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Arbeiterkorrespondenz

Ganz unten

oder

Der Stolz der Melanie B.

Melanie B. war neu im Betrieb, bei der alten Leihbude war wieder Schluss. Diesmal also „Assa Abloy“ in Berlin Zehlendorf, Sicherheitstechnik, Sicherheitsschlösser, so was halt. Jetzt stand sie wieder da in dieser Werkshalle, wo die Frauen für den dreckigen Lohn von 6,68 Euro, und es sind immer die Leiharbeiterinnen die den dreckigsten kriegen, Sicherheitsschlösser zusammen bauen. Wieder neu, wieder von vorne, Frühschicht, Spätschicht im Wechsel. Die Arbeit ist eine ziemlich Friemelei, hohe Konzentration und Fingerfertigkeit sowie Einsatzbereitschaft wird vorausgesetzt, sagt auch der Vorarbeiter zur Begrüßung, der ganz ok zu seien scheint.

Die ersten Wochen ziehen sich ohne viele Worte hin, in den Pausen macht man sich dennoch bekannt, wer mit 800 Euro am Monatsende nach Hause geht, der macht sich nicht mehr viel vor, das Elend synchronisiert und schweißt immer ein wenig zusammen. Zu Füßen der ausgeliehenen Arbeiterinnen liegen fast zerschlagen die Illusionen vom „Aufstieg“ zum Festarbeiter. Nur fast zerschlagen, denn es gibt immer welche, die drauf hoffen und wenn auch noch im fünften Jahr der „Produktionsspitze“.

In den Pausen schmeckt der Frust in den Stullen. Niemand ist zufrieden, manch einer spielt es. Feindbilder finden sich, neben der verhassten Leihbude auf die man spuckt und den „Festen“, die für mehr als das Doppelte scheinbar die ruhigere Kugel schieben, findet sich auch der „Ausländer, der die Arbeitsplätze klaut“ (die man nicht mal geschenkt nehmen dürfte) und natürlich der „faule Harzer“ als Objekt des Hasses. Die Drecksblätter von Springer & Co., liegen zerfledert auf den Pausentischen und hetzen erfolgreich, bieten Hass, Angst und den Wetterbericht zum moderate Zeitungspreis.

Melanie B. ist anders, anders geworden. Ihr geht der Hut hoch wenn es wieder gegen Arbeitslose und Hartz4-Empfänger geht, war oft genug selber in der Psychomühle der Agentur und vor Allem: kein Ausländer hat ihr was getan, sind meistens noch viel schlimmer dran, die ziehen auch Kinder groß, auch unter diesen scheiß Bedingungen so wie sie. Sie weiß das, und wo sie nicht weiß, da ahnt sie es und weil sie das weiß, und das war nicht immer so, spürt sie, wo der Feind ihrer Klasse zu finden ist, ihrer Klasse, von der sie noch nichts weiß. In den Chefetagen des Entleiherbetriebes, der Leihfirmen, bei den Leuten, die das alles mit Gesetzten ermöglichen und denen alles gehört, was sie 8 Stunden am Tag zusammen montiert, gegen die richtet sich ihr Zorn, im Stillen.

Sie schaut die Nachrichten, Diskussionsrunden mit Außerirdischen vom Planeten Bundestag und vergleicht mit der Realität - auch jener vor 20 Jahren in einem anderen Land. Sie liest so dies und das, auch die Zeitung der Gewerkschaft, deren Mitglied sie ist. Das alles schafft Berge von Neuigkeiten und Fragen, gerade die (paar) Rechte der Leiharbeiter und der Tarifvertrag, von denen sie liest, sind Neuland, und von dem will erzählt werden. Doch auf Arbeit sind nur die Zweifler, Besserwisser und die Ängstlichen, die ihr bestenfalls hinter der Hand Recht geben und ein „... aber was soll man da schon machen“ hinterher schicken. Auch wenn eine Freundin bei der IGM den Rücken stärkt und die eine Kollegin schon mehr zuhört als die anderen, Melanie B. ist allein mit ihren Neuigkeiten. Sie muss einsehen: Allein ist jeder für sich und die einzige Waffe der Leiharbeiter, ihre Masse, verrostet im Schrank.

Dann macht sich das Gerücht breit, dass es eine Versammlung der Belegschaft geben wird, keiner von den Leiharbeitern weiß Bescheid, eingeladen fühlen sich nur die Festen, der Betriebsrat sieht keine Zuständigkeit für die Fremden im Betrieb. Es ist wohl Tradition im Betrieb dass Leiher da nicht hingehen, Melanie geht, ist schließlich ihr Recht!

„Was will die denn hier bei uns...“ liest sie in den Augen der Festarbeiter, zu denen sie sich setzt. Doch: Pustekuchen, Melanies Trotz reicht auch noch für eine direkte Anfrage an die Eine vom Betriebsrat! Warum gibt man sich mit dieser Spaltung im Betrieb und der Nichtteilnahme der Leiharbeiter an den Versammlungen zufrieden? „Wir haben das doch ausgehangen ...“ kommt kleinlaut zurück, aber man verspricht, das in Zukunft anders zu machen. Das hat's so noch nicht gegeben, eine von den „Leihern“ pocht auf ihre Recht für ihre Kollegen. Als die nächste Versammlung ansteht, wissen alle Bescheid, der Abteilungsleiter erzählt es sogar den Leiharbeiterinnen, nicht ohne den Verweis, dass den Frauen die Zeit keiner bezahlt. Keine andere als Melanie weiß: das bezahlen uns die Banditen von Manpower!

Einen Anruf später ist das geklärt. Doch von den anderen die sich ihre Angst um Ärger mit dem Vorarbeiter in allen Farben ausmalen, will keiner mit. Wir gehen jetzt da hin, sagt da aber eine an den Werkbänken in der Sicherheitsschloss-Montage, das ist unser Recht! Und trotz allem Diskutieren und Erzählen von den Paragraphen in diesem Betriebratsverfassungsgesetz, Melanie B. geht und arbeitet nicht weiter!

Und als die Versammlung los geht, sitzt sie wieder dabei und neben ihr sogar noch eine andere von Manpower, aus der Abteilung Schloss-Montage, die hat zugehört und ist mit, mitgegangen trotz dem Panikgeschiebe der anderen und den „gut“ gemeinten Ratschlägen, doch an ihren Arbeitsplatz zu denken, der bei Auffälligkeiten in Gefahr sei. Während der Versammlung reift ein neuer Gedanke: Pustekuchen, jetzt machen wir was gegen die falsche Lohn-Einstufung bei Manpower!

Seit Jahren arbeiten die Frauen in der Abteilung an den komplexen Schlössern, die feinste Fingerfertigkeit ist von Nöten, 8 Stunden Konzentrieren vom ersten Kleinstteil bis zum letzten, denn fast jeder Fehler heißt sofort Ausschuss. 4 Wochen Übung braucht man schon, um das so einigermaßen hin zu bekommen. Also ganz klar eine Anlerntätigkeit, die auch Anlernzeit erfordert und eben keine niedrige Hilfsarbeit, die man so mal eben macht, wie die Halle auszufegen. So mal eben bezahlt jedoch der Konzern Manpower die Frauen in der niedrigsten Lohnstufe. Extra billige Arbeitskraft für Manpower, extra billige Arbeitskraft für Assa Abloy.

Das muss dokumentiert und bestätigt werden, wenn man in der Leihbude auf den Tisch hauen will. Melanies Bitte um Bestätigung der Tätigkeit in der Montage findet beim Betriebsrat Gehör, doch nur mäßige Aktivität. Von den Frauen ist es wieder nur Melanie, die Unruhe stiftet und den „Tagesablauf“ stört, nach langem Hin und Her findet sich tatsächlich ein Gesprächstermin mit dem BR. Dem hat der Chef schon eingeheizt, weil die Leiharbeiter jetzt am Ende auch die Arbeit nieder legen und auf die Versammlungen gehen, wo gibt’s denn wohl sowas!

Dass sie wieder nur eine fand zum Kämpfen, rächt sich in den nächsten Tagen und diesmal an allen, auch denen, die nur zusahen und meinten was Wunder zu riskieren sei, an diesem Lumpenjob. Denn die Lohngruppeneinteilung und der Dreckslohn bleiben für alle Frauen in der Schlössermontage. Bleiben jetzt unwidersprochen, denn Melanie wird abgemeldet, „Sie brauchen morgen nicht wieder kommen...“ wirft man ihr nach der Spätschicht vor die Füße. Widerworte finden sich in diesem Augenblick nicht, denn Sprachlosigkeit und Wut mischen sich und schnüren den Hals. Hinterher fallen ihr die Worte ein, die ihren Zorn beschrieben hätten, ins Gesicht dieses Affen aus dem Büro hätte sie es gesagt. Später wird rauskommen das jener Primat die Abmeldung mit den Worten begründet hat: „Hier muss mal ein Zeichen gesetzt werden!“

Das soll die ganze Welt wissen, in einem Internetforum für Leiharbeiter schreibt Melanie von ihren Erlebnissen mit Assa Abloy und Manpower, so wie es abgelaufen ist. Eine Woche später, in der sie zu vollster Zufriedenheit bei einem neuen Kunden ihre Arbeit schafft und in der Folgewoche wieder kommen soll, liegt die Kündigung von Manpower im Briefkasten. Begründet wird nichts, begründet muss auch nichts werden, sagt ein Gesetz. Die Schnepfe am Telefon deutet an, „Sie haben schlecht gearbeitet!“. Die gemeine Lüge trifft und verletzt.

Doch sie trifft und verletzt schon nicht mehr so wie sonst. Denn Melanie weiß seit einiger Zeit, dass ein dreckig bezahlter Job auch nur soviel wert ist wie ein dreckig bezahlter Job wert ist, wenig. Die Einschüchterung greift nicht mehr und lähmt nicht mehr, wegen der scheiß Leihbude auch noch den Kakao trinken, durch den man gezogen wird, ab heute und für immer, nein!

Das bisschen Recht auf dem Papier das nehme ich mir raus, Manpower soll vor Gericht. Die Kollegen geben ihr Recht und die Gewerkschaft ist da auch noch. Es wird also geklagt, so einfach will es sie den Geiern nicht machen. Die nächsten Tage legen auch für die Proletin Melanie offen zu Tage, wessen Klasse „Recht“ sie in Anspruch nimmt. Denn geklagt werden darf nicht um Entschädigung und Ahndung des Unrechts, klagen darf man nur auf Wiedereinstellung. Welch ein Hohn, als wäre alles wieder gut, wenn man bei den gleich Banditen seine Haut weiter zum Markt tragen darf, die einem doch vorher so übel mitgespielt haben.

Doch nicht mal das „Privileg“ bei Manpower weiter arbeiten zu können, darf Melanie sich vor dem bürgerlichem Gericht erstreiten, denn ihr Geldbeutel reicht nicht für diese feine bürgerliche „Gerechtigkeit“. Denn wem knapp 800 Euro nach der Maloche bleiben, der kann sich nicht leisten auch nur einen Tag als Arbeitsloser auf 40 Prozent von diesem Hungerlohn zu verzichten. Da ist ihr Sohn, die Miete, Strom, Versicherung, Essen usw. Niemand von jenen kann da mal eben ein paar Monate in Vorleistung gehen und auf ein Gerichtsurteil warten/hoffen, Arbeit muss her.

Nichts da mit Rechte der Armen und Pflichten der Reichen. Die Maschen des verfaulten sozialmarktwirtschaftlichen Netzes deutscher Nation und Gerechtigkeit sind groß genug, dass Millionen Zeitarbeiter, Migranten, Lohndumpingarbeiter hindurch fallen, täglich. Arbeit gibt es nicht, nur den nächsten Drecksjob gibt es. Melanie fängt wieder bei einer anderen Leihbude an, einen Euro mehr, sie geht jetzt schon nicht mehr für jeden Lohn los. Der neue Job macht die Klage auf Wiedereinstellung hinfällig und Leute gibt es die sagen: „…hast doch Glück gehabt, jetzt einen Euro mehr“

Manpower weiß noch nichts von der neuen Einstellung, jedoch weiß man dort genau, dass die Kündigung bestehendem Arbeitsrecht Hohn spricht, noch darf man für Teilnahme an Betriebsversammlungen und das Bestehen auf dem Tarifvertrag nicht raus geworfen werden. Die Disponenten kennen die Sache, routiniert bietet man ein Flaschengeld für Ruhe vom lästigen Subjekt. 300 Euro fürs Schnauze halten liegt als „Angebot“ vor Güteverhandlung auf dem Tisch. Vielmehr als das ist nicht raus zu holen sagt man der lästigen Arbeiterin Melanie. 300 Euro, das Ende des Verfahrens und keine Schuld für niemand oder eben weiterklagen ohne eine Spur Aussicht auf Erfolg.

Nichts oder nichts, das ist die Wahl. Früher hätte Melanie noch weit weniger als 300 genommen, nämlich gar nichts, denn früher wäre sie nicht vor ein Gericht gezogen und schon gar nicht für irgendwelche Tarife und Belegschaftsversammlungen. Früher war einfach nach dem Rauwurf vor dem Rauswurf und alles einfacher, früher ist vorbei. Jetzt ist heute und heute bekommt Manpower einen Vogel gezeigt für 300 und muss sich die Ruhe weit aus teurer erkaufen.

Heute sitzt Melanie nach der Maloche nicht vor der Glotze bis die Augen zu fallen, heute trifft sie sich mit ihren Leuten von der IGM, wenigstens telefoniert wird. Sogar der BR-Vorsitzende von Assa hat sich noch mal gemeldet und sich für die Tatenlosigkeit entschuldigt. Berichtet hat er von seiner Isolation im Betriebsrat und dass auch da nur schwer was geht.

Heute sitzt sie vor dem Computer und tippt im Zweifingersuchsystem den halben Tarifvertrag ab. Es soll eine Infomappe für die Leiharbeiter bei Assa werden. Der BR-Vorsitzende und die Leute von der Gewerkschaft helfen. Eine Papiermappe, die hoffentlich an die Leiharbeiter verteilt wird und eine Spur Licht in diese verfluchte Dunkelheit bringt, von der die Ausbeuter profitieren wie schon lange nicht mehr.

Das wird bleiben in dem Betrieb, auf den Tischen voller Sicherheitsschlösser, an denen die Frauen heute noch für knapp 7 Euro die Stunde ihre Facharbeit verschleudern. Das und die Erinnerung an diese Melanie, die nicht mit gespielt hat, solche Geschichten leben lange in den Pausengesprächen.

So wühlt sich die müde Melanie durch die Paragraphen. Wenigstens das bisschen an Rechte, was unsereins hat, müssen wir alle kennen, dann kommen wir ins Gespräch, zur Gegenwehr vielleicht - denkt sie und würde sie sagen, wenn man sie fragt. Zwei Zimmer weiter schläft ihr Sohn und weiß noch nichts von dem Riss, der alles in Oben und Unten teilt.

Nachts vor dem Einschlafen raucht dann der Kopf und Aufregung pocht mit dem Puls. Morgens vor dem Ausschlafen, 6:00 Uhr, sitzt die Melanie B wieder an ihrem Platz in der Halle und funktioniert für Verleiher und Entleiher. Doch alles ist anders als vor dem 1. Tag damals in Zehlendorf, sie hat ein klitzekleines Bisschen gespürt von der Stärke ihrer Klasse und genau so ein Bisschen gerüttelt an ihrem Schlaf und was sie noch nicht weiß, das ahnt sie und es pulsiert in ihr der Stolz der Melanie B.

Ganz unten, in den Leihbuden, in den Arbeitsämtern, bei den Hartz4empfängern. Hier wird nicht gekämpft gegen die Ausbeuter, gekämpft wird hier gegeneinander, Widerstand bleibt in Wut, Frust und fehlender Organisation stecken. Hier ist das Ringen um Tariferhöhung, mehr Urlaubs- oder Weihnachtsgeld und Beschäftigungsgarantie unbekannt, hier geht es bereits nur noch ums „Klar kommen“.

Doch gerade hier wird auch der Nebelschleier der „Volksgemeinschaft“ von den furchtbaren Verhältnissen gerissen, bis sie nackt daliegen. Kein Leiharbeiter, der nicht seine Leihbude hasst, nicht viel weniger den Entleiherbetrieb, hier macht man sich weniger vor als bei den Festangestellten in der Monopolindustrie.

Die Linke dieses Landes ist nicht diejenige Kraft, die Licht in diese Nacht ganz Unten zu bringen vermag. Doch mehr als bisher muss sie ihren schwachen Lichtkegel, ihre beschränkte Möglichkeiten zur Solidarität dort hin richten.

Unser sporadisch genug getätigter Hinweis auf die Leiharbeiter und all die anderen Entrechteten ganz unten alleine reicht nicht, wir haben uns dieses Themas anzunehmen, gleichgewichtig zu den Kämpfen der organisierten Festarbeiter. Denn in all dem Dreck der unteren Stockwerke deutscher Lohnarbeit und der zur Untätigkeit und extremster Erniedrigung Verdammten, unten in diesen Minen, entstehen unter hohen Druck und hoher Temperatur, ungeschliffene Diamanten, Kostbar und selten - unbedingt unterstützenswert. So wie Melanie B.

Pavel

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