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Für Dialektik in Organisationsfragen

Asylrecht statt Vaterlandsverteidigung!

Über Fluchtursachen und deren Beseitigung

Heftigste Widersprüche gibt es über die Schutz und Asyl Suchenden, die in unser Land kommen. Viele stehen auf Seiten der Flüchtlinge, möchten helfen und sie beschützen. Dem steht gegenüber eine außer Rand und Band geratene Regierung: eine Bundeskanzlerin, die reinlassen und anschließend schnellstens selektiv abschieben will. Sie will die EU, dieses Deutsch-Europa, das bei der Erpressung Griechenlands noch so gut geklappt hat, vor der weiteren Verschärfung der „Flüchtlingskrise“ (besser gesagt: der EU-Krise) retten. Dabei wird sie aber von ihrer eigenen Partei bekämpft, vom Innen- und vom Finanzminister, und natürlich auch von der Schwesterpartei CSU, die ihrerseits total zerstritten ist. Alle wollen sie beweisen, dass sie noch rechter, noch übler, noch rassistischer sind als die Kanzlerin – vor allem aber noch deutscher. Gegen Europa, gegen den Rest der Welt – die einen riskieren das oder liebäugeln damit, andere haben sich sowieso schon längst als „Euroskeptiker“ hervorgetan. Die SPD hat es offenbar aufgegeben, in diesem ganzen Spektakel überhaupt noch eine Rolle zu spielen, und hechtet nur noch den jeweils aktuellen faulen Kompromissen hinterher. Hinter diesen ganzen Grabenkämpfen in der Bundesregierung steht das große Kapital. Es will Einwanderung, und zwar genau in dem Maß und in der Art und Weise, dass man gute, ausgebildete und gleichzeitig billige Arbeitskräfte bekommt. In der Europafrage haben sich bisher die entscheidenden Kräfte des Monopolkapitals für EU und Euro entschieden – sollte sich das in dieser zugespitzten Situation des Auseinanderbrechens der EU ändern, könnte sich die Gefahr des Faschismus in der BRD sprunghaft vergrößern. Diese ganze Gemengelage, die erstmal sehr kompliziert aussieht, wird von dem rechten braunen Mob in ganz einfache Taten umgesetzt: Häuser anzünden, Aufmärsche wildgewordener Spießer organisieren, Menschen beleidigen, einschüchtern, verletzen, ermorden.

Nur in einem sind sich offenbar alle einig: Die Fluchtursachen müssen beseitigt werden!

Aber warum?

Sehen wir mal genauer hin.

Die Bundesregierung, die als Ausschuss des großen Kapitals handelt, will im weltweiten Kampf um Einfluss- und Kapitalanlagesphären, um Rohstoffe und Absatzmärkte Ruhe und Ordnung und den eigenen imperialistischen Interessen dienstbare Regierungen überall dort, wo man sich diplomatisch, politisch und/oder militärisch eingemischt hat. Dafür hat man sich schließlich eingemischt … Aber allzu oft geschieht dann eben das Gegenteil. Syrien, die Nummer 1 der Herkunftsländer der Flüchtenden: Die „Opposition“ wurde von imperialistischen Ländern – darunter nicht zuletzt die BRD – moralisch, organisatorisch und militärisch aufgerüstet – mit aus diesen Aktivitäten ist die Mörderbande „Islamischer Staat“ hervorgegangen, die in Syrien täglich Massaker in dem Ausmaß anrichtet wie in Paris am 13. November 2015. Nummer 2 ist Albanien, Nummer 3 Kosovo – ein nicht lebensfähiger Zwergstaat. Zustandegekommen ist er mit Hilfe der deutschen Luftwaffe, die 1999 Jugoslawien kaputtbombardierte. Angeblich, damit niemand mehr aus dem Kosovo fliehen muss – folgerichtig wird diese Hölle für Angehörige des Volks der Roma, von der Bundeswehr besetzt, als „sicheres Herkunftsland“ definiert. Nummer 4 ist Afghanistan – nach 14 Jahren Krieg unter Beteiligung der Bundeswehr, der angeblich die Frauen befreien und das Land friedlich und schön machen sollte. So sieht es aus, wenn die Imperialisten „Fluchtgründe beseitigen“!

Der rechte Sumpf im Bündnis mit den dümm­sten Spießern vereinfacht auch hier die ganze Sache: Fluchtgründe müssen beseitigt werden, egal wie, damit auch wirklich keiner mehr zu uns reinkommt. Weg mit den „Fremden“! Außer natürlich wir holen sie uns als Klofrau, Prostituierte oder sonstige Bedienstete.

Für die Arbeiter, die Kommunisten kann es bei der Frage der Fluchtursachen überhaupt nicht darum gehen, zu verhindern, dass Menschen aus anderen Ländern zu uns kommen. Sondern es geht darum, Zustände abzuschaffen, in denen sie zu uns kommen müssen. Und das ist die nächste Überlegung: Was sind eigentlich die Fluchtursachen? Auch darüber sind sich die Menschen aus den verschiedenen Klassen und Schichten alles andere als einig.

Welche Fluchtursachen gibt es?

Die Bourgeoisie lässt dazu Verwirrendes verlautbaren.

„Ethnische Konflikte“ seien Fluchtursachen – das erzählt man uns, seit Jugoslawien zerschlagen wurde. Nachdem man Fluchtgründe geschaffen hatte, wurde 1999 sogar Krieg gegen Jugoslawien geführt – die erste militärische Aggression Deutschlands seit 1945. Krieg gegen die selbstgeschaffenen Fluchtursachen!

„Religiöse Konflikte“ seien Fluchtursachen – was für eine Heuchelei! Der aus imperialistischen Intrigen – unter Beteiligung des deutschen Imperialismus – hervorgegangene „Islamische Staat“ terrorisiert tausende und abertausende Menschen muslimischen Glaubens und schlägt sie in die Flucht!

Armut gilt der herrschenden Klasse nicht als Fluchtursache. „Die wollen nur unser Geld“ – so werden „Wirtschaftsflüchtlinge“ definiert und beleidigt. Die Armut wurde durch den Imperialismus in die Weltregionen gebracht, aus denen Menschen jetzt flüchten. Kriege töten, Armut tötet auch. Armut wurde mit dem deutschen Geflügelabfall nach Westafrika exportiert, die einheimische Hühnerzucht ging zugrunde. Armut wurde in den Balkan exportiert, als Jugoslawien mit Hilfe der deutschen Luftwaffe zerbombt und durch die Intrigen der deutschen Außenpolitik zerstückelt wurde. Das sind nur zwei Beispiele für die mannigfaltigen Fluchtgründe des Elends, der imperialistischen Ausplünderung.

Aber auch unter den demokratisch gesinnten Menschen kursieren Anschauungen über die Flucht­ursachen, die man nicht unwidersprochen lassen kann. Und das ist vor allem die Ansicht: Die Amis seien schuld! Die USA sollen für die Flüchtlinge, die in die BRD kommen, zahlen. Das soll die Bundesregierung von den USA fordern.

Aber was sind wirklich die hauptsächlichen Fluchtursachen?

Es gibt zwei hauptsächliche Faktoren, die die Zahl der flüchtenden Menschen in den Jahrzehnten nach der Niederlage des Sozialismus in Europa ansteigen ließ. Das ist zum einen der Niedergang des antiimperialistischen Befreiungskampfes der unterdrückten Völker, zum anderen die Verschärfung der Widersprüche zwischen den imperialistischen Ländern. Beide Faktoren bedingen einander und wirken in verheerendem Ausmaß aufeinander ein. Die unterdrückten Völker sind damit völlig schutzlos den Kämpfen der Imperialisten untereinander ausgeliefert, die auf ihrem Rücken ausgetragen werden. Gleichzeitig wird die Ausbeutung dieser Völker ganz gewaltig verstärkt, da dem Schalten und Walten der Imperialisten kaum eine organisierte Kraft und fast keine internationale Solidarität entgegensteht.

Gerade der Faktor der Verschärfung der zwischenimperialistischen Widersprüche hat sehr viel mit dem deutschen Imperialismus zu tun. Er versucht dort, wo die Niederlage des Sozialismus zunächst „weiße Flecken“ hinterlassen hat, seinen Einfluss geltend zu machen. Und da, wo der Niedergang der Befreiungsbewegungen Chaos, Armut und Perspektivlosigkeit hinterlassen hat, ist er ökonomisch, politisch und militärisch zur Stelle – gegen die Völker und gegen die imperialistischen Konkurrenten. Mal als friedlicher Warenverkäufer, mal als friedlicher Investor, mal als bescheidener Vermittler oder ehrlicher Makler (mit einem Sack voll imperialistischer Intrigen im Gepäck), und natürlich auch mit der Bundeswehr, um „humanitäre Katastrophen“ kaputtzuschießen.

Diese wirklichen Fluchtursachen auszublenden und die USA verantwortlich zu machen, ja sogar von der Bundesregierung zu verlangen, dass sie von den USA eine finanzielle Beteiligung an den Kosten für die nach Deutschland kommenden Flüchtlinge fordert – das ist Vaterlandsverteidigung. Vaterlandsverteidigung, wie sie die SPD 1914 mit ihrer Bewilligung der Kriegskredite betrieben und damit die Arbeiter in den 1. Weltkrieg gehetzt hat. Ein großer Teil der Arbeiter ließ sich damals hetzen. Sie hatten den proletarischen Internationalismus vergessen und marschierten „fürs Vaterland“. Als sie fürs Kapital im Dreck lagen und auf ihre Brüder schossen, kam langsam, bruchstückhaft die Erinnerung wieder, was man mal im Kommunistischen Manifest gelesen hatte: Die Arbeiter haben kein Vaterland. Es wäre an der Zeit, sich wieder mal daran zu erinnern. Es darf kein „Wir Deutschen“ geben – gegenüber den Asylsuchenden nicht, und gegenüber anderen Ländern, anderen Staaten auch nicht!

Wie können die Fluchtursachen bekämpft werden?

Auf Grundlage der heutigen Entwicklung der Produktivkräfte müsste niemand hungern, müssten keine Kriege geführt werden, könnten alle Menschen auf der Erde in menschengerechten Verhältnissen leben. Das wissen viele derjenigen Menschen, die angesichts der Lage noch nicht ihren Verstand verloren haben.

Bei Demokraten kursieren deshalb auch Überlegungen, die auf den ersten Blick sehr einleuchtend aussehen. So zum Beispiel der Vorschlag, Afrika zu bewässern und damit wirksam den Hunger zu bekämpfen (eine Idee aus der ZDF-Kabarett-Sendung „Die Anstalt“ vom 20.10.2015).

Leider können solche Ideen unter imperialistischen Bedingungen kaum den gewünschten Erfolg haben. Unter diesen Bedingungen könnten solche Projekte ja auch nur imperialistische Projekte sein. Erfahrungsgemäß bringen solche Großprojekte den unterdrückten Völkern keinen Nutzen, im Gegenteil. Sie festigen die Macht des Imperialismus, stürzen abhängige Länder in Schulden und haben dann kaum Nutzen für die Bevölkerung, sondern nützen nur den jeweiligen Imperialisten und einer kleinen Schicht der dortigen Bourgeoisie, die durch die Zusammenarbeit mit den Imperialisten zu Reichtum kommt, der Kompradorenbourgeoisie.

Wir müssen also grundsätzlich an die Bekämpfung der Fluchtursachen herangehen. Das heißt, im Sinne des proletarischen Internationalismus handeln.

„Es gibt nur einen wirklichen Internationalismus: die hingebungsvolle Arbeit an der Entwicklung der revolutionären Bewegung und des revolutionären Kampfes im eigenen Lande, die Unterstützung (durch Propaganda, durch moralische und materielle Hilfe) eben eines solchen Kampfes, eben einer solchen Linie und nur einer solchen allein in ausnahmslos allen Ländern.“ (Lenin, Werke Bd. 24, S. 60)

Es sind also zwei Aufgaben, die Lenin hier nennt:

Erstens – die Entwicklung der revolutionären Bewegung und des revolutionären Kampfes im eigenen Land.

Zweitens – die Unterstützung eben eines solchen Kampfes in ausnahmslos allen Ländern.

Beides zusammen ergibt die Aufgabe, unseren Beitrag zu leisten im weltweiten Kampf gegen den Imperialismus, der erst mit der Befreiung der gesamten Menschheit sein Ende findet. Oder anders ausgedrückt: Das beides zusammen ergibt den einzig erfolgversprechenden Kampf gegen die Fluchtursachen!

Was heißt das für uns hier und heute:

Erstens – die Entwicklung der revolutionären Bewegung und des revolutionären Kampfes im eigenen Land

Dazu ist allererste Voraussetzung die Erkenntnis, dass Klassen existieren – Bourgeoisie und Proletariat – und dass dies der entscheidende Unterschied zwischen den Menschen ist, die in diesem Land leben bzw. irgendwie existieren müssen. Erschwert wird diese Erkenntnis durch die Existenz von kleinbürgerlichen Zwischenschichten, die nicht eindeutig der einen oder anderen Klasse zuzuordnen sind. Erschwert wird weiter diese Erkenntnis weiterhin durch die Existenz von Nationen und Staaten und deren ungleichmäßige Entwicklung.

Diese Erkenntnis beinhaltet, dass alle Arbeiter auf der ganzen Welt zu einer Klasse gehören, dass es keine Ungleichheit, keine imperialistische Arroganz geben darf, dass die Konkurrenz der Arbeiter untereinander bekämpft werden muss. Es kommt nicht darauf an, welcher Nationalität ein Arbeiter ist, aus welchem Land er kommt. Es kommt nicht darauf an, wer betet und wer nicht, und wenn ja zu wem, es kommt nicht auf Sprache und Hautfarbe an. Klassenbewusster Arbeiter zu sein, darauf kommt es an.

Der erste Schritt, dieses Klassenbewusstsein zu fördern, heißt: Kampf um Demokratie, speziell in diesem Land und zu dieser Zeit: Abwehr eines drohenden faschistischen Angriffs. Der massivste Angriff auf die bürgerliche Demokratie von rechts findet zurzeit – und wahrscheinlich für längere Zeit – auf der Ebene der Entrechtung der Asylsuchenden statt. Diese Entrechtung fördert Chauvinismus und imperialistische Arroganz. „Wir Deutschen“, „ihr Ausländer“ – dieses Schema ist Kampf gegen das bürgerliche Recht – und bürgerliches Recht heißt gleiches Recht für alle. Es heißt natürlich nicht Gleichheit aller. Aber wenn es gleiches Recht für alle gibt (oder wenn auch nur energisch darum gekämpft wird), dann erst wird offensichtlich, warum die Menschen trotz gleichen Rechts nicht gleich sind: weil sie in Klassen eingeteilt sind, in diejenigen, die alle Reichtümer, den allergrößten Teil der Produktionsmittel besitzen, und diejenigen, die nichts außer ihrer Arbeitskraft zum Verkauf anbieten können – und müssen, um zu überleben.

Auf der Entrechtung, auf der Welle des Deutschtums und der Vaterlandsverteidigung, basiert das Wir-Gefühl, der immer wieder beschworene Eindruck, wir würden von einer „Asylantenflut“, einer „Völkerwanderung“ etc. heimgesucht. Dem gilt es – gemeinsam mit allen demokratischen Kräften, die dafür gewinnbar sind – zu widerstehen und für die Forderungen zu kämpfen: Gleiches Recht für alle – Asylrecht für alle Flüchtlinge, ohne Prüfung durch die Behörden! Einbürgerung nach drei Monaten Aufenthalt bei Tolerierung mehrerer Staatsbürgerschaften! (Siehe KAZ Nr. 352, wo diese und weitere demokratische Forderungen zur Diskussion gestellt werden.)

Da kommt natürlich die Frage auf: Wenn jeder reingelassen wird und dableiben kann, kann das nicht böse Folgen haben?

Dass das Gerede von der Ausländerkriminalität reaktionäre Dummschwätzerei ist, dürfte den Lesern dieser Zeitung sicherlich bekannt sein. Nur eins sollte man sich dazu noch klar machen: Erst wenn jeder Nicht-Deutsche genau so übel und kriminell sein kann wie jeder Deutsche, ohne dass sich irgendjemand darüber weiter aufregt, erst dann haben wir den Rassismus überwunden. Solange wir von Flüchtlingen verlangen, dass sie besser sind als wir, solange sitzen wir in der Rassismus-Falle.

Aber können dann nicht auch alle möglichen Reaktionäre in unser Land kommen, z.B. Antikommunisten, die uns von der Bourgeoisie als Zeugen gegen den Sozialismus vorgeführt werden? Ja, natürlich, sie können reinkommen. Aber sie können sowieso reinkommen, dazu braucht doch die Bourgeoisie kein Asylrecht. Nehmen wir den chinesischen „Künstler“ und „Dissidenten“ Ai Weiwei. Der hat ganz bestimmt keinen Asylantrag gestellt – er hatte die ganz normalen Voraussetzungen nach dem Ausländer„recht“, nämlich ein super Jobangebot: eine Professur in Berlin. Er unterrichtet ganze 16 Studenten. Egal, auf jeden Fall ist er eine unentbehrliche kulturelle Bereicherung für die antikommunistische Menschenrechtsheuchelei. So ein tolles Jobangebot hat keiner der vielen Asylsuchenden, die ja nicht mal wissen, ob sie bei uns die Toiletten putzen dürfen!

Und so haben alle, die für reaktionäre Umtriebe im Sinne des deutschen Imperialismus ein Exilland suchen, in Deutschland den besten und sichersten Platz. Zum Beispiel fand im Jahr 1991 die „Exilregierung“ der illegalen „Republik Kosovo“ Herberge in Stuttgart. Zur selben Zeit wurde die von den USA damals noch als „Terrororganisation“ eingestufte UCK vom BND (Bundesnachrichtendienst) aufgerüstet. Sie fungierte dann bei der militärischen Aggression gegen Jugoslawien als Bodentruppe. Diese Bande sitzt nun als Regierung in der „unabhängigen“ Republik (eigentlich Protektorat) Kosovo. Auch ukrainische Faschisten hatten keine Probleme mit den westdeutschen Behörden: So konnte der Faschistenführer Stepan Bandera in der BRD „ab 1949 völlig unbehelligt von behördlicher Kontrolle agieren. Er galt als entschiedener Antikommunist und erfreute sich sogar offizieller finanzieller Förderung und staatlicher Unterstützung. Bereits im April 1950 trat er, umgeben von Leibwächtern, in München erstmalig im Rahmen einer Pressekonferenz auf und beklagte die mangelnde Unterstützung des bewaffneten ukrainischen Untergrundes durch die USA.“ (Erich Später im von Jörg Kronauer herausgegebenen Buch „Ukraine über alles“, S. 50 f.)

Und eine weitere Sorte Einwanderer, Flüchtlinge oder wie man sie nennen will, konnten in Scharen kommen, und die Behörden breiteten stets den roten Teppich für sie aus. Mit dem Asylrecht hatte das überhaupt nichts zu tun. Sondern mit „Deutschtum“. Das reaktionäre Staatsbürgerschaftsrecht der BRD, übernommen von der Gründung des Deutschen Reiches 1871, ist im Gegensatz zum normalen bürgerlichen Recht nicht nach dem Territorialprinzip ausgerichtet, sondern nach der Abstammung. Als würden wir noch im Bärenfell rumlaufen! Dieses reaktionäre Staatsbürgerschaftsrecht diente und dient vor allem zu chauvinistischer Betätigung gegen andere Staaten – überall wo es „Deutsche“ gibt. So wurden DDR-Bürger zur Flucht angetrieben, gelockt, überredet, um gut ausgebildete Arbeitskräfte zu bekommen und der DDR immensen Schaden zuzufügen. 3,8 Millionen verließen zwischen 1949 und 1990 die DDR und kamen nach Westdeutschland oder Westberlin – natürlich ohne Asylantrag, das waren ja schließlich Deutsche, die DDR war sowieso nicht anerkannt und damit ungültig. 3,8 Millionen waren für Westdeutschland und Westberlin nicht zu viel, das fiel gar nicht weiter auf, man feierte sie sogar mit vaterländischem Gebrüll. Nach der Niederlage des Sozialismus in Europa wurden dann 3 Millionen „Deutschstämmige“ aus der zerschlagenen Sowjetunion und mittel- und osteuropäischen Ländern in die BRD geholt. 3 Millionen! Auch das hat keiner so recht gemerkt. Aber das waren ja schließlich Deutsche …

Wir sehen also: Das uneingeschränkte Asylrecht würde Demokratie und Antifaschismus nicht im Geringsten behindern, im Gegenteil. Schließlich kann niemand im Ernst fordern, dass diese deutschen Behörden die Reaktionäre aussortieren und zurückschicken! Nur wenn die Arbeiterklasse die Grenzen kontrolliert, kann reaktionäres Pack an der Grenze gestoppt werden, zu einem relativ großen Teil jedenfalls. Allerdings fehlt uns momentan eine „Kleinigkeit“, um das zu bewerkstelligen: der Staat der Arbeiter, die Diktatur des Proletariats.

Kommen wir nun zu der weiteren Aufgabenstellung des proletarischen Internationalismus, die Lenin genannt hat:

Zweitens – die Unterstützung eben eines solchen Kampfes in ausnahmslos allen Ländern

Wie können wir die Entwicklung der revolutionären Bewegung und des revolutionären Kampfes in ausnahmslos (!) allen Ländern unterstützen? Gerade heute sind die internationalen Verbindungen zu einem großen Teil zerrissen. Wir können ja zum großen Teil gar nicht beurteilen, welche Kräfte in anderen Ländern diese Aufgabe wirklich wahrnehmen. Was also können wir tun?

Was alle revolutionären Kräfte auf der ganzen Welt brauchen, ist die Möglichkeit der revolutionären Arbeit im Exil. Dazu gehört auch, dass das Exil den Verfolgten, Geschundenen, Gefolterten eine Atempause bietet, um Kraft zu schöpfen für den weiteren Kampf. Natürlich sind die meisten der hunderttausenden, die jetzt zu uns kommen, keine Revolutionäre. Darum geht es gar nicht. Es geht darum: Wenn unter einer Million Asylsuchenden – derzeit unerkannt für uns, aber auch unerkannt für die Bourgeoisie – ein Marx, ein Lenin, ein Ho Chi Minh ist, dann ist allein dafür der Kampf um das uneingeschränkte Asylrecht Verpflichtung für uns. Zumal es dann höchstwahrscheinlich nicht nur einen Marx, einen Lenin, einen Ho Chi Minh gibt, sondern vielleicht 100 enge Kampfgefährten dazu, und vielleicht 1.000 oder 10.000, die nicht mehr leben wollen wie bisher, die hier bei uns Arbeiter, Kollege, Genosse, Mensch sein wollen und die eines Tages Hand in Hand mit uns für die Befreiung unseres und ihres Landes kämpfen werden, für die Abschaffung jeglicher Fluchtursachen.

E.W.-P.

Aus der Rede des KPD-Abgeordneten Renner im Parlamentarischen Rat 1949 zum Asylrecht

Herr Dr. von Brentano will das Asylrecht nur denen gewähren, die ihr Heimatland verlassen mussten, weil sie aufrechte Kämpfer für die Demokratie waren. Nun kenne ich kein Land in Europa, das nicht von sich behauptet, dass der Zustand in seinem Land die Demokratie schlechthin ist. Ich kenne kein solches Land. Alle Länder, auch Spanien[1], behaupten, demokratische Länder zu sein. Die Meinungen darüber gehen natürlich auseinander. Was der eine als Demokratie ansieht, ist dem anderen das Gegenteil. Ich lasse durchaus offen, welche Meinung richtig ist. Ich rede nur schlechthin von der Tatsache, dass jedes Land seine Regierungsform als demokratisch anspricht. Nur diejenigen, die gegen die dort existierende Staatsordnung angehen, verstoßen dann nach Auffassung der dort herrschenden Gewalt gegen die Demokratie. Sie müssen aus diesem Grund das Land verlassen. Sie sind also in jedem Fall vom Standpunkt ihres Heimatlandes aus gesehen als Kämpfer gegen die Demokratie in dem jeweiligen Land anzusprechen. Dass man aber im 20. Jahrhundert als politisch reifer Mensch und Demokrat überhaupt den Gedanken aussprechen kann, es sei notwendig, das Asylrecht einzuengen, das geht weit über mein Begriffsvermögen hinaus. Es gehört doch hier zum guten Ton, die größten europäischen Länder geradezu als Muster von Demokratien hinzustellen; ich denke an Frankreich und England. Wie steht es damit? Frankreich war das Land, das bis zu einem gewissen Zeitpunkt – nämlich bis zu dem Zeitpunkt, als die Kräfte von Vichy[2] an die Macht kamen – das absolute Asylrecht gewährte. Da wurden aus Deutschland Kommunisten und Antifaschisten jeder Schattierung aufgenommen. Es wurden die Kämpfer für das Zarentum, die Weissgardisten usw. aufgenommen, jeder hatte Asylrecht.

(Zuruf: Sogar Rauschning[3].)

– Auch Rauschning; es ist gut, dass Sie das bringen. Schließlich, wenn Hitler gekommen wäre, hatte er dort auch Asylrecht bekommen, seien Sie sicher.

Dagegen war England trotz Anerkennung des allgemeinen Asylrechts schon etwas vorsichtiger. Da durfte ein Kommunist nur unter gewissen Kautelen hineinkommen. Die USA schlossen ebenfalls bei genereller Anerkennung des Asylrechts die Kommunisten von vornherein aus.

(Zuruf: Sie sind aber trotzdem hineingekommen!)

– Das lag an anderen Dingen, das wissen Sie doch, Herr Kollege Wagner. Wir kamen überall hin und kamen auch überall wieder heraus.

...

Ein letztes Wort. Man soll sich hüten, den Begriff „politischer Emigrant“ irgendwie einzuengen. Die Praxis hat bewiesen, dass ein grosser Teil der in der Nazizeit aus Deutschland geflüchteten Emigranten im Asylland von Deutschland her mit irgendeiner kriminellen Beschuldigung belastet wurde. Die Nazibehörden haben sozusagen an einem jeden von uns irgendetwas Kriminelles entdeckt. Sie haben auf Grund dieser Entdeckungen zum Beispiel einem Gewerkschaftler, der dafür gesorgt hat, dass das Geld der Gewerkschaften ins Ausland kam, dass unser ehrliches Geld nach drüben kam und nicht Hitler in den Rachen fiel, einen Prozess wegen Unterschlagung angehängt. Das müssen Sie doch wissen. Man hat es also in den allermeisten Fällen verstanden, den Begriff politischer Emigrant mit dem Begriff krimineller Flüchtling zu vermengen. Deswegen muss man jede Einengung des Begriffs politischer Emigrant vermeiden. Man muss schlechthin von politischer Emigration und politischem Asylrecht sprechen, sonst gerät man in des Teufels Küche.

(Die Fußnoten wurden von der KAZ-Arbeitsgruppe „Flüchtlinge“ hergestellt, die diese Auszüge aus der Rede des Genossen Renner in der KAZ 293 dokumentierte. Diese Ausgabe der KAZ erschien 1999, während des Aggressionskrieges gegen Jugoslawien, als die Bundesregierung nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die Flüchtlingsströme als Waffe benutzte.)

1 Spanien war bis 1975 ein faschistischer Staat, zu dem übrigens die BRD – voll in der Tradition der Hitlerfaschisten – bis zum Ende freundschaftliche Beziehungen unterhielt.

2 Das Vichy-Regime war eine für die Hitlerfaschisten arbeitende Marionettenregierung in Frankreich unter Pétain nach der Kapitulation Frankreichs (1940) mit Sitz in Vichy.

3 Hermann Rauschning, NSDAP-Mitglied seit 1926, wurde 1933 im Auftrag der Nazi-Partei Senatspräsident des damaligen Danzig (heute Gdansk, Polen). Überwarf sich mit der Führungsriege der Nazis und floh 1936 in die Schweiz, 1938 nach Frankreich.

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Die Kapitalisten freut es, wenn durch die Rechtlosigkeit der Flüchtlinge vom Klassenunterschied abgelenkt und nationalistische Hetze gefördert wird.

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Statt Duldung in der dritten Generation – automatische Einbürgerung nach drei Monaten Aufenthalt in der BRD bei Duldung weiterer Staatsbürgerschaften!

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Herkunft, Nationalität, Geschlecht, Lebensalter sind nicht wichtig, wenn es um die Existenzbedingungen und die Zukunft aller Arbeiter geht. Gemeinsam gegen Regierung und Kapital!

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Diese Forderung haben manche vor lauter Freude vergessen, als Frau Merkel die Grenze öffnete. Aber für die „menschliche“ Kanzlerin sind die Flüchtlinge auch nur eine Manövriermasse fürs Kapital, für Deutsch-Europa.

Diese Forderung haben manche vor lauter Freude vergessen, als Frau Merkel die Grenze öffnete. Aber für die „menschliche“ Kanzlerin sind die Flüchtlinge auch nur eine Manövriermasse fürs Kapital, für Deutsch-Europa.

Zürich, Spittelgasse. Lenin schlug angesichts der vielen Einwanderer den Schweizer Genossen vor, die automatische Einbürgerung all der Ausländer zu fordern, die sich länger als drei Monate in der Schweiz aufhalten. Gegen die Rechtlosigkeit der Arbeiter aus anderen Ländern!

Zürich, Spittelgasse. Lenin schlug angesichts der vielen Einwanderer den Schweizer Genossen vor, die automatische Einbürgerung all der Ausländer zu fordern, die sich länger als drei Monate in der Schweiz aufhalten. Gegen die Rechtlosigkeit der Arbeiter aus anderen Ländern!