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Für Dialektik in Organisationsfragen

Deutsche Krokodilstränen

Südafrika ist seit seinem Auftauchen auf der europäischen Weltkarte ein begehrtes Objekt der Begierde. Die holländischen, französischen und englischen Kolonialherren stritten sich schon zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert um die Vorherrschaft am Kap der Guten Hoffnung. Die deutschen mussten sich 1885 als zu spät und zu kurz gekommene Kolonialherren in dieser Region erst mal mit dem heutigen Namibia, damals großspurig als „Deutsch-Südwestafrika“ bezeichnet, begnügen.

Die ersten Europäer waren als Abgesandte der „Niederländischen Ostindienkompanie“ VOC 1652 ins Land gekommen. Schon 1659 gab es erste Auseinandersetzungen mit den Ureinwohnern. Zunächst kamen hauptsächlich Auswanderer aus Holland, Frankreich und Deutschland, zum Beispiel Hugenotten, die in ihrer Heimat religiös verfolgt waren, ins Land. Über ein Jahrhundert hinweg zogen sich die Auseinandersetzungen mit den Einheimischen in den sogenannten „Kaffernkriegen“ hin, gegen die Vereinnahmung durch die immer weiter in ihre Weidegebiete vordringenden Viehzüchter zu wehren versuchten.

1795 rebellierten die Buren gegen die VOC und riefen die erste Burenrepublik aus. Nach verschiedenen Besatzungszeiten von Holländern, Franzosen und Briten wurde 1814 Kapstadt britische Kronkolonie. Die Buren gründeten im Landesinneren verschiedene Burenrepubliken, die sich 1860 zur Südafrikanischen Republik mit der Hauptstadt Pretoria zusammenschlossen. In ihrer Verfassung wurden das erste Mal Gesetze zur Rassentrennung erlassen. 1853 erlangte die britische Kapregion begrenzte Autonomie. Nach dem Ersten Burenkrieg 1880/1881 zwischen Buren und Briten wurde im ‚Frieden von Pretoria‘ die Unabhängigkeit der Südafrikanischen Republik zwar bestätigt, aber in der Außenpolitik den Briten ein Mitspracherecht eingeräumt. Der Zweite Burenkrieg 1899 bis 1902 endete mit einer Niederlage der Buren und sie wurden in die ‚Südafrikanische Union‘ gezwungen als Dominion[1] im britischen Empire. Wahlberechtigt waren dort nur Weiße und einige wohlhabende „Nicht-Weiße“.

Unter den Buren gab es eine breite Sympathie für den deutschen Faschismus und eine scharfe Auseinandersetzung wegen der Unterstützung der Alliierten durch die (britisch geprägte) Regierung Südafrikas. Während des Faschismus in Deutschland gab es „regen Austausch“ auf universitärer Ebene zwischen Studenten und Professoren.

Nach dem Wahlsieg der „Herenigde Nasionale Party“ HNP der Buren wurde die bisher latente Rassendiskriminierung 1948 durch Verordnungen und Gesetze verfestigt und wird allgemein als Beginn der Apartheid bestimmt. Da war Nelson Mandela, geboren am 18.7.1918, schon politisch aktiv. Er war 1944 Mitglied des ANC geworden und gründete auch in diesem Jahr die ANC Youth League mit.

In den 50er Jahren konnte der deutsche Imperialismus dann wieder nahtlos an die Beziehungen anknüpfen, da in der ersten Phase des Apartheid-Regimes führende südafrikanische Politiker entweder „einen Teil ihrer akademischen Ausbildung in Deutschland erhalten hatten oder von deutschen Missionaren abstammten[2]. Als Pretoria im Prozess gegen Mandela und seine Mitangeklagten 1956 die Argumente auszugehen drohten, wandte man sich „vertrauensvoll“ an die deutsche Regierung, und so übermittelten bundesdeutsche Stellen mehrere Antrags-, Anklage- und Urteilsschriften aus dem KPD-Verfahren. Aber auch das half nicht, Mandela und seine Mitangeklagten mussten freigesprochen werden.

Auch politisch wurde das Apartheidsregime von der Bundesregierung unterstützt. So hat Franz Josef Strauß 1966 bei einem Besuch in Südafrika „wieder einmal gesagt, was er denkt: Südafrika und Deutschland seien beide Opfer einer ‚Entstellungskampagne‘. Mit seiner Apartheid könne Südafrika zu einem starken Eckpfeiler der westlichen Welt, sogar zu einem Modellbeispiel für die gesamte Welt werden. Er sei ‚beeindruckt von der hohen religiösen und moralischen Verantwortlichkeit‘ der Segregations-Politiker. Darum werde er, als Führer einer christlichen Partei, dafür sorgen, das verzerrte Bild Südafrikas richtigzustellen.[3]

Und bekräftigt noch einmal 1988: „Nie in meinem 40jährigen politischen Leben habe ich eine so ungerechte und unfaire Behandlung eines Landes erlebt, wie sie Südafrika widerfährt.”[4]

Dabei wussten alle in Deutschland, was in Südafrika geschah. Eine breite Aufklärungskampagne ab 1977 bis hin in bürgerliche Kreise (zum Beispiel der evangelische Frauenbund) führte zum Boykott südafrikanischer Waren in Deutschland. Was natürlich nicht für unsere Imperialisten galt, die ihre Waren weiter nach Südafrika exportierten. (Siehe unten)

Die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen 1973 angenommene und 1976 in Kraft getretene ‚Internationale Konvention über die Bekämpfung und Bestrafung des Apartheid-Verbrechens‘ (deutsch in: Gesetzblatt der DDR, Teil II, 1974, S. 492 ff.) ist von der BRD wie von den USA, offensichtlich infolge wirtschaftlicher und militärischer Interessen, nicht ratifiziert worden. Auch nach ,Herstellung der deutschen Einheit’ durch den Einigungsvertrag von 1990 hat die Bundesrepublik nicht die Gelegenheit wahrgenommen, den 1974 vollzogenen Beitritt der DDR zur Anti-Apartheid-Konvention der UN für das ganze Gebiet Deutschlands anzuerkennen. Inzwischen ist das Apartheidverbrechen (als Art. 7 j) in den Katalog der vom Internationalen Strafgerichtshof zu verfolgenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgenommen worden.“[5]

Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Südafrika blieben dauerhaft eng. Als sich andere Staaten zunehmend vom Apartheid-Regime zu distanzieren begannen, weiteten deutsche Firmen Handel und Investitionen aus. Als sich 1987 mehr als 100 US-Unternehmen aus Südafrika zurückzogen, stießen die Deutschen in die Bresche und festigten und erweiterten so ihre ökonomische Stellung in der Welt. Die bundesdeutschen Geschäfte mit Südafrika schlossen Rüstungslieferungen mit ein, auch noch nach der offiziellen Verhängung des UN-Waffenembargos im Jahr 1977.

Darunter die Lieferung von mindestens 2.500 Daimler-Unimogs an die südafrikanische Armee (ab 1978, also nach Verhängung des UN-Embargos), Modelle, die unter anderem ‚mit vielfachen Raketenwerfern bestückt‘ worden seien[6]. Durch Lizenzen und Konstruktionspläne von Daimler-Benz wurde 30 Kilometer vor Kapstadt die staatliche Firma Atlantis Diesel Engines ADE aufgebaut. Dort wurden nach 1984 jährlich ca. 40.000 bis 50.000 Dieselmotoren für LKWs und Traktoren hergestellt, um offiziell Südafrika von Motorenimporten unabhängig zu machen. Nachdem die Staatsfirma ADE im März 1978 bei Daimler-Benz vorstellig wurde, befürwortete deren damaliger Aufsichtsrat im November 1978 einstimmig die Lizenzvergabe. Die südafrikanischen Geschäfte von Mercedes-Benz of South Africa (Pty) leitete während der Apartheid unter anderem Jürgen Schrempp. Nach dem Ende der Apartheid stieg er zum Vorstandsvorsitzenden der (deutschen) Daimler-Benz AG und der DaimlerChrysler AG auf, während die ADE Ende der 1990er die Herstellung von Lkw- und Industriemotoren einstellte und fast alle ihre Angestellten entließ.

Darunter alle namhaften deutschen Automobilhersteller, die wie VW seit 1951, Daimler seit 1954 und MAN und BMW seit 1968 in Südafrika eigene Werke unterhielten, um Autos für den afrikanischen Markt zu produzieren, ohne sich an den politischen Gegebenheiten zu stoßen.

Darunter die Aktivitäten der Siemens AG in Südafrika. 1847 in Berlin gegründet, werden schon 1860 die ersten Telegraphenapparate nach Kapstadt geliefert. 1952 wurde wieder eine Niederlassung gegründet, ab 1954 unter dem alten Namen „Siemens“. Vor allem in der Nachrichtentechnik und in der Energiewirtschaft hatte und hat Siemens enge Kontakte zur Regierung. „Siemens bietet im südlichen Afrika ein breites Spektrum an Lösungen und Dienstleistungen und hält dort führende Positionen in den Sektoren Energie, Gesundheit, Industrie sowie Infrastruktur & Stadtentwicklung. … Im Geschäftsjahr 2013 verzeichnete Siemens im südlichen Afrika bedeutende Erfolge in allen vier Sektoren.[7]

Darunter Messerschmidt-Bölkow-Blohm als damals größter Rüstungsexporteur Deutschlands. Sie lieferten Hubschrauber für die südafrikanische Polizei, die damit die Massen-Demonstrationen von Apartheid-Gegnern überwachen konnte und führende Aktivisten identifizieren wollte.[8]

Darunter BASF als deutscher Multi ebenfalls im Widerstreit mit dem US-Imperialismus. Als sich IBM 1986 aus Südafrika auf Druck der amerikanischen Öffentlichkeit zurückzog, sind die Deutschen in die Marktlücke gesprungen und vermarkteten ihre Computer, die sie vom japanischen Konzern Hitachi bezogen, erfolgreich in Südafrika. Dabei wurden mit größter Wahrscheinlichkeit auch Polizei und Militär beliefert. So lieferte BASF 1986 mehr Systeme nach Südafrika als in Deutschland aus. Auf keinem anderen Markt florieren die BASF-Geschäfte mit Computern so wie in dem Buren-Staat. Am Kap der Guten Hoffnung stimmen auch die Preise noch: sie lagen um 20 bis 40 Prozent höher als hierzulande.[9]

Dabei gehörten für sie Verschleierung, Betrug und Bestechung als „ganz normales Vorgehen“ dazu. So verkaufte der Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern, während das Regime Nelson Mandela und zahllose weitere Widerständler in Haft hielt, eine komplette Munitionsfüllanlage nach Südafrika. Das Unternehmen täuschte vor, eine – nicht existierende – Firma in Paraguay beliefern zu wollen; in Südamerika angekommen, wurden die Bauteile ‚unter Aufsicht eines Rheinmetall-Managers umgeladen auf ein Schiff nach Durban‘, heißt es in einer Recherche des Journalisten Gottfried Wellmer.[10]

Zudem wurden über NTG hochsensible Nukleargüter nach Südafrika vermittelt.[11]

Nicht zu vergessen die Blaupausen für deutsche U-Boote an Südafrika. Ein sich jahrelang hinziehender Skandal der Bonner Regierung unter Helmut Kohl, eingefädelt noch von Franz Josef Strauß, der sich nie aufklären ließ.[12]

Sie alle reihten sich ein in eine lange Liste prominenter deutscher Konzerne, die am Kap gutes Geld verdienten und verdienen. Die Apartheid-Republik war Ende der 80er Jahre nach Brasilien das beliebteste Investitionsland in der südlichen Hemisphäre. Für 4,2 Milliarden Mark lieferten deutsche Firmen zum Beispiel im Jahr 1986 Maschinen, Fahrzeuge und andere Produkte nach Südafrika.[13]

Wenn jetzt die ehemaligen Förderer des Apartheidregimes von Pretoria wahre Krokodilstränen um Nelson Mandela vergießen, dann sollten wir uns nicht davon abhalten lassen, diesem großen Freiheitskämpfer einen Platz in unserem Herzen als Vorbild einzuräumen. Um mit einem Zitat aus seiner Biographie zu schließen: „Ich betrachtete Gewaltlosigkeit nach dem Gandhischen Modell nicht als unantastbares Prinzip, sondern als Taktik, die je nach Situation anzuwenden sei. Das Prinzip war nicht so wichtig, daß man der Strategie selbst dann folgen sollte, wenn sie selbstzerstörerisch sein würde, wie Gandhi glaubte.“[14]

H. Renrew

1 unabhängiger Staat im britischen Commonwealth, Staatsoberhaupt ist der britische Monarch

2 GFP 09.12.2013

3 Zeit 13.05.1966

4 Spiegel 01.02.1988

5 Linke Zeitung 9.12.2013

6 GFP 9.12.2013

7 Im Geschäftsjahr 2013 (1. Oktober 2012 - 30. September 2013) belief sich der Umsatz mit Kunden in Südafrika auf fast 765 Mio. EUR. Der Auftragseingang erreichte 951 Mio. EUR. Siemens beschäftigt im südlichen Afrika derzeit ca. 1.530 Mitarbeiter. Siemens Homepage, Siemens weltweit

8 Gottfried Wellmer: Anmerkungen zur Sammelklage von Apartheidsopfern in den USA, o.O., o.J.

9 Spiegel 10/1987

10 Gottfried Wellmer: Anmerkungen zur Sammelklage von Apartheidsopfern in den USA, o.O., o.J.

11 Spiegel 45/1989

12 Westfälische Rundschau vom 31.03.2008

13 Spiegel 10/1987

14 Nelson Mandela: Der lange Weg zur Freiheit. (TB) Frankfurt a.M. 1997, S. 179

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