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Für Dialektik in Organisationsfragen

Logbuch einer Entdeckungsreise

„Geh doch rüber“! Das war bei uns im Westen die Totschlagphrase, wenn man über den Frieden, die Arbeit, die Kinder, die Rente, die Mieten, die Alltagssorgen redete. Wenigstens das sollte doch aufhören, so glaubten wir, als die DDR dem deutschen Kapital und seinem Staat einverleibt war. Aber nein – „Geh doch rüber!“ verwandelte sich in „Willst du die DDR wiederhaben?“. Die Plattitüde überdauert den offiziellen Tod der DDR bereits seit 29 Jahren.

Die DDR ist unsterblich“, heißt es auf der ersten Tafel der Ausstellung des Vereins „Unentdecktes Land“, die auf dem Berliner Alexanderplatz gezeigt wird, während diese Zeilen geschrieben werden (31.08. bis 08.09.2019). „Die DDR ist unsterblich, von Arbeitslosigkeit bis Zwangsarbeit, manchmal auch das schlechte Wetter. Schuld ist immer sie. Dafür wird sie ausgepeitscht, öffentlich auf den Bildschirmen, in den Schlagzeilen, Leitartikeln und Opfergruppen, vom Heer der Bundes-Aufarbeiter.“

48 Tafeln, auf acht wetterfesten Gestellen befestigt, informieren über das, was mit den zu erwartenden 30-Jahre-„Mauerfall“-Gedächtnisfeiern nun doch endlich vergessen gemacht werden soll. Das Potsdamer Abkommen als politische und wirtschaftliche Grundlage der DDR, ihre äußerst schwierigen Ausgangsbedingungen werden erläutert. Gezeigt wird, wie ein „Industriestaat aus dem Nichts“ geschaffen wurde. Betriebe und Kombinate werden vorgestellt und Bilanz gezogen: Im Teil „Die Wirtschaft der DDR vor dem Anschluss“ wird die Lüge von der „Pleite der maroden DDR“ widerlegt. Der größte Teil der Ausstellung zeichnet die Zerstörung der DDR, die Enteignung der DDR-Bürger und die Deindustrialisierung des Ostens nach. Es wurden damals keine „Fehler“ gemacht, es geht nicht um das „Versagen“ einzelner Beamter oder der Treuhand. Das Ganze hatte System, die Bundesregierung stand dahinter, und die handelte im Auftrag des deutschen Kapitals. Die Abläufe werden auf den Schautafeln akribisch aufgelistet, Fakten, die niemand schönreden kann, sofern er sie zur Kenntnis nimmt. Drei Abteilungen der Ausstellung beschäftigen sich mit speziellen Themen: „Nazis in der DDR“ (unerfreulich für Leser, die die Rechtsentwicklung, die neuerlichen Wahlerfolge der AfD bei den Landtagswahlen wieder mal der DDR in die Schuhe schieben wollen), „Auferstanden aus Ruinen: Wohnungspolitik in der DDR und heute“ (für dieses heute so brisante Thema eine interessante Diskussionsgrundlage), „Der Mensch im Mittelpunkt: Das Rechtssystem der DDR“ (wer etwas über das „Absterben des Staates“ im Sozialismus lernen will, über das Marx, Engels, Lenin geschrieben haben, kann hier anhand des praktischen Beispiels Material finden – auch wenn es in der Ausstellung so nicht beim Namen genannt wird). Weitere Themen sind beim Verein „Unentdecktes Land“ in Arbeit.

Ein Renner bei den Besuchern der Ausstellung ist der Katalog. „Sind da wirklich alle Texte drin?“, „Da lese ich noch mal nach“, „Das schicke ich meinem Enkel im Westen!“ Überhaupt sind die Reaktionen auf dem Alexanderplatz überwiegend freundlich und zustimmend. Viele erzählen ihre eigene Sicht, ihre eigene Geschichte. Manche verteidigen sehr vehement die DDR, sind zum Teil extra zur Ausstellung gekommen. Eine Besucherin aus Kolumbien, die in der DDR studiert hat und begeistert von der Ausstellung ist, mahnt an, dass die internationale Solidaritätsarbeit der DDR beleuchtet werden muss. Sie erzählt, wie Antifaschisten aus Chile während des Pinochet-Regimes Asyl gegeben wurde, wie das zunächst etwas Ärger gegeben hat bei denen, die deshalb länger auf eine bessere Wohnung warten mussten, aber die Notwendigkeit dieser Solidarität dann doch von den meisten eingesehen wurde. Der Themenbereich „Internationale Solidarität“ ist beim Verein „Unentdecktes Land“ bereits in Planung, aber noch nicht fertig – das Wissen solcher Menschen kann da eine große Hilfe sein. Überhaupt wird gerade durch einen Mangel der Charakter der DDR als Projekt der internationalen Arbeiterbewegung sichtbar – öfters wird bedauert, dass der Text nicht auf Englisch vorhanden ist.

Interessant sind auch die Gespräche mit Zweiflern und Schwankenden, denen die Ausstellung gefällt, die aber grübeln, was in der DDR schiefgelaufen ist, vieles kritisch sehen, und dann wieder sagen: Aber das was wir heute haben, geht überhaupt nicht. Bei solchen Gesprächen habe ich manchmal die Frage gestellt, ob es denn überhaupt realistisch ist, dass der Sozialismus sofort fertig und einwandfrei funktioniert, ob das nicht eher ein mit heftigen Kämpfen verbundener Übergang ist (was ja übrigens auch die Ausstellung in ihrem Faktenreichtum sehr deutlich zeigt).

Und dann gab es – zwar in der Minderheit, aber unüberhörbar – die erklärten Gegner. Alle beispielhaft dafür, dass die Lüge, die Halbwahrheit, das Vorurteil keine Beweise brauchen.

372 Quellenangaben findet man auf den letzten drei Tafeln der Ausstellung. Die Wahrheit herauszufinden (und die Wahrheit ist immer konkret), das Unentdeckte Land zu entdecken, ist harte und schöne Arbeit, bei der jeder dabei sein kann.

Man kann:

– die Ausstellung anfordern (Outdoor-Ausstellung, für jedes Wetter geeignet),

– den Katalog anfordern (gegen Spende),

– die Ausstellungstafeln im Internet ansehen,

– den Verein „Unentdecktes Land“ mit Material für die weitere Arbeit an der Ausstellung arbeitsmäßig und/oder finanziell unterstützen.

Kontakt und weitere Informationen:

www.unentdecktes-land.org

E.W.-P.

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