Für Dialektik in Organisationsfragen
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Würden von den maßgeblichen Stellen in diesem Lande wenigstens noch die Grundsätze eines demokratischen Staates ernst genommen, würde Herr Sarrazin längst strafrechtlich verfolgt werden. Der Presse wäre das nur eine kleine Notiz wert. Denn was Sarrazin so von sich gibt, ist nichts anderes als Rassismus und Volksverhetzung. Er verbreitet landauf landab, dass es aufgrund ihrer Gene dumme und intelligente Völker gäbe und entdeckt dabei schon wieder einmal jüdische Gene. Muslimischen Einwanderern wirft er grundsätzlich „Bildungsferne“ vor. Er hetzt: „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.“ oder „Eine große Zahl von Arabern und Türken, deren Anzahl durch falsche Politik zugenommen hat, hat keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel.“ Bildungsförderung von „Unterschichtskindern“ hält er für sinnlos, weil Intelligenz weitgehend erblich sei. Also kein Geld für solche Kinder, dafür aber mehr Geld, um „jüngere Akademikerinnen für die Geburt eines Kindes finanziell zu belohnen, so sie den richtigen Genpool haben“[1] Denn laut Sarrazin ist die große Frage: „Wie kann ich es schaffen, dass nur diejenigen Kinder bekommen, die damit fertig werden.“ [2] Wenn Kinder keine Hausaufgaben machen schlägt er ergänzend schon einmal den Entzug des Kindergeldes vor. Er hetzt gegen Erwerbslose, die auf Staatskosten zu viel Heizkosten verbräuchten und meint, sie sollten sich einen dicken Pullover anziehen und kalt duschen – wäre eh gesünder. Er verhöhnt sie, indem er vorrechnet wie man mit 3,76 Euro pro Tag ein gesundes und reichhaltiges Frühstück, Mittag- und Abendessen auf den Tisch bringt. Selbstverständlich weiß Herr Sarrazin auch, dass die Renten „langfristig auf das Niveau einer Grundsicherung fallen“ müssen.[3] Na klar, wenn Erwerbslose mit warmem Pullover, kalter Dusche und 3,76 Euro am Tag prächtig auskommen – warum sollten wir Arbeiter nicht alle damit auskommen. Und wer das richtige Genpool hat konnte sich ja wohl als gut bezahlter Akademiker, Unternehmer oder Bundesbankvorstandsmitglied fürs Alter was zurücklegen. Die einen vom Profit, den sie auch aus den Knochen der „unproduktiven“ türkischen oder arabischen Arbeiter gepresst haben. Die anderen von den satten Gehältern, die eben jene Arbeiter über ihre Steuern mit finanzierten. Diejenigen, die dieses sanfte Ruhekissen der Herrschenden erarbeiten, sollen sich im „Reich der Arbeit“ ein- und unterordnen und mit niedrigen Löhnen zufrieden geben. Hartz IV reicht als Mindestlohn. Viele Sozialleistungen gehörten abgeschafft, da sie für „die moralisch und geistig Schwächeren (...) eine große Versuchung“ seien.[4]
Die Thesen von Sarrazin sind ein Angriff auf uns alle. Sie erinnern fatal an die Rassenlehre der Hitlerfaschisten, mit der Volksgruppen bestimmte Eigenschaften angedichtet und sie entsprechend als wertvoll oder weniger wertvoll eingestuft worden sind. Sie erinnern an die faschistische Ideologie von „Herrenmenschen“ und „Untermenschen“, an „wertes“ und „unwertes“ Leben. Auch die Vorstellung, dass das Recht auf Bezug von staatlichen Leistungen irgendetwas damit zu tun hat, ob man diesen Staat für gut hält oder ihn ablehnt hat nichts mit den Grundsätzen einer bürgerlich-demokratischen Republik zu tun. Ein solches Verständnis ebnet den Weg zur Rechtlosigkeit, zur faschistischen Gesinnungsschnüffelei, zur faschistischen Diktatur, wo schon der verdächtig und von Verfolgung bedroht ist, der die Fahne nicht raus hängt, nicht mit brüllt, nicht die Hand zum Gruß erhebt ... Eigentlich sollte jeder in diesem Land wissen, wohin das alles führte: Die entrechteten „Herrenmenschen“ wurden gegen die anderen Völker in den barbarischsten Krieg aller Zeiten geschickt.
Nun gibt es schon wieder viel zu viele Faschisten, die solch verbrecherische Haltungen mehr oder weniger ungehindert von der Staatsgewalt verbreiten können. Doch noch werden diese von Politik und Medien weitgehend geächtet. Anders Herr Sarrazin, noch SPD-Mitglied, ehemals Finanzsenator in Berlin und bis vor kurzem im Vorstand der Bundesbank tätig. Er hatte in den letzten Wochen über die Medien das ganze Land zum Forum. Seine volksverhetzenden Thesen flimmerten tagelang über jeden Fernsehschirm. Die Bildzeitung druckte gleich vorab Teile seines Buches ab. Meinungsumfragen wurden aus dem Boden gestampft, wonach mehr als die Hälfte der Bevölkerung Sarrazin oder zumindest einzelnen Thesen von ihm zustimmten. Von Bundespräsident bis Kanzlerin distanzierte man sich zwar von seinen Behauptungen über jüdische Gene – schließlich gibt es ein Ausland. Doch nicht wenige Journalisten und Politiker, wie z.B. der bayerische Innenminister Herrmann meinten, es sei „falsch, jetzt jede Aussage Sarrazins zu verdammen.“.[5] Die Bildzeitung gab sich gar als Vorkämpfer für die Meinungsfreiheit. Man wird doch wohl noch sagen dürfen …Selbst der SPD Vorsitzende Gabriel meinte erklären zu müssen „Ich finde, vieles, was er darin (in seinem Buch) beschreibt, erleben wir ja. Ist doch keine Frage.“[6] Ja verdammt noch mal, was erleben wir denn?
Millionen Erwerbslose, ob Deutsche oder Nichtdeutsche, denen dieser Staat, den wir auch noch mögen sollen, keinerlei Perspektive mehr bietet. Sie sind unnütze Esser aus der Perspektive einer Gesellschaft, in der nur zählt, wer den Profit der Herrschenden vermehren hilft. Permanente Angriffe auf die Arbeits- und Lebensbedingungen aller Arbeiter und Angestellten, damit die Profite von Banken und Konzernen auch weiterhin sicher sind. Unsäglichen Reichtum auf der einen und immer größere Verelendung auf der anderen Seite – all das erleben wir. Wir erleben, wie wieder immer mehr Kriege geführt und die nächsten vorbereitet werden, um Absatzmärkte und Rohstoffzufuhr sicher zu stellen. Und nun erleben wir eine gespenstische, quer durch die Republik organisierte Diskussion über offen rassistische und volksverhetzende Haltungen. Was soll das anderes sein als ein Test, wie weit man schon wieder gehen kann? Wie man Arbeiter gegen andere Arbeiter hetzen kann, Deutsche gegen andere Völker? Wie man uns so gespalten immer weiter entrechten kann ohne dass wir uns wehren?
Sarrazins Rassenwahn ist ein Angriff auf die gesamte Arbeiterklasse. Es gibt nur eine Antwort darauf: unsere Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen, gleich welcher Herkunft und Nationalität!
gr
aus: „Auf Draht“, eine Zeitung, die vor Münchner Betrieben verteilt wird, hrsg. von DKP München und Gruppe KAZ München, 28.09.2010.
1 SZ 11./12.9.2010, S. 3
2 zit. nach „Spiegel online“, 13.5.2009
3 Spiegel online 13.5.2009
4 Zit. nach „Der Haßprediger“ von Michael Zander in: Junge Welt vom 23.9.2010
5 Spiegel online 4.9.2010
6 newsticker.sueddeutsche.de 4.9.10