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Für Dialektik in Organisationsfragen

Die europäische Idee und deutsches Großmachtstreben

Seitdem Kräfte der äußersten Rechten wie die AfD in der BRD oder die Rassemblement National (auf Deutsch Nationale Sammlungsbewegung) in Frankreich zunehmend mit ihren rassistischen und gegen die EU gerichteten Haltungen erstarken, meinen viele demokratischen Kräfte sich zu Europa bekennen zu müssen als Gegengewicht gegen Rassismus und Nationalismus. So warf Verena di Pasquale, stellvertretenden Vorsitzende des DGB Bayern am 1. Mai den „Rechtspopulisten und Nationalisten“ in Europa vor, „... die europäische Idee zu zerstören! Das müssen wir verhindern! Wir setzen uns ein für ein offenes, ein gerechtes, ein solidarisches Europa!“ Doch auch ein Herr Seehofer, bundesdeutscher Innenminister und CSU, behauptet von sich „mit allen Poren Europäer“[1] zu sein. Wie passt das zusammen? Was hat es mit dieser europäischen Idee auf sich?

Die Wurzeln der Europaideen

Sie haben in Deutschland ihre Wurzeln in einer Zeit vor über hundert Jahren. Damals stellten die großen deutschen Monopole wie Siemens, BASF oder Krupp und Thyssen und ihre politischen Handlanger in Regierung und Parlament fest, dass ihnen das Deutsche Reich zu klein geworden ist für ihren Drang nach Expansion und Profit. Es begann eine Flut von mehr oder weniger offen aggressiven Plänen zur Schaffung eines Europas, das den Bedürfnissen des deutschen Kapitals genüge tat. Die einen strebten gleich ein „deutsches Europa“ an, andere formulierten das vorsichtiger. Wie der Reichskanzler Bethmann-Hollweg, der 1914 einen Verbund verschiedener europäischer Staaten forderte. „Dieser Verbund, wohl ohne gemeinsame konstitutionelle Spitze, unter äußerlicher Gleichberechtigung seiner Mitglieder, aber tatsächlich unter deutscher Führung, muß die wirtschaftliche Vorherrschaft Deutschlands über Mitteleuropa stabilisieren“, so Bethmann-Hollweg.[2] Letzteres allerdings war bereits eine Richtlinie für die zu erreichenden Kriegsziele. Die Pläne eines Europa als erweiterter Absatzmarkt und Machtbasis für das deutsche Kapital, um es mit den großen Weltmächten aufnehmen zu können, mündeten in zwei Weltkriegen, einer verheerender und verbrecherischer als der andere. Beide Kriege endeten mit einer Niederlage. Doch da die Macht der Monopolherren nicht gebrochen, Grund, Boden und Fabriken in ihren Händen blieben, blieb auch das Ziel.

Kontinuität deutscher Europaziele

Im Herbst 1944, als die Niederlage absehbar war, schrieb ein Herr Dr. Richard Riedl, Aufsichtsratsvorsitzender einer IG-Farben-Tochter, ein Papier als Grundlage für Friedensverhandlungen mit den imperialistischen Siegermächten mit dem Titel: „Weg zu Europa. Gedanken über ein Wirtschaftsbündnis Europäischer Staaten“. Während Europa noch unter den Schlachten ächzte, jüdische Menschen massenweise mit den Giftgasen ermordet wurden, mit denen IG-Farben ihren Profit in die Höhe trieb, plante jener Herr in zivilisierten Worten die spätere EWG und dann EU voraus mit dem Ziel eines „... europäischen Großraums, der die Voraussetzungen für seine wirtschaftliche, politische und kulturelle Behauptung inmitten der anderen Mächte in sich trägt ...[3]

Die Herrschenden in Frankreich wiederum versprachen sich nach der Kapitulation des Deutschen Reiches von einem solchen Bündnis eine Eindämmung des nun zwar geschwächten, aber gefährlichen Nachbarn. Zudem sahen sie darin ebenfalls eine Möglichkeit, dem nun größten imperialistischen Staat, den USA, etwas entgegenzusetzen. Und so begann mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (1951) die Geschichte der EU – zum Nutzen des deutschen Imperialismus. Westdeutschland wurde bereits in den 1960er Jahren wieder zum wirtschaftlich stärksten Staat in Europa. Und mit der Einverleibung der DDR 1990 auch zum größten.

Eine EU, die deutschen Wünschen entspricht

Der damalige Außenminister Kinkel (FDP) knüpfte unverhohlen an ehemalige Kriegsziele an. Er erklärte 1993 in der FAZ, worum es, wie in der Vergangenheit, zukünftig gehen soll: „... Nach außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potential entspricht.[4] Seitdem konnten die politischen Vertreter der Monopole in teils heftigen Auseinandersetzungen mit den „Bündnispartnern“ Schritt für Schritt weiter durchsetzen, was deutschen Wünschen entsprach. Ob die Osterweiterung der EU, eine Stimmengewichtung im Europäischen Rat zu Gunsten des deutschen Imperialismus oder die Stabilitätskriterien für den Euro. Die EU wurde seitdem zu einer Frage von „Krieg und Frieden“ erklärt, was ja nichts anderes ist, als eine versteckte Drohung an die anderen EU-Staaten, den Wünschen der deutschen Vertreter auch entgegenzukommen.

Seit der Krise ab 2008 regierte der deutsche Imperialismus über die EU dann unmittelbar in die Länder wie z.B. Griechenland hinein.

Heute scheut sich keiner mehr, offen von der deutschen „Führungsmacht Europas“ zu sprechen. Und es ist auch kein Geheimnis, dass es die deutsche Wirtschaft ist, die am meisten von dieser EU profitiert.

Gerechtigkeit? Solidarität?

Oder gar Garant gegen Nationalismus und Konkurrenzkampf, Faschismus und Krieg?

Die EU ist im Kern nichts anderes als ein nationalistisches Projekt des deutschen Imperialismus, auch dann, wenn keine offen nationalistischen Parolen gebrüllt werden. Doch diese braucht man, wenn die Widersprüche zunehmen und die Dinge nicht so laufen, wie es „deutschen Wünschen“ entspricht.

Gleichzeitig erzeugt die EU mit ihrer deutschen Führungsmacht zwangsläufig den Widerstand gegen sie in den anderen Ländern, vor allem in den kleinen, deren Souveränität längst nur mehr auf dem Papier steht. Deren Industrie zunehmend vernichtet wird, weil v.a. deutsche Waren das Land überschwemmen. So schürt die europäische Idee in Gestalt der EU den Nationalismus, den sie doch vorgibt zu bekämpfen.

Wir müssen also hier in Deutschland Nationalismus, Rassismus und faschistischer Gefahr entgegentreten. Damit unterstützen wir auch am besten die demokratischen Kräfte in den anderen Staaten. Und jeder Gewerkschafter sollte wissen, dass Solidarität bedeutet, gemeinsam den Kampf zu führen.

gr

1 In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung vom 20.4.2019

2 Kriegsziel-Richtlinien des Reichskanzlers Bethmann-Hollweg vom 9.September 1914 in: Reinhard Opitz (Hg.): Europastrategien des deutschen Kapitals, S. 217

3 „Weg zu Europa. Gedanken über ein Wirtschaftsbündnis Europäischer Staaten“, in: Reinhard Opitz (Hg.): Europastrategien des deutschen Kapitals, a.a.O., S. 991

4 Frankfurter Allgemeine Zeitung 19.3.1993

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