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Für Dialektik in Organisationsfragen

Das untote Schneewittchen

Gibt es heutzutage ein größeres Verbrechen, als Kriegsminister der BRD zu sein?

Aber das ist natürlich nicht der Grund dafür, dass Guttenberg zurückgetreten wurde. Weder der Grund, noch die Begründung.

Die Begründung – Diebstahl geistigen Eigentums – wäre sogar im Sinne dieser Gesellschaftsordnung plausibel, denn in Sachen Eigentum – ob geistig oder nicht – versteht die herrschende Klasse keinen Spaß. Es wäre plausibel, wenn nicht vorher zwei gigantische, gegeneinander gerichtete Kampagnen gelaufen wären – eine gegen und eine für Guttenberg.

Die gegen Guttenberg lief zunächst darüber, dass er in Fragen seines Aufgabengebiets gedisst wurde (geöffnete Feldpostbriefe – das hatte bis dahin keinen aufgeregt, eine Offiziersschülerin der Gorch Fock geht über Bord – dass das längere Zeit vorher schon mal passiert ist, ist damals gar niemandem aufgefallen). Dann trat der für die Hintermänner dieser Kampagne glückliche Zufall ein, dass ein demokratisch gesinnter Jura-Professor (solche gibt es gar nicht so viele) aus Bremen einen Verriss der Doktorarbeit Guttenbergs geschrieben hatte (diesem Professor verschlug es erst mal die Sprache, als ihn Journalisten um einen Kommentar zu dem Erfolg seines Artikels baten). Ab dann wurde täglich eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Ob Arbeiterin am Fließband, ob Hartz-4-Empfänger, ob Friseurin oder Automechaniker: sie alle waren plötzlich und unüblicherweise dazu aufgerufen, sich über die Verletzung akademischer Sitten zu ereifern. Als dann schließlich Guttenberg seinen Rücktritt bekannt gab, heulte der Nachfolger seines äußerst nachsichtigen Doktorvaters an der Uni Bayreuth: Wir sind einem Betrüger aufgesessen! Ja, hat denn dieser akademische Pöbel, der freudig und zum eigenen Nutzen die Beseitigung des akademischen Potenzials der DDR mit betrieben hat, keine andere „Wissenschaft“ im Kopf als die, woher gerade der Wind weht bei der Kapitalmacht?

Die Kampagne für Guttenberg lief über die BILD-Zeitung. Schon lange vor der Kampagne gegen Guttenberg pushte sie ihn hoch zum „beliebtesten Politiker“. Die tägliche Botschaft war: und wenn du schon ganz unten bist, und wenn du schon den Kitt von den Fenstern fressen musst, Gutti musst du toll finden! Frau Stephanie durfte als Begleitmusik im wichtigsten Pornoblatt Deutschlands auf Kinderschänder-Jagd gehen. Vor allem aber: Guttenberg wurde als Bundeskanzler aufgebaut, als Hauptrivale für Kanzlerin Merkel. Warum? Da können Rivalitäten zwischen CDU und CSU eine Rolle spielen (in denen sich auch nur verschiedene Strömungen innerhalb des Monopolkapitals widerspiegeln). Eigentlich vertreten Merkel und Guttenberg außenpolitisch (und damit in elementaren Fragen des Krieges) gleichartige Positionen: dass man sich nicht gar so offen mit dem Konkurrenten USA anlegt, und dass man über die Europäische Union die Vorherrschaft des deutschen Imperialismus über Europa zu sichern sucht, und nicht über einen Alleingang Deutschlands (und das wiederum entspricht auch der Politik der BILD-Zeitung). Das Merkel-Bashing der BILD kann also keinen anderen Grund haben, als dass der BILD und den Kapitalvertretern, in deren Auftrag sie arbeitet, Merkel noch nicht reaktionär genug ist.

Diese beiden Kampagnen wurden mit großem Aufwand gesteuert, und sie sind ein Beispiel dafür, wie die Kapitalisten in einer Welt der sich vorkriegsmäßig verschärfenden Widersprüche ihre Auseinandersetzungen untereinander austragen. Dazu brauchen sie dich, Arbeiterin, Tagelöhner, Altenpflegerin, Obdachloser: Hau drauf auf Guttenberg, den Betrüger! Nein, stimme ab für unseren Gutti! Das ist demokratisch! Du darfst entscheiden! Vergiss deine unwichtigen Sorgen! Es geht um Höheres!

Weshalb hat Guttenberg eigentlich so mächtige Feinde? Wir können hier nur ein paar Indizien aufzeigen.

– Wie schon erwähnt, musste Kanzlerin Merkel in Guttenberg einen Konkurrenten sehen, der sie gnadenlos an den Rand drücken würde (sie hatte ja einst schon entsprechend üble Erfahrungen mit Guttenbergs Parteifreund Stoiber gemacht). Als Guttenberg wegen seiner Doktorarbeit angegriffen wurde, nahm sie ihn in Schutz. Ab da war er kein Rivale mehr, sondern Lakai der Kanzlerin. Keine beneidenswerte Position – für die Kanzlerin allerdings sehr schön und angenehm. Dass bestimmte Kapitalkreise das keineswegs als schön und angenehm empfanden, führte dazu, dass dann die Doktorarbeit des so Beschützten in der Darstellung der Medien stündlich schlimmer und krimineller wurde.

– Teile der Guttenberg-Gegner in der herrschenden Klasse missbilligten die BILD-Zeitungs-Kampagne, weil sie es nicht für zweckmäßig halten, die bürgerliche Demokratie zum jetzigen Zeitpunkt völlig zu demontieren. Das wird sehr deutlich in einem Kommentar der großbürgerlichen Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in dem der bezeichnende Satz steht: „... noch aber ist Deutschland eine Republik ...“ (FAZ. NET, 23.02.2011).

­– Eine ständige Quelle von Widersprüchen innerhalb der Bundesregierung und überhaupt bei den Kriegsparteien (insbesondere auch zwischen CDU und CSU) war die sogenannte Bundeswehrreform, also der Ausbau der Bundeswehr als Berufs- und Söldnerarmee. Zum einen gerät die Bundeswehr in Personalnot wegen der eilig vollzogenen Aussetzung der Wehrpflicht. Und Guttenbergs Pläne waren zu unausgereift und zu teuer, wenn auch attraktiv für einige Rüstungsfirmen. Als Guttenberg schon voll unter Beschuss stand – Ende Februar – erreichte er bei Merkel und Schäuble, dass die Sparvorgaben für die Bundeswehr um ein Jahr gestreckt werden. Die Grünen waren empört: „Ohne Spardruck ist die Bundeswehrreform zum Scheitern verurteilt, denn damit entfällt in vielen Bereichen die Notwendigkeit die Strukturen vom Kopf auf die Füße zu stellen“, schimpften sie (siehe Handelsblatt vom 24.02.11). Und vertreten damit die Kapitalkräfte, die die egoistischen Ziele von ein paar Rüstungsfirmen nicht gut finden, wenn sie auf Kosten einer schlagkräftigeren Armee (sprich: einer bestens organisierten staatlichen Mörderbande) geht. Jetzt hat die CDU das Kriegsressort bekommen, und de Maiziere darf sich nun mit einer vergeigten und vermurksten „Bundeswehrreform“ herumschlagen. Die CSU hat das Innenressort bekommen – und kann damit ihren Einfluss geltend machen zur aggressiven, arbeiterfeindlichen Ausrichtung des Staatsapparats, zur Demontage der bürgerlichen Demokratie. Es mutet fast an, als sei die CSU einer der Sieger in diesem Spektakel.

CSU-Minister der Bundesregierung waren in der CSU immer Objekte des Misstrauens. Sie standen stets in dem Geruch, die ganz normalen Tagesgeschäfte zu erledigen, statt die Bundesregierung und auf diesem Weg die gesamte ungeliebte (immer noch) bürgerlich-demokratische Republik zu demontieren. Auch Guttenberg bekam sein Fett ab. Ein Beispiel war die Auseinandersetzung um den Afghanistan-Einsatz bayerischer Polizisten: Bayern hatte als einziges Bundesland lange gezögert, Polizisten nach Afghanistan zu senden. 2009 änderte die bayerische Staatsregierung ihren Kurs in dieser Frage. Strauß-Zögling Gauweiler warf daraufhin Guttenberg vor, „Drahtzieher“ dieser Entscheidung zu sein, worauf Guttenberg mit dem Vorwurf „Populismus“ konterte. Auch in größeren politischen Fragen waren sich Guttenberg und Gauweiler nicht besonders grün. Bei der Presseschlacht um die strafwürdige Doktorarbeit war es ja schon sehr bezeichnend, dass sich alle Welt für fehlende Fußnoten interessiert, während über den Inhalt dieser Schrift kaum jemand redete. Guttenberg hat Lobhudeleien über den EU-Verfassungsvertrag abgeschrieben, und sich damit als extremer politischer Gegenpol zu Gauweiler und Musterknabe der Merkel-Linie positioniert (aus Dummheit, Faulheit oder Berechnung). Jetzt ist natürlich alles anders. Bereits einige Tage vor Guttenbergs Rücktritt war es Gauweiler offenbar schon klar, dass dieser Rücktritt geschehen wird (warum eigentlich?), und er beweinte – wie im Schneewittchen-Märchen – am gläsernen Sarg das Opfer, das noch gar nicht tot war. Tatsächlich bemühte Gauweiler dieses Grimm’sche Märchen in einem Artikel des Münchner Merkur (zit. im Handelsblatt vom 24.02.11): Guttenberg ist das Schneewittchen, Merkel die böse Stiefmutter. Was geschieht nun, nachdem das Schneewittchen von der Stiefmutter vergiftet wurde? Gauweiler höhnt: „Und kein Spiegel sagt mehr, dass hinter den sieben Bergen jemand schöner ist als Frau Königin. Und alle Zwerge skandieren, er hat keine Chance mehr, wir nutzen sie.“ Dies gelte jedoch „nur aus der Perspektive der Regierungschefin, deren Bäume – wie uns am Sonntag in Hamburg auch wieder vor Augen geführt wurde – ja nicht wirklich in den Himmel wachsen“. Aber wer ist nun eigentlich der Prinz, der das Schneewittchen nach deren Wiederbelebung heimführt? Richtig – Gauweiler! Zärtlich raunt er: „Es gibt immer ein ‚Danach’ und unser Freund – wenn er den Kopf oben behält –- wird merken, dass ein paar Narben dem Manne besser stehen als der schönste Anzug.“ Guttenberg sei nämlich „nach wie vor ein besonders begabter Politiker“ und könne „nach dieser Häutung sogar besser werden“. Das ist also der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, wobei natürlich der Prinz der Chef sein soll und nicht Schneewittchen. Sich als Baron in der BILD-Zeitung und bei Facebook vom Volk huldigen zu lassen und zum beliebtesten Politiker gekürt zu werden, ist noch keine handfeste Gegenposition zur bürgerlichen Demokratie. Da hat Gauweiler die elegantere Variante bereit, die er stets propagiert: die plebiszitäre Präsidialdiktatur[1], ganz im Sinne des Rechtsexperten der NSDAP Carl Schmitt (auch wenn das Gauweiler vorsichtshalber nicht ausspricht). Auch sonst muss Guttenberg noch einiges lernen. Zum Beispiel, dass man nicht bei EU-Bejublern abschreibt, sondern ganz woanders – es geht schließlich darum, für das Monopolkapital die Variante des Abschieds von der EU und von der Partnerschaft mit den USA offenzuhalten – und das kann heißen: Krieg unter imperialistischen Mächten, der dritte Weltkrieg. Gauweiler jedenfalls weiß, wo er seine Leute sammeln muss. Er ist immer zur Stelle, wenn ein Schutzpatron für unschuldig verfolgte Reaktionäre gebraucht wird, ob sie nun Möllemann, Steinbach oder Sarrazin heißen.

Soweit die Indizien, die aber nicht wirklich die Frage beantworten, wer hinter diesen beiden Kampagnen stand, welche Kapitalinteressen gewonnen und welche verloren haben (oder ob vielleicht herauskam, was niemand beabsichtigt hatte). Gibt es denn keine Methode, das herauszubekommen?

Doch, es gibt eine Methode, sogar eine sehr einfache: wir müssen siegen. Die Arbeiterklasse muss die Bourgeoisie stürzen und die Macht übernehmen. Dann kommt sie an alle Archive der Bourgeoisie und weiß, was gespielt wurde. So war es auch, als der Hitlerfaschismus besiegt wurde (leider nicht von der deutschen Arbeiterklasse). Die Analysen und Warnungen der KPD wurden durch Fakten bestätigt, die zum Zeitpunkt des Geschehens – beim Aufpäppeln der Hitlerfaschisten und schließlich der Machtübertragung an sie – den Arbeitern nicht zur Verfügung standen.

Vorerst bleibt uns nichts als die Kämpfe der verschiedenen Strömungen innerhalb der Monopolbourgeoisie, in die sie uns ständig hineinziehen will, als Warnzeichen zu nehmen, als Zeichen, dass die Arbeiterbewegung zum antifaschistischen Kampf zurückkehren muss. Und das heißt, ihre Waffen zu schärfen, ihr Streikrecht durch Streik zu erkämpfen, und Gewerkschaftsführer, die den Kampf vermeiden wollen, nicht mehr zu dulden. Das sind die allerersten, elementaren Schritte, damit wir überhaupt weiter kommen, damit wir überhaupt in das Geschehen eingreifen können. Nur auf dieser Grundlage können wir uns noch andere Machtinstrumente erobern, revolutionäre Betriebsräte und proletarische Hundertschaften, wie es sie 1923 in Deutschland gegeben hat. Nur so können wir der faschistischen Gefahr Herr werden, und mit diesen ganzen bürgerlichen Regierungen Schluss machen, die sich stets nur Krieg nach außen und verschärfte Ausbeutung und Unterdrückung nach innen zur Aufgabe machen, und bei deren Kämpfen untereinander es immer auf jeden Fall einen Verlierer gibt: die Arbeiter. Eine Arbeiterregierung – das wäre es, was wir brauchen, und was uns nicht geschenkt wird. Und wenn wir in einer solchen Arbeiterregierung einen Kriegsminister haben, dann hat der nur eine Aufgabe: den Aufstand gegen Kapital und Reaktion zu organisieren.

E.W.-P.

1 Es handelt sich eine scheindemokratische Konstruktion, in dem durch kampagnenhafte Plebiszite (Volksabstimmungen) die bürgerliche Demokratie, die Parlamente, die Parteien und Organisationen (auch und gerade demokratische und kommunistische), Gewerkschaften, Streiks, ja der Klassenkampf ausgehebelt werden soll. Dabei soll der Staatspräsident direkt gewählt und große Machtbefugnisse haben, und dessen Politik (die er für das Kapital durchführt) von Fall zu Fall durch Plebiszite legitimiert wird. Während des Hitlerfaschismus wurden zahlreiche Plebiszite durchgeführt (z.B. Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund, Zustimmung zu Hitler als Führer und Reichskanzler, Ermächtigung der Rheinlandbesetzung, Annexion Österreichs ...).
Weiteres zu den „Theorien“ des Nazi-Juristen Carl Schmitt und zu den „demokratischen“ Absichten Gauweilers siehe KAZ Nr.332, Thesen zur Entwicklung der „Sammlungsbewegung zur Rettung des Vaterlands“ (F.J.Strauß) in Westdeutschland bis 1989/90 und in Westdeutschland und einverleibter DDR ab 1989/90 – hier insbesondere die Thesen 13, 14 und 15.

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