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KAZ-Fraktion: „Ausrichtung Kommunismus”

Stuttgart 21 – Alle reden vom Wahnsinn. Wir fragen nach Klasseninteressen.[1]

Zehntausende auf den Beinen, pfiffige Aktionen, witzige Sprüche und auf der anderen Seite die Dumpfbacken von Bahn, Stadtverwaltung und Landesregierung. Da trifft es keine Falschen, da hüpft das rebellische Herz.

Merkwürdig nur: die relative Zurückhaltung der Polizei, die in Stuttgart und Umgebung für ihre Brutalität beim Einsatz gegen linke Nazi-Gegner bekannt ist.[2] Und dann sieht man die Teilnehmer an den Aktionen. Wie selten bei großen Demonstrationen: nicht nur die „üblichen Verdächtigen“ aus Betrieb, Gewerkschaft und linken Organisationen und Bewegungen, sondern in großer Zahl auch „ganz normale“ Leute, was klassenmäßig ausgedrückt nichts anderes heißt: Kleinbürgertum[3] und obere Schichten der Arbeiterklasse. Es sind die Schichten, um die sowohl die Klasse an der Macht, die Monopolbourgeoisie, als auch die Klasse der zukünftigen Macht, das Proletariat, als Bündnispartner ringen.

In der Auseinandersetzung um das Bahnprojekt drohen in Stuttgart Teile dieser bewährten Stützen für die Monopole wegzubrechen:

– Die SPD in Baden-Württemberg, die sich für die oberen Schichten der Arbeiter im Ländle zuständig fühlt, droht es zu zerreißen. Die langjährigen Befürworter von S21 kommen unter starken Beschuss.

– Bislang profitieren die Grünen, die sich zum Sprachrohr für das demokratische Kleinbürgertum aufschwingen.

Zwar haben sich IG Metall, ver.di und DGB in und um Stuttgart gegen S21 positioniert, aber kämpferisch klingen die Stellungnahmen nicht und vor allem: Wo bleiben Aktionen in den Betrieben? Drei Tage Streik bei Daimler in Untertürkheim, in Cannstadt oder Sindelfingen und beim Bosch und Porsche – da wären die S21-Gallionsfiguren ganz schnell bei Baustopp und müssten verhandeln. Doch bei der IGM Stuttgart haben noch Betriebsräte der Automobilkonzerne das Übergewicht, die deren Sache zu der ihren gemacht haben. Und der Bezirksleiter der IGM, J. Hofmann ist immer noch im Unterstützerkreis für S21. Und ganz nebenbei: Wo ist denn bei diesem Bauprojekt S21 eigentlich die IG BAU? In einer Stellungnahme vom 20.08.2010 ist zu lesen: „BAU-Vorsitzende warnt vor Subunternehmern. Das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 ist auch für die IG BAU eine Herkulesaufgabe. ,Gemeinsam mit dem Zoll wollen wir darauf achten, dass die Großbaustelle sauber ist’, sagte Inge Hamm, die neue Landeschefin der IG Bauen-Agrar-Umwelt (BAU), der Nachrichtenagentur dpa. Von 14 Gewerkschaftssekretären im gesamten Land werde einer für diese Aufgabe abgestellt. Allerdings sei Schwarzarbeit bei Großbaustellen an der Tagesordnung und für die Bauherren wegen der langen Subunternehmer-Ketten nur schwer beherrschbar. Sie sei froh über die frühe Razzia des Zolls bei Stuttgart 21.Dass von elf Mitarbeitern acht auffällig gewesen sind, ist ganz schön dreist für eine Baustelle, die so im Fokus steht.’[4] „Kollegin“ Hamm sieht S21 wohl in erster Linie unter Arbeitsbeschaffung und Jagd auf „unsaubere“ Kollegen!?

Die meisten linken Kräfte sind froh, dass sich endlich etwas bewegt und beteuern, dass von Links zuerst zum Widerstand gegen S21 aufgerufen wurde. Die Auseinandersetzung darüber, was in die Bewegung hineinzutragen ist, wie ihr eine Perspektive eröffnet werden kann, wird aber nicht systematisch geführt.

Einheit ist ein teures Gut, das nicht durch Zukleistern von Gegensätzen erhalten wird. Es muss auch klar ausgesprochen werden, wo unsere Klasseninteressen liegen und worin sie sich von den anderen Klassen und Schichten unterscheiden (das ist letztlich auch eine Erfahrung aus Glanz und Elend, Aufstieg und Niedergang der großen Friedensbewegung Anfang der 1980er Jahre). Diese Auseinandersetzungen werden unterschwellig ohnehin von den anderen Klassenkräften geführt: über taktische Fragen, über Kampfformen, über Kompromissschienen. Da werden dann schon die Stöckchen ausgepackt, über die gehüpft werden soll. Wie immer natürlich die „Gewaltfrage“, nicht nur um die Zahmheit des Protests zu garantieren, sondern immer wieder den Widerstand in eine Rechtfertigungshaltung zu drängen, immer wieder Druck aufbauen, um sich von irgendwelchen „störenden“ Gruppierungen zu distanzieren - und das im Angesicht der Abrissbirnen.

Unterschiedliche Klassen – unterschiedliche Interessen

Das Proletariat ist die einzige Klasse, die Lösungen jenseits des Kapitalismus anstreben muss, Lösungen, die einen radikalen Bruch mit den bestehenden Macht-, Produktions- und Eigentumsverhältnissen bedeuten. Dies im Gegensatz zu allen anderen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft, die nach Lösungen im Kapitalismus suchen. Das Proletariat muss fragen, wie kann diese Gesellschaft überwunden werden, nicht wie kann man sich besser in ihr einrichten oder wie kann sie besser repariert werden. S21 heute verhindern ist dabei nicht das Kriterium für Erfolg oder Misserfolg. Kriterium ist, ob im Kampf um seine Verhinderung das Bewusstsein, die Organisertheit und Kampfkraft der Arbeiterklasse und ihrer Bündnispartner wächst.

Das Kleinbürgertum will zunächst seine Stellung im Kapitalismus erhalten und verteidigen und nicht hinabsinken ins Proletariat. Erst wenn die Illusionen über Sicherheit und Aufstieg verfliegen, wird der Blick für eine andere, eine sozialistische Zukunft geöffnet. Aus dieser Klassenlage ergibt sich der Hang des Kleinbürgertums zu faulen Kompromissen, zum Zurückweichen, zum Schnappen nach jedem Zuckerstückle, zum Hin und Her-Schwanken, aber auch die Fähigkeit zu Buntheit, Spontaneität. Denn Grüne, Arbeiteraristokraten und andere besser gestellte Arbeiterschichten neigen dazu, sich an ihren Kapitalisten anzulehnen. Kleinkrieg mit dem Kapital ja, aber im Rahmen des Kapitalismus und auf dem Boden des Gesetzes – und immer die Arbeitsplätze im Blick. Sie hoffen, wenn es dem Kapital gut geht, geht es ihnen auch besser. Die Krise hat aber auch hierzulande Viele ins Zweifeln gebracht.

Die Widersprüche im Monopolkapital

Und in der Monopolbourgeoisie selbst ist keine Einheit bezüglich S21. Und darin liegt auch das Problem für die schwarz-gelben Führerkreise in Stuttgart. Dort kennt man nur eine Orientierung: Monopolkapital und wem das zu unscharf ist: In Stuttgart sitzen die Zentralen von Daimler, Porsche und Bosch. Und hinter denen stehen dann die Deutsche Bank und die anderen Banken bis hin zum heruntergewirtschafteten Sanierungsfall LBBW. Die führen wiederum die Baukonzerne am Zügel – bei S21 ist Bilfinger Berger vorne dran, die Immobilienwirtschaft hängt von ihnen ab. Und wer liefert Gleise, Signalanlagen, Waggons? Und wer die Motoren für die Lokomotiven, die Klimaanlagen für den ICE? Und die warten alle auf Aufträge. Auf Aufträge, die der Steuerzahler finanziert, bei denen es nichts ausmacht, wenn die Kosten am Ende doppelt oder zehnfach so hoch sind als ursprünglich veranschlagt.

Aber auch die Konkurrenz um die Plünderung der Staatskasse ist nicht zu unterschätzen. Es soll auch Firmen geben, die nicht von S21 profitieren, die den genannten Geiern die Aufträge neiden, die – auch die staatlichen Mittel sind nicht unendlich – subventionierte Aufträge für sich und nicht für S21 fordern. Mehr Forschungsgelder für Chemie und Elektro. Auch mehr Aufträge für die Rüstung oder vielleicht doch direkte Stütze für die marode Bank von nebenan statt in den Rachen von S21. Es soll sogar Kräfte in der „Autostadt“ Stuttgart geben, die in der Bahn generell eine Konkurrenz zum Automobil sehen. Denen geht das Kaputt­„sanieren“ von Bahn und öffentlichen Verkehrsmitteln noch zu langsam. Aber es gibt auch solche, die der Bahnführung misstrauisch gegenüberstehen, weil sie direkt aus dem Stall von Daimler (DASA/EADS) kommt wie einstmals Mehdorn und jetzt auch wieder Grube.[5] Das sind Widersprüche im Monopolkapital und in den herrschenden Kreisen.

In dieser Gemengelage wird dann Orientierung selbst bei Mappus und Co zur Lebensfrage: Monopol-Orakel sprich doch!

Und da sind auch noch die Leute aus der Stuttgarter „Halbhöhenlage“, die bis dato zu den treuesten Gefolgsleuten und Vormännern der Großbanken und Industriekonzerne zählten, die nun ins Zweifeln kommen und vom Glauben an die Segnungen der Politik des Stuttgarter Bürgerblocks abzufallen drohen. Jetzt wo die Beschwernisse und Belästigungen durch S21 unmittelbar Realität werden sollen, und das ohnehin schon „gestaute“ Stuttgart für die nächsten 15 Jahre zur Dauerbaustelle zu werden verspricht. Oft sind es langjährige CDU-Wähler, die jetzt den „Schwarzen Block“ bei den Aktionen bilden.

Kampf um Demokratie

Diese für den Widerstand gegen S21 günstige Situation gilt es zu nutzen. Es gilt den Kampf zuzuspitzen auf die Frage der Demokratie.

Treffend hat ein bekannter Publizist die Zusammenhänge auf den Punkt gebracht:

Der Kapitalismus überhaupt und der Imperialismus insbesondere verwandelt die Demokratie in eine Illusion – und zugleich erzeugt der Kapitalismus demokratische Bestrebungen in den Massen, schafft er demokratische Einrichtungen, verschärft er den Antagonismus zwischen dem die Demokratie negierenden Imperialismus und den zur Demokratie strebenden Massen. Der Kapitalismus und der Imperialismus können durch keinerlei, auch nicht durch die ‚idealsten‘ demokratischen Umgestaltungen, sondern nur durch die ökonomische Umwälzung beseitigt werden; ein Proletariat aber, das nicht im Kampf für die Demokratie erzogen wird, ist unfähig, die ökonomische Umwälzung zu vollziehen.“ (Lenin, Antwort an P. Kijewski (J. Pjatakow), LW23, S.13)

Hier die Interessen der Konzerne – hier die Interessen der Bevölkerung. Hier die Vertreter von Profitinteressen – hier – zu wählende – Vertreter der Volksinteressen. Hier das gnadenlose Durchziegeln eines Großprojekts von zweifelhaftem Nutzen im Interesse einer kleinen Clique – hier eine zunehmende Mehrheit der Bevölkerung, die es satt hat, von Oben belächelt, bevormundet und geprügelt zu werden.

Lange genug haben sich die Leute hier alles gefallen lassen im Schwabenland: Belogen und betrogen und dazu die besserwisserische Arroganz vom Landeskracher Öttinger und die feiste Überheblichkeit von seinem Nachfolger Dr. Mappuse. Weg damit – nicht erst bei den Landtagswahlen.

Corell

1 „Das Bewusstsein der Arbeiterklasse kann kein wahrhaft politisches sein, wenn die Arbeiter nicht gelernt haben, auf alle und jegliche Fälle von Willkür und Unterdrückung, von Gewalt und Missbrauch zu reagieren, welche Klassen diese Fälle auch betreffen mögen, und eben vom sozialdemokratischen (das war im Jahr 1902 noch gleichbedeutend mit revolutionär – Corell)und nicht von irgendeinem anderen Standpunkt aus zu reagieren. Das Bewusstsein der Arbeitermassen kann kein wahrhaftes Klassenbewusstsein sein, wenn die Arbeiter es nicht an konkreten und dazu unbedingt an brennenden (aktuellen) politischen Tatsachen und Ereignissen lernen, jede andere Klasse der Gesellschaft in allen Erscheinungsformen des geistigen, moralischen und politischen Lebens dieser Klassen zu beobachten; wenn sie es nicht lernen, die materialistische Analyse und materialistische Beurteilung aller Seiten der Tätigkeit und des Lebens aller Klassen, Schichten und Gruppen der Bevölkerung in der Praxis anzuwenden. Wer die Aufmerksamkeit, die Beobachtungsgabe und das Bewusstsein der Arbeiterklasse ausschließlich oder auch nur vorwiegend auf sie selber lenkt, der ist kein Sozialdemokrat, denn die Selbsterkenntnis der Arbeiterklasse ist untrennbar verbunden mit der absoluten Klarheit nicht nur der theoretischen ... sogar richtiger gesagt: nicht so sehr der theoretischen als vielmehr der durch die Erfahrung des politischen Lebens erarbeiteten Vorstellungen von den Wechselbeziehungen aller Klassen der modernen Gesellschaft.“ (W.I. Lenin, Was tun?, LW 5, S. 426)

2 Der Artikel war Mitte September inhaltlich abgeschlossen. Am 1. Oktober 2010 wurde zur Durchsetzung der ersten größeren Baumfällung brutal gegen die vielen Tausenden von Protestierern vorgegangen. Sanitäter berichteten von über 300 Verletzten, dabei mindestens 10 mit Knochenbrüchen. Besonders übel gingen die bewaffneten Kräfte gegen eine Kundgebung von Schülern vor. Der zuständige Innenminister Rech will demnächst Eltern und Lehrer zur Verantwortung ziehen! Legen wir ihm das Handwerk!

3 Kleinbürgertum ist hier ausdrücklich nicht als polemische Redewendung verwendet, sondern zur Bezeichnung einer sozialen Schicht, die von kleineren und mittleren Bauern und Handwerkern bis hin zur Intelligenz reicht.

4 (http://gewerkschaftergegens21.de, Abruf 20.9.2010)

5 Daimler hat sich durch den Verkauf seiner Bahn-Sparte Adtranz an Bombardier im Jahr 2001 aus dem direkten Bahngeschäft weitgehend verabschiedet. Dagegen ist Daimler weiterhin aktiv als nicht nur als Hersteller Autos, sondern auch von Bussen, LKW und nicht zuletzt von Flugzeugen, also Produkten, die in direkter Konkurrenz zur Bahn stehen. Da gilt es, die Kontrolle über die Bahn zu behalten.

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