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Für Dialektik in Organisationsfragen

Brandstifter als Feuerwehr

Herr Seehofer und sein „Nie wieder!“

Wer am 11.10.2019, nach dem faschistischen Anschlag auf die jüdische Gemeinde in Halle, im ZDF die Sendung „Und nun, Herr Seehofer?“ angeschaut hat, der konnte sich nur die Augen reiben. Die Bundesrepublik Deutschland habe nach 1945 den „historischen Schwur ‚Nie wieder!‘“ abgelegt, behauptete der Innenminister. Dieses „Nie wieder“ müsse nun wieder in den Mittelpunkt der Politik gestellt werden.

Wie bitte? Wo hat denn dieser Staat, in dem in allen Bereichen – Wirtschaft, Justiz, Militär, Geheimdienst, Polizei, Hochschulen – nach 1945 wieder die alten Nazis saßen, den Schwur „Nie wieder!“ abgelegt?

Verfolgt, wer „Nie wieder!“ ernst nahm

Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg! Das war der Schwur der Überlebenden des KZ von Buchenwald. Diejenigen, die ihn ernst nahmen und Anfang der 1950er Jahre gegen die Remilitarisierung der BRD kämpften, wurden von den Staatsorganen der BRD bekämpft, die FDJ (Freie Deutsche Jugend) und die KPD verboten. Eine Organisation wie die VVN/BdA, Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der AntifaschistInnen, wird bis heute vom bayerischen Verfassungsschutz als „linksextrem beeinflusst“ beobachtet.

Es war der Schwur derjenigen, die sich in der Sowjetischen Besatzungszone daran machten, ihn in die Tat umzusetzen, die die Kriegsverbrecher enteigneten und bestraften, jede faschistische Betätigung und Propaganda verfolgten. Sie werden seit Einverleibung der DDR als Verbrecher gebrandmarkt, die DDR als Unrechtsstaat betitelt und in die Nähe des Hitlerfaschismus gerückt.

Gleichzeitig konnten sich ungehindert so alle möglichen Faschisten aus dem Westen in der einverleibten DDR tummeln, saß der sog. Verfassungsschutz in den Führungsgremien der NPD und baute sie so mit auf; war im Umfeld des rechtsextremen Thüringer Heimatschutzes und des NSU zu finden, ohne dass er irgendetwas verhindert hätte. Ganz im Gegenteil.

Unzählige Straßen, benannt nach Antifaschisten wurden im Osten umbenannt, nur weil diese Antifaschisten auch Kommunisten waren, antifaschistische Denkmäler entfernt – Aufwind für allerlei Faschisten.

Ein Franz Josef Strauß, CSU, vielfältiger Minister in der BRD und langjähriger Ministerpräsident in Bayern, bleibt dagegen mit dem Namen des Münchner Flughafens verewigt. Dass er u.a. schon in den 1960er Jahren der Meinung war, dass ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen vollbracht habe, ein Recht habe, von Ausschwitz nichts mehr hören zu wollen, stört offensichtlich nicht. Keine Verharmlosung der unfassbaren Verbrechen an den Juden?

War da nicht was, Herr Seehofer?

Und überhaupt: Wer hat denn seit 2015 nationalistische und rassistische Hetze nochmal in unglaublichem Maße geschürt, in dem hierher flüchtende Menschen permanent als Gefahr hingestellt worden sind und werden? Wer entfachte denn von neuem das Geschrei um eine deutsche Leitkultur, schrieb sie sogar in einem Gesetz fest? Wer trieb ein Gesetz nach dem anderen voran, die die Rechtlosigkeit durch Willkürparagrafen zum Inhalt haben? Die Rechtlosigkeit von Menschen aus anderen Ländern, die in Asyllagern zusammengepfercht oder in Kriegsgebiete abgeschoben werden. Die Rechtlosigkeit von uns allen durch ein Polizeiaufgabengesetz, in dem die Polizei unglaubliche Befugnisse erhalten hat, Menschen auf Verdacht und ohne Gerichtsprozess wegsperren kann. Vom bayerischen Innenminister Hermann, CSU, damals zunächst begründet mit dem „islamistischen Terror“ und dann mit der Gefahr des Linksextremismus. Der Boden für jede Art von Rassismus wurde gut gedüngt. Allerlei faschistische Kräfte witterten Morgenluft.

Und nun sollen wir Herrn Seehofer glauben, dass er das „Nie wieder!“, die Bekämpfung des Rechtsextremismus in den Mittelpunkt der deutschen Politik stellen will. Dass auch er lernfähig sei, wie er in der Sendung behauptet hat, darauf angesprochen, dass er und führende CSU-Politiker nun die AfD als geistige Brandstifter beschuldigen, die CSU vor kurzem aber selbst ähnliche Parolen verbreitet habe.

Um aus diesem Theater klug zu werden, muss man sich anhören, anhand welch seltsamen Beispiels Seehofer die Gefährlichkeit der AfD aufzeigt. Sie habe im Bundestag eine Debatte über den Haushalt des Bundespräsidenten gefordert. „Das ist genau das Strickmuster, wenn man die Geschichte kennt, dass man Staatsorgane in Misskredit bringt ... um Systemkritik an unserem Lande festmachen zu können.“ So allgemein formuliert, fällt jede Kritik an Staatsorganen – Polizei, Verfassungsschutz, Regierung usw. – und jede Kritik an diesem System darunter. Und zum Schluss kündigt Seehofer als Konsequenz an: Noch mehr Befugnisse für Polizei und Verfassungsschutz, mehr Zugriff auf das Internet, weitere Gesetzesverschärfungen.

gr

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