„Üppig ist anders“, schreibt die Frankfurter Rundschau am 9.2.2011 zur 3,2-Prozent-Lohnerhöhung bei VW. Und in der Märzausgabe 2011 der metallzeitung heißt es auf Seite 5: „Die Beschäftigten selbst hatten sich teils mehr erhofft“, berichtet Walter Fabian aus dem Hannoveraner Werk. „Die Werke brummen wie der Teufel. Die Belastungen sind hoch, weil viele Überstunden gekloppt werden. Das wollen die Kollegen honoriert sehen.“ Bei genauerem Hinsehen kann sich das Ergebnis aber gut sehen lassen, findet er. „Schließlich müssen wir bei Tarifverträgen immer die längerfristige Wettbewerbssituation im Blick haben.“
„3,2 Prozent mehr Geld erhalten die VW’ler ab Mai. Außerdem gibt es eine Einmalzahlung: ein Prozent eines Jahresentgelts, aber mindestens 500 Euro, Azubis 200 Euro.“ (metallzeitung 3/2011).
Wie Kollege Fabian hat auch Konzernbetriebsratsvorsitzender Osterloh die „Wettbewerbssituation“ schon „längerfristig“ im Blick (siehe KAZ 330). So hieß es z.B. in einem dpa-Bericht vom 18. 06. 2007 unter der Überschrift, „Betriebsrat will VW-Produktivität verdoppeln“: „,Wir brauchen Steigerungen bei der Produktivität, um uns im harten internationalen Wettbewerb durchzusetzen’, sagte Betriebsratschef Bernd Osterloh heute in Wolfsburg. Durch technische Verbesserungen, fertigungsgerechtere Konstruktion und Optimierung der Arbeitsabläufe sei dies zu realisieren. ,Da sind sich Vorstand und Betriebsrat einig’, sagt Osterloh.“
Was 2007 und 2010 fürs VW-Kapital notwendig war, um „im harten internationalen Wettbewerb“ bestehen zu können, gilt natürlich auch für 2011. Dementsprechend hat Konzernbetriebsratsvorsitzender Osterloh in der Wolfsburger Allgemeinen vom 09. 02. 2011 festgestellt. „Wir haben mit dem Tarifergebnis dem Faktor der Wirtschaftlichkeit Rechnung getragen, die Arbeitsplätze sicher gehalten und einen deutlich besseren Abschluss als in der Fläche erzielt“.
Um den „Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit“ ist es auch in einer Ortsvorstandssitzung der IGM in Wolfsburg zur Vorbereitung der Tarifrunde gegangen. Ein Mitglied der IGM-Verhandlungskommission erklärte, die Forderungen aus der Braunschweiger Belegschaft und eine angestrebte 4 vor dem Komma wären zu hoch angesetzt. Das geht aus einem in der UZ vom 25. Februar 2011 veröffentlichten Bericht der DKP-Betriebszeitung „roter Käfer“ für VW-Braunschweig und Wolfsburg hervor. U.a. wird darin eine Kollegin wie folgt zitiert: „Da reden alle von 3,2 Prozent. Ja können die nicht rechnen? Bei einer Laufzeit von 16 Monaten sind das 2,4 Prozent aufs Jahr gerechnet. Und dann so ein Abschluss, bei einem Betrieb, der am besten gewerkschaftlich organisiert ist, wo die Gewinne nur so sprudeln? Das ist in den letzten Jahren, Reallohnverlust, wenn man die Preissteigerungen und die Inflationsrunde bedenkt. Sie kritisierte scharf die IG-Metall-Sekretäre, die davon reden, dass ,wir’ wettbewerbsfähig bleiben müssen. Wenn wir das Argument der Wettbewerbsfähigkeit akzeptieren, dann sind solche Abschlüsse nur eine logische Folge. Es ist eh schon schwer bei VW die Kollegen bei Tarifverhandlungen hinterm Ofen hervor zu bekommen. Wenn sie dann noch nicht mal mit einbezogen werden in die Tarifverhandlungen, brauchen wir uns darüber nicht zu wundern.“
Der IGM-Vorstand will das Argument von der Berücksichtigung der Wettbewerbsfähigkeit des Kapitals mit allen Mitteln auf dem in der Zeit vom 9. bis 15. Oktober diesen Jahres stattfindenden 22. ordentlichen Gewerkschaftstag in der IGM durchsetzen. Das ist nachzulesen in einem als Vorbereitung für die Stellung von Anträgen vorgelegten 39 seitigen Papier: „Gute Arbeits- und Entgeltbedingungen sind nur dann gesichert, wenn betriebliche Durchsetzungsfähigkeit vorhanden ist. Diese wird seit über einem Jahrzehnt dadurch geprägt, dass betriebliche Interessenvertretungen, Belegschaften und einzelne Beschäftigte unter den Vorzeichen neuer Unternehmenssteuerung immer stärker selbst zu Akteuren im Wettbewerb werden. Deshalb kommt es mehr denn je darauf an, sie in die Politikentwicklung und die betriebs- und tarifpolitischen Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Dies ist eine Voraussetzung für wirksame Tarifpolitik.“ (S. 28)
Die Arbeiter werden selbst „zu Akteuren im Wettbewerb“. Was heißt denn das? Dann müssten ja die Arbeiter bei VW gegen die bei BMW, Daimler, Opel ... kämpfen! Dann sollte sich doch die IG Metall am besten in mehrere Gewerkschaften, für jeden Konzern eine, aufteilen, die dann gegeneinander kämpfen – als „Akteure im Wettbewerb“!
Natürlich geht es auch um den internationalen Wettbewerb. In der Süddeutschen Zeitung vom 26./27.2.2011 heißt es über VW: „Europas größter Autohersteller ist im vergangenen Jahr seinem Ziel näher gekommen, bis 2018 den japanischen Konkurrenten Toyota als die Nummer eins weltweit abzulösen.“ Mit dem jetzigen Tarifvertrag geht es weiter auf diesem Weg. Und nicht nur das: „Erdbeben kostet Toyota Platz eins“, heißt es in der österreichischen Zeitung „Der Standard“ vom 15.3.2011.
Ist das nicht wunderbar? Da könnten ja die Arbeiter bei VW als „Akteure des Wettbewerbs“ auf dieses unverhoffte Geschenk der Naturgewalten anstoßen. Da könnte man ja fast fromm werden: Mit Gott für VW und Vaterland ... Oder?
Es steht jetzt schon fest, dass der Mehrheit der VW-Belegschaft von ihrer lächerlichen Lohnerhöhung so gut wie nichts übrig bleibt. Das geht aus einer Prognose des bei der Hans-Böckler-Stiftung angesiedelten Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hervor. Die SZ berichtete am 2. März 2011 darüber unter der Überschrift „Der Traum von drei Prozent“. Danach rechnet IMK-Direktor Gustav Horn trotz hoher Lohnforderungen von fünf bis sieben Prozent nur mit Lohnsteigerungen von 2,0 bis 2,5 Prozent. Dazu stellte er fest: „Da bleibt bei steigenden Preisen für Energie und Lebensmittel sowie leicht höheren Sozialabgaben immer weniger für eine positive Reallohnentwicklung und einen Zuwachs beim privaten Konsum übrig“.
Haben das die Verantwortlichen der IG Metall wirklich so gemeint?
Wie haben es denn die Gewerkschaftsführer 1914 gemeint, als sie im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Kapitals die Arbeiter mit Hassparolen gegen andere Völker in den 1.Weltkrieg gehetzt haben? Wie haben es denn die Führer des ADGB (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund) gemeint, als sie immer neue Vorschläge zur Zusammenarbeit mit dem Kapital aus der Tasche zogen statt den Kampf gegen Kapital und Faschismus zu führen? Wie meinen es denn Huber und Co., wenn sie die Bundesregierung anbetteln, sie soll die Rüstungsproduktion ausweiten? Dass sich diese gut bezahlten Typen immer wieder zwischen uns und das Kapital stellen und unsere Kämpfe verhindern können, hat zwei vom deutschen Imperialismus angezettelte Weltkriege möglich gemacht. Und diese beiden Weltkriege haben unvergleichlich viel mehr Menschenleben gekostet als jede bisher bekannte Naturkatastrophe.
Diese Politik der Klassenzusammenarbeit und Vaterlandsverteidigung hat der IGM-Vorstand in seinen Thesen (S.15) so formuliert:
Das heißt auch für künftige Tarifrunden: Minus X-Prozent für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des Kapitals. Sozusagen als Abschlagszahlung für die Zeit, wenn der Laden mal wieder weniger brummt oder für die nächste Krise – oder notfalls auch für den nächsten Krieg gegen die imperialistischen Konkurrenten, falls weitere Erdbebenkatastrophen im Sinne des deutschen Kapitals ausbleiben.
Vorausgesetzt der Gewerkschaftstag stimmt dem zu – diese Gefahr ist groß – wird damit nachvollzogen, was im Februar 2004 mit dem „,Pforzheimer Abkommen’ festgelegt wurde und zwischenzeitlich in vielen Betriebsvereinbarungen steht: Es gehört zu den gewerkschaftlichen Aufgaben und Zielen, dem Kapital die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und zu stärken.“ Die Kapitalisten werden sich über so viel Verständnis für ihre Argumente freuen, das umso mehr, wenn das auch noch in einer Entschließung des Gewerkschaftstages genagelt werden sollte. Statt dass die Kampfkraft genutzt und gestärkt wird, wird der Kampf des „eigenen“ Kapitalisten um Kapitalanlagesphären, Rohstoffe und Absatzmärkte zum gewerkschaftlichen Ziel erklärt, auf Kosten der Arbeiter – wie bei VW geschehen. Und das dann in einer Situation, in der das VW-Kapital mit vollen Auftragsbüchern, mit Produktion und Milliardenprofiten weltweit eine Spitzenposition einnimmt (s. u.) und die Belegschaft unter der Verschärfung ihrer Ausbeutung nur noch stöhnt.
„2010 waren die Reallöhne, also nach Abzug der Inflation, erstmals seit sechs Jahren um 1,1 Prozent gestiegen. Siebenmal, 2001 sowie in den sechs Jahren von 2004 bis 2009, mussten die Beschäftigten Reallohnverluste hinnehmen. Ob in diesem Jahr ein Plus herausspringt, dürfte vor allem von der Teuerung abhängen. Im Januar kletterte die Inflationsrate erstmals seit mehr als zwei Jahren auf die Marke von zwei Prozent“ (SZ 02. 03. 2011)
Unter dieser Überschrift hieß es am 26./27. Februar in der Süddeutschen Zeitung (SZ):
„Volkswagen steht nach der weltweiten Absatzkrise stärker da als je zuvor. Die am Freitag nach einer Sitzung des Aufsichtsrates vorgelegten Eckzahlen zeigen: Europas größter Autohersteller ist im vergangenen Jahr seinem Ziel näher gekommen, bis 2018 den japanischen Konkurrenten Toyota als die Nummer eins weltweit abzulösen. Aufsehen erregt die kräftige Netto-Liquidität. VW hat jetzt 18,6 Milliarden Euro in der Kasse, vor einem Jahr waren es nur 10,6 Milliarden ... .
Der VW-Konzern steigerte seinen Umsatz um 20,6 Prozent auf 126,9 Milliarden Euro. Dabei konnte der Gewinn mehr als verdreifacht werden – von 1,9 Milliarden auf 7,1 Milliarden Euro.“
Anlässlich einer Pressekonferenz zur Ergebnisvorstellung wurde der Gewinn nochmals um Hundert Millionen auf 7,2 Milliarden Euro nach oben korrigiert. Es sein ein „Blitzstart ins Jahr 2011“ hat VW-Konzernchef Winterkorn dazu der Presse erklärt und außerdem festgestellt: „Das Geschäftsjahr 2010 war für den Volkswagen Konzern das beste Jahr der Unternehmensgeschichte. Damit sind wir 2010 auf die Überholspur gegangen und da wollen wir auch im laufenden Jahr bleiben. Nachdem Volkswagen schon in der Krise seine Robustheit eindrucksvoll beweisen konnte, hat unser Konzern auch im Aufschwung das Feld angeführt“ (Info aus SZ 26./27. 02. u. 11. 03. 2011).
Um im „Aufschwung das Feld anführen zu können“ hat die IGM-Führung – abgesehen von der Unterstützung in den Vorjahren – dem VW-Kapital im Februar 2010 mit dem Tarifvertrag „Konzept zur nachhaltigen Beschäftigungssicherung“ kräftig unter die Arme gegriffen.
Die Belegschaft wird damit entgegen jeglicher gewerkschaftlicher Ziele, tarifvertraglich verpflichtet, für die Laufzeit des Vertrages bis 2014, die Produktivität jährlich um 10 Prozent zu steigern. „Beschäftigte, die ein sicheres Arbeitsverhältnis haben, sind motiviert und bereit an geplanten Produktivitätssteigerungen mitzuarbeiten“, hat dazu der auch für den jetzigen Tarifabschluss zuständige IGM-Bezirksleiter, Hartmut Meine, festgestellt (SZ 17. 2. 2010, KAZ 330).
16 Monate – der Zeitraum der tarifvertraglichen „Friedenspflicht“ – kann der Konzernchef die Belegschaft auf dieser Grundlage ungestört unter Druck setzen. Die VW-Arbeiterinnen und Arbeiter werden hierbei weiter „Überstunden kloppen“, Sonderschichten einlegen und dabei ihre Gesundheit, die Arbeitskraft ruinieren, um dem VW-Kapital zusätzliche Milliarden in die Tresore zu scheffeln, ihre Lohnerhöhung zu ersetzen und VW zur weltweit Nr.1 zu machen. Wie sie sich schon selbst ausgerechnet haben, beträgt die Lohnerhöhung bei der 16 monatigen Tarifvertragslaufzeit aufs Jahr gerechnet nur 2,4 statt 3,2 Prozent. Nach Aussagen im „roten Käfer“ hat der VW-Vorstand bei Planungsgesprächen dafür 300 Millionen Euro einkalkuliert. Vor dem Hintergrund von offiziell zugegebenen 18, 6 Milliarden Euro in der Kriegskasse ist das ein Klacks, ein Betrag, der wie es so schön heißt, aus der Portokasse bezahlt wird.
Und gleichzeitig haben unsere Gewerkschaftsführer sich mal wieder als Streikbrecher Nr.1 in Europa ausgezeichnet. Nicht Rücksicht auf die Kapitalinteressen, sondern Streik wäre nötig gewesen, nicht nur zur Erhöhung der Löhne, sondern mehr noch, um damit zu versuchen, der notwendigen Einheit in unserer Klasse wieder einen Schritt näher zu kommen. Z.B. ein Zeichen dafür zu setzen, dass es mit darum geht, Einheit und Solidarität zwischen Stammbelegschaften, Leiharbeitern und allen anderen im Betrieb schlechter gestellten Arbeiterinnen und Arbeitern herzustellen. Und auch um ein Zeichen dafür zu setzen, dass wir nicht für die Interessen „unserer“ Ausbeuter gegen die Arbeiter anderer Konzerne oder gar anderer Länder zu Felde ziehen. Nur im Klassenkampf gegen die Kapitalisten und ihren staatlichen Gewalt- und Unterdrückungsapparat können wir unsere Interessen verteidigen und durchsetzen. Jeder Cent, den wir den Kapitalisten für uns im Kampf abknöpfen, ist dabei mehr internationale Solidarität als alle Krokodilstränen wegen des Erdbebens in Japan. Die Kapitalisten oder wir, beides zusammen geht nicht, das ist unvereinbar! Und das gilt international.
KAZ-Arbeitsgruppe „Stellung des
Arbeiters in der Gesellschaft heute“
Konzernbetriebsratsvorsitzender Osterloh (2. von links) freut sich mit seinen VW-Betriebsratskollegen: „Wettbewerbsfähigkeit“ von VW und Reallohnverlust der VW-Arbeiter sind gesichert!
Räder rollen für den Krieg bei „Volkswagen“ in den Jahren 1940-45.