Für Dialektik in Organisationsfragen
Die Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika ist vorbei. Dieser Artikel, der bereits während der Vorrunde der WM auf www.secarts.org erschien, hat sich weniger mit den zu erwartenden sportlichen Highlights als mit den politischen Implikationen der WM befasst – und er bedarf, auch nach Ende der WM, keiner größeren Änderungen. Vielmehr haben sich unsere Erwartungen, dass mittels Sport politische Ziele transportiert werden, bestätigt: Es ist – über alle parteipolitischen Lager der bürgerlichen Kräfte wie auch der SPD und der Grünen hinweg – Konsens, die „Normalisierung“ der Flaggenmeere zu instrumentalisieren. Da findet die Bundesfamilienministerin Schröder, dass das „Schöne an der Weltmeisterschaft“ vor allem darin läge, „dass ein unverkrampfter Patriotismus möglich“ sei. Sie hofft nun, dass „dieses Gefühl auch über die WM hinaus“ bestehen bleibe. Dass das massenhafte Schwenken schwarz-rot-goldener Fahnen Nationalismus sei, sei „Unfug“, befindet auch der Feuilletonchef der Wochenzeitung „Die Zeit“: „Nationalismus“ zeige sich woanders, „bei Neonazis“. Man könne nun endlich mit Nationalsymbolen feiern, „ohne dass daraus ein Vorwurf entsteht“, so auch die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Renate Künast.
Wie wenig die neue „Normalität“ willens ist, all diejenigen, die sich nicht diesem Konsens anzuschließen bereit sind zu dulden, zeigt sich schnell: So berichtet die „Ostsee-Zeitung“ in Rostock von „Wirbel um ein alternatives Public Viewing“. „Fans mit Flaggen“ solle „die Tür gewiesen worden sein“, heißt es empört; der Veranstalter, ein Kulturzentrum, habe seinem Fernsehpublikum das Zeigen nationaler Symbole untersagen wollen und sei deswegen „in die Kritik geraten“. Forderungen nach einer Streichung öffentlicher Zuschüsse für die Einrichtung und nach der Schließung des Hauses werden laut. „Es sagt viel über die Friedlichkeit und Toleranz des neuen Nationalismus aus“, urteilt ein Rostocker Beobachter in derselben Zeitung, „wenn seine Anhänger sofort jene brandmarken, die sich ihm verweigern“. Schlimmer noch: „Deutschland-Hasser terrorisieren Fußball-Fans“, titelte am 29.06 www.berlinonline.de in der deutschen Hauptstadt anlässlich von Streitigkeiten um eine öffentlich platzierte, 100 Quadratmeter große Deutschlandfahne. Diese war wiederholt von Passanten herabgezogen worden, was zur Einrichtung einer Art Bürgerwehr durch die Anwohner führte: wenn die Polizei nicht helfen kann, muss der Blockwart reanimiert werden.
„Normal“ ist, dass vier Wochen im Jahr der Malocher an seinem VW ebenso Tuch für Deutschland zeigt wie sein Boss im Mercedes. Wie wenig ihre Interessen auch sonst gleichgelagert sind: im nationalen Rausch, beim Flagge zeigen sind sie alle „gleich“. Und um ja keine Nachdenklichkeiten in der Öffentlichkeit aufkommen zu lassen, wird die angeblich rein sportliche Dimension des Ganzen monstranzartig davor her getragen; bereit, jede kritische Stimme niederzubrüllen.
„Wir feiern doch nur ein großes Fest!“, so hieß es schon zur letzten WM im Jahr 2006. Dass insbesondere die am Ende siegreichen Italiener nicht mehr zu Gast „bei Freunden“ waren, wurde dabei gerne unter den Teppich gekehrt. Und weil es um Sport bekanntlich nicht geht, wenn in Deutschland internationaler Fußball zelebriert wird, halten wir uns nur kurz mit einem sportlichen Rückblick auf:
Banale Regionalzeitungen titeln am 04.Juli 2006, dem Morgen des Halbfinalspiels Deutschland-Italien: „Kocht die Spaghettis“. Nur eine kleine italienische Minderheit befindet sich unter den 65.000 Zuschauern in Dortmund, die sich entgegen aller FIFA-Regeln natürlich nicht setzen, sondern im nationalen Auftrag über zwei Stunden für ihre deutsche Mannschaft grölen, klatschen und singen.
Schließlich gilt es, die nationale Mission des WM-Titels zu verteidigen. Es ist schon gut nach 23.00 Uhr, als sich die Verlängerung dem Ende zuneigt. Noch zwei Minuten und es gibt mal wieder Elfmeterschießen: Seit es Elfmeterschießen bei großen Turnieren gibt, lieben die Deutschen dies. Viermal seit 1982 (je zweimal im Halb- und zweimal im Viertelfinale) haben sie dies absolviert; alle gewonnen. Ganz im Gegensatz zu den Italienern, die ebenso oft Elfmeterschießen verloren haben. Also man fühlt sich schon als Weltmeister, der kleine Rest ist kein Problem. Spielverderber sind aber die Italiener: Ganz entgegen ihrer traditionellen Spielweise setzen sie im zunehmenden Verlauf der Verlängerung auf Offensive. Wechseln entsprechend ein und kämpfen, als hätten sie einen Rückstand (noch steht es 0:0) aufzuholen. Allein dies müsste fußballerisch gegen die zerstörerischen Elfmeterfreunde belohnt werde,n und ganz genau so kommt es auch. Nach einer mittelmäßig geschossenen Ecke tendelt ein Italiener herum, mehrere deutsche Abwehrspieler gehen nicht direkt ran, ein kurzer Pass und dann ein Schuss, der Schuss des Fabio Grosso. Der immer etwas zu groß beschriebene Kapitän Ballack dreht sich weg (statt sich, wie jeder aufopferungsvolle Deutsche dies zu tun hat, todesmutig in die Flugbahn zu werfen) und dann ist es passiert: 1:0 für Italien. Nur noch wenige Sekunden verbleiben, ein Angriff geht ins Leere und es folgt das 2:0, Ende Aus für Deutschland, kleines Finale im Schwabenland.
Rein fußballtechnisch waren die Verhältnisse damit wieder geklärt. Deutschland blieb Rekord-Vize-Weltmeister und Italien die europäische Nummer 1 bei Weltmeisterschaften (die weltbeste Fußballnation Brasilien ist eh bis auf Weiteres gesetzt). Der WM-Titel Italiens folgte, insgesamt ein sportlich hochverdienter Erfolg. Das in aller Schnelle herbeigestrickte „Sommermärchen“ fand ein verdientes, wenn auch allzu spätes Ende.
Soweit zum Sport. Es ist ein Merkmal der heutigen Zeit, beinahe automatisch in die Ecke der Miesepeter und beruflichen Querulanten gerückt zu werden, wenn man sich die Dreistigkeit herausnimmt, auf die politischen Komponenten dieses ach so „unpolitischen“ Spektakels namens WM hinzuweisen. Ist die WM ein unpolitisches Spektakel; kann man Deutschflagge zeigen, ohne damit – zumindest unbewusst – ein politisches Statement abzugeben; lässt sich „Deutschland“ feiern, ohne die Zustände in der BRD mitzufeiern? Dazu mehr im Folgenden.
Manchmal rutschen die politischen Dimensionen, die ja so lauthals tönend verneint werden, unfreiwillig doch wieder durch: sei es im Kasernenhofton und Frontmeldungs-Grusel der Fußballreporter, deren Sprache vor semimilitärischen Aussprüchen nur so strotzt, sei es bei der ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein, die während des vorgestrigen Deutschland-Spiels Miroslav Klose einen „inneren Reichsparteitag“ andichtete. Sicher, die Frau hat sich postwendend entschuldigt und das Ganze lediglich als Redewendung gemeint. Dass allerdings „ein großer Erfolg/eine große Freude/innere Befriedigung“ ausgerechnet mit den NSDAP-Reichsparteitagen assoziiert wird ist für die Zustände in diesem Land ebenso bezeichnend wie die ausbleibenden Rücktritte nach solch einer Aussage vor Millionenpublikum. Sport als Transporteur politischer Botschaften hat eine lange Tradition. Bereits 1936 nutzte die Führung des deutschen Faschismus die nach Berlin vergebenen Olympischen Spiele, um ein (offiziell so tituliertes) „Fest der Völker“ als gigantisches Propagandabrimborium zu inszenieren: politische Beschwichtigung nach außen, Brot und Spiele nach innen. Wenige Jahre später machten sich die Faschisten daran, viele der beteiligten Nationen zu überfallen.
Gerade Fußball eignet sich in Deutschland traditionell als sozialer „Blitzableiter“ und nationalistisches Derivat: das als patriotisches Erweckungserlebnis hochstilisierte (und passend zur letzten, „deutschen“ WM filmtechnisch reanimierte) „Wunder von Bern“ setzt hier die Maßstäbe. Nach dem verlorenen Weltkrieg musste die Fußball-Elf als Miniatur-Wehrmacht die Schlachten nachträglich gewinnen; die (durchaus so wahrgenommene) militärisch-strenge „Zucht und Ordnung“ unter Trainer Herberger rechtfertigte im Nachhinein die verworfenen Ideale einer verratenen und verkauften Generation. Übrigens sollte die Fußball-WM, die dann kriegsbedingt abgesagt wurde, 1942 in Deutschland stattfinden. Die Planungen dazu waren übrigens völlig unpolitisch erfolgt, versteht sich.
Den Menschen geht es dreckiger als jemals zuvor im wirtschaftswundernden Nachkriegs-Deutschland; die Arbeitslosigkeit kratzt nicht nur absolut, sondern auch prozentual wieder an historischen Spitzenwerten. Mit einer Vielzahl politischer Kampagnen, wie „Du bist Deutschland“, „Deutschland – Land der Ideen“ oder dem problemlos nationalistisch ausbeutbaren Grand-Prix-Sieg „der Lena“, soll ein nationales Heimeligkeitsgefühl als Ersatz für den Verlust sozialer Sicherheiten angeboten werden. Da lief die höchste Mehrwertsteuererhöhung (schon jetzt die Massensteuer überhaupt, höher als die Lohnsteuer) der Geschichte mit 3% schon während der letzten WM 2006 ebenso locker durch, wie das asoziale Sparpaket der bürgerlichen Regierung diesmal während der WM durchgepeitscht werden wird. Ironie am Rande, über die sich das Lachen verbietet: ein nicht unerheblicher Prozentsatz derjenigen, die am vergangenen Sonntag Abend mit erigierten Deutschland-Flaggen und extatischem „Deutschland, Deutschland“-Geschrei durch die Straßen zogen, wird an diesem Montag Mittag in irgendwelchen „Agenturen für Arbeit“ um die wie immer viel zu wenigen Sitzplätze in den Fluren rangeln. Der hier abgefeierte Staat erweist sich wieder einmal als undankbares Objekt der Freude.
Nun werden die wenigsten, die derzeit feiernd durch die Straßen ziehen, eine gedankliche Verbindung zwischen der Bundeswehr in Afghanistan, Senkung der Hartz-IV-Sätze und sozialem Kahlschlag durch Schwarz-Gelb einerseits und dem inszenierten, gut geplanten und längst generalstabsmäßig durchorganisierten „spontanen“ Volksfest WM andererseits herstellen. Abgesehen von einer nicht auszurottenden Minderheit rechter, nationalistischer Grenzdebiler geht es den meisten „Fans“ ebenso wenig um Politik, wie es ihnen – lustiger Weise – um Fußball geht: das Gemengelage an Motiven ist komplexer und besteht nicht zuletzt aus dem eher kindisch-regressiven Wunsch, „noch mal“ so viel Spaß wie „damals 2006“ zu haben – öffentliche Besäufnisse, Grölereien und andere kleine Freuden des „public viewings“ inklusive. Entrüstet und (subjektiv ehrlich) beleidigt würden die allermeisten der Beflaggten auch reagieren, wenn ihnen Nationalismus unterstellt würde, nur weil sie die deutsche Hymne singen oder die deutsche Flagge in Form von Miniröcken, Kondomen oder Tops tragen.
In politischer Hinsicht ist die aktuelle, nationale Welle denn auch um eine beachtliche Variante ergänzt. Der traditionell rechts-konservativ gestrickte Deutsche Fußballbund (für Eingeweihte: „Fußballmafia-DFB“) hat sich unter dem zweifellos demokratisch gesinnten Präsidenten Zwanziger ein neues Image gegeben und greift damit ein. Während bis in die 1970er-Jahre beispielsweise Frauenfußball schlicht verboten war („für deutsche Mädel gibt es doch so viele, weniger kämpferischere Sportarten“) und zeitweilig niemand in der Nationalmannschaft antreten durfte, der als sogenannter „Legionär“ seine Kohle außerhalb der Bundesliga verdiente, ist die Nationalmannschaft plötzlich „mass integration“. Unser nationales Flagschiff ist Multi-Kulti, es spielen Jungs mit Eltern aus vieler Herren Länder, vereint in unserer schönen Gesellschaft. Und das stellen wir auch mal gerne heraus, allerdings sollten schon auch alle die Hymne (die ja eigentlich keine offizielle ist), mitsingen. Danach kann dann, wer mag, auch noch kurz zu Allah oder dem Papst beten.
Der offensive Umgang mit der Herkunft der Spieler ist neu. Plötzlich werden dabei zum Beispiel auch die in Polen geborenen Auslandsdeutschen in die Gruppe „Migrationshintergrund“ einsortiert. Daneben haben wir jetzt auch Spieler mit türkischen, bosnischen, ghanaischen usw. Eltern und das ist doch toll!
kann man das auch gut finden, hieß es früher mal. Heute sind die dumpf-völkischen Plattitüden, mit denen sich ja bereits 2006 die NPD freiwillig vom bis dato größten nationalen Taumel in der BRD ausgeschlossen hatte („weiß ist mehr als eine Trikot-Farbe“), weitgehend verschwunden: Selbst die offenen Faschisten, sonst immer gerne verbalradikal „gegen das BRD-System“, machen auf schwarz-rot-goldenen Bundespatriotismus. Zu sehr muss den Herren von Ultrarechts der Schock, plötzlich von der immer herbeigesehnten nationalistischen Welle einfach überrannt worden zu sein, noch in den Knochen stecken.
Es geht gerade auch ohne völkischen Rassismus – die bürgerlich-parlamentarisch-demokratische Variante nationalistischen Hochgefühls ist (derzeit) hoch mobilisierungsfähig. Und mit dem bewussten Zur-Schau-stellen des „ethnischen“ Hintergrundes der Multi-Kulti-Deutschland-Mannschaft werden selbst die Schichten der Bevölkerung erodiert, die vorher noch ein gewisses Unwohlsein empfunden haben mögen, wenn allzu viele Deutschland-Fahnen aufgezogen wurden: auch der grüne Sozialarbeiter, der demokratisch gesinnte Lehrer, der kritische Student kann nun, wo doch das WM-Team selbst Vorreiter in Sachen Integration ist, unbesorgt mitfeiern und „dafür“ sein. Wofür? Für jeden ist ein Bonbon dabei in der bunten Tüte WM: Für die (wenigen) echt am Spiel interessierten Fußballfreunde, die das „jüngste deutsche Team aller Zeiten“, das nix zu verlieren, aber viel zu gewinnen hat, spieltechnisch sympathisch finden. Für die Fun-Generation, die am liebsten durch Alkopops benebelt vor öffentlichen Großbild-Volksempfängern herumlungert und sich nationaler Erkennungssymbole eher als neckischer Accessoires bedient. Auch für die Gutmenschen, die beinahe zwanghaft immer gerne überall dazugehören wollen, aber bisher Hemmungen hatten, die nun – wo doch alles „Multi-Kulti“ ist, überwunden scheinen. Und für die unverbesserlichen Altnazis und Herrenmenschen auf Hartz-IV der „Pitbull-Germany“-Fraktion natürlich, denen nur noch einer abgeht, wenn dabei die erste Strophe der Hymne skandiert werden darf. Inflationierung der Gründe, dafür zu sein, ist auch eine Strategie, mit den Nörglern, notorischen Miesmachern und sportlichen Wehrkraftzersetzern fertig zu werden.
An der Realität geht diese schöne Inszenierung der nicht ausgrenzenden, sondern tödlich umarmenden Volksgemeinschaft allerdings knallhart vorbei. Auch, wenn es mehr als unpopulär ist, gerade jetzt auf einige Fakten aufmerksam zu machen – es geht kein Weg drum herum:
– Trotz allen Geredes über die schön bunt gemischte multiethnische deutsche WM-Mannschaft bleibt das „ius sanguinis“, das Blutrecht („Deutscher ist, wer deutschen Blutes ist“), in Kraft. Nicht der, der hier geboren ist, lebt, arbeitet und Steuern zahlt, sondern der, der „deutsch“ durch „deutsches Blut“ ist, wird Staatsbürger – von einigen Vorzeigesportlern mal abgesehen.
– Die soziale und ökonomische Realität der allermeisten Menschen „mit Migrationshintergrund“ ist prekär – prekärer noch als die der Deutschstämmigen an den unteren Rändern der Klassengesellschaft. Damit diese Situation auch prekär bleibt, wird etliches nicht gemacht: eine nötige Reform des feudalen dreigliedrigen Schulsystems beispielsweise, das Klassen- und Bildungsschranken zementiert.
– Als nicht gerade kriegswichtiger Sportler, unentbehrlicher Arbeiter oder eingemeindeter Beutedeutscher ist der Spaß an der Multi-Kulti-Gesellschaft oft auch schnell wieder vorbei, wenn die Abschiebung droht: wie jüngst für viele Roma aus dem Kosovo, die in ihr kaputt gebombtes Rumpfland ausgewiesen werden, droht ein rasches Ende der Party, wenn die Kosten den Nutzen übersteigen ...
Rein sportlich ist die gewandelte Zusammensetzung der Mannschaft zunächst nur Einsicht in die Notwendigkeit. Kinder und Jugendliche mit sogenanntem Migrationshintergrund sind eben massiv Teil der gesellschaftlichen Realität und in gewissem Umfang sicher auch manchmal diejenigen, die intensiver trainieren und versuchen ihre gesellschaftliche Stellung in einer benachteiligten Gruppe durch Fußball zu überwinden. Dies ist auch schon etwas länger so, doch wurden diese Talente zeitweilig auf Anweisung des Bundestrainers Vogts ausdrücklich weniger gefördert (in Lehrgängen usw.) und außerdem hinsichtlich der Nationalmannschaft eher abgelehnt. Im Ergebnis bestand ein nennenswerter Teil der türkischen und kroatischen Mannschaft aus in Deutschland aufgewachsenen Spielern, teilweise war Deutsch die bestimmende Mannschaftssprache. Im Gegensatz zu zum Beispiel Frankreich oder den Niederlanden lehnte die deutsche Mannschaft Einwandererkinder also tendenziell ab. Die Einverleibung der DDR ermöglichte zeitweilig dieses Verhalten, weil in den 1990er-Jahren noch aus der Ausbildung der Kinder- und Jugendsportschulen der DDR geschöpft werden konnte. In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre bestand die Nationalmannschaft gelegentlich zur knappen Hälfte aus in der DDR ausgebildeten Spielern wir Sammer, Doll, Jancker und anderen. Dies war erstaunlich, weil die DDR ja abgesehen von 1974 im Männerbereich des Fußballs nie in die Spitze vorgedrungen war und lässt zwei Erklärungen zu: Einerseits war die DDR mehrfach Jugend-Europameister. Es ist somit denkbar, dass die Ausbildung bis hierhin auf hohem Niveau war, im Männerbereich dann aber nicht anschließen konnte, weil die DDR-Oberliga kein ausreichendes Niveau hatte (es gab unter anderem keine ausländischen Spieler) und auch die wichtige Sammlung von Erfahrungen in stärkeren Ligen wie damals insbesondere Italien, fehlte. Welchen Entwicklungsschub der Einsatz in stärkeren Ligen und größere sportliche Konkurrenz bewirken können, dokumentiert sich plastisch an der deutschen Mannschaft bei der WM 1990, in der rund die Hälfte in Italien beschäftigte Spieler waren und die von nicht wenigen echten Fußballinteressierten als die bis dato beste und spielerisch vollkommenste deutsche Mannschaft angesehen wird. Oder anders: Im Gegensatz zu 1954 und 1974 war diese Mannschaft nicht nur Weltmeister, sondern auch die beste Mannschaft des Turniers (1974 war dies beispielsweise laut dem Weltmeister Breitner eigentlich Polen, die in einem offensichtlich irregulären Spiel von Deutschland ausgeschaltet wurden). Die DDR bot also möglicherweise deutlich zu wenig fußballerische Entwicklungsmöglichkeiten auf internationaler Ebene und konnte somit ihre Erfolge im Jugendbereich nicht fortsetzen. Die andere – zugegeben rein auf einer möglichen Prognose basierenden – Erklärung für den Aufschwung der Fußballer aus der DDR in den 1990er-Jahren ist, dass die DDR bei Fortbestand in diesen Jahren selbst bei großen Turnieren einen Aufschwung erlebt hätte.
Wie auch immer, die Kinder- und Jugendsportschulen wurden relativ ersatzlos aufgelöst (was zum Beispiel der beim DFB beschäftigte Trainer Sammer sehr bedauert). Insofern muss man schon um sportlich mithalten zu können, auf andere Kräfte zurückgreifen als in früheren Jahren. Die Sport-„Green-Card“ macht’s möglich.
unsere Mannschaft unterstützen, mitfeiern, unsere Herkunft zeigen, unser Land repräsentieren.
So – oder ähnlich – wird Kritik an der derzeitigen Nationalismuswelle abgetan, oft noch gespickt mit der Anmerkung, ein gesunder (was ist das eigentlich?) Patriotismus sei doch ganz richtig, in anderen Ländern „völlig normal“ und gehöre zur Demokratie eben dazu. Nun gibt es sicherlich Torfköpfe verschiedenster Nationalität, die ihre Fahne schwenken und dabei auch nicht sonderlich über kritikwürdige Umstände in ihren eigenen Ländern nachdenken. Das ist zunächst jedoch nicht unser Thema: wir befinden uns hier nun einmal in Deutschland; Politik in anderen Ländern zu kritisieren ist zuallererst Aufgabe der dort lebenden Menschen. Wir haben mit den Verhältnissen in Deutschland wahrlich genug zu tun. In den oft harmlos vorgetragenen Worten der Befürworter des scheinbar unpolitischen Schwenkens der Deutschlandfahne steckt letztlich vor allem eines: „Schlussstrich ziehen, mit der Nazivergangenheit Schluss machen, in der Normalität ankommen“. Was ist die Realität? Hat in diesem offiziellen Nachfolgestaat des Faschismus (BRD) eine fortschrittliche Revolution stattgefunden? Wurden Faschisten enteignet, verfolgt, bestraft? Sind Arbeitslosigkeit und Armut beseitigt, ist Grundversorgung für alle gewährleistet? Das so als einmalig anzusehende dreigliedrige Bildungssystem abgeschafft? Verhält sich Deutschland friedliebend und nicht aggressiv gegenüber seinen Nachbarn?
Dies alles ist bekanntlich nicht der Fall. Die Ergebnisse des 2.Weltkrieges sind in negativer Form revidiert, sprich: viele Ziele der kriegerischen Expansion sind 50 Jahre nach der militärischen Niederlage politisch erreicht worden: die Sowjetunion existiert nicht mehr; die DDR als antifaschistischer Staat ist einverleibt; deutsche Soldaten treiben wieder in diversen Auslandseinsätzen auf dem Erdball ihr Unwesen. Sicher wird man wenige Fahnenschwenker treffen, die bekunden: „Ich unterstütze diesen Staat, weil hier Millionen arbeitslos sind und Deutschland tatkräftig daran wirkt, in Osteuropa Staaten wie Jugoslawien, die Tschechoslowakei usw. zu zerschlagen.“ Sicherlich werden die wenigsten Menschen solche Dinge denken, wenn sie sich an der momentanen Welle des Nationalismus beteiligen, aber gerade dies zeigt ja, welches Potential besteht, das dort nur offensichtlich wird. Der Nationalismus braucht nicht so sehr bewusste Unterstützer, er braucht vor allem Mitläufer. Und solange das funktioniert, können Organisatoren und Nationalisten immer versuchen jede Kritik im Keim mit der Behauptung zu ersticken: „Die Politik soll draußen bleiben“ oder „nun lasst doch wenigstens mal vier Wochen gut sein, ihr Spielverderber“.
Die „Politik rauszulassen“, das liegt nicht in der Entscheidungsmacht der „linken Spaßbremsen“. Die Politik ist drin, von Anfang an: diesen Zusammenhang erkennt schließlich auch die Bundesregierung, die passgenau zu solchen nationalen Großereignissen unerfreuliche Sparpakete durchreicht. Und auch all die Filme, Fahnen, Werbespots sind nicht einfach „da“, sondern werden gemacht. Last but not least: die schwarz-rot-goldene Fahne, deren Schwenken hierzulande eine „neue Lockerheit“ im Umgang mit der eigenen Nation deutlich machen soll und die doch angeblich so „ganz unpolitisch“ ist, stellt in immer mehr Orten dieser Welt das Symbol der verhassten Besatzer; die Hymne, die hier derzeit angeblich „enttabuisiert“ wird, begleitet genauso die Hundertschaften der deutschen Bundeswehr in immer mehr neokoloniale Aufträge.
Nicht zuletzt diese Hymne, die eigentlich gar keine ist, gehört zu den meiststrapazierten nationalen Symbolen. Offiziell besitzt die BRD keine verfassungsrechtlich festgelegte Nationalhymne. Das „Lied der Deutschen“, vom fanatischen Antisemiten Hoffmann v. Fallersleben in nationaler Hybris im Jahre 1841 zur Melodie von Haydns „Gott erhalte Franz den Kaiser, unsern guten Kaiser Franz“ getextet, ist 1952 (also erst drei Jahre nach der Staatsgründung!) gegen vielfachen Widerstand per Dekret zur Hymne gemacht worden; nicht zuletzt auf massives Betreiben des damaligen Kanzlers Adenauer, der es sich zum Steckenpferd machte, das durch die Siegermächte verbotene (!) Lied bei allen möglichen Gelegenheiten demonstrativ anzustimmen und damit manchen Eklat zu provozieren – bisweilen weigerten sich die Kapellen schlicht, das Lied zu intonieren. Schlussendlich hatte der Kanzler mit seiner Zermürbungsstrategie jedoch Erfolg – das 1922 von Sozialdemokraten erstmalig als Nationalhymne verwendete und von den Nazis 1933 mit seinem Pendant, dem „Horst-Wessel-Lied“, verknüpfte „Lied der Deutschen“ ist als Kontinuität mit vielen anderen Dingen und Ansichten über die so genannte „Stunde Null“ hinübergerettet worden. Gegenüber der früheren Verwendung, insbesondere während des Naziregimes, werden die ersten zwei Strophen in der Regel nicht gesungen. Im an alle Schüler verteilten Heftchen mit dem Grundgesetz ist dennoch der komplette Text abgedruckt; versehen mit dem „Briefwechsel“ zwischen Ex-Kanzler Kohl und Ex-Präsident Weizsäcker (als historische Analogie zum Adenauer-Heuss-Briefwechsel, in dem Adenauer seine Ansicht zum „Lied der Deutschen“ durchdrückte), in dem beide Politiker langatmig die dritte Strophe zur „Hymne“ hochloben. Dieser hochoffizielle „Briefwechsel“ soll Verfassungsrang suggerieren. Das Absingen aller drei Strophen soll nach Meinung mancher rechtskonservativer Kultusminister längst wieder Normalität sein. Zum Deutschlandlied erklärte Hitler: „Viele, in anderen Völkern, verstehen es nicht. Sie wollen gerade in jenem Lied etwas Imperialistisches erblicken, das doch von ihrem Imperialismus am weitesten entfernt ist. Denn welche schönere Hymne für ein Volk kann es geben als jene, die ein Bekenntnis ist, sein Heil und sein Glück in seinem Volk zu suchen und sein Volk über alles zu stellen, was es auf dieser Erde gibt.“
Die Illustrierte Bunte bestätigt diesen im Grunde wie wir sehen harmlosen Wunsch bereits in dem Bericht über den Gewinn der Fußball-WM 1954 in Bern: „ Den Deutschen aber bricht das Lied aus der Brust, unwiderstehlich. Soweit ihnen die Tränen der Freude nicht die Stimme im Hals ersticken, singen sie alle, alle ohne Ausnahme, das Deutschlandlied. Niemand, auch nicht ein einziger, ist dabei der von „Einigkeit und Recht und Freiheit“ (Anführungszeichen im Original!) singt. Spontan, wie aus einem einzigen Munde kommend, erklingt es „Deutschland, Deutschland über alles in der Welt.“
Wer bis hierher gelesen hat und immer noch meint, wir würden in die doch so herrlich politisch neutrale, schönste Nebensache der Welt Dinge interpretieren, die darin nichts zu suchen hätten – dem ist wohl nicht zu helfen. Packt eure Fahnen, malt euch an und geht raus, rumgrölen. Wer hingegen das eine oder andere Argument nachvollziehen kann und sich dennoch nicht den Spaß am Sport, an der Geselligkeit oder der Spannung der letzten Minuten auf dem Platz nehmen lassen will – also gepflegt Fußball genießen möchte: keine Sorge, die Welt ist – auch wenn das manchmal erstaunt – etwas größer als Deutschland.
Niemandem soll der Spaß verdorben werden – aber auch uns nicht. Und der wäre für uns eben am Größten gewesen, wenn für Deutschland möglichst bald das Turnier beendet hätte und wir nicht bis zum Spiel gegen den verdienten, neuen Weltmeister hätten warten müssen, bis es heißt: Schade Deutschland, alles ist vorbei. Rein fußballtechnisch muss man anerkennen, dass die deutsche Mannschaft teils sehr gut agiert hat, zumindest wenn es ihr gelang ein schnelles Tor zu machen. Aber auch hier gab es so einige Übertreibungen, dritter Platz passt auch sportlich schon voll und ganz. Insgesamt war diese WM fußballerisch eine überwiegende Enttäuschung. Das dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass aufgrund der völligen Kommerzialisierung des Fußballs die Akteure zu wenig Zeit zum Einspielen und Regenerieren haben. Nur so lässt sich erklären, dass praktisch keiner der vermuteten Stars wirklich Fuß fasste und schon lange vorher eingespielte Systeme die klare Oberhand erhielten (und sei es auch aus den Trainingsspielen von Bayern München wie bei der deutschen Mannschaft). Kommerzialisierung ist klarerweise im Kapitalismus normal, alles wird zur Ware. Aber: Hier führt sie möglicherweise dazu, dass die eigentlich größte und wichtigste Veranstaltung dieses Sports selbst entwertet wird und sozusagen in dialektischer Umkehr sich der Fußball selbst ein Bein stellt.
Und für Südafrika, das als erstes afrikanisches Land eine Fußball-Weltmeisterschaft austragen konnte, war dieses Ereignis zwanzig Jahre nach der erreichten Befreiung vom rassistischen Apartheids-Regime durch eine demokratische Revolution unter Führung des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), einer Bündnisorganisation von Sozialisten, Kommunisten und bürgerlichen Demokraten, trotz des leider frühen Ausscheidens ihrer Mannschaft ein erfreulicher Fortschritt!
Familienministerin Schröder nachdenklich: Mit welchen Kampagnen kann der „unverkrampfte Patriotismus“ „auch über die WM hinaus“ entwickelt werden? So richtig kriegsverwendungsfähig ist die Bevölkerung ja doch noch nicht. Die WM war erst der Anfang. Immerhin, die Jungs aus der Nazi-Szene sind schon ganz gut integriert
nette junge Patrioten bei einem „public viewing“ in Frankfurt/Main im schwarz-rot-goldenen Siegesrausch
WM 2010: Eine der Protestfahnen in den Straßen der einverleibten Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik. Das gab es nicht nur in Berlin, und passte gar nicht ins Bild der deutschen Volksgemeinschaft: In Dresden musste ein Mann nach dem Sieg der deutschen gegen die britische Mannschaft ins Krankenhaus eingeliefert werden. Er wurde von unverkrampften Patrioten mit Reizgas besprüht, die ihm vorher die DDR-Fahne vom Auto gerissen hatten.
Das Westberliner Propagandablatt aus dem Hause Springer trieft vor Hass. Ein Fußballtrainer, der sich immer wieder gegen Ausbeutung und Unterdrückung wendet und mit Fidel Castro befreundet ist? Das ist für diese Journaille kein Spiel mehr!