der bayrischen Arbeits- und Sozialministerin Barbara Stamm offen geäußert, und zwar auf dem „Schlesiertreffen” im Juli 1997 in Nürnberg: „Wer meint, durch die ... Verweigerung des Dialogs alles beim Alten lassen zu können, schafft das unkalkulierbare Risiko eines späteren Aufbrechens der Problematik als schweren Konflikt.”[13]
Einen Monat vorher hatte die LMS einen konkreten Forderungskatalog verabschiedet:
„... Es sind jedoch noch viele Fragen offen...
Mittlerweile war im oberschlesischen Brzeszcze die erste deutschsprachige Grundschule in Betrieb genommen worden[14]. Mitte 1999 protestierten im oberschlesischen Kotlarnia erstmals polnische Bürger gegen eine Schulschließung. Der zuständige Gemeinderat von Bierawa (Wojwodschaft Opole) – dort haben die Vertreter der „deutschen Minderheit” eine satte Mehrheit – hatte beschlossen, die einzige Schule der Gemeinde, in der noch polnisch als Muttersprache unterrichtet wird, zu schließen. In sämtlichen anderen Schulen der Gemeinde wird bereits deutsch als Muttersprache unterrichtet[15]. Der Deutschunterricht wird mit erheblichen Mitteln der deutschen Bundesregierung ermöglicht. Dazu der Ministerialdirektor Klaus Pöhle – er ist im BMI seit 1996 für die Angelegenheiten der Vertriebenen und der deutschen Minderheiten im Ausland zuständig:
„Seit dem Jahre 1990 hat allein das Bundesministerium des Innern für die deutsche Minderheit und ihr Umfeld in Polen Mittel in Höhe von über 150 Mio. DM (davon im Jahre 1996 26,6 Mio. DM) bereitgestellt ...”[16]
Anfang des Jahres 2000 meldete der polnische Geheimdienst UOP Befürchtungen über eine von Deutschland ausgehende „Propaganda-Offensive für die Autonomie Schlesiens”. Als Drahtzieher vermutete der UOP den „Bund der Vertriebenen”, auch die „Sozialkulturelle Gesellschaft der Deutschen Minderheit” (SKGD) in Katowice und Politiker der „deutschen Minderheit” in Oberschlesien würden sich derart betätigen[17].
Im Frühjahr 2000 protestierte die „SKGD im Oppelner Schlesien” bei der Bundesregierung gegen die Kürzung der Finanzhilfe, die aber eigentlich gar keine war: das BMI hatte die direkten Mittel für die „deutsche Minderheit” gegenüber 1999 um 4,5 Mio. DM gekürzt. Dem stand jedoch entgegen, dass Rückzahlungen für BMI-Kredite in Höhe von 13,7 Mio. DM in vollem Maße der „deutschen Minderheit” zugute kamen. Zusammen mit den 14 Mio. DM[18] direkter Hilfen ergab sich ein Betrag von 27,7 Mio. DM, der höher war als jemals zuvor[19].
Gleichwohl griff Rudi Pawelka im Mai 2000 – er war einen Monat zuvor zum neuen Vorsitzenden der LMS gewählt worden – die polnische Regierung an. Die „diskriminierenden Gesetze gegenüber Deutschen aus der Nachkriegszeit” müssten vor einem EU-Beitritt Polens aufgehoben werden[20].
Es geht hier nicht um einen eventuellen formalen Rechtsakt der Republik Polen, sondern um kollektive Sonderrechte für die „Deutschen”, denn, so Pawelka: „Aber Freizügigkeit im EU-Rahmen ist etwas anderes als Heimatrecht. Wir wollen auf das Unrecht der Vertreibung hinweisen, ob das nun im Kosovo ist, in Palästina oder in Schlesien. Eine Entschuldigung müsste kommen und eine Wiederherstellung alterRechte.”
Zum Jahresende 2000 wurde – vor allem auf Betreiben der Landsmannschaft Ostpreußen – eine „Preußische Treuhand GmbH” gegründet. An ihr beteiligen sich mittlerweile auch die LMS sowie mehrere hohe Vertriebenenfunktionäre Der Zweck dieser Organisation ist die Bündelung von Rechts- und Eigentumsansprüchen von „Vertriebenen” und deren Nachkommen. Grund und Boden sowie sonstiger Besitz, der nach 1945 enteignet wurde, soll bei den osteuropäischen Staaten, vor allem in Polen, eingefordert werden. Dazu ruft die „Preußische Treuhand” die Betroffenen auf, ihr die Eigentumstitel treuhänderisch zu übertragen.
Nachdem der BdV und mehrere Landsmannschaften im Spätsommer 2000 die Aktion „Entschädigung von deutschen Zwangsarbeitern” gestartet hatten, meldet die LMS im Januar 2002 den Eingang von 60.000 Vordrucken, die zuvor mit den Verbandszeitungen verschickt worden waren (Schlesische Nachrichten [SN], 2/2002). Es handelt sich hierbei weniger um eine Reaktion auf die damals in der Öffentlichkeit laufende Debatte zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter, sondern um einen weiteren Schritt, um die Maßnahmen der Alliierten Siegermächte nach dem 2. Weltkrieg für unrechtmäßig zu erklären und so eine Revision der Nachkriegsordnung zu erreichen.
Ebenfalls im Januar führte der stellv. Bundesvorsitzende Christian Kuznik u.a. aus:
„Wir müssen auch künftig unsere gerechten und berechtigten Ziele beharrlich wie bisher weiterverfolgen, wir müssen unser Wissen und unsere Aufgabe an die nachfolgenden Generationen übertragen. Zu diesem Wissen gehört z.B. auch die Aussage, dass es neben einem Individualrecht völkerrechtlich auch ein Gruppenrecht gibt. Und das bedeutet z.B., dass es neben dem Individualrecht auf die Heimat auch ein Gruppenrecht auf die Heimat gibt, das selbstverständlich so lange existiert, wie die Gruppe existent ist. Ebenso selbstverständlich ist es für jeden Juristen, dass ein Recht nicht durch bloßen Zeitablauf untergeht. (Prof Kimminich...) Deswegen ist es auch wichtig, dass wir als Landsmannschaft, als Gruppe weiter bestehen.”[21]
Kuznik führt hier mit Otto Kimminich einen der völkischen Hauptideologen an, die das „Recht auf Heimat” wissenschaftlich begründen[22]. Bruno Kosak, Vizevorsitzender der „Vereinigung der Deutschen Freundschaftskreise im Oppelner Schlesien” beklagte vor wenigen Wochen, die „Deutschstämmigen” in Polen hätten „irgendwann den Glauben daran verloren, wie gleichberechtigte Bürger behandelt zu werden”. Die „deutsche Minderheit” werde diskriminiert, die polnische Regierung stelle kaum Geld für die „Freundschaftskreise” und für den Deutschunterricht bereit, die polnischen Medien würden negativ über die Minderheit berichten. Kosak griff auch die Minderheitenbeauftragte der Wojwodschaft Opole, Danuta Berlinska, an. Frau Berlinska hatte den Vorsitzenden der SKGD und vielen seiner Mitglieder „versteckte faschistische Tendenzen” vorgeworfen[23] .
Als „friedliches Nebeneinander” – wie es in den deutschen Medien überwiegend dargestellt wird – kann man das Verhältnis der „deutschen Minderheit” und ihrer Verbände zum polnischen Staat und der übrigen Bevölkerung wohl kaum bezeichnen. Die Annahme, dass das Verhältnis zwischen den deutschen Vertriebenenverbänden und den Verbänden der „deutschen Minderheit” in Polen abgekühlt oder distanziert ist, lässt sich ebenso wenig belegen. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass sich die enge Zusammenarbeit, die der SZ-Korrespondent Thomas Urban bereits 1993 ausführlich beschrieb, weiter entwickelt hat.
Die Politik – der alten wie der gegenwärtigen – Bundesregierung leistet dem Vorschub:
Zum einen durch die finanzielle Förderung der „Vertriebenenverbände” in der BRD und der Verbände der „deutschen Minderheit” in Polen. Die Förderung der deutschen Sprache spielt dabei eine zentrale Rolle. Sprache bewirkt eine Identitätsfindung als Unterscheidungsmerkmal zwischen Bevölkerungsgruppen (oder Staaten). Gegen deutsch als Fremdsprache haben auch die polnischen Behörden nichts einzuwenden – englisch ist seit 1989 als Fremdsprache in Polen ebenfalls sehr verbreitet. Die Forderung nach deutsch als „Muttersprache für die deutsche Minderheit” aber untergräbt Loyalität zum polnischen Staat.
Zum anderen führt die Förderung der Regionen, in denen Angehörige der deutschen Minderheit wohnen, zu einem sozialen Gefälle innerhalb Polens. Unzufriedenheiten sind vorhanden und Auseinandersetzungen deswegen jederzeit zu befürchten. Dies wäre der ideale Vorwand, den – latent vorhandenen – Konflikt zu internationalisieren und im Falle einer Eskalation eine „internationale Friedenstruppe” auf den Plan zu rufen. Die Forderungen nach „Minderheitenrechten” und „Selbstbestimmungsrecht” würden in ein „Friedensabkommen” aufgenommen und „Polen wieder offen”. Dass dabei die deutsche Karte gespielt würde, ist dann sozusagen ein Selbstläufer (Nachbarstaat „deutscher Kulturraum”, ehemals deutsches Gebiet usw.).
Wer dies für eine gewagte These hält, sollte sich den Konflikt in Mazedonien im letzten Jahr vergegenwärtigen: Innerhalb weniger Monate waren dort – seit Jahren latent vorhandene, vor allem durch Einwirkung von außen provozierte – „ethnische” Konflikte eskaliert. Unter Federführung der EU wurde ein „Friedensabkommen” mit weit gehenden Kollektivrechten für „Minderheiten” erzwungen und eine NATO-„Schutztruppe” unter deutschem Kommando stationiert.
Eine zweite gefährliche Entwicklung könnte sich in Zusammenhang mit dem EU-Beitritt Polens (und auch Tschechiens) eröffnen. Die Aktivitäten des BdV und der Landsmannschaften in Bezug auf die „Entschädigung deutscher Zwangsarbeiter” und die Geltendmachung von Besitzansprüchen über die „Preußische Treuhand GmbH” werden aller Voraussicht nach vor den Europäischen Gerichtshof gebracht. Sollten dort – wenn auch nur teilweise – Erfolge erzielt werden, so käme dies ebenfalls einem Dammbruch gleich bei der Beseitigung der europäischen Nachkriegsordnung. Auch dies ist nicht undenkbar, es ist jedenfalls keine Äußerung von deutschen Regierungsstellen bekannt, diese Forderungen der „Vertriebenenverbände” zurückzuweisen.
Im Gegenteil, am 23. Januar 2002 fand im Deutschen Bundestag eine Debatte statt:
Es ging um ein Interview des tschechischen Ministerpräsidenten Milos Zeman mit der österreichischen Zeitschrift „Profil”, in dem Zeman die Sudetendeutschen als fünfte Kolonne Hitlers bezeichnet hatte. Nach tschechischem Recht hätten die Sudetendeutschen 1938 Landesverrat begangen, ein Vergehen, auf das die Todesstrafe stand. Die „Vertreibung” sei also milder als die Todesstrafe gewesen. Statt die „Sudetendeutsche Landsmannschaft” (SL) zu kritisieren und ihre Politik zu verurteilen, wiesen die Redner aller Bundestagsparteien die Aussagen Zemans zurück.
Das tschechische Parlament stellte daraufhin Ende April fest, dass die Benes-Dekrete und damit die Umsiedlung der Sudetendeutschen nach dem zweiten Weltkrieg Bestandteil der tschechischen Rechtsordnung sind und bleiben. Auf dem letzten Pfingsttreffen der SL im Mai 2002 forderte mit Otto Schily erstmals ein Vertreter der rot-grünen Bundesregierune die Rücknahme der Benes-Dekrete. Dieser offene Schulterschluss mit den „Vertriebenenverbänden” zeigt die derart dominierende Stellung der BRD, die selbst eine Rücksicht auf die westlichen Verbündeten bzw. Alliierten Siegermächte nicht mehr erfordert.
1 Bund der Vertriebenen (BdV): “Kulturelle Arbeitshefte 22”, S.3
2 Urban, Thomas: „Deutsche in Polen”, München 1994, S. 97
3 Die AGMO (Arbeitsgemeinschaft für Menschenrechte in Ostdeutschland) ist eine Organisation der „Schlesischen Jugend”.
4 Urban, a.a.O., S.99
5 Urban, a.a.O., S.99
6 BRD-Finanzminister Theo Waigel sagte Ende 1989 ganz offen, die Bundesregierung werde Polen nur dann finanzielle Hilfe gewähren, wcnn die Rechtsposition der deutschen Minderheit verbessert werde (Th. Urban..., Seite 105)
7 Urban, a.a.O., S.116
8 Neues Deutschland, 25.6.1991
9 taz, 2.5.1991
10 „50 Jahre Landsmannschaft Schlesien. Eine Dokumentation”, Königswinter 1999, Seite 57-58.
11 FAZ, 9.6.1995
12 „50 Jahre Landsmannschaft...”, S.70
13 „50 Jahre...”, S.71
14 Süddeutsche Zeitung, 4.9.1996
15 Jungle World, 2.6.1999
16 DIALOG – Magazin für deutsch-polnische Verständigung, Ausgabe 12/97.
17 Antifaschistische Nachrichten, 13.4.2000
18 BT-Ds 14/4045 (Förderung deutscher Minderheiten in Osteuropa seit 1991/1992)
19 FAZ, 21.2.2000
20 DOD, 12.5.2000
Schlesiertreffen 1995 in Nürnberg
Alte Karte neu gesehen!
Zum Tag der Heimat jedes Jahr in Berlin im September.
50 Jahre für ein Europa der Menschenrechte beim Vertriebenentreffen im Jahr 2000 in Berlin