KAZ-Fraktion: „Ausrichtung Kommunismus”
Im ersten Teil (KAZ 334) wurde die ideengeschichtliche Entstehung/Entwicklung der Totalitarismus-Doktrin nachvollzogen. Sie dient nur einem Zweck: das Ende der Geschichte, also jeglicher Entwicklung über den Kapitalismus hinaus zu begründen und praktisch durchzusetzen. An die Stelle des Erkenntnisinteresses des aufstrebenden Bürgertums bis zum 19. Jahrhundert tritt das Partikularinteresse der herrschenden Monopolbourgeoisie. Gemeinsam ist ihr nur noch das Interesse am Niederhalten des Bewusstseins der produzierenden Massen. Der von Lenin aufgezeigte Drang nach Gewaltherrschaft erreicht ebenso Wissenschaft und Forschung. Das Verhältnis von Erkenntnis und Interesse hat sich in ein Desinteresse an Erkenntnis und ein Interesse an Verkennung/Verfälschung verwandelt. So erzeugt diese Doktrin nur noch in die gesellschaftlichen Verhältnisse „Hineingedeutetes” und nicht aus den Verhältnissen „Herausgefolgertes”. Sie ist eine Ideologie[1] zur Sicherung/Verewigung der bürgerlichen Klassenherrschaft.
Der zweite Teil (KAZ 341) stellte von Kautsky ausgehend die Affinitäten der Revisionisten aus der Arbeiterbewegung mit den bürgerlichen Antikommunisten und „Totalitaristen“ dar.
Am Beispiel Kautskys hatte Lenin den Zusammenhang von Imperialismus und Opportunismus und damit den Übergang zu konterrevolutionären Positionen und Theorien analysiert und begründet. 1916 schrieb er in seiner in der Schweiz verfassten Analyse des Imperialismus über die Sozialdemokratie: „Diese Schicht der verbürgerten Arbeiter oder der ,Arbeiteraristokratie’, in ihrer Lebensweise, nach ihrem Einkommen, durch ihre ganze Weltanschauung vollkommen verspießert, ist … in unseren Tagen die soziale (nicht militärische) Hauptstütze der Bourgeoisie. Denn sie sind wirkliche Agenten der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung, Arbeiterkommis der Kapitalistenklasse (labor lieutenants of the capitalist class), wirkliche Schrittmacher des Reformismus und Chauvinismus.”[2]
1932 erschien in höchst vertraulicher Korrespondenz eine vom Reichsverband der deutschen Industrie (dem Vorläufer des heutigen BDI) mitfinanzierte Denkschrift, die Lenins Schlussfolgerung nachdrücklich bestätigte: „Das Problem der Konsolidierung des bürgerlichen Regimes im Nachkriegsdeutschland ist allgemein durch die Tatsache bestimmt, dass das führende, nämlich über die Wirtschaft verfügende Bürgertum zu schmal geworden ist, um eine Herrschaft allein zu tragen. Es bedarf für diese Herrschaft, falls es sich nicht der höchst gefährlichen Waffe der rein militärischen Gewaltausübung anvertrauen will, der Bindung von Schichten an sich, die sozial nicht zu ihm gehören, die ihm aber den unentbehrlichen Dienst leisten, seine Herrschaft im Volk zu verankern und dadurch deren eigentlicher oder letzter Träger zu sein. Dieser letzte oder ‚Grenzträger’ der bürgerlichen Herrschaft war in der ersten Periode der Nachkriegskonsolidierung die Sozialdemokratie. ... ,...Vermöge ihres sozialen Charakters als originäre Arbeiterpartei brachte die Sozialdemokratie in das System der damaligen Konsolidierung über all ihre rein politische Stoßkraft hinaus das viel wertvollere und dauerhaftere Gut der organisierten Arbeiterschaft ein und verkettete diese unter Paralysierung ihrer revolutionären Energie fest mit dem bürgerlichen Staat.’”[3]
Nach 1945 stand die westdeutsche Sozialdemokratie erneut in vorderster Front und betätigte sich als Einpeitscher des berüchtigten „Blitzgesetzes” von 1951. Danach wurde als „Landesverräter“ bestraft und mit Zuchthaus bedroht, wer „Beziehungen aufnimmt oder unterhält zu einer Regierung, einer Partei, einer anderen Vereinigung oder Einrichtung … und dies in der Absicht tut, den Bestand der Bundesrepublik zu beeinträchtigen oder einen ihrer Verfassungsgrundsätze zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben”. Kurz gesagt, jeder, der mit der aggressiven US-Politik, mit der Spaltung Deutschlands, mit dem nationalen Verrat Adenauers und Schumachers nicht einverstanden war, der war zuchthausreif. Über die Herkunft dieses Gesetzes schrieb die Hamburger Zeitung „Die Zeit”: „Der Paragraph ist allerdings auch nicht vom Bundestag erfunden. Er stammt, dem Sinne nach, aus einer Notverordnung des Reichspräsidenten Hindenburg vom 8.Dezember 1931 und wurde 1934 noch durch Hitlers ‚Heimtückegesetz’ ergänzt.” (Zitiert nach „Die Zeit“ vom 19.Juli 1951)[4]
8.000 Demokraten wurden nach offiziellen Angaben allein zwischen 1952 und 1954 auf der Grundlage dieses Gesetzes abgeurteilt. So brandeilig hatten es die SPD-Führer mit der Neuauflage dieses Nazigesetzes, dass Herbert Wehner schon 1951 als erster Abgeordneter ein derartiges „Blitzgesetz zur Unterbindung der Unterschriftensammlung bezüglich der Remilitarisierung“ forderte. Die Totalitarismus-Doktrin war und blieb bestimmende Grundlage sozialdemokratischer Politik.
Dient die reformistische Variante der Totalitarismus-Doktrin der Niederhaltung der revolutionären Arbeiterbewegung, so wird mit Blick auf die kapitalismuskritische Linke Hannah Arendts 1955 in Deutschland erschienenes Buch „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“ von bürgerlichen Kreisen besonders hofiert und anempfohlen. Sowohl ihre Biographie wie ihre Bezüge auf den Marxismus sind geeignet, eben diese Linke an den Haken ihrer Totalitarismus-Variante zu bekommen. Im Artikel „Der Kommunismus wird verbrannt – da kann er machen, was er will!” wird dargelegt, auf welch dünnen Beinen ihre Imperialismus-Analyse steht, wie sie Fakten ausblendet, falsch darstellt und philosophisch auf das Niveau eines armseligen Pragmatismus herabsinkt.
Im Artikel „Die Bekenntnisse des Wolfgang Wippermann” wird ein Historiker der FU Berlin vorgestellt, der in der Debatte um die Totalitarismus-Doktrin ebenfalls unter falscher Flagge segelt. Der Nolte[5]-Schüler greift dabei reaktionäre Vertreter der Doktrin wegen ihrer unwissenschaftlichen Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus an und wirft ihnen vor, Materialien aus der Gauck-Behörde als politische Waffe zu verwenden. Auch hier werden Linke angefüttert, damit sie umso leichter die von ihm bestrittene Verbindung von Imperialismus und faschistischer Reaktion akzeptieren. Als SPD-Mitglied vertritt er auch die Positionen des rechten Flügels dieser Partei – womit der Kreis zur Arbeiteraristokratie wieder geschlossen wäre.
1 „Die Ideologie ist ein Prozess, der zwar mit Bewusstsein vom sogenannten Denker vollzogen, aber mit einem falschen Bewusstsein. Die eigentlichen Triebkräfte, die ihn bewegen, bleiben ihm unbekannt, sonst wäre es eben kein ideologischer Prozess. Er imaginiert sich also falsche resp. scheinbare Triebkräfte. Weil es ein Denkprozess ist, leitet er seinen Inhalt wie seine Form aus dem reinen Denken ab, entweder seinem eignen oder dem seiner Vorgänger. Er arbeitet mit bloßem Gedankenmaterial, das er unbesehen als durchs Denken erzeugt hinnimmt und sonst nicht weiter auf einen entfernteren, vom Denken unabhängigen Ursprung untersucht, und zwar ist ihm dies selbstverständlich, da ihm alles Handeln, weil durchs Denken vermittelt, auch in letzter Instanz im Denken begründet erscheint.“ (F. Engels an F. Mehring, 14.7.1893, MEW, Bd. 39, S. 97)
2 Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, LW Bd. 22, S. 198,
3 (Anonymus): Die soziale Konsolidierung des Kapitalismus. In: Deutsche Führerbriefe. Nr.72, 73. Wiederabgedruckt in: Der Rote Aufbau. V. Jahrgang, Heft 20. Berlin, 15.Okt.1932, S. 934 f.
4 Albert Norden, „Um die Nation“ (1952), Nachdruck des Arbeiterbunds für den Wiederaufbau der KPD, S. 440.
5 Noltes Buch „Der Faschismus in seiner Epoche“ wurde 1963 von bürgerlichen Linken positiv aufgenommen, weil sie es als Gegenentwurf zur Totalitarismus-Doktrin verstanden. Nolte selbst stellte 1978 in einem „Rückblick nach fünfzehn Jahren“ klar, dass dies ein Missverständnis sei: „In Wahrheit wollte ich die Totalitarismustheorie differenzieren, historisieren und bis zu einem gewissen Grade auch entemotionalisieren, aber ich wollte sie weder überwinden noch verdrängen.“ (Zitiert nach Wikipedia: E. Nolte:Der Faschismus in seiner Epoche. Action francaise – Italienischer Faschismus – Nationalsozialismus. Taschenbuchausgabe, Piper Verlag, München 1984, S. XIV)